European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00046.24H.1205.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Gemäß § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG ist die Anfechtung einer Kündigung nach § 105 ArbVG ausgeschlossen, wenn sie einen leitenden Angestellten betrifft, dem maßgebender Einfluss auf die Führung des Betriebs zusteht.
[2] Als leitende Angestellte in diesem Sinne sind nach ständiger Rechtsprechung vor allem Arbeitnehmer anzusehen, die durch ihre Position an der Seite des Arbeitgebers und durch Ausübung von Arbeitgeberfunktionen in einen Interessengegensatz zu anderen Arbeitnehmern geraten können (RS0051002). Dabei steht die Entscheidungsbefugnis im personellen Bereich, beim Eingehen und Auflösen von Arbeitsverhältnissen, bei Gehaltsfragen, bei Vorrückungen, bei der Urlaubseinteilung, bei der Anordnung von Überstunden, bei der Ausübung des Direktionsrechts und bei der Aufrechterhaltung der betrieblichen Disziplin im Vordergrund (vgl RS0050979; RS0053034). Völlige Weisungsfreiheit ist hingegen schon im Hinblick auf die Arbeitnehmereigenschaft des leitenden Angestellten nicht erforderlich (RS0050979; RS0051284).
[3] 1.2. Es hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, ob die tatsächlich gegebenen Kriterien ausreichen, um von einem leitenden Angestellten im Sinne des § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG sprechen zu können, sodass sich insofern – sofern keine krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vorliegt – schon grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO stellt (RS0050979 [T7]; RS0051002 [T5]).
[4] 1.3. Der Revision, die entgegen der Einschätzung der Vorinstanzen daran festhält, dass der Kläger leitender Angestellter gewesen sei, gelingt es nicht, eine solche Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht, dass dem Kläger im Lichte der Feststellungen keine Personalkompetenz zukam, aufzuzeigen; sie hebt dabei hervor, dass er mit Ausnahme des Geschäftsführers der Beklagten deren bestverdienender Mitarbeiter gewesen sei und er die Aufgabe gehabt habe, die Entscheidungsgrundlagen für Investitionen von bis zu 50 Mio EUR zu ermitteln und zu bewerten.
[5] So wie aber allein die Vorbereitung von Personalentscheidungen noch keine Stellung als leitender Angestellter begründet (RS0050979 [T6]; RS0053034 [T7]; RS0053024), bietet auch die Ermittlung und Bewertung von Entscheidungsgrundlagen für (und damit die Vorbereitung von) Investitionsentscheidungen keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese oder andere mit den Mitwirkungsrechten der Belegschaft in Widerstreit stehende und sich für Arbeitnehmer negativ auswirkende Entscheidungen letztlich vom Kläger selbst getroffen worden wären. Selbst im kaufmännischen Bereich käme maßgebender Einfluss auf die Führung des Betriebs nur dann in Betracht, wenn dem Kläger Führungsaufgaben zur selbständigen Entscheidung übertragen worden wären und er so die Unternehmenspolitik selbst beeinflusst hätte (vgl 9 ObA 193/01z = RS0110951 [T1, T2]). Hierfür fehlt es aber an der Tatsachengrundlage.
[6] Auf den Umstand, dass der Kläger dienstvertraglich nicht an AZG und ARG gebunden gewesen wäre, kommt es nach ständiger Rechtsprechung nicht an, weil sich die Zielrichtung der Ausnahmebestimmung des § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG ganz wesentlich von jener nach § 1 Abs 2 Z 8 AZG und § 1 Abs 2 Z 5 ARG unterscheidet (RS0052228).
[7] Dass es im Übrigen auf die Höhe des Gehalts, die Zurverfügungstellung eines Dienstautos oder den Titel bzw die interne Stellungsbezeichnung des Klägers nicht maßgeblich sein kann, bedarf angesichts der dargelegten wesentlichen Kriterien keiner näheren Erläuterung.
