OGH 4Ob156/24f

OGH4Ob156/24f22.7.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätin Dr. Annerl, Mag. Waldstätten, Dr. Stiefsohn und Mag. Böhm in der Rechtssache der klagenden Partei * Aktiengesellschaft, *, vertreten durch die Aigner Rechtsanwalts‑GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1.) Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17–19, 1011 Wien, und 2.) Land Kärnten, vertreten durch den Landeshauptmann, Arnulfplatz 1, 9021 Klagenfurt am Wörthersee, dieser vertreten durch die Hausmaninger Kletter Rechtsanwälte-Gesellschaft mbH in Wien, sowie die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Parteien 1.) *, als Insolvenzverwalter des *, zuletzt vertreten durch Dr. Manfred Ainedter & Mag. Klaus Ainedter, Rechtsanwälte in Wien, sowie die Wess Kux Kispert & Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien, und 2.) *, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des *, vertreten durch die Brandstätter Scherbaum Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 1.000.000 EUR sA, über die Revisionen der erst- und der zweitbeklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Mai 2024, GZ 14 R 6/24s‑92, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 3. November 2023, GZ 9 Cg 31/20z‑81, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00156.24F.0722.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revisionen der erst- und der zweitbeklagten Partei werden zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 5.257,54 EUR (darin 876,26 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Im Jahr 2004 verkaufte die Erstbeklagte ihre Anteile an den Bundeswohnbaugesellschaften (darunter die sogenannte BUWOG) in einem Bieterverfahren. Der Zuschlag erging damals an die an einem „Österreich‑Konsortium“ beteiligten Gesellschaften.

[2] Die Klägerin ist der Ansicht, dass derVerkauf an das „Österreich‑Konsortium“ auf rechtswidrige und schuldhafte Handlungen ua des damaligen Finanzministers (der Erstnebenintervenient) und des damaligen (im Jahr 2008 verstorbenen) Landeshauptmanns der Zweitbeklagten zurückzuführen sei. Bei rechtskonformem Vorgehen hätte der Zuschlag den Bietergesellschaften aus dem Konzern der Klägerin erteilt werden müssen. Die Klägerin begehrt daher mit ihrer Klage vom 27. 2. 2020 als Gesamtrechtsnachfolgerin und Inkassozessionarin einen Teilschaden von 1 Mio EUR sA aus dem Titel des Schadenersatzes (s dazu auch 4 Ob 36/21d und 4 Ob 43/21h).

[3] Das Erstgericht beschränkte das Verfahren gemäß § 189 Abs 1 ZPO auf den Verjährungseinwand der Beklagten und wies das Klagebegehren mit dem angefochtenen Urteil aus diesem Grund ab.

[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das klagsabweisende Ersturteil in ein den Verjährungseinwand verwerfendes Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO ab.

[5] Aufgrund von Beweisrügen der Klägerin übernahm das Berufungsgericht zahlreiche Feststellungen des Erstgerichts wegen Irrelevanz nicht, sondern ging für die Verjährungsfrage im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

[6] Da nach der Zuschlagserteilung im Jahr 2004 lediglich Vermutungen zum knappen Überbot vorlagen ohne konkrete Hinweise auf einen nachweisbaren Missstand, teilte der damalige Rechtsvertreter der Klägerin deren Aufsichtsrat mit, dass die Beschreitung des Rechtswegs aussichtslos sei, sodass die Klägerin bis 2009 keine weiteren Untersuchungen in Auftrag gab. Im September 2009 erstatteten sodann * und der Zweitnebenintervenient jeweils Selbstanzeige wegen Abgabenhinterziehung. Damals berichtete auch erstmals ein Medium über die Vermutung, dass „der BUWOG‑Deal eine Goldgrube für die Freunde [des Erstnebenintervenienten] war“. Anfang Oktober 2009 wurde zudem berichtet, dass „der neue Verdacht in der BUWOG‑Affäre Amtsmissbrauch heiße“, „[der Erstnebenintervenient] und Co unter Druck sind“ und auch „[der Landeshauptmann der Zweitbeklagten] beim BUWOG‑Deal mitmischte“.

