European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00076.25B.0603.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger wurde als Lenker seines PKW bei einer Frontalkollision mit einem entgegenkommenden Sattelzugfahrzeug mit rumänischen Kennzeichen verletzt.
[2] Die Vorinstanzen wiesen die Schadenersatzklage ab. Sie verneinten einen schuldhaften Verstoß des Lenkers des Sattelzugfahrzeugs gegen § 7 Abs 1 und 2 StVO, weil das Überragen der Fahrbahnhälfte (nur) mit dem hinteren Teil des Sattelzugs aufgrund der Straßengegebenheiten unvermeidbar gewesen sei. Der Kläger sei hingegen mit überhöhter Geschwindigkeit in die Kurve eingefahren und habe ohne Notwendigkeit eine derart starke Bremsung eingeleitet, dass er über die Fahrbahnmitte geschlittert und mit der Front des Zugfahrzeugs kollidiert sei. Die bloß gewöhnliche Betriebsgefahr des Sattelzugs trete hinter das Verschulden des Klägers zurück.
[3] Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Verstoß gegen § 7 Abs 1 und 2 StVO
[4] 1.1. Leitlinien sind Bodenmarkierungen, die nicht wie Sperrlinien Gebote oder Verbote bewirken, sondern lediglich dazu dienen, den Verkehr zu leiten und zu ordnen. Das Überfahren einer – auch hier bei der Unfallörtlichkeit vorhandenen – Leitlinie ist durch das Gesetz nicht verboten (RS0073415; RS0053083 [T4]). Allerdings liegt dem Begriff der Fahrbahnmitte – dem Grundsatz der allgemeinen Fahrordnung entsprechend – der Gedanke zu Grunde, dass sie als Trennungslinie für die Abwicklung des Verkehrs in die entgegengesetzten Richtungen zu gelten hat (RS0073192). Die Einhaltung des allgemeinen Rechtsfahrgebots gemäß § 7 Abs 1 StVO setzt daher eine Fahrlinie voraus, die sich soweit von der Fahrbahnmitte entfernt befindet, dass sich angesichts der jeweils eingehaltenen Geschwindigkeiten ein ausreichender seitlicher Sicherheitsabstand zwischen den einander begegnenden Fahrzeugen einhalten lässt (RS0073501 [T1]).
[5] 1.2. Das Überfahren der Fahrbahnmitte (nur) durch den hinteren Teil des Sattelzugs war aber aufgrund der örtlichen Gegebenheiten für dessen Lenker unvermeidbar und bildet daher keinen schuldhaften Verstoß gegen § 7 Abs 1 und Abs 2 StVO. Allein der Umstand, dass eine Straße befahren wird, auf der sich ein teilweises Überfahren der Fahrbahnmitte (in Kurvenbereichen) nicht vermeiden lässt, begründet noch keinen Verstoß gegen § 7 Abs 1 StVO. Vielmehr zieht die (teilweise) unvermeidbare Benützung der für den Gegenverkehr bestimmten Fahrbahnhälfte nach der Rechtsprechung (nur) die Verpflichtung nach sich, sein Fahrverhalten an die Verkehrssituation – etwa durch Bremsen, Anhalten oder Abgabe von Warnsignalen – anzupassen (vgl RS0073646). Wenn die Vorinstanzen dem Lenker des Sattelzugs daher allein aufgrund der Benützung der (engen) Straße keinen Verstoß gegen § 7 Abs 1 StVO angelastet haben, ist dies nicht korrekturbedürftig.
