VwGH Ra 2022/10/0044

VwGHRa 2022/10/004418.5.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Derfler, über die Revision des H M in W, vertreten durch Mag. Rudolf Lind, Rechtsanwalt in 2100 Korneuburg, Hauptplatz 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. Dezember 2021, Zl. W227 2248107‑1/2E, betreffend Teilnahme am häuslichen Unterricht (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bildungsdirektion für Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §13 Abs2
AVG §13 Abs5
AVG §33 Abs3
B-VG Art133 Abs4
SchPflG 1985 §11 Abs1
SchPflG 1985 §11 Abs2
SchPflG 1985 §11 Abs3
SchulG Wr 1976 §56 Abs1
SchulzeitG 1985 §2 Abs1
SchulzeitG 1985 §3 Abs2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022100044.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Bildungsdirektion für Wien vom 4. Oktober 2021 wurde die Anzeige des Revisionswerbers über die Teilnahme seines mj. Sohnes am häuslichen Unterricht vom 4. September 2021 gemäß § 11 Abs. 3 Schulpflichtgesetz (SchPflG) wegen Verspätung zurückgewiesen (Spruchpunkt I.), die Erfüllung der Schulpflicht im Schuljahr 2021/2022 an einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule im Sinne des § 5 SchPflG angeordnet (Spruchpunkt II.), ausgesprochen, dass der Revisionswerber als Erziehungsberechtigter gemäß § 24 Abs. 1 SchPflG verpflichtet sei, im Schuljahr 2021/2022 für die Erfüllung der Schulpflicht seines Sohnes an einer öffentlichen oder einer mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule im Sinne des § 5 SchPflG zu sorgen (Spruchpunkt III.), und die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt IV.).

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde eine dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

3 Begründend ging das Verwaltungsgericht im Kern davon aus, dass die vom Revisionswerber am Samstag, den 4. September 2021, per Email der Bildungsdirektion für Wien angezeigte Teilnahme seines Sohnes am häuslichen Unterricht aufgrund deren Kundmachung gemäß § 13 Abs. 2 zweiterSatz AVG, wonach außerhalb der Amtsstunden (Montag bis Freitag jeweils von 7.30 bis 15.30 Uhr, ausgenommen gesetzliche Feiertage) eingebrachte Anbringen erst mit Wiederbeginn der nächsten Amtsstunden als eingebracht gelten würden, erst mit Wiederbeginn der Amtsstunden am Montag, den 6. September 2021, um 7.30 Uhr als eingebracht gilt. Da das Schuljahr 2021/2022 in Wien am 6. September 2021 begonnen habe und die Anzeige gemäß § 11 Abs. 3 erster Satz SchPflG vor Beginn des Schuljahres zu erfolgen habe, sei die Anzeige verspätet erfolgt.

4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 1. März 2022, E 62/2022‑5, deren Behandlung ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5 Die daraufhin erhobene außerordentliche Revision erweist sich als nicht zulässig:

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (vgl. VwGH 24.2.2022, Ra 2020/10/0129; 4.5.2021, Ra 2020/10/0081; 30.3.2020, Ra 2019/10/0180‑0182, 0187).

10 In den Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zunächst geltend gemacht, es stelle sich die Rechtsfrage, ob der von § 11 Abs. 3 SchPflG „normierte Fristablauf für die geforderte Anzeige eine Parteienfrist“ im Sinne des § 33 Abs. 4 AVG darstelle und „sohin durch amtliche Bekanntmachungen nicht geändert“ werden könne. Damit verbunden sei auch die Rechtsfrage, ob § 13 Abs. 5 AVG „lediglich auf den Beginn von behördlichen Entscheidungsfristen anwendbar ist oder auch auf den Ablauf von gesetzlichen Parteienfristen“. Der Revisionswerber nimmt dazu zusammengefasst den Standpunkt ein, es handle sich bei § 11 Abs. 3 SchPflG um eine „durch Gesetz festgelegte Parteienfrist“, die gemäß § 33 Abs. 4 AVG nicht geändert werden könne. Die Anzeige gemäß § 11 Abs. 3 SchPflG sei nicht empfangsbedürftig, um rechtlich wirksam zu sein; es werde eine „prozessuale Frist bestimmt, bei der die rechtzeitige Abgabe der Prozesshandlung entscheidend“ sei, nicht aber deren Einlangen bei der Behörde.