[7] Die Klägerin beauftragte daraufhin zunächst die ursprüngliche und sodann eine neue Rechtsvertretung mit der Prüfung allfälliger Schadenersatzansprüche und schloss sich mit Schriftsätzen vom 5. und 19. 10. 2009 dem ua gegen den Erstnebenintervenienten geführten Ermittlungsverfahren als Privatbeteiligte mit einem Anspruch von vorläufig 419.500 EUR aus frustrierten Kosten an. Um die Ermittlungen voranzutreiben, brachte die Klägerin am 17. 10. 2011 sodann bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eine Ergänzung der Anschlusserklärung sowie eine ergänzende Sachverhaltsdarstellung ein, in der sie einen Schaden von zumindest 200 Mio EUR behauptete.

[8] Von ca Ende 2011 bis Ende 2012 fand ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Klärung der Korruptionsvorwürfe statt.

[9] Am 20. 7. 2016 erhob schließlich die WKStA ua gegen den Erstnebenintervenienten Anklage wegen des Vorwurfs der Untreue nach § 153 StGB und der Geschenkannahme durch Beamte nach § 304 Abs 1 und Abs 3 StGB.

[10] Die Klägerin beauftragte daraufhin die nunmehrige Klagevertreterin, die Ende Jänner 2017 ein rund 200seitiges Rechtsgutachten vorlegte und zum Schluss kam, dass der Erstnebenintervenient der Erstbeklagten haftungsrechtlich zugerechnet werden könne und gegen diese Schadenersatzansprüche bestünden. Eine Schadensaufstellung der Klägerin war Ende Februar 2017 fertig, ein in Auftrag gegebenes Gutachten, aus dem ein Gesamtschaden von 1,9 Mrd EUR ableitbar war, Ende Dezember 2017.

[11] Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 12. 4. 2017 wurde die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift ua gegen den Erstnebenintervenienten bestätigt. Beginnend mit 12. 12. 2017 fand vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien die Hauptverhandlung statt, die insgesamt 168 Verhandlungstage dauerte und an der auch Vertreter der Klägerin teilnahmen.

[12] Am 22. 1. 2018 richtete die Klägerin erstmals ein Anspruchsschreiben an die Finanzprokurator, in dem sie Schadenersatzansprüche gegen die Erstbeklagte geltend machte. Deren Ablehnungen folgten am 26. 2. 2018 und über nochmalige Anfrage am 26. 8. 2019, woraufhin die Klägerin eine Klage ausarbeiten und am 27. 2. 2020 einbringen ließ.

[13] Mit dem am 4. 12. 2020 mündlich verkündeten Urteil wurde der Erstnebenintervenient wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB und der Geschenkannahme durch Beamte nach § 304 Abs 1 und Abs 3 StGB (idF BGBl I Nr 130/2001 und idF BGBl I 2004/136) für schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Klägerin wurde mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen (zum Strafverfahren s 14 Os 61/23m).

[14] In rechtlicher Hinsicht bestätigte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass hier die dreijährige Verjährungsfrist nach § 1489 1. Satz ABGB und nicht die 30‑jährige nach § 1489 2. Satz ABGB zur Anwendung gelange. Die verjährungsrechtliche Privilegierung setze voraus, dass der Ersatzanspruch aus einer gerade dem Geschädigten gegenüber begangenen qualifizierten Straftat resultiere, was weder bei der dem Erstnebenintervenienten (und dem Landeshauptmann als Beitragstäter) vorgeworfenen Untreue, noch der Geschenkannahme als Beamter oder der Verletzung des Amtsgeheimnisses der Fall sei. Auch unterbreche der Privatbeteiligtenanschluss im gegen die Organe geführten Strafverfahren nicht die Verjährung von Schadenersatzansprüchen gegen die juristische Person, hier die Beklagten.

[15] Anders als das Erstgericht war das Berufungsgericht jedoch der Ansicht, dass die dreijährige Verjährungsfrist bei Klagseinbringung am 27. 2. 2020 noch nicht abgelaufen gewesen sei. Die Kenntnis des eigenen Schadens sowie Mutmaßungen hinsichtlich des Schädigers und des schädigenden Verhaltens würden die Verjährung noch nicht beginnen lassen. Setze die Kenntnis des Kausalzusammenhangs und/oder von jenen Tatsachen, die das Verschulden begründen, ein konkretes besonderes Wissen voraus, so beginne die Verjährungsfrist erst dann zu laufen, wenn der Geschädigte einen tatsächlichen Einblick in die objektiven Zusammenhänge erlangt habe.