2. Außergewöhnliche Betriebsgefahr
[6] 2.1. Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr im Sinne von § 9 Abs 2 EKHG ist immer dann anzunehmen, wenn die Gefährlichkeit, die regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb eines Fahrzeugs verbunden ist, dadurch vergrößert wird, dass besondere Gefahrenmomente hinzutreten, die nach dem normalen Verlauf der Dinge nicht schon deshalb vorliegen, weil ein Fahrzeug im Betrieb ist (RS0058461 [T4]; RS0058467; RS0058586). Der Unterschied zwischen gewöhnlicher und außergewöhnlicher Betriebsgefahr ist funktionell darin zu erblicken, dass zur gewöhnlichen Betriebsgefahr besondere Gefahrenmomente hinzutreten, die nach dem normalen Ablauf der Dinge nicht schon dadurch gegeben waren, dass ein Fahrzeug überhaupt in Betrieb gesetzt wurde (RS0058467).
[7] 2.2. Die Frage, ob der Unfall unmittelbar durch eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ausgelöst wurde, kann immer nur an Hand der Umstände des einzelnen Falls gelöst werden (RS0058444) und wirft daher abgesehen grober Fehlbeurteilung keine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[8] 2.3. Der Oberste Gerichtshof hat schon festgehalten, dass das minimale Überschreiten der Fahrbahnmitte bei sonst unauffälligem Fahrverhalten keine außergewöhnliche Betriebsgefahr begründet (2 Ob 148/21k Rz 3). Wenn die Vorinstanzen in der bloßen, in ihrem Ausmaß nicht näher feststehenden Überschreitung der Fahrbahnmitte (nur) mit dem Sattelanhänger noch keine außergewöhnliche Betriebsgefahr erblickt haben, ist dies nicht korrekturbedürftig, gehen doch allfällige Unklarheiten im Zusammenhang mit dem Vorliegen außergewöhnlicher Betriebsgefahr nach allgemeinen Beweislastregeln (vgl RS0037797) zu Lasten des Geschädigten (Schauer in Schwimann/Kodek 5 § 9 EKHG Rz 57; Neumayr in Schwimann/Neumayr 6 § 9 EKHG Rz 21).
[9] 3. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die gewöhnliche Betriebsgefahr hinter das Verschulden des Klägers zurücktrete (RS0058551), ist nicht zu beanstanden. Nach der allgemeinen Anordnung des § 20 Abs 1 StVO ist die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen Umständen, somit auch dem Fahrkönnen des Fahrzeuglenkers anzupassen. Der Fahrzeuglenker hat daher nach ständiger Rechtsprechung eine Geschwindigkeit zu wählen, die es ihm unter Berücksichtigung seines Fahrkönnens und der vorliegenden Verhältnisse (Witterung, Straße, etc) ermöglicht, das Fahrzeug jederzeit zu beherrschen (RS0074573; RS0074687; RS0073306). Als zulässige Geschwindigkeit in einer Kurve ist nicht diejenige anzusehen, welche aufgrund der technischen Fahreigenschaften des benützten Fahrzeugs das Befahren der Kurve bei einigem Fahrkönnen gerade noch zulässt, sondern allein die, welche vom Standpunkt der Sicherheit das risikolose Durchfahren gewährleistet (RS0074599; RS0075014).
[10] Wenn die Vorinstanzen dem Kläger aufgrund der Einhaltung einer Geschwindigkeit, bei der das Durchfahren der Kurve eine „sehr anspruchsvolle Fahraufgabe“ im „unmittelbaren Nahbereich des fahrdynamischen Grenzzustandes bzw der Beherrschbarkeit eines PKW“ ist, einen Verstoß gegen § 20 Abs 1 StVO angelastet haben, entspricht dies den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung.
[11] Die von der Revision ins Treffen geführte Entscheidung 2 Ob 160/16t ist nicht einschlägig, weil sie einen Unfall eines Motorradlenkers betraf, der auf annähernd gerader Strecke wegen eines auf der Fahrbahn liegenden Teils zu Sturz kam, mit dem er nicht rechnen musste.
[12] 4. Widersprüchliche Feststellungen, die eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung begründen könnten, liegen ebenso wenig vor wie der behauptete Verfahrens-verstoß des Berufungsgericht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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