OGH 9ObA35/25z

OGH9ObA35/25z17.7.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Lena Steiger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Maria Buhr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei U* AG, *, vertreten durch die Vavrovsky Heine Marth Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei K*, vertreten durch die Wess Kux Kispert & Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 747.405,30 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. März 2025, GZ 8 Ra 7/25w‑81, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 10. September 2024, GZ 29 Cga 99/22y‑75, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:009OBA00035.25Z.0717.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Arbeitsrecht, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.040,70 EUR (darin 673,45 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Beklagte war bei der Klägerin bzw deren Rechtsvorgängern von 1. 9. 1980 bis 31. 3. 2020 als Angestellter beschäftigt. Von 25. 6. 2012 bis 30. 3. 2020 war er in ein Unternehmen, an dem die Klägerin beteiligt war, entsandt und dort als kollektivvertretungsbefugtes Mitglied des Vorstands tätig. Dieses Unternehmen stand in langjähriger Geschäftsbeziehung mit einer Gesellschaft, an der der Beklagte (treuhändisch) bis Dezember 2018 beteiligt war. Diese Beteiligung verschwieg der Beklagte bewusst, um seine wirtschaftlichen Vorteile durch die Gewinnausschüttungen (an sich und seine Ehegattin) aufgrund der Treuhandstellung zu verheimlichen. Auch in einer von ihm unterfertigten „Fit & Proper Erklärung“ vom März 2017 führte er diese nicht an.

[2] Mit einer – über Initiative der Klägerin – zwischen den Parteien am 1. 4. 2019 abgeschlossenen Vereinbarung wurde das Dienstverhältnis zum 31. 3. 2020 einvernehmlich aufgelöst. Aufgrund dieser Auflösungsvereinbarung erhielt der Beklagte eine „freiwillige Abfertigung“ von 718.405,30 EUR und eine freiwillige Arbeitgeberzahlung zur *-Pensionskasse von 29.000 EUR. Hätte die Klägerin von der Beteiligung des Beklagten Kenntnis gehabt, hätte sie die Auflösungsvereinbarung nicht abgeschlossen. Erst im Frühjahr 2021 erfuhr die Klägerin von einer möglichen Beteiligung des Beklagten.

[3] Die Klägerin begehrte Schadenersatz wegen arglistiger Täuschung in Höhe der freiwilligen Abfertigung und der freiwilligen Einmalzahlung zur Pensionskasse. Der Beklagte habe sie bewusst über sein Wohlverhalten als Dienstnehmer und entsandter Vorstand getäuscht, indem er falsche Tatsachen vorgespielt und bewusst falsche Angaben gemacht und für eine ihrer Konzerngesellschaften absichtlich nachteilige Verträge abgeschlossen habe. Bei Kenntnis des wahren Sachverhalts hätte sie den Beklagten entlassen und die Auflösungsvereinbarung nicht abgeschlossen.

[4] Der Beklagte wendete dagegen ein, dass nicht er auf die Auflösungsvereinbarung hingewirkt habe, sondern diese im Interesse der Klägerin gelegen sei, die auch die Initiative dazu ergriffen habe. Keinesfalls habe er diese listig herbeigeführt.

[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Beklagte wäre im Rahmen seiner vorvertraglichen Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten verpflichtet gewesen, seine Beteiligung offenzulegen. Er habe die Klägerin von Beginn seiner Beteiligung an bewusst durch Verschweigen derselben getäuscht. Bei Abschluss der Auflösungsvereinbarung habe er gewusst, dass die Klägerin, hätte sie von seiner Beteiligung gewusst, keine Vereinbarung über freiwillige Zahlungen abgeschlossen hätte. Die Klägerin könne daher vom Beklagten den Ersatz des Schadens fordern, der ihr durch die vom Beklagten arglistig herbeigeführte Auflösungsvereinbarung entstanden sei.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Zusammengefasst vertrat es die Rechtsauffassung, dass die allfällige Verwirklichung eines Entlassungsgrundes – hier durch das Verschweigen der Beteiligung – für sich genommen keine List in Bezug auf die Auflösungsvereinbarung begründe. Dass der Beklagte auch noch im zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses die – damals im Übrigen nicht mehr bestandene – Beteiligung weiterhin verschwiegen habe, könnte ihm nur dann als List angerechnet werden, wenn er verpflichtet gewesen wäre, die Klägerin vor dem Abschluss der von ihr angebotenen Auflösungsvereinbarung über das mögliche Vorliegen eines Entlassungsgrundes zu informieren, um ihr eine Entlassung anstelle des Abschlusses einer Auflösungsvereinbarung zu ermöglichen. Eine solche Verpflichtung könne aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers aber nicht abgeleitet werden. Diese beziehe sich zwar auf die betrieblichen Interessen des Dienstgebers, der Schutzbereich der arbeitsrechtlichen Treuepflicht umfasse aber nicht das finanzielle Interesse des Dienstgebers, das Dienstverhältnis zu für ihn möglichst vorteilhaften Bedingungen zu beenden, insbesondere also eine Entlassung auszusprechen, wenn diese berechtigt sein könnte, anstatt eine Auflösungsvereinbarung abzuschließen. Eine Verpflichtung des Dienstnehmers zur Selbstbelastung gegenüber dem Dienstgeber (ähnlich einem Selbstbezichtigungsgebot) ausschließlich zu dem Zweck, diesem eine möglichst kostensparende Beendigung des Dienstverhältnisses zu ermöglichen, bestehe demnach nicht. Mangels einer Verpflichtung des Beklagten, das Vorliegen des möglichen Entlassungsgrundes anlässlich des an ihn gerichteten Auflösungsangebots der Klägerin zu offenbaren, liege in der bloßen Verschweigung dieses Umstands keine List.

