European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00191.24B.0624.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Der Kläger (Jg 1961) begehrt vom Beklagten (Jg 1968) Schadenersatz für im Zuge einer Auseinandersetzung zugefügte Verletzungen. Die Vorinstanzen wiesen die Klage übereinstimmend ab, weil sich der Beklagte aufgrund eines Angriffs des Klägers in einer Notwehrsituation befunden habe und ihm auch keine Notwehrüberschreitung vorgeworfen werden könne.
[2] 2. Ist der Rechtfertigungsgrund der Notwehr durch einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf ein notwehrfähiges Gut gegeben, so gebührt dem durch die Notwehrhandlung des Angegriffenen beeinträchtigten Angreifer kein Schadenersatz. Das Überschreiten der notwendigen Verteidigung (Notwehrexzess) oder eine offensichtlich unangemessene Verteidigung verpflichten jedoch zum Ersatz, wenn sie vorsätzlich oder sorgfaltswidrig geschahen und subjektive Vorwerfbarkeit gegeben ist (vgl 4 Ob 116/19s mwN; RS0009048, RS0132943; § 19 ABGB, § 3 StGB).
[3] Das Maß der Abwehr bestimmt sich nach der Art, der Wucht und der Intensität des (zur Notwehr berechtigenden) Angriffs, nach der Gefährlichkeit des Angreifers und nach den zur Abwehr zur Verfügung stehenden Mitteln (RS0089259). Notwendig iSd § 3 Abs 1 StGB ist jene Verteidigungshandlung, die aus der Situation des Angegriffenen (ex ante) gesehen, wenngleich unter Beachtung objektiver Kriterien, gerade so weit in die Rechtsgüter des Angreifers eingreift, damit der Angriff verlässlich abgewehrt werden kann (RS0089309; vgl auch RS0009046, RS0089125). Verlässlich heißt sofort und endgültig (RS0089309 [T1], RS0088842). Unter mehreren verfügbaren Abwehrmitteln hat der Verteidiger das für den Angreifer schonendste zu wählen, er muss sich aber nicht mit Abwehrhandlungen begnügen, deren Wirkung zweifelhaft ist (RS0095988). Unzureichende Abwehrhandlungen sind nach der Lebenserfahrung nämlich geeignet, die Angriffslust weitgehend enthemmter Personen zu steigern und die für den Angegriffenen bestehende Gefahrenlage nur noch zu verschärfen (vgl RS0089073).
[4] Durch Alkohol enthemmte Angreifer sind in der Regel besonders gefährlich (RS0089073 [T2]). Gegenüber Angriffen Betrunkener besteht das Notwehrrecht in vollem Umfang; Betrunkene genießen grundsätzlich nicht den besonderen Schutz des Gesetzes (vgl RS0089005 [T4]).
[5] Die Behauptungs- und Beweislast für einen Rechtfertigungsgrund – hier die Notwehrsituation – trifft denjenigen, der in fremdes Rechtsgut eingreift (vgl RS0023098). Das Vorliegen eines Notwehrexzesses hat wiederum der Geschädigte zu beweisen (4 Ob 116/19s).
[6] Da es sowohl für die Beurteilung, ob eine Notwehrsituation vorlag, als auch jene, ob dem Angegriffenen ein Notwehrexzess anzulasten ist, auf die Umstände des Einzelfalls ankommt, liegt darin – vom Fall einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.
[7] 3. Eine derartige, korrekturbedürftige Überschreitung des den Vorinstanzen notwendiger Weise zukommenden Beurteilungsspielraums kann der Kläger in seiner Revision nicht aufzeigen.
