VwGH Ra 2023/10/0063

VwGHRa 2023/10/006313.9.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Prendinger, über die Revision des M K in B, vertreten durch die Längle Fussenegger Singer Rechtsanwälte Partnerschaft in 6850 Dornbirn, Lustenauerstraße 64, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 22. März 2023, Zl. LVwG‑2022/47/0827‑6, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §51 Abs1
NAG 2005 §51 Abs2
NAG 2005 §53a Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023100063.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 21. Jänner 2022 wurde der Antrag des Revisionswerbers, eines ungarischen Staatsangehörigen, vom 17. Jänner 2022 auf Gewährung von Mindestsicherung „zurückgewiesen“. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei seit 28. Februar 2018 mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet und zuletzt vom 24. Juni bis 28. Juni 2019 in einem Arbeitsverhältnis gestanden. Die Arbeitnehmereigenschaft sei nach § 51 Abs. 2 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) nicht aufrechterhalten worden. Der Revisionswerber habe kein Vorbringen „zu etwaigen ausreichenden Existenzmitteln“ erstattet.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 22. März 2023 wurde eine dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

3 Begründend ging das Verwaltungsgericht im Kern davon aus, dass der Revisionswerber im Jahr 2016 nach Österreich gekommen sei und nach seiner Einreise mehrere Arbeitsstellen innegehabt habe. Das letzte Arbeitsverhältnis bei einem näher genannten Arbeitgeber habe der Revisionswerber auf eigenen Wunsch hin mit 28. Juni 2019 beendet. Zum Zeitpunkt der Antragstellung sei der Revisionswerber nicht als Arbeitnehmer im Sinne des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG beschäftigt gewesen. Die Arbeitnehmereigenschaft des Revisionswerbers habe mit seiner Kündigung am 28. Juni 2019 geendet, sodass ab diesem Zeitpunkt eine Aufenthaltsberechtigung im Sinne des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG nicht mehr vorgelegen habe. Die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Arbeitnehmereigenschaft gemäß § 51 Abs. 2 Z 2 und 3 NAG wären nicht vorgelegen.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe. Eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG liegt nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage „abhängt“. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. VwGH 28.10.2022, Ra 2022/10/0135; 24.2.2022, Ra 2021/10/0194; 4.5.2021, Ra 2020/10/0081).

8 In den Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zunächst geltend gemacht, dem Revisionswerber sei mit nachfolgendem Bescheid der belangten Behörde vom 12. Jänner 2023 Mindestsicherung ab dem 1. März 2023 zuerkannt worden. Die Behörde habe dabei „offenkundig ausschließlich auf den [fünfjährigen] Hauptwohnsitz“ abgestellt und „die Prüfung weiterer Voraussetzungen gem § 51 NAG“ nicht vorgenommen. Demgegenüber habe die belangte Behörde im vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheid keinen Daueraufenthalt angenommen, da „der Hauptwohnsitz des Revisionswerbers zu jenem Zeitpunkt noch nicht 5 Jahre lang in Österreich begründet“ gewesen sei. Die belangte Behörde sei dabei wohl davon ausgegangen, dass „ein Nebenwohnsitz im Zusammenhang mit aufrechten Arbeitsverhältnissen sowie Bezug von Arbeitslosen- oder Krankengeld“ die Voraussetzungen des § 53a Abs. 1 NAG nicht erfüllen würde. Es fehle daher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, „ob die Begründung eines Nebenwohnsitzes im Zusammenhang mit aufrechten Arbeitsverhältnissen bzw. Arbeitslosen- und Krankengeldbezügen einen rechtmäßigen Aufenthalt iSd § 53a Abs 1 NAG begründen“ könne.

9 Mit diesem Vorbringen wird allerdings schon deshalb keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufgezeigt, von deren Lösung das rechtliche Schicksal der vorliegenden Revision abhängt, weil das Verwaltungsgericht ‑ was vom Revisionswerber übergangen wird ‑ davon ausgeht, dass die Arbeitnehmereigenschaft des (seinen Angaben zufolge seit März 2016 in Österreich aufhältigen) Revisionswerbers infolge dessen Kündigung des letzten Arbeitsverhältnisses mit 28. Juni 2019 nicht im Sinne des § 51 Abs. 2 Z 2 und 3 NAG aufrechterhalten worden sei. Dem tritt der Revisionswerber weder konkret entgegen noch macht er in diesem Zusammenhang Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung geltend. Aus § 51 Abs. 2 NAG ergibt sich aber, dass die Beendigung der Ausübung der Erwerbstätigkeit grundsätzlich zum Verlust der Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger führt, sofern die Erwerbstätigeneigenschaft nicht aus besonderen Gründen erhalten bleibt (vgl. VwGH 11.8.2017, Ro 2015/10/0019). Für die Beurteilung des Vorliegens eines rechtmäßigen fünfjährigen Aufenthaltes gemäß § 53a Abs. 1 NAG ist - anders als der Revisionswerber offenbar meint - die Erfüllung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 NAG in diesem Zeitraum erforderlich (vgl. VwGH 18.3.2021, Ra 2020/21/0532, mit Verweis auf VwGH 4.10.2018, Ra 2017/22/0218).