[16] Eine von der Staatsanwaltschaft nach § 210 StPO eingebrachte Anklage(‑schrift) sei zwar Ausdruck eines – wenn auch in einem Ermittlungsverfahren erhärteten und begründeten – Verdachts, aber kein bereits objektiv feststehender Sachverhalt, zumal die Anklage die Hauptverhandlung des Strafprozesses erst vorbereite. Die Staatsanwaltschaft habe zudem bereits dann Anklage zu erheben, wenn die Prognose getroffen werden könne, dass der Nachweis einer Tat mit einfacher Wahrscheinlichkeit zu erbringen sein werde. Bei einem laufenden Strafverfahren sei somit entscheidend, ob der Geschädigte drei Jahre vor der Klagseinbringung dem Strafakt ohne nennenswerte Bemühungen konkrete objektive Verfahrensergebnisse entnehmen hätte können, die ihm bereits zu diesem Zeitpunkt eine erfolgversprechende Anspruchsverfolgung ermöglicht hätten, ihn also befähigt hätten, das zur Begründung seines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs erforderliche Tatsachenvorbringen in einer Klage konkret und schlüssig zu erstatten.

[17] In der vorliegenden, ca 800 Seiten umfassenden Anklageschrift seien wertende, also beweiswürdigende Schlussfolgerungen aus komplexen Indizienketten Grundlage des von der WKStA angenommenen (Verdachts‑)Sachverhalts gewesen. Es handle sich insbesondere zur hier zentralen Frage der Informationsweitergabe sohin nicht um eindeutige, konkrete Verfahrensergebnisse, die auch eine eindeutige, konkrete und objektive Kenntnis über eine Tatsache verschaffen würden, wie etwa Fotos, Abhörprotokolle, Sachverständigengutachten oä. Davon, dass der Klägerin aus der Anklageschrift „ohne nennenswerte Mühe“ eine objektivierte Kenntnis der im Jahr 2004 stattgefundenen konkreten Vorgänge – insbesondere des Verhaltens des Erstnebenintervenienten und/oder des damaligen Landeshauptmanns der Zweitbeklagten – vermittelt worden wäre, könne aufgrund der ausschließlich durch beweiswürdigende Wertungen der WKStA gewonnenen bloßen Indizienketten keine Rede sein. Dies gelte auch in Zusammenschau mit der Medienberichterstattung sowie den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses.

[18] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision zur Anwendbarkeit der langen Verjährungsfrist nach § 1489 2. Satz ABGB sowie zur Auswirkung einer Anklageschrift auf den Verjährungsbeginn für zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[19] Die – von der Klägerin beantworteten – Revisionen der Erst- und der Zweitbeklagten sind ungeachtet des, den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruchs des Berufungsgerichts mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und daher zurückzuweisen.

[20] 1. Die in der Revision aufgeworfene Frage muss, um als Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gelten zu können, zur Lösung des konkreten Falls erforderlich sein (vgl RS0088931 [insb T4]). Dies ist bei den in den Revisionen angesprochenen Fragen zur 30‑jährigen Verjährungsfrist sowie zur Wirkung des Privatbeteiligtenanschlusses jedoch nicht der Fall, wenn man mit dem Berufungsgericht davon ausgeht, dass die dreijährige Verjährungsfrist bei Klagseinbringung noch nicht abgelaufen war.

[21] 2.1 Gemäß § 1489 1. Satz ABGB ist jede Entschädigungsklage in drei Jahren „von der Zeit an verjährt, zu welcher der Schade und die Person des Beschädigers dem Beschädigten bekannt wurde“.

[22] Die Verjährungsfrist wird sohin durch die Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen in Gang gesetzt (RS0034374). Nach der ständigen Rechtsprechung muss der Geschädigte überdies Kenntnis vom Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und einem bestimmten Verhalten des Schädigers (Schadensursache) haben sowie in Fällen der Verschuldenshaftung von jenen Umständen, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (vgl RS0034951, RS0034366, RS0034322).