[8] Nach den Feststellungen wurde der Beklagte zu Hilfe gerufen, weil sich der alkoholisierte Kläger in einer Wirtsstube aggressiv verhielt. Über dessen Aufforderung, die Rechnung zu begleichen und das Gasthaus zu verlassen, setzte sich der Kläger kurz hin, sprang dann aber auf, erfasste den Beklagten mit einer Hand fest am T-Shirt, fuchtelte mit der zur Faust geballten anderen Hand wild in Richtung des Beklagten, brachte die Faust in Anschlag und versuchte den Beklagten zu schlagen. Der Beklagte wehrte dies ab, indem er mit ausgestrecktem Arm und flacher Hand auf der Brust den Kläger auf Distanz hielt, während er zeitgleich mit der anderen Hand sein Gesicht schützte. Er schob den Kläger in dieser Position rückwärts in Richtung des Ausgangs der Terrasse. Beim Rückwärtsgehen machte der Kläger plötzlich einen Bogen, stieß einen Stuhl um und stürzte über einen auf dem Boden befindlichen Gegenstand. Er kam auf dem Rücken unterhalb der Terrassenstiege zu Boden. Auch der Beklagte stürzte und fiel auf den Kläger. Der Sturz des Klägers war für den Beklagten nicht vorhersehbar und nicht vermeidbar. Der Kläger versuchte am Boden liegend mit beiden geballten Fäusten den Beklagten zu schlagen um diesen wegzudrücken. Der Beklagte blockte einen Schlag ab, umfasste dessen rechte Faust und setzte eine Armwinkelsperre am rechten Arm des Klägers ein. Er fixierte den Kläger auf dem Boden in der Seitenlage und stand gemeinsam mit diesem auf. Der Kläger erlitt entweder durch den Sturz oder die vom Beklagten ausgeführten Handlungen, insbesondere die Armwinkelsperre, eine Beschädigung des Zahns im linken Unterkiefer, eine Verletzung am rechten Handgelenk und Arm sowie einen Riss der Sehne des Daumens. Der (nüchterne) Beklagte hatte ausschließlich das Ziel, die Situation zu deeskalieren, er wollte dem Kläger keine Verletzungen zufügen.
[9] Der Kläger argumentiert nunmehr damit, dass der Beklagte pensionierter Cobrabeamter sei, verschiedene Ausbildungen im Bereich Selbstverteidigung, Nahkampf und Deeskalation genossen habe, Ausbildner für Selbstverteidigung gewesen sei und eine Selbstschutzschule betreibe und daher deutlich schonendere Mittel anwenden hätte können und müssen.
[10] Einer im Nahkampf ausgebildeten Person werden in der Regel zwar mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen, auch sie darf aber ein Mittel wählen, das den Angriff verlässlich, dh sofort und endgültig beendet, und muss sich nicht mit einer Abwehrhandlung begnügen, deren Wirkung zweifelhaft ist. Zudemlässt die Revision unberücksichtigt, dass der Beklagte den (ihn mit der Faust attackierenden und betrunkenen) Kläger zunächst nur mit der flachen Hand Richtung Terrassenausgang schob, und der Kläger nach dem (ungewollten) Sturz beider sogar noch am Boden liegend auf den Beklagten einzuschlagen versuchte. Dessen ungeachtet versuchte der Beklagte nicht, seinerseits den Kläger zu stoßen oder zu schlagen, sondern nur wegzuschieben bzw zu fixieren. Welche weniger einschneidenden Maßnahmen dem Beklagten in dieser Situation möglich gewesen wären, lässt die Revision offen. Da die Notwendigkeit der Abwehrhandlung ex ante zu beurteilen ist, kann die Unzulässigkeit der Reaktion des Beklagten auch nicht aus der beim Kläger letztlich eingetretenen Verletzungsfolge abgeleitet werden (jüngst 1 Ob 137/24i: zulässiger Faustschlag ins Gesicht mit Kieferhöhlenwandfraktur nach einem erfolglosen Abwehr- und Fluchtversuch).
[11] Die Bejahung einer Notwehrsituation und die Verneinung eines Notwehrexzesses für das Gesamtgeschehen, also das Zurückdrängen und die Fixation nach dem Sturz, ist damit im Einzelfall jedenfalls vertretbar.
[12] 4. Soweit die Revision nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht und die bereits in der Berufung enthaltenen Mängel- und Beweisrügen (teils sogar wortgleich) wiederholt, ist sie nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043312, RS0043603, RS0042963, RS0043371). Auch die behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor (vgl RS0053317).
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