European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00036.25K.0731.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Antragstellerin ist Inhaberin des (österreichischen Teils des) Patents EP *, in Österreich E *, mit dem Titel „Therapie von thromboembolischen Störungen mit R*“ [Anm: Internationaler Freinameeines Wirkstoffs] mit einer maximalen Laufzeit bis 19. 1. 2026 (s auch 4 Ob 35/25p).
[2] Die Merkmale des unabhängigen Patentanspruchs 1 wurden von den Vorinstanzen wie folgt gegliedert:
„1.1 Verwendung einer […] Tablette mit schneller Freisetzung zur Herstellung eines Medikaments;
1.2 [wobei die Tablette] die Verbindung * umfass[t];
1.3 zur Behandlung einer thromboembolischen Erkrankung;
1.4 welches nicht mehr als einmal täglich über mindestens fünf aufeinanderfolgende Tage verabreicht wird;
1.5 wobei die Verbindung bei oraler Verabreichung an einen menschlichen Patienten eine Plasmakonzentrationshalbwertszeit von 10 Stunden oder weniger hat.“
[3] Der Wirkstoff mit dem (Frei-)Handelsnamen R* entspricht der in Merkmal 1.2 genannten chemischen Verbindung. Der unabhängige Anspruch 1 war in seiner ursprünglich angemeldeten Form nicht spezifisch auf R* als bevorzugte Verbindung I gerichtet, sondern auf eine ganze Verbindungsklasse. Während des Prüfungsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt wurde aufgrund von Beanstandungen der Prüfungsabteilung Anspruch 1 auf R* eingeschränkt, während das Merkmal 1.5 unverändert aufrecht blieb.
[4] Die Antragsgegnerin ist Herstellerin des (zugelassenen) Generikums R* 10/15/20 mg Filmtabletten mit dem Wirkstoff R*, das ebenfalls zur Behandlung von Thromboembolien eingesetzt wird.
[5] Das Erstgericht gab einem (selbständigen) Sicherungsantrag der Antragstellerin (teilweise) Folge und verpflichtete die Antragsgegnerin mittels einstweiliger Verfügung, (sinngemäß) es in Österreich zu unterlassen,
1. folgenden betriebsmäßigen Gebrauch, insbesondere durch sinnfälliges Herrichten eines Gegenstands, der durch [das Klagspatent] geschützten Erfindung vorzunehmen:
„Verwendung einer die Verbindung [laut Merkmal 1.2] umfassenden Tablette mit schneller Freisetzung zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung einer thromboembolischen Erkrankung, welches nicht mehr als einmal täglich über mindestens fünf aufeinanderfolgende Tage verabreicht wird, wobei die Verbindung bei oraler Verabreichung an einen menschlichen Patienten eine Plasmakonzentrationshalbwertszeit von 10 Stunden oder weniger hat“,
und/oder für diese Verwendung sinnfällig hergerichtete Gegenstände, insbesondere die Produkte [10/15/20 mg Filmtabletten] herzustellen, in Verkehr zu bringen, feilzuhalten, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen;
2a. die Listung von Produkten gemäß Punkt 1., insbesondere die Produkte [10/15/20 mg Filmtabletten] im Warenverzeichnis I des Österreichischen Apotheker-Verlages unter Nennung der Verkaufspreise, sofern dabei nicht gleichzeitig angeführt wird, dass das gelistete Arzneimittel nicht lieferbar ist;
2b. einen Antrag auf Aufnahme der Produkte gemäß Punkt 1., insbesondere der Produkte [10/15/20 mg Filmtabletten] in den Erstattungskodex des Dachverbands derSozialversicherungsträger (EKO) zu stellen, solange [das Klagspatent] aufrecht ist, und/oder einen allfällig bereits erfolgten Antrag auf Aufnahme solcher Produkte in den EKO zurückzuziehen bzw einen Antrag auf Streichung solcher Produkte aus dem EKO zu stellen und der gefährdeten Partei hierüber Nachweis zu erbringen.
[6] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs wegen der Einzelfallbezogenheit nicht zu.
[7] Beide Vorinstanzen gingen von einer (vermuteten) Rechtsbeständigkeit des Patents und einem Eingriff der Antragsgegnerin aus und verneinten einen Rechtsmissbrauch der Antragstellerin.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig und daher zurückzuweisen.