[23] Maßstab ist, ob der Geschädigte eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben kann (vgl RS0034524, RS0034366, RS0034686), allenfalls auch nur auf Feststellung der Haftung (vgl RS0050338, RS0083144). Gemeint ist damit die Erhebung einer schlüssigen Klage, also einer Klage, bei der aus dem Sachvorbringen das Begehren abgeleitet werden kann. Der den Anspruch begründende Sachverhalt muss dem Geschädigten zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch soweit bekannt sein, dass er in der Lage ist, das zur Begründung seines Ersatzanspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (vgl RS0034524 [T14, T24, T25]). Zweifel an der Erweisbarkeit eines bereits bekannten anspruchsbegründenden Sachverhalts stehen dem Verjährungsbeginn nicht entgegen. Der Beginn der Verjährung wird nicht bis zu dem Zeitpunkt hinausgeschoben, in dem dem Geschädigten hieb- und stichfeste Beweise zur Verfügung stehen bzw bis er alle Beweismittel gesammelt hat, die sein Prozessrisiko auf ein Minimum reduzieren (vgl RS0034515, RS0034524 [T6, T47]). Auch die Unklarheit über Rechtsfragen kann den Beginn der Verjährungsfrist nicht hinausschieben (RS0034524 [T58]).

[24] Für den Beginn der Verjährungsfrist ist entscheidend, ob dem Geschädigten objektiv alle für das Entstehen des Anspruchs maßgebenden Tatumstände bekannt waren (vgl RS0034547). Bloße Mutmaßungen über die für den Kausalzusammenhang und das Verschulden relevanten Umstände genügen nach ständiger Rechtsprechung nicht, insbesondere wenn der Geschädigte (als Laie) keinen Einblick in die maßgebenden Zusammenhänge hat (vgl RS0034603 [insb T26], RS0034322, RS0113727; jüngst 5 Ob 24/24a). Auch eine subjektive „Überzeugung“ vom Vorliegen eines Sorgfaltsverstoßes setzt die Verjährungsfrist für sich allein noch nicht in Gang (vgl 4 Ob 144/11x).

[25] Die bloße Möglichkeit der (objektiven) Kenntniserlangung genügt grundsätzlich nicht (vgl RS0034686, RS0034459). Der Geschädigte darf sich aber nicht einfach passiv verhalten (vgl RS0065360). Wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchs-verfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (vgl RS0034327, RS0034335). Die Erkundigungspflicht des Geschädigten darf dabei jedoch nicht überspannt werden (vgl RS0034327).

[26] Demzufolge darf auch der Ausgang eines anderen Verfahrens nicht in jedem Fall abgewartet werden, insbesondere wenn gesicherte Verfahrensergebnisse oder erdrückende Beweise vorliegen (vgl RS0034524 [T28, T47]).

[27] 2.2 Die Behauptungs- und Beweislast für die die Verjährung begründenden Umstände trifft denjenigen, der die Verjährungseinrede erhebt. Dies gilt auch dann, wenn sich ein Beklagter nicht auf die positive Kenntnis des Schädigers von den nach § 1489 1. Satz ABGB maßgeblichen Umständen, sondern darauf beruft, der Geschädigte hätte – im Sinne von Erkundigungsobliegenheiten – ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen maßgeblicher Tatsachen gehabt und diese Umstände zu einem bestimmten Zeitpunkt in Erfahrung gebracht, wenn er diesen Anhaltspunkten nachgegangen wäre (vgl RS0034456 [insb T4, T5]).

[28] 2.3 Die Frage, wann der für eine erfolgversprechende Klagsführung ausreichende Kenntnisstand erreicht ist, hängt schließlich immer von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher – von Fällen korrekturbedürftiger Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0034908 [T13]). Dasselbe gilt sinngemäß auch für das Ausmaß der Erkundungspflicht des Geschädigten über den die Verjährungsfrist auslösenden Sachverhalt (vgl RS0034327, RS0113916).

[29] 3. Diese Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung auch dann, wenn ein Strafverfahren anhängig ist, sodass die Verjährungsfrist nicht erst mit dessen (rechtskräftiger) Beendigung zu laufen beginnt (vgl RS0034340, RS0034483).

[30] Die Erkundigungsobliegenheit kann insoweit eine Pflicht des Geschädigten zur Beobachtung des Strafverfahrens und zur (wiederholten) Akteneinsicht begründen (vgl RS0105969; 1 Ob 121/20f, 2 Ob 118/09f).

[31] Als fristauslösend wurde etwa bereits ein Gutachten im Strafverfahren (zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit) gewertet, aus dem sichder anspruchsbegründende Sachverhalt ergab (2 Ob 597/93), oder ein Geständnis des Beschuldigten (7 Ob 602/94).