[7] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision zur Frage zulässig, inwieweit ein Arbeitnehmer, dem der Arbeitgeber ein Angebot zur einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses unterbreite, verpflichtet sei, ein von ihm in der Vergangenheit gesetztes, möglicherweise eine Entlassung rechtfertigendes Verhalten zu offenbaren, sodass im Verschweigen dieses Verhaltens durch den Arbeitnehmer eine im Sinne des § 870 ABGB arglistige Veranlassung der für den Arbeitgeber gegenüber einem Entlassungsausspruch nachteiligen Auflösungsvereinbarung liegen könne.

[8] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[11] 1. Die geltend gemachte Nichtigkeit des Verfahrens gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO – es handle sich um eine willkürliche Entscheidung, die das Urteil in sich widersprüchlich mache und dessen Überprüfung verunmögliche – liegt nicht vor.

[12] Eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO ist nur dann gegeben, wenn ein Widerspruch im Spruch selbst und ein Mangel der Gründe überhaupt, nicht aber, wenn eine mangelhafte Begründung vorliegt (RS0042133). Auch das Fehlen einer rechtlichen Begründung zu einzelnen Fragen begründet keine Nichtigkeit (RS0042203). Der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Begründung ist vielmehr nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RS0007484). Dies ist hier aber nicht der Fall. Das Berufungsgericht setzte sich ausführlich mit den vorliegenden Rechtsfragen auseinander und begründete seine Entscheidung umfassend, wenn auch nicht im Sinne der Rechtsansicht der Klägerin.

[13] 2. Der behauptete sekundäre Verfahrensmangel, mit der die Revision eine ergänzende Feststellung begehrt, ist der Rechtsrüge zuzuordnen (8 Ob 144/24w Rz 19). Dessen Behandlung erfolgt unter Punkt 8.

[14] 3. Der listig Irregeführte kann auch ohne Anfechtung des Vertrags Schadenersatz fordern (RS0014779).

[15] Schweigen kann List im Sinne des § 870 ABGB beinhalten, wenn der Schweigende eine ihm obliegende Aufklärungspflicht unterlässt (RS0014817; RS0014809 [T1]). Dabei kommt es maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls an (RS0014790 [T4]).

[16] 4. Nach der Rechtsprechung trifft den Arbeitnehmer eine Treuepflicht, die ihn dazu verhält, auf betriebliche Interessen des Arbeitgebers entsprechend Rücksicht zu nehmen. Er hat insbesondere alles zu unterlassen, was den unternehmerischen Tätigkeitsbereich, dessen Organisationswert und dessen Chancen beeinträchtigt und die Interessen des Arbeitgebers zu gefährden geeignet ist (RS0021449). Der konkrete Umfang der Treuepflicht ist ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls abhängig (vgl RS0029420).

[17] 5. Der Senat hält die (zusammengefasste) Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte sei im Rahmen seiner arbeitsrechtlichen Treuepflicht nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin vor Abschluss der Auflösungsvereinbarung auf seine (treuhändische) Beteiligung und damit im Ergebnis auf das Vorhandensein eines (allfälligen) Entlassungsgrundes hinzuweisen, für zutreffend (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

[18] 6.1. In der Entscheidung 4 Ob 15/84 (= SZ 57/36 = RS0027845), die in der Lehre – soweit ersichtlich – unwidersprochen blieb, hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass keine Rechtspflicht des Arbeitnehmers besteht, noch vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber alle diesem bis dahin unbekannt gebliebenen Entlassungsgründe mitzuteilen, weshalb auch das Unterlassen einer Meldung der (angeblichen) Konkurrenztätigkeit durch den Arbeitnehmer nicht als rechtswidrig angesehen werden kann. Nach 9 ObA 76/01v kann ein (wenn auch grober) Verstoß gegen eine Treuepflicht für sich allein die seinerzeit getroffene Auflösungsvereinbarung nicht beseitigen.