I. Zum Eingriff:
[9] I.1.1 Die Antragsgegnerin begründet die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels zunächst mit einer behauptetermaßen unvertretbaren Abweichung von der Entscheidung 4 Ob 71/19y wegen einer Außerachtlassung des Anspruchsmerkmals 1.5 durch die Vorinstanzen, das die Wirkung des Patents auf Substanzen laut Merkmal 1.2 mit einer Plasmakonzentrationshalbwertszeit von 10 Stunden oder weniger beschränke. Laut Patentbeschreibung sei die Erfindung auf eine Substanz der Formel I (iSd Merkmals 1.2) mit einer Plasmakonzentrationshalbwertszeit im steady state von 4 bis 6 Stunden bezogen, wobei die behauptete erfinderische Tätigkeit gerade darin liege, eine derartige Substanz mit einer besonders kurzen Halbwertszeit dennoch nur einmal täglich zu verabreichen. R* in ihrem Generikum weise hingegen eine Plasmakonzentrationshalbwertszeit im steady state von bis zu 13 Stunden auf (konkret eine terminale Halbwertszeit von 5 bis 13 Stunden gesamt und 11 bis 13 Stunden in der primären Patientengruppe der über 60‑Jährigen, wozu sekundäre Feststellungsmängel geltend gemacht werden). Demgemäß seien ihre Filmtabletten in Bezug auf das Merkmal 1.5 auch nicht sinnfällig hergerichtet. Unklarheiten gingen zu Lasten der Anmelderin. Sollte es R* mit einer Halbwertszeit von 10 Stunden oder weniger, wie von der Antragstellerin beschrieben, nicht geben (auch das R* im Arzneimittel der Klägerin habe eine längere Halbwertszeit), sei das Patent schlicht nicht ausführbar und damit nichtig. Schließlich gehe es nicht an, dass die Antragstellerin eine Überschreitung der Offenbarung vermeiden könnte, indem sie Merkmal 1.5 beibehalte, dieses aber bei einer Eingriffsprüfung als redundant bezeichne.
[10] Wenn die Ansicht zuträfe, dass Merkmal 1.5 dem Merkmal 1.2 inhärent und daher redundant sei, könnte es kein R* mit einer Plasmakonzentrationshalbwertszeit von über 10 Stunden geben, was jedoch der Fall sei. In der völligen Außerachtlassung dieses Merkmals liege daher ein aufzugreifender Verstoß gegen die Auslegungsgrundsätze für Patente sowie die Rechtssicherheit.
[11] I.1.2 Das Erstgericht ging insoweit davon aus, dass sich Merkmal 1.2 ausschließlich auf den Wirkstoff R* beziehe, der unstrittiger Weise im Generikum der Beklagten enthalten sei. Ob es sich bei der im Merkmal 1.5 angeführten Plasmakonzentrationshalbwertszeit um eine „effektive“ oder eine „terminale“ handle, sei strittig und könne mit den Mitteln des Provisorialverfahrens nicht geklärt werden. Darauf komme es bei einer Auslegung des Patentanspruchs aber auch nicht an. Die einzige konkrete Aussage zu Merkmal 1.5 in der Patentschrift sei ein Verweis, dass der Wirkstoff R* eine Plasmakonzentrationshalbwertszeit im steady state von 4 bis 6 Stunden „aufweise“, was durch die angeführte Literaturstelle gestützt werde. Merkmal 1.5 sei daher als Definition zu verstehen, dem Merkmal 1.2 inhärent und bereits mit dem Wirkstoff R* erfüllt. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass bei manchen Gruppen längere Halbwertszeiten gemessen würden. Gerade das Argument der Antragsgegnerin, dass man zur Überprüfung des Merkmals 1.5 aufwändigste Untersuchungen durch Messung der Plasmakonzentrationshalbwertszeit bei Patienten durchführen müsste, bestätige dieseAuslegung.
[12] I.1.3 Das Rekursgericht ging ebenfalls von einer Redundanz aus. Maßgeblich sei lediglich, dass das Generikum der Antragsgegnerin den Wirkstoff R* enthalte. Das Argument der Antragsgegnerin, sie verwende ein „anderes“ R* als im Patent beschrieben, widerspreche dem pharmazeutisch-chemischen Sachverständnis. R* sei ein niedermolekularer Wirkstoff mit einer definierten Molekülstruktur, der durch den chemischen Namen laut Merkmal 1.2 eindeutig beschrieben werde. Der Einfachheit halber werde für Wirkstoffe statt dieses eindeutigen chemischen Namens ein ebenso eindeutiger internationaler Freiname verwendet. Der mit diesem Namen bezeichnete Wirkstoff müsse jedoch immer derselbe sein. Welche konkrete Halbswertszeit sich nach der Gabe von R* an (insbesondere älteren) Patienten jeweils einstelle, sei für die Auslegung des Patentanspruchs sowie die Verletzung desselben irrelevant.