[32] Zu 3 Ob 9/14s (vgl auch 1 Ob 121/20f) verneinte der Oberste Gerichtshof eine Verletzung der Erkundigungsobliegenheit hingegen bei einem Abwarten des Ganges eines behördlichen Ermittlungsverfahrens „in der keineswegs realitätsfremden Hoffnung, in diesem werde ein Gutachten eines brandtechnischen Sachverständigen zur Klärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach § 170 StGB erstattet oder der relevante Sachverhalt auf andere Weise ausreichend geklärt werden“. Weiters wurde nach der Einstellung des Strafverfahrens eine Überlegungsfrist gewährt.

[33] Auch zu 3 Ob 65/17f wurde dem Geschädigten zugebilligt, das Ergebnis des im Strafverfahren aufgetragenen Gutachtens abzuwarten (und zwar im zweiten Rechtsgang nach einer Aufhebung des Schuldspruchs). „Wenn das Strafgericht die Täterschaft des Beklagten in dieser Situation (noch) in Zweifel zog, darf dem Geschädigten nicht vorgehalten werden, er habe (bereits) über einen Informationsstand verfügt, der ihm eine erfolgversprechende Klage gegen den Beklagten ermöglichte. Die Klageerhebung und Eröffnung eines weiteren Gerichtsverfahrens in diesem Stadium zu fordern, wäre – im Hinblick auf die zeitnah im Strafverfahren zu erwartende Klärung – vielmehr schikanös und völlig unökonomisch gewesen (gerade die Prozessökonomie ist aber der Zweck des Verjährungsrechts).“

[34] 4.1 Es bestehen keine Bedenken, dass das Berufungsgericht die zitierte Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall übertrug, in dem im maßgeblichen Zeitpunkt, dem 27. 2. 2017, nicht bloß ein Strafantrag, sondern eine (wenn auch noch nicht rechtswirksame) Anklageschrift vorlag. In einer solchen sind gemäß § 211 Abs 1 Z 2 StPO zwar auch Zeit, Ort und die näheren Umstände der Begehung der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat anzuführen. Inwieweit sich aus einer Anklage(‑schrift) „gesicherte Verfahrensergebnisse“ für einen zivilrechtlichen Anspruch ergeben, kann jedoch jeweils nur im Einzelfall anhand der konkreten Sach- und Beweislage beurteilt werden, sodass insofern auch keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliegt.

[35] 4.2 Das Berufungsgericht arbeitete heraus, dass sich die Anklage hinsichtlich der für den Ersatzanspruch der Klägerin maßgeblichen Umstände nur auf wertende Schlussfolgerungen aus einer komplexen Indizienkette stütze, damals aber keine „erdrückenden“ Beweise oder sonst gesicherte Verfahrensergebnisse vorgelegen seien wie etwa ein Geständnis des Erstnebenintervenienten zu diesen Fakten.

[36] Wenn die Erstbeklagte in ihrer Revision eine Aktenwidrigkeit iSd § 503 Z 3 ZPO behauptet, soweit das Berufungsgericht ausgeführt habe, dass in der Anklageschrift keine objektivierten Verfahrensergebnisse, wie zB Sachverständigengutachten oder Abhörprotokolle, zitiert worden seien, und auf das Gutachten des Sachverständigen * sowie auf den Inhalt der Telefonüberwachungen und „zahlreiche weitere objektive Urkunden“, etwa die handschriftlichen Aufzeichnungen des ehemaligen Kabinettmitarbeiters * verweist, verkennt sie den Inhalt der berufungsgerichtlichen Rechtsausführungen zum Verjährungsbeginn. Vielmehr ist die Ansicht des Berufungsgerichts im Einzelfall vertretbar, dass selbst die in der Revision ins Treffen geführten Aufzeichnungen des damaligen Kabinettsmitarbeiters nicht unmittelbar eine Informationsweitergabe belegen, sondern der WKStA nur als Grundlage für Schlussfolgerungen dienten. Dasselbe gilt für das Gutachten zum Fluss der „Provisionszahlungen“ und (in der Revision der Erstbeklagten nicht näher spezifizierte) Ergebnisse von Telefonüberwachungen. Welchen konkreten Mehrwert die Medienberichte seit dem Jahr 2004 oder (weitere) Akteneinsichten als Privatbeteiligte für den Schadenersatzanspruch der Klägerin gebracht hätten, lässt die Revision der Erstbeklagten ebenfalls offen.