[19] 6.2. Nach Berger (in Runggaldier, Abfertigungsrecht [1991], 268) ist ein Arbeitnehmer – entgegen der verkürzten Darstellung dieser Literaturstelle in der Revision – nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber einen diesem unbekannt gebliebenen Entlassungsgrund mitzuteilen. Anders sei lediglich der Fall zu behandeln, dass der Arbeitnehmer – anders als im vorliegenden Fall, in dem die Initiative zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses von der Klägerin ausging – tatsächliche Vertuschungshandlungen mit dem Vorsatz setzte, dem Arbeitgeber den Entlassungsgrund zu verheimlichen. Kietaibl (Irrtum und Aufklärung im Arbeitsverhältnis, DRdA 2023, 439 [446]), geht von Arglist nur aus, wenn entweder der Arbeitnehmer die Gespräche über die einvernehmliche Auflösung initiiert oder auf zulässige Fragen des Arbeitgebers im Rahmen des Gesprächs unrichtige Antworten gibt. Beides ist hier nicht der Fall.

[20] 7. Die in der Revision genannten (zivilrechtlichen) Entscheidungen stehen nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem vorliegenden Sachverhalt und können daher gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht erfolgreich ins Treffen geführt werden:

[21] Die Entscheidungen 8 ObA 36/10t und 9 ObA 140/12x betreffen Aufklärungspflichten des Dienstgebers. Der Entscheidung 9 ObA 83/13s lag eine über Initiative des Dienstnehmers abgeschlossene Vereinbarung zugrunde. Gegenstand der Entscheidung 1 Ob 191/15t war die Frage einer Aufklärungspflicht der Vertragshändlerin über ihr eigenes Konkurrenzprodukt vor Abschluss eines Vertriebsvertrags. Die Entscheidung 9 ObA 46/07s thematisierte die Pflicht eines Dienstnehmers, dem Dienstgeber seine Eigenschaft als begünstigter Behinderter mitzuteilen. Die in der Entscheidung 8 Ob 29/94 wiederholte Rechtsansicht, wonach ein Irrtum auch durch Verschweigen relevanter Umstände begründet werden kann, wird auch vom Berufungsgericht vertreten. In 9 ObA 227/93 sprach der Oberste Gerichtshof lediglich aus, dass eine Verpflichtung zur Offenlegung einer – nicht die dauernde Arbeitsunfähigkeit begründenden – Krankheit bei Begründung des Arbeitsverhältnisses nicht besteht.

8. Auch die weiteren Argumente der Revision sind nicht stichhältig:

[22] 8.1. Auch ein Dienstnehmer (wie der Beklagte als langjähriges Organ einer Kapitalgesellschaft), an den aufgrund seiner höheren Position bzw in einer besonderen Vertrauensstellung in der Regel ein strengerer Maßstab an die Treuepflicht anzulegen sein mag (vgl RS0029341; Gruber‑Risak/Pfeil in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 1153 ABGB, Rz 38), handelt nicht rechtswidrig, wenn er dem Dienstgeber vor Abschluss der vom Dienstgeber angestrebten Auflösungsvereinbarung nicht jene Umstände darlegt, die seine Entlassung berechtigen würden. Die Aufklärungspflicht des Beklagten ist alleine aufgrund seiner gehobenen Stellung nicht höher anzusetzen als die eines anderen Dienstnehmers. Eine Pflicht des Dienstnehmers zu einer umfassenden Interessenwahrung, wie sie der Terminus „allgemeine Treuepflicht“ suggerieren könnte, besteht nicht (9 ObA 46/07s; Gruber-Risak/Pfeil in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 1153 ABGB, Rz 38; Ettmayer/Wasinger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1153 ABGB Rz 31).

[23] 8.2. Dass der Beklagte aufgrund konzerninterner sowie bankrechtlicher und aktienrechtlicher Vorschriften seine Beteiligung (auch in der von ihm abgegebenen „Fit & Proper Erklärung“) während des aufrechten Dienstverhältnisses offenlegen hätte müssen, mag durchaus sein, begründet aber (nach dem Schutzzweck dieser Normen) ebenfalls keine Pflicht des Beklagten, die Klägerin vor Abschluss der von ihr initiierten Auflösungsvereinbarung von einem von ihm – schon länger zurückliegenden – (allenfalls) gesetzten Entlassungsgrund in Kenntnis zu setzen und sich damit einer (nach den Behauptungen der Klägerin) strafbaren Handlung zu bezichtigen. Die begehrte Feststellung, dass der Beklagte seine Beteiligung bei jeder einzelnen Vertragsverlängerung mit der Gesellschaft melden und die schriftliche Zustimmung des Gremiums einholen hätte müssen, ist daher rechtlich nicht relevant.

[24] Da die Revision der Klägerin damit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufweist, ist sie zurückzuweisen.

[25] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 4150 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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