[13] I.1.4 Bei einer Auslegung von Patentansprüchen nach den in § 22a PatG iVm dem Protokoll über die Auslegung des Art 69 des Europäischen Patentübereinkommens festgelegten Grundsätzen ergeben sich keine wesentlichen Unterschiede zu einer Auslegung nach den §§ 914 ff ABGB. Dabei sind die mit dem Patent verfolgten Ziele gegeneinander abzuwägen: ausreichender Schutz für den Patentinhaber und ausreichende Rechtssicherheit für Dritte. Für den ersten Gesichtspunkt ist die objektive Bedeutung der Erfindung, wie sie in den Patentansprüchen ihren Niederschlag gefunden hat, und nicht die subjektive Anstrengung des Erfinders maßgeblich; für den zweiten das, was der Fachmann bei objektiver Betrachtung den Patentansprüchen entnimmt. Der Schutzbereich des Patents muss für Außenstehende hinreichend sicher vorhersehbar sein.
Auch wenn es sich bei der Auslegung des Schutzumfangs von Patentansprüchen im Wesentlichen um eine Rechtsfrage handelt, ist das technische Verständnis des Fachmanns ein objektivierendes, der beweismäßigen Feststellung zugängliches Element. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass – hier das Arzneimittel der Antragsgegnerin – nach dem technischen Verständnis des Fachmanns die Ansprüche des Klagepatents verletzt, trägt die Antragstellerin (vgl 4 Ob 71/19y, 4 Ob 1/22h jeweils mwN; RS0118278, RS0118279, RS0071537, RS0071072, RS0123155, RS0111375 [T2]).
[14] Wie weit der Schutzumfang eines Patents reicht, kann nur durch Auslegung im Einzelfall beurteilt werden; von im Interesse der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden (krassen) Fehlbeurteilungen abgesehen stellen sich in diesem Zusammenhang daher in der Regel keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO bzw § 528 Abs 1 ZPO (RS0071537 [T7]).
[15] I.1.5 Unstrittig sind weder dem Streitpatent noch den darin zitierten Abstracts technische Maßnahmen zur Beeinflussung der Plasmahalbwertszeit zu entnehmen, insbesondere für verschiedene Altersgruppen. Davon ausgehend ist die Ansicht der Vorinstanzen, Merkmal 1.5 sei redundant und dem Wirkstoff inhärent, im Einzelfall vertretbar, weil vom Fachmann sowie bei Auslegung des Schutzbereiches gemäß § 22a PatG unter Berücksichtigung des Artikels 69 lediglich die chemische Natur des Wirkstoffes selbst als Ursache für die behaupteten Plasmahalbwertszeiten in der Offenbarung des Patentes aufgefunden werden kann.
[16] „Inhärent“ meint hier im Sinne der Vorinstanzen „beschreibend“, aber nicht „in jedem Fall zwingend“. Vielmehr geht es insofern darum, dass (laut Patentschrift) für R* in einer Mehrfachdosiseskalationsstudie bei Menschen [auch] eine Plasmakonzentrationshalbwertszeit von [bloß] 4 bis 6 Stunden beim steady state gezeigt wurde (nämlich „in healthy male subjects“), gleichzeitig aber „überraschender Weise“ eine einmal tägliche orale Verabreichung eines direkten Faktor-Xa-Inhibitors [zu denen R* gehört] mit einer Plasmakonzentrationshalbwertszeit von „10 Stunden oder weniger“ so wirksam war wie eine zweimal tägliche [ohne Beschränkung auf Patienten- bzw Altersgruppen].
[17] Da keine technischen Maßnahmen zur Beeinflussung der Plasmahalbwertszeit oder auch Effekte daraus aus dem Streitpatent bekannt sind, begründet es keine aufzugreifende Fehlbeurteilung, dass das Merkmal 1.5 nicht außerhalb der natürlichen Eigenschaften von R* verwirklicht wird und deshalb auch nicht einschränkend auf den Schutzbereich des Anspruchs wirken kann. Das von den Vorinstanzen im Einzelfall erzielte Auslegungsergebnis, wonach der Schutzbereich des Anspruchs daher zunächst durch die verwendete Substanz R* bestimmt wird – wie bereits der Titel nahelegt – und nur durch die Verabreichung weiter eingeschränkt wird, ist sohin nicht korrekturbedürftig.