[37] 4.3 Auch wenn Zweifel an der Beweisbarkeit nach der oben dargestellten ständigen Rechtsprechung den Verjährungsbeginn nicht hinausschieben, wird auf die objektive Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände abgestellt und lediglich subsidiär auf eine Erkundigungsobliegenheit, die zudem nicht überspannt werden darf.

[38] Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin hier eine außenstehende Dritte war und keine eigenen, unmittelbaren Wahrnehmungen zum (straf‑)rechtswidrigen Verhalten hatte (wie etwa ein am Körper Geschädigter) oder sonst besondere Informationsmöglichkeiten oder Kenntnisse der Interna.

[39] Auch das Strafverfahren zielte nicht auf den der Klägerin zugefügten Schaden ab, sondern auf (ua) eine Untreuehandlung des Erstnebenintervenienten zu Lasten der Erstbeklagten. Die Erstbeklagte betont an anderer Stelle ihrer Revision selbst, dass dem Strafurteil keine strafbare Handlung gegenüber der Klägerin zu entnehmen sei und Eingriffe in deren Vermögen weder den objektiven noch den subjektiven Tatbestand des § 153 bzw § 304 StGB erfüllen würden. Zudem stand die Rechtswirksamkeit der Anklage erst mit 12. 4. 2017 fest, die Hauptverhandlung begann am 12. 12. 2017, und die Urteilsverkündung im erstinstanzlichen Verfahren erfolgte am 4. 12. 2020 (wobei die Urteilsausfertigung erst im Jänner 2022 zugestellt wurde und über die Nichtigkeitsbeschwerden im März 2025 entschieden wurde).

[40] Die Klägerinwar jedoch prozessual verpflichtet, die konkreten schadensverursachenden Handlungen (oder Unterlassungen), die Kausalkette zu den bei ihr eingetretenen Schäden sowie die das Verschulden begründenden Faktoren bereits in der Klage schlüssig anzugeben, wobei sie eine Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht traf (vgl §§ 76, 178, 226 ZPO). Im Zivilprozess ist es zudem ausgeschlossen, Beweisaufnahmen zu beantragen, um erst aufgrund der dadurch erzielten Ergebnisse die rechtlich erheblichen Tatsachen vorbringen zu können (vgl RS0039881, RS0039973).

[41] Die all dies unberücksichtigt lassenden und allgemein gehaltenen Revisionsausführungen der Erstbeklagten, wonach „der Sachverhalt zur Causa BUWOG“ bereits mit Anklageerhebung am 20. 7. 2016 in objektiver Hinsicht und auch in Bezug auf die Klägerin festgestanden sei, sodass sie vor dem 27. 2. 2017 eine Klage mit Aussicht auf Erfolg hätte erheben können und müssen, vermögen keine Überschreitung des dem Berufungsgericht im Einzelfall notwendiger Weise zukommenden Beurteilungsspielraums aufzuzeigen.

[42] 4.4 Ergänzend argumentiert die Erstbeklagte damit, dass der – stets anwaltlich vertretenen – Klägerin als börsenotiertes Immobilienunternehmen, dem nach eigenen Angaben ein exorbitanter Schaden entstanden sei, besondere Anstrengungen zumutbar seien. Eine (generelle oder im Einzelfall bestehende) Pflicht, die Strafverfolgungsbehörden als Geschädigter gleichsam „überholen“ zu müssen, und noch vor Beginn der Hauptverhandlung eine Klage zu erheben, kann aber auch damit nicht aufgezeigt werden.

[43] 4.5 Schließlich bemängelt die Erstbeklagte, dass das Berufungsgericht verschiedene erstgerichtliche, von der Klägerin mit Berufung bekämpfte Feststellungen ersatzlos entfallen ließ. Das Berufungsgericht vertrat jedoch ohnedies die für die Beklagten günstige Rechtsansicht, dass Unklarheiten über die Höhe des Schadens den Verjährungsbeginn nicht hinausgeschoben hätten. Inwieweit sich aus den entfallenen Feststellungen eine für eine Klagserhebung ausreichende Kenntnis von Schadensursache, Kausalität und Verschulden ableiten ließe, ist nicht ersichtlich.