11 Mit diesem Vorbringen wird schon deshalb keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufgezeigt, weil die dazu ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gänzlich übergangen wird:

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass der nach § 11 Abs. 3 erster Satz SchPflG relevante Zeitpunkt der Anzeige der Teilnahme des Kindes am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht oder an häuslichem Unterricht mit dem Einlangen dieser Anzeige bei der Schulbehörde gleichzusetzen ist (vgl. VwGH 18.12.2018, Ra 2018/10/0184, mit Verweis auf VwGH 28.9.1992, 92/10/0160; 28.9.1992, 92/10/0159, VwSlg. 13.712 A). § 11 Abs. 3 SchPflG räumt den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten gerade keine Frist ein, in welche ‑ im Fall einer verfahrensrechtlichen Frist ‑ die Tage des Postlaufes nicht einzurechnen wären (vgl. § 33 Abs. 3 AVG), sondern verlangt, dass die Anzeige „vor Beginn des Schuljahres“ erfolgt, wodurch das Gesetz einen Termin bestimmt (vgl. nochmals VwGH 18.12.2018, Ra 2018/10/0184). Die gegenteilige, dem oben wiedergegebenen Zulässigkeitsvorbringen zugrundeliegende Ansicht des Revisionswerbers trifft daher nicht zu.

13 Im Übrigen ist der Revisionswerber auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach mit der AVG‑Novelle BGBl. I Nr. 5/2008 die (im Jahr 1998 eingeführte) gesetzliche Fiktion betreffend die Rechtzeitigkeit bestimmter außerhalb der Amtsstunden einlangender Anbringen ersatzlos beseitigt wurde (vgl. RV 294 BlgNR 23. GP  10). Damit gilt ein Anbringen noch am selben Tag (und damit als rechtzeitig) eingebracht, wenn die Behörde auch außerhalb ihrer Amtsstunden Empfangsgeräte empfangsbereit hält und das Anbringen nach dem Ende der Amtsstunden (aber noch am letzten Tag einer allfälligen Frist) bei ihr einlangt. Entscheidend ist allerdings, ob die Behörde von der ihr nach § 13 Abs. 2 zweiter Satz AVG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht und ihre mangelnde Bereitschaft zur Entgegennahme elektronischer Anbringen außerhalb der Amtsstunden mit der Wirkung bekundet, dass sie auch dann, wenn sie bereits in ihren elektronischen Verfügungsbereich gelangt sind, erst zu einem späteren Zeitpunkt - mit Wiederbeginn der Amtsstunden - als eingebracht und eingelangt gelten (vgl. VwGH 17.2.2021, Ro 2021/07/0003; 27.9.2019, Ra 2019/02/0008; 26.9.2017, Ra 2017/04/0086).

14 Dass die belangte Behörde eine derartige Kundmachung gemäß § 13 Abs. 2 zweiter Satz AVG vorgenommen hat, wird in der Revision nicht bestritten. Es trifft demnach die Annahme des Verwaltungsgerichtes zu, dass die Anzeige des Revisionswerbers erst mit Wiederbeginn der Amtsstunden am Montag, den 6. September 2021, um 7.30 Uhr als eingebracht und eingelangt gilt. Soweit der Revisionswerber in diesem Zusammenhang das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Juni 2000, B 460/00 u.a., VfSlg. 15.858, ins Treffen führt, genügt der Hinweis, dass dieses Erkenntnis nicht zur Rechtslage seit der genannten AVG‑Novelle BGBl. I Nr. 5/2008, sondern zu jener der AVG‑Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 ergangen ist.

15 In den Zulässigkeitsausführungen wird im Weiteren geltend gemacht, es stelle sich die Rechtsfrage, ob „die Angabe eines Kalendertages im Gesetz immer und zwingend den Beginn um 0 Uhr meint oder dies nach dem Sinne der gesetzlichen Bestimmungen auszulegen ist“. Es sei fraglich, ob das in Rede stehende Schuljahr „am 6.9.2021 um 0 Uhr oder erst zu offiziell festgelegtem Schulbeginn“ beginne. § 3 Schulzeitgesetz definiere den Schultag in der Form, dass der Unterricht nicht vor 8 Uhr beginne.

16 Dem ist zu erwidern, dass nach § 2 Abs. 1 Schulzeitgesetz (ebenso nach § 56 Abs. 1 Wiener Schulgesetz) das Schuljahr im Bundesland Wien am ersten Montag im September beginnt und bis zum Beginn des nächsten Schuljahres dauert. Es ergibt sich somit bereits aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Schulzeitgesetz, dass das hier in Rede stehende Schuljahr 2021/2022 mit Beginn des 6. September 2021 begonnen hat (vgl. in diesem Sinne etwa VwGH 20.6.1994, 94/10/0061, sowie die bereits genannten Erkenntnisse VwGH 28.9.1992, 92/10/0160; 28.9.1992, 92/10/0159, VwSlg. 13.712 A). Dem Gesetz ist eine Einschränkung dahin, dass (etwa) auf den in § 3 Abs. 2 erster Satz Schulzeitgesetz genannten (bloß in der Regel vorgesehenen) Unterrichtsbeginn „nicht vor 8.00 Uhr“ abzustellen sei, in keiner Weise zu entnehmen. Ist die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen aber klar und eindeutig, dann liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG vor, und zwar selbst dann, wenn zu einer der anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen ist (vgl. VwGH 21.5.2021, Ra 2021/10/0061; 5.11.2020, Ra 2020/10/0105; 12.10.2020, Ra 2020/10/0131).

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 18. Mai 2022

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