[8] 2. Das Schwergewicht der Revision liegt auf der Frage der Sozialwidrigkeit der Kündigung und insbesondere der Frage der sozialen Gestaltungspflicht der Beklagten, welche sie nach Ansicht der Vorinstanzen nicht wahrgenommen habe. Auch hier zeigt die Revision keine erheblichen Rechtsfragen auf.
[9] 2.1. Nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG kann eine Kündigung angefochten werden, wenn sie sozial ungerechtfertigt und der gekündigte Arbeitnehmer bereits sechs Monate im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, beschäftigt ist. Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung, die wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt, es sei denn, der Betriebsinhaber erbringt den Nachweis, dass die Kündigung durch Umstände, die in der Person des Arbeitnehmers gelegen sind und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren (lit a), oder durch betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen (lit b), begründet ist.
[10] 2.1.1. Das Gericht hat bei einer Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit zunächst zu prüfen, ob durch die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden, wofür eine vom Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgehende Prognose über die nach diesem Zeitpunkt aller Voraussicht nach wirksam werdenden Folgen der Kündigung für die wesentlichen Interessen des Arbeitnehmers maßgeblich ist (RS0051772 [T2]). Künftige Entwicklungen der Verhältnisse nach der Kündigung sind dann in die Beurteilungsgrundlage einzubeziehen, wenn sie mit der angefochtenen Kündigung noch in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen (9 ObA 131/22p Rz 1; 9 ObA 81/22k Rz 5, jeweils mwN), wobei es auf objektive Faktoren als Folge der Kündigung und deren Vorhersehbarkeit ankommt (vgl RS0051785 [insb T4, T5]).
[11] 2.1.2. Erst wenn das – vorerst ohne Rücksicht auf andere Anfechtungsvoraussetzungen und ohne Koppelung mit anderen Tatbeständen oder Tatbestandsmerkmalen zu prüfende (RS0051640) – Vorliegen einer Beeinträchtigung von Interessen des gekündigten Arbeitnehmers in diesem Sinne zu bejahen wäre, so ist das Vorliegen von subjektiven oder objektiven Kündigungsrechtfertigungsgründen zu prüfen und anschließend eine Interessenabwägung vorzunehmen (RS0116698 [insb T4]).
[12] Bei der Prüfung des Vorliegens (hier nur noch relevierter) objektiver Rechtfertigungsgründe im Sinne des § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG ist zu fragen, ob der Arbeitgeber seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist; eine objektiv betriebsbedingte Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie als letztes Mittel eingesetzt wird und der Arbeitgeber alle Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung ausschöpft, um trotz Rationalisierungsmaßnahmen den Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen (vgl RS0110154 [T2]; RS0052008). Kann dieser Arbeitnehmer auf einem anderen – freien – Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden, so ist ihm dieser vor Ausspruch der Kündigung anzubieten. Unterlässt der Arbeitgeber dieses Anbot, so ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt (RS0116698 [T2]). Dabei ist nicht nur auf die vom Arbeitnehmer zuletzt ausgeübte Tätigkeit abzustellen; vielmehr sind sämtliche Tätigkeiten zu berücksichtigen, die er auszuüben bereit und in der Lage ist (9 ObA 233/98z). Mit anderen Worten verpflichtet die soziale Gestaltungspflicht den Arbeitgeber insoweit zum Anbot freier Arbeitsplätze, als diese der – gesamten, und nicht bloß der zuletzt ausgeübten – bisherigen Berufspraxis des Arbeitnehmers entsprechen, auch wenn sie schlechter entlohnt sind (RS0051707 [T2]; 9 ObA 233/98z = RS0110154 [T1]; 8 ObA 8/19p mwN). Lediglich dann, wenn es sich um eine ungewöhnliche Möglichkeit der Weiterverwendung im Betrieb handelt, muss der Arbeitnehmer selbst initiativ werden und sich um diese Stellen bewerben (RS0051923). Eine Kündigung wäre erst dann als letztes Mittel in den Betriebsverhältnissen begründet, wenn für den betroffenen Arbeitnehmer im gesamten Betrieb kein derartiger Bedarf mehr gegeben und dem Arbeitgeber keine Maßnahme zumutbar wäre, die eine Weiterbeschäftigung ermöglicht (vgl 8 ObA 30/15t und 9 ObA 3/07t, jeweils mwN; RS0051923; RS0051942 [insb T5]); kann der betroffene Arbeitnehmer in einer anderen Abteilung in Verwendung genommen werden, ist die Kündigung nicht betriebsbedingt (vgl RS0052008).