[18] Soweit die Antragsgegnerin mit der Entscheidung 4 Ob 71/19y argumentiert, ist ihr entgegenzuhalten, dass es dort um ein Verfahrenspatent ging, wobei einerseits die Einhaltung der Reihenfolge der Verfahrensschritte als bedeutsam angesehen wurde und andererseits ein eindeutiges Merkmal nicht erfüllt war. Eine Unvertretbarkeit des von den Vorinstanzen hier erzielten Auslegungsergebnisses zu einer schnell freisetzenden Tablette und deren (nur sehr allgemein beschriebenen) Eigenschaften kann daraus nicht abgeleitet werden.
[19] I.2 Das Rekursgericht verwarf weiters bereits das Argument der Antragsgegnerin, dass ihre Filmtabletten in Bezug auf die Plasmahalbwertszeit und deren Messung nicht sinnfällig hergerichtet seien. Zur Benutzung der in dem „zweckgebundenen Anspruch“ unter Schutz gestellten Lehre müsse nach der Rechtsprechung hinzukommen, dass der der Erfindung innewohnende Zweck im Sinne der konkreten Zielrichtung der patentierten Lehre in einem praktisch erheblichen Umfang erreicht (verwirklicht) werde, wofür ein praktisch vernünftiger Maßstab anzulegen sei (vgl 17 Ob 35/09k, 4 Ob 232/17x). Zum einen sei ein solcher Bezug bei richtiger Auslegung des Patentanspruchs (die auch zu keiner Limitierung auf bestimmte Gruppen führe) nicht erforderlich, und zum anderen werde in der Fachinformation des Generikums bei Jugendlichen eine (terminale) Halbwertszeit von 5 bis 9 Stunden angegeben.
[20] Der Revisionsrekurs, der insofern von der unzutreffenden Prämisse der beschränkenden Wirkung des Merkmals 1.5 ausgeht, kann dem nichts Stichhaltiges entgegensetzen. Eine Relevanz der Erwähnung oder Auslassung des Merkmals („Cap“) in der Fachinformation wird damit nicht aufgezeigt.
[21] I.3 Schließlich ist die Antragsgegnerin der Ansicht, dass das Sicherungsbegehren insofern überschießend sei, als es auf die (äußerst kleine) Gruppe der Jugendlichen eingeschränkt hätte werden müssen, bei denen (wenn überhaupt) Halbwertszeiten von 10 Stunden oder weniger auftreten würden.
[22] Auch insofern geht der Revisionsrekurs jedoch von der unrichtigen Annahme einer Eigenständigkeit des Merkmals 1.5 aus. Die Bejahung der Vertretbarkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen verbietet gleichzeitig eine Unterscheidung in vom Patent geschützte oder nicht geschützte (Alters‑)Gruppen.
[23] Im Übrigen begründet es keine erhebliche Rechtsfrage iSd §§ 502 Abs 1, 528 Abs 1 ZPO, ob ein Unterlassungsgebot im Einzelfall zu weit oder zu eng gefasst wurde (vgl RS0037671 [insb T5]).
II. Zur Rechtsbeständigkeit des Patents:
[24] II.1 Die Vorinstanzen legten ihrer Entscheidung die ständige Rechtsprechung zugrunde, nach der die Patenterteilung im Provisorialverfahren einen – allenfalls durch Gegenbescheinigungen zu entkräftenden – prima-facie-Beweis für das Bestehen des Patentrechts schafft, die Rechtsbeständigkeit des Patents also (widerlegbar) vermutet wird (vgl RS0071369, RS0103412).
[25] Auch insofern gilt, dass die Beurteilung der Neuheit bzw erfinderischen Tätigkeit grundsätzlich eine Rechtsfrage ist, die aber von Tatfragen abhängt, nämlich insoweit, als es auf das Fachwissen ankommt, über das der Durchschnittsfachmann auf dem betreffenden Gebiet verfügt. Die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist daher stets von den Umständen des Einzelfalls geprägt und begründet sohin in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage. Im Provisorialverfahren kann die Prüfung zudem nur mit dessen Mitteln und in dessen Grenzen erfolgen. Ob diese Mittel ausreichen, einen bestimmten Sachverhalt als bescheinigt annehmen zu können, ist eine Frage der – in dritter Instanz nicht mehr überprüfbaren – Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen (vgl 4 Ob 228/18k, 4 Ob 105/23d jeweils mwN; RS0071408, RS0071399).
