European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:008OBA00058.24Y.0227.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Gemäß § 132 Abs 4 erster Satz ArbVG sind auf Unternehmen und Betriebe, die konfessionellen Zwecken einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft dienen, die Bestimmungen des II. Teils des ArbVG (Betriebsverfassung: §§ 33 bis 134b) nicht anzuwenden, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht. Damit respektiert der Gesetzgeber die durch Art 15 StGG gewährleistete Kirchenautonomie und nimmt für das Gebiet der Betriebsverfassung eine Grenzziehung zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten der Kirche vor (RS0051365).
[2] 1.2. Der in § 132 Abs 4 ArbVG normierte Tendenzschutz ist von dem Gedanken bestimmt, dass die allgemeine Beteiligung der Arbeitnehmer an bestimmten Entscheidungen des Betriebsrats in sozialen, persönlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten in bestimmten Unternehmen und Betrieben wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung nicht oder nicht in gleichem Maße wie sonst zustehen soll (RS0051380).
[3] 1.3. Der Schutz des § 132 Abs 4 Satz 1 ArbVG ist nur ein relativer (RS0051371 [T1]). Maßstab des Anwendungsbereichs ist die Eigenart des Unternehmens oder Betriebs. „Eigenart“ heißt, dass andere Unternehmen und Betriebe ohne konfessionelle Zwecksetzung regelmäßig anders geartet sind (RS0051381). Die Eigenart eines konfessionellen Betriebs oder Unternehmens steht einer Anwendung von Bestimmungen des ArbVG dann entgegen, wenn die Mitwirkungsrechte der Belegschaft mit den besonderen konfessionellen Zwecken unvereinbar sind oder wenn die Mitwirkung der Arbeitnehmer für die Kirche zu unerträglichen oder grob unzweckmäßigen Ergebnissen führt (RS0051376).
[4] 1.4. Der Arbeitgeber soll durch den Tendenzschutz nicht gezwungen werden, mit dem Betriebsrat eine Auseinandersetzung darüber zu führen, ob ein Arbeitnehmer für eine Organstellung, die unmittelbar konfessionellen Zielen dient, noch tragbar ist. Eine Mitwirkung der Belegschaft hat daher bereits dann zu unterbleiben, wenn ein „Tendenzträger“ von einer personellen Maßnahme des Arbeitgebers schlechthin betroffen wird und nicht erst dann, wenn die Maßnahme aus tendenzbedingten Gründen erfolgt. Zwischen tendenzbedingten Gründen und tendenzneutralen Gründen bestehen nämlich häufig Zusammenhänge, sodass es der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft auch in solchen Fällen unbenommen bleiben muss, die Eignung des betreffenden Tendenzträgers für ein Kirchenamt allein zu beurteilen (RS0051384 [insb T1]).
[5] 1.5. Ob jemand als Tendenzträger einer Religionsgesellschaft zu qualifizieren ist, hängt von der Beurteilung und Gewichtung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls ab, denen in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Bedeutung zukommt (RS0051376 [T2]).
[6] 1.6. Dass eine Pastoralassistentin der römisch-katholischen Kirche, deren Tätigkeit fast ausschließlich in der Verkündigung und Verbreitung von Heilswahrheiten besteht, Tendenzträgerin ist, die keinen betriebsverfassungsrechtlichen Schutz nach § 105 ArbVG genießt, entspricht der Judikatur des Obersten Gerichtshofs (RS0051411).
[7] 1.7. Wenn die Revision meint, dass in der EU die Bestimmungen zum Schutz gegen Diskriminierung systematisch ausgeweitet würden, weshalb die Reichweite des Tendenzschutzes zu prüfen und im restriktiven Sinn neu zu bestimmen sei, ist dies nicht stichhältig. Die Klägerin zeigt im Übrigen weder eine Diskriminierung wegen eines im GlBG genannten Merkmals auf noch stützt sie ihre Anfechtungsklage auf das GlBG.