[13] 2.1.3. Während für den Nachweis, dass durch die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden, dieser behauptungs- und beweispflichtig ist (RS0051640 [T1]; RS0051746 [insb T3–T5]; RS0051845 [insb T1]; RS0110944 [T4]), hat der Arbeitgeber alle Umstände zu behaupten und zu beweisen, die für die Annahme des Ausnahmetatbestands „betrieblicher Erfordernisse“ der Kündigung wesentlich sind (RS0110154).
[14] 2.1.4. Ob die Sozialwidrigkeit der Kündigung nachgewiesen werden kann, ob künftige Entwicklungen zu berücksichtigen sind, weil sie zum Kündigungszeitpunkt objektiv vorhersehbar waren, oder ob der Arbeitgeber seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass sich hierzu regelmäßig – von krassen Fehlbeurteilungen abgesehen – keine die Befassung des Obersten Gerichtshofs zulassende Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO stellt (RS0051942 [T4]; 8 ObA 8/19p mwN; vgl auch RS0051746 [T9]; RS0051640 [T5]; RS0051753 [T9]; RS0051785 [T12]; RS0051772 [T11]).
[15] 2.2.1. Zur Frage der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung führt die Revision ins Treffen, die Beklagte habe bereits in ihrer Berufung das Unterbleiben eines Auftrags an den Kläger zur Vorlage weiterer Urkunden gerügt.
[16] In zweiter Instanz verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz sind aber in dritter Instanz nicht mehr anfechtbar (RS0042963; RS0043086).
[17] Auch von einer einen Mangel des Verfahrens zweiter Instanz begründenden Unterlassung der Erledigung der Mängelrüge durch das Berufungsgericht (vgl RS0043144) kann hier keine Rede sein, zumal dieses sich umfassend mit dem Antrag auf Vorlage ergänzender (nicht geschwärzter) Urkunden sowie auch mit der in der Revision ebenfalls erneut aufgeworfenen Frage befasst hat, „wovon der Kläger ... vom Wirksamwerden der Kündigung bis zum neuen Anstellungsverhältnis in Deutschland gelebt“ habe, eine relevante Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens im Hinblick auf die dem Gesetz entsprechend anzustellende Prognoseentscheidung aber verneinte.
[18] Im Übrigen hat das Erstgericht für die Beurteilung einer Interessenbeeinträchtigung ausreichende Feststellungen zum nunmehr vom Kläger tatsächlich erzielten Einkommen getroffen. Warum das eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerinteressen bejahende Ergebnis der Vorinstanzen insofern in einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Weise unrichtig sein sollte, führt die Revision nicht aus.
[19] 2.2.2. Der Vorwurf der Revision, die Vorinstanzen hätten nach § 105 Abs 3b ArbVG Wiedereingliederungsschwierigkeiten bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit gar nicht berücksichtigen dürfen, vermag die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen:
[20] Wiedereingliederungsschwierigkeiten sind bei nach ihrem 50. Lebensjahr eingestellten Arbeitnehmern, deren Dienstverhältnis in den ersten zwei Beschäftigungsjahren endet, nicht in „besonderem“ Ausmaß zu berücksichtigen, womit aber nach ständiger Rechtsprechung eine „normale“ Berücksichtigung wie auch sonst verbleibt: Aufgrund des konkreten Lebensalters zu erwartende Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung sind bei diesen Arbeitnehmern im Rahmen der Prüfung der Interessenbeeinträchtigung wie bei einem jüngeren Arbeitnehmer, das heißt „gewöhnlich“ zu berücksichtigen (RS0132898). Dass die Vorinstanzen den Rahmen des ihnen auch in diesem Zusammenhang notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums überschritten hätten, zeigt die Revision mit der Darlegung, dass der Kläger erst mit 56 Jahren bei der Beklagten begonnen habe und nach eineinhalb Jahren gekündigt worden sei, sodass eine Kündigungsanfechtung „ausgeschlossen“ wäre, nicht auf.