[26] II.2.1 Das Rekursgericht wandte zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit den „Aufgabe-Lösungs-Ansatz“ an. Zwar spreche das *-Poster in der Zusammenfassung eine lang anhaltende pharmakodynamische Wirkung von R* bei gesunden Probanden an, was grundsätzlich auf die Eignung für ein einmal tägliches Dosierungsschema schließen lasse. Im Sinne des „could-would-approach“ komme es jedoch darauf an, ob die Fachperson unter Berücksichtigung pharmakokinetischer Überlegungen und damit der gemäß dem Streitpatent relativ kurzen Plasmakonzentrationhalbwertszeit dieses auch in einer den Wirkstoff enthaltenden schnell freisetzenden Tablette mit einer Verabreichung nur einmal täglich für zumindest fünf Tage im Rahmen einer Phase-II-Studie an Patienten (also nicht gesunden und damit für eine neue Therapie risikobehafteten Personen) vorgesehen hätte. Die im *‑Poster bloß vermutete Eignungsangabe für eine einmal tägliche Verabreichung sei unter der vom Erstgericht zutreffend angemerkten Datenrelevanz dafür aber nicht ausreichend stichhaltig. Auch die vom Erstgericht vorgenommene Zusammenschau der Primärdokumente als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit führe zu keinem anderen Ergebnis, weil diese Dokumente keine Hinweise in die Richtung enthielten, die eine Fachperson veranlasst hätten, an Patienten mit dem im Anspruch 1 vorgegebenen Dosierungsschema eine Phase-II-Studie durchzuführen. Daher sei eine Verwendung nach Anspruch 1 des Streitpatents nicht nahegelegen, weshalb die erfinderische Tätigkeit – jedenfalls im Rahmen des Provisorialverfahrens – zu bejahen sei.
[27] II.2.2 Die Antragsgegnerin hält dem entgegen, das Rekursgericht hätte bei richtiger rechtlicher Beurteilung der gesamten Primärdokumentation, insbesondere des *‑Posters, und der darin offenbarten Plasmakonzentrationshalbwertszeit von 9 bis 12 Stunden einerseits sowie den pharmakodynamischen Daten andererseits schließen müssen, dass eine einmal tägliche Verabreichung von R* für die einschlägige Fachperson nahegelegen sei. Da im Fokus eines Fachmannes – wie die Patentschrift selbst ausführe – eine einmal tägliche orale Verabreichung gestanden sei, sei nächster Schritt bloß eine routinemäßige Durchführung einer Phase-II-Studie gewesen. Dies sei auch eine explizite Schlussfolgerung der – der Antragstellerin zugehörigen – Wissenschaftler (einschließlich der Erfinder des Verfügungspatents) im *-Poster gewesen. Die einschlägige Fachperson hätte aufgrund der Angaben im *-Poster samt * und aus * nicht nur eine einmal tägliche Verabreichung von R* als erfolgversprechend – und sicher – erkennen können, sondern hätte diese Dosierung nach der erfolgreichen Phase I-Studie auch in die darauffolgende Phase II-Studie aufgenommen.
[28] II.2.3 Ob eine Fachperson im Zusammenhang mit der Verbindung R*, einem Antikoagulanz, wie das Erst- und das Rekursgericht die Risiken der Dosierung bzw der Notwendigkeit bestimmter Studien und Patientensicherheit als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen wählt, und auch, inwieweit Pharmakokinetik wie Plasmahalbwertszeit oder pharmakodynamische Daten wie tatsächliche pharmazeutische Wirkungsdauer im vorliegenden Fall für das Zugeständnis erfinderischer Tätigkeit zu gewichten sind, begründet – soweit damit nicht überhaupt nur beweiswürdigende Fragen angesprochen werden – aber keine über den Einzelfall hinaus bedeutsame Rechtsfrage.
[29] Die erfinderische Tätigkeit einer Neuentwicklung fehlt nicht schon dann, wenn der Fachmann aufgrund des Stands der Technik zu ihr gelangen hätte können, sondern erst, wenn er sie aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte (RS0071157 [T1]). Eine iSd § 528 Abs 1 ZPO korrekturbedürftige Fehlbeurteilung, noch dazu gemessen an den Maßstäben des Provisorialverfahrens, wird von der Antragsgegnerin nicht aufgezeigt.