[44] Selbst wenn nach den (teils unbeachtet gelassenen) Feststellungen bei der Klägerin schon im Jahr 2004 der Verdacht der Informationsweitergabe bestand, und für den Prokuristen der Klägerin eine Haftung der Erstbeklagten mit Vorliegen des Rechtsgutachtens der nunmehrigen Klagevertreterin Ende Jänner 2017 „dem Grunde nach feststand“, und man insofern nicht von bloßen Mutmaßungen oder rein subjektiven Überzeugungen im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung ausgeht, ist es jedenfalls vertretbar, der Klägerin ein Zuwarten bis zur Rechtswirksamkeit der Anklage und daran anschließend eine angemessene Überlegungs- und Vorbereitungsfrist für die Einbringung einer derart komplexen und kostenintensiven Schadenersatzklage zuzubilligen.

[45] 4.6 Die Zweitbeklagte kann grundsätzlich auf diese Ausführungen verwiesen werden. Dass Medien über eine Involvierung des Landeshauptmanns bereits im Jahr 2009 berichteten, der Zweitnebenintervenient 2012 im Untersuchungsausschuss über eine Informationsweitergabe durch den Landeshauptmann berichtete, und dem Erstnebenintervenienten in der Anklageschrift auch ein strafrechtlich relevantes Verhalten im Zusammenwirken mit dem Landeshauptmann in Bezug auf Vorkaufsrechte der Zweitbeklagten vorgeworfen wurde, ist unstrittig. Eine Unvertretbarkeit der Überlegungen des Berufungsgerichts, wonach die Klägerin auch in Bezug auf den Landeshauptmann bloß Mutmaßungen anstellen habe können, und ihr mit Anklageerhebung noch keine gesicherten Verfahrensergebnisse zu seinen konkreten Handlungen und deren Kausalität für ihren Schaden zur Verfügung gestanden seien, die eine schlüssige Schadenersatzklage mit Aussicht auf Erfolg ermöglicht hätten, vermag die Revision der Zweitbeklagten jedoch nicht aufzuzeigen. Auch insofern werden lediglich Indizien ins Treffen geführt, aus denen die WKStA weitere Schlüsse zog.

[46] 4.7 Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung oder sonst erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO im Zusammenhang mit der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 1. Satz ABGB wird von den Revisionen sohin nicht aufgezeigt.

[47] 5. Soweit die Erstbeklagte die Zulässigkeit ihrer Revision mit Ausführungen zum (fehlenden) Rechtswidrigkeitszusammenhang begründen will, ist ihr entgegenzuhalten, dass das Verfahren vom Erstgericht auf den Einwand der Verjährung beschränkt wurde, und das Berufungsgericht ein Zwischenurteil iSd § 393a ZPO fällte. Bei einem solchen wird nur die allfällige (nicht gegebene) Verjährung des Klagsanspruchs beurteilt und selbständig im Instanzenzug überprüfbar (vgl RS0127852). Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird auch in diesem Zusammenhang nicht aufgezeigt.

[48] 6. Letztlich ist die von der Erstbeklagten geltend gemachte Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zu verneinen.

[49] Auf die Fehlinterpretation der Ausführungen des Berufungsgerichts über den Inhalt der Anklageschrift und deren Bezugnahme auf objektivierte Ermittlungsergebnisse wurde bereits oben eingegangen. Warum die (unrichtig wiedergegebene) Höhe des Privatbeteiligtenzuspruchs an die Erstbeklagte für die Lösung des vorliegenden Falls relevant sein soll, erschließt sich nicht (vgl RS0043265).

[50] Soweit die Erstbeklagte eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens behauptet, weil das Berufungsgericht die Tatsachen- und Rechtsrügen der Klägerin gar nicht behandeln hätte dürfen (vgl 8 ObA 23/04x; ablehnend Lovrek in Fasching/Konecny 3 § 503 ZPO Rz 87), kann ihrer Auffassung nicht beigetreten werden, dass diese nicht gesetzmäßig ausgeführt worden seien. Zwar hat eine Rechtsrüge nach ständiger Rechtsprechung von den getroffenen Feststellungen und keinem „Wunschsachverhalt“ auszugehen (vgl RS0043312, RS0043603). Gerade im hier relevanten Punkt differenzierte die Klägerin aber klar zwischen dem festgestellten und dem ersatzweise begehrten Sachverhalt sowie den für den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist rechtlich relevanten Kriterien. Hinsichtlich der Tatsachenrüge fehlt es zudem an der Darlegung der Relevanz in der Revision.

[51] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 46 Abs 2 iVm § 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer (gemäß § 22 RATG verbundenen) Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revisionen hingewiesen (vgl RS0112296).

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