[8] 1.8. Richtig ist, dass auch Kirchen und Religionsgesellschaften den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen sind (RS0115537). Eine Einschränkung des Tendenzschutzes für den Fall der berechtigten Offenlegung unlauterer Praktiken durch den Dienstnehmer ist daraus jedoch nicht abzuleiten, weil andernfalls auch hier der Arbeitgeber gezwungen wäre, mit dem Betriebsrat eine Auseinandersetzung darüber zu führen, ob ein Arbeitnehmer für eine Organstellung, die unmittelbar konfessionellen Zielen dient, noch tragbar ist (RS0051384).
[9] 1.9. Wenn die Revision argumentiert, die Kündigung aufgrund ihrer Strafanzeige verstoße gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK, ist sie darauf zu verweisen, dass § 132 Abs 4 erster Satz ArbVG Ausdruck der durch Art 15 StGG geschützte Kirchenautonomie sowie der durch Art 9 EMRK geschützten Religionsfreiheit ist, die auch die Beklagte als Religionsgemeinschaft schützt (vgl RS0128082). Dass die Abwägung dieser Grundrechte durch den Gesetzgeber oder die bisherige Judikatur unzutreffend vorgenommen worden sei, zeigt die Revision nicht auf, zumal die von ihr zitierte Entscheidung (EGMR, 21. 7. 2011, Bsw 28274/08, Heinisch gg Deutschland) keine Kündigung durch eine Glaubensgemeinschaft betrifft.
[10] 2.1. Soweit die Revision auf das Bundesgesetz über das Verfahren und den Schutz bei Hinweisen auf Rechtsverletzungen in bestimmten Rechtsbereichen (HinweisgeberInnenschutzgesetz – HSchG) Bezug nimmt, ist sie darauf zu verweisen, dass sie in erster Instanz lediglich die Behauptung aufgestellt hat, die Kündigung sei eine Vergeltungsmaßnahme für die Anzeige straf- und finanzrechtlicher Verstöße. Angesichts der Regelung des sachlichen Geltungsbereichs in § 3 HSchG kann nicht fraglich sein, dass dies zur Begründung des Schutzes nach dem genannten Gesetz nicht ausreichen kann. Dieses erfasst nämlich nur – wie auch sein Titel bereits nahelegt – bestimmte Rechtsbereiche, nicht aber ganz allgemein das Straf- oder Finanzrecht. Diese klare und eindeutige Regelung des Gesetzes (RS0042656) wird auch in der Revision nicht angezweifelt.
[11] 2.2. Im Übrigen setzt sich die Revision nicht mit der zutreffenden Rechtsansicht des Berufungsgerichts auseinander, wonach die von § 20 Abs 1 HSchG in Bezug auf eine „hinweiskausale“ Kündigung angeordnete Rechtsfolge gerade nicht zur Berechtigung des Anfechtungsbegehrens auf rechtsgestaltende Unwirksamerklärung der Kündigung führen könnte. Nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut (RS0042656) des § 20 Abs 1 HSchG sind Maßnahmen, insbesondere Kündigungen, die in Vergeltung eines berechtigten Hinweises erfolgt sind, rechtsunwirksam. Sie sind daher nichtig und nicht bloß nach § 105 ArbVG anfechtbar. Die Nichtigkeit nach § 20 Abs 1 HSchG führt demnach nicht zu einer Einschränkung des Tendenzschutzes nach § 132 Abs 4 erster Satz ArbVG. Vielmehr bleibt § 879 ABGB jedenfalls für Arbeitnehmer, die nicht unter den Geltungsbereich des § 105 ArbVG fallen, voll anwendbar (RS0018163). Ein Feststellungsbegehren gemäß § 20 Abs 1 HSchG wurde jedoch von der Klägerin nicht erhoben.
[12] 2.3. Dementsprechend stellt sich im gegenständlichen Verfahren wegen Kündigungsanfechtung die in der Revision genannte Frage, ob der auf bestimmte Rechtsgebiete eingeschränkte Geltungsbereich des HSchG dem Gleichheitsgrundsatz (Art 7 B-VG) entspricht, schon von Vornherein nicht.
[13] 2.4. Der Anregung, ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten, ist aus demselben Grund nicht näher zu treten, aber auch deshalb, weil es für die Annahmeeines Verstoßes gegen die WhistleblowingRL (Richtlinie [EU] 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 10. 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden) an hinreichenden Behauptungen im Verfahren erster Instanz mangelt.
[14] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
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