[30] Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Schweizer Bundespatentgericht bei Anwendung des „Aufgabe-Lösungs-Ansatz“ für den Schweizer Teil des Patents (sowie Gerichte anderer Staaten) zu einer gegenteiligen Entscheidung kam. Weder wird davon der inländische Teil des Patents erfasst (RS0125405), noch führt dies zu einer uneinheitlichen Rechtsprechung iSd § 528 Abs 1 ZPO (vgl RS0126988). Die vom Bundespatentgericht herangezogenen Gründe wurden auch von den Vorinstanzen bei der Bescheinigung berücksichtigt (vgl RS0125405), jedoch im vorliegenden Sicherungsverfahren – vertretbar – anders gewichtet und gewertet.
[31] II.2.4 Schließlich führt die Antragsgegnerin zum Nachweis der fehlenden Neuheit noch die „*-Studie“ ins Treffen. Die Vorinstanzen konnten jedoch die öffentliche Zugänglichkeit dieser Studie (oder Teile davon) nicht feststellen.
[32] Bei der Entscheidung über einen Revisionsrekurs ist der Oberste Gerichtshof auch im Provisorialverfahren nur Rechtsinstanz und nicht Tatsacheninstanz und hat von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Rekursgericht als bescheinigt angesehen hat. Tatsachen, die das Rekursgericht als nicht bescheinigt annimmt, können in die rechtliche Betrachtung nicht einbezogen werden (RS0002192). Zudem gilt das Neuerungsverbot auch im Rechtsmittelverfahren gegen eine einstweilige Verfügung (RS0002445). Die beides außer Acht lassenden Revisionsrekursausführungen sind daher unbeachtlich.
[33] II.3 Soweit die Antragsgegnerin mit der fehlenden Ausführbarkeit argumentiert, ua weil die mit Merkmal 1.5 beanspruchte Halbwertszeit in der primären Patientengruppe nicht reproduziert werden könne, und die Erfüllung dieses Merkmals für jeden einzelnen Patienten und jede einzelne Dosis ermittelt werden müsste, genügt es auf die obigen Ausführungen zu I.1 zu verweisen, wonach Merkmal 1.5 redundant und bereits durch den Wirkstoff laut Merkmal 1.2 verwirklicht ist. Dieses Revisionsrekursvorbringen bekräftigt vielmehr die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass Merkmal 1.5 von der Fachperson nicht als zusätzlich zu verwirklichende – jedoch nicht nachvollziehbare – Anforderung, sondern bloß als Beschreibung des unter Merkmal 1.2 genannten Wirkstoffs verstanden wird.
[34] II.4 Dem Einwand, „no more than once daily“ schließe Dosierschemata ein, die eine Einnahme seltener als einmal täglich vorsehen würden, hielt bereits das Rekursgericht entgegen, dass diese Passage im Kontext des Merkmals 1.4 zu lesen sei („no more than once daily for at least five consecutive days“), was eine Verabreichung jeden zweiten Tag ausschließe. In der Änderung von „once daily“ auf „no more than once daily“ liege daher keine Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung.
[35] Auch insofern kann der Revisionsrekurs mit seiner abstrakten, rein auf den Wortlaut und nicht den Sinngehalt abstellenden Argumentation keine Unvertretbarkeit dieser Rechtsansicht aufzeigen.
[36] II.5 Schließlich argumentiert die Antragsgegnerin mit einer böswilligen Patenterschleichung, weil die Antragstellerin im Patenterteilungsverfahren nicht jene (aus ihrer Sphäre stammenden) Unterlagen vorgelegt habe, laut denen die einmal tägliche Dosierung nahegelegen sei.
[37] Geht man jedoch (jedenfalls im Provisorialverfahren) von der Vertretbarkeit der Rechtsansicht aus, dass auch diese Dokumente der Annahme einer erfinderischen Tätigkeit nicht entgegenstehen, verbietet sich ebenso der Vorwurf einer Patenterschleichung.
[38] III. Dem Revisionsrekurs gelingt es im Ergebnis sohin nicht darzustellen, dass das Rekursgericht den ihm bei der Prüfung des Eingriffs und der Rechtsbeständigkeit im Einzelfall notwendiger Weise zukommenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte, oder sonst eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, sodass er als unzulässig zurückzuweisen ist.
[39] Die Antragsgegnerin hat daher auch dessen Kosten endgültig selbst zu tragen.
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