10 In der Zulässigkeitsbegründung wird im Weiteren als gravierender Verfahrensmangel geltend gemacht, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, Feststellungen „zu den Existenzmitteln und dem Krankenversicherungsschutz des Revisionswerbers“ zu treffen. Der Revisionswerber habe in seiner Beschwerde „zwar zu § 51 Abs. 1 Z 2 NAG vorgebracht, dass seine Arbeitnehmereigenschaft nicht erloschen sei“, da der Revisionswerber aber nicht anwaltlich vertreten gewesen sei, hätte das Verwaltungsgericht „Feststellungen zu §§ 51 Abs. 1 Z 2, 51 Abs. 2 Z 2 sowie § 53a Abs 1 NAG“ zu treffen gehabt.

11 Zu diesem Vorbringen ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Revisionswerber weder in seiner Beschwerde noch in der Beschwerdeverhandlung vor dem Verwaltungsgericht der ihm bereits im Bescheid der belangten Behörde entgegengehaltenen Ansicht, er habe kein Vorbringen zu ausreichenden Existenzmitteln im Sinne des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG erstattet, entgegengetreten ist und dazu Vorbringen erstattet hat. Vielmehr hat sich der Revisionswerber lediglich auf die Aufrechterhaltung seiner Arbeitnehmereigenschaft berufen. Die Bezugnahme in der ‑ erkennbar durch eine Betreuungsorganisation eingebrachten ‑ Beschwerde auf § 51 Abs. 1 Z 2 NAG (anstatt auf § 51 Abs. 2 Z 2 NAG) im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Arbeitnehmereigenschaft stellt sich vor diesem Hintergrund daher unmissverständlich als Fehlzitat, nicht aber, wie dies in der Revision angedeutet wird, als inhaltliche Berufung des Revisionswerbers auf das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Tatbestandes dar. Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage kann aber nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot fällt (vgl. VwGH 8.3.2023, Ra 2021/10/0069‑0070; 28.10.2022, Ra 2022/10/0135; 27.7.2022, Ra 2022/10/0080‑0081).

12 Davon abgesehen setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Zulässigkeit der Revision neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird, das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mangelfreien Verfahrens zu einer anderen Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. VwGH 25.1.2021, Ra 2020/10/0177; 5.1.2021, Ra 2020/10/0028; 30.3.2020, Ra 2019/10/0180‑0182, 0187). Es reicht nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel darzulegen. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 7.9.2021, Ra 2020/10/0112; 27.4.2021, Ra 2021/10/0002‑0003; 25.1.2021, Ra 2020/10/0157).

13 Mit dem bloßen Hinweis darauf, der Revisionswerber habe „stets über ausreichende Existenzmittel“ aus den Arbeitsverhältnissen bzw. aus Arbeitslosengeld oder Krankengeld sowie über einen Krankenversicherungsschutz verfügt, wird dem aber nicht entsprochen. Der Revisionswerber hat in seinem Antrag auf Mindestsicherung vom 17. Jänner 2022 angegeben, über (monatlich) € 625,‑‑ an Notstandshilfe zu verfügen, kein Vermögen (sondern Schulden in der Höhe von € 7.800,‑‑) und (monatliche) Wohnkosten von € 450,‑‑ zu haben, wobei der Revisionswerber nach den vom ihm vorgelegten Unterlagen nach Beendigung des letzten Arbeitsverhältnisses mit 28. Juni 2019 ausschließlich Notstandshilfe bzw. Krankengeld bezogen hat. Aus welchen Gründen der Revisionswerber daher die Ansicht zu vertreten können glaubt, „stets über ausreichende Existenzmittel“ im Sinne des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG verfügt zu haben, wird in der Revision nicht ansatzweise dargelegt.

14 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 13. September 2023

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