[21] 2.3.1. Zwar bestand eine spezielle Expertise des Klägers zuletzt vor allem im Bereich der Fertigzerspanung, in welchem es – nach einer Umorientierung der Tochtergesellschaft der Beklagten, in welcher er eingesetzt war – keine offenen Stellen im Konzern gab. Es bestand nach den Feststellungen jedoch sehr wohl ein Tätigkeitsfeld des Klägers in einem der in diesem Unternehmen verbleibenden, weniger komplexen Kernbereiche, nämlich etwa Positionen mit geringerer Entlohnung im Bereich der Vorzerspanung; die Beklagte hatte in erster Instanz auch selbst darauf hingewiesen, dass der Kläger bis zu seiner Kündigung tatsächlich in diesem Bereich der Vorzerspanung eingesetzt wurde. Die Beklagte hat dem Kläger weder solche Positionen noch andere konzernintern ausgeschriebene „Leitungspositionen“ mit um etwa 50 % geringeren Bruttojahresverdienst angeboten.
[22] Die Beklagte hat weder behauptet, dass sich all diese Positionen außerhalb der bisherigen Berufspraxis des Klägers befunden hätten, noch dass es ausgeschlossen gewesen wäre, dass der Kläger, wäre ihm eine solche Position – wenngleich zu geringerem Gehalt – konkret angeboten worden, diese angenommen hätte; solches kann den Feststellungen auch entnommen werden (vgl zu einem ähnlich gelagerten Sachverhalt bereits 8 ObA 8/19p). Eine ungewöhnliche Möglichkeit der Weiterverwendung im Betrieb, bei der der Arbeitnehmer selbst initiativ werden und sich um diese Stellen bewerben hätte müssen (RS0051923), ist hier nicht zu beurteilen.
[23] 2.3.2. Die in der Revision aufgeworfene Frage der Auflösung (bloß) einer Betriebsabteilung wie hier wirft wegen der Relevanz von Verwendungsmöglichkeiten im Gesamtbetrieb keine erhebliche Rechtsfrage auf; in diesem Zusammenhang behauptete Verfahrensmängel wurden geprüft, sie liegen schon mangels Rechtserheblichkeit diesbezüglicher Feststellungen nicht vor. Aus der Entscheidung 8 ObA 8/19p ist für die Revision nichts zu gewinnen, zumal dem Arbeitnehmer ein geringer qualifizierter Arbeitsplatz ohne Verringerung des Gehalts nicht angeboten werden muss (vgl 8 ObA 30/15t mwN; RS0116698 [T3]).
[24] 2.3.3. Die Einschätzung der Vorinstanzen, dass eine bloß geschäftsführungsinterne Prüfung offener Stellen, ohne dem Kläger eine innerhalb seiner bisherigen Berufspraxis liegende Stelle – mag sie auch schlechter bezahlt sein – auch tatsächlich anzubieten, nicht ausreicht, hält sich damit ebenfalls im Rahmen der Rechtsprechung.
[25] 2.4. Dass die Beklagte ihrer sozialen Gestaltungspflicht im konkreten Einzelfall nicht nachgekommen ist und sich daher Überlegungen zur Abwägung der beiderseitigen Interessen erübrigen, ist zusammengefasst jedenfalls vertretbar und wirft keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0116755).
[26] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
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