European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:009OBA00094.24Z.0625.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.880,28 EUR (darin enthalten 313,38 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger war seit 2018 bei der Beklagten, zuletzt als „Country Manager Austria“, beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterliegt keinem Kollektivvertrag. Der Kläger verrichtete seine Tätigkeit für die Beklagte ständig von Österreich und überwiegend und gewöhnlich von seinem Nebenwohnsitz in Wien aus, während er organisatorisch und hierarchisch in den in Deutschland gelegenen Betrieb der Beklagten eingegliedert war. In Österreich hat die Beklagte keinen Betrieb. Der Kläger wurde zum 30. 11. 2023 gekündigt.
[2] Der Kläger begehrte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses für rechtsunwirksam zu erklären. Die Kündigung sei aufgrund eines verpönten Motivs iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG erfolgt und zudem sozialwidrig iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG. Da er seine Arbeit von seinem Nebenwohnsitz in Wien aus verrichte, sei gemäß der Rom I‑VO österreichisches Recht und damit das ArbVG auf das Arbeitsverhältnis anwendbar.
[3] Die Beklagte bestreitet. Auch wenn österreichisches Recht zur Anwendung käme, gelte nicht der allgemeine Kündigungsschutz nach § 107 iVm § 105 ArbVG, da in Österreich kein Betrieb iSd § 34 ArbVG bestehe. Zudem unterliege das Dienstverhältnis aufgrund schlüssiger Rechtswahl deutschem Recht. Die Kündigung sei nicht aufgrund eines verpönten Motivs erfolgt, Sozialwidrigkeit liege nicht vor.
[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt sei, unterliege der Arbeitsvertrag gemäß Art 8 Abs 2 Rom I‑VO dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichte, hier Österreich. Damit sei zwar österreichisches Arbeitsrecht anzuwenden, dem Kläger stehe aber mangels Betriebs mit mindestens fünf Arbeitnehmern im Inland keine Berufung auf den allgemeinen Kündigungsschutz nach den §§ 105 ff ArbVG zu.
[5] Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Klägers nicht Folge. Selbst für den Fall, dass eine kollisionsrechtliche Beurteilung der Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem Arbeitsvertragsstatut des Art 8 Rom I-VO zu erfolgen habe, wäre mangels eines in Österreich gelegenen Betriebs eine auf § 105 ArbVG gestützte Kündigungsanfechtungsklage abzuweisen. Die Frage der Rechtswahl stelle sich daher nicht. §§ 105, 107 ArbVG seien auch in einem grenzüberschreitenden Sachverhalt nicht an Art 30 GRC zu messen, wenn weder eine Diskriminierung noch eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit vorliege.
[6] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil – soweit überblickbar – die aufgezeigten und hier zu klärenden Rechtsfragen vom Obersten Gerichtshof noch nicht beantwortet wurden.
[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.
[10] 1. Auf den gegenständlichen – nach dem 16. 12. 2009 geschlossenen – Arbeitsvertrag findet die Verordnung (EG) Nr 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) Anwendung (Art 28 Rom I-VO). Nach deren Art 8 Abs 2 unterliegt der Individualarbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist. Der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, wechselt nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet.
[11] 2. Unstrittig haben die Parteien keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen. Der Kläger geht davon aus, dass nach Art 8 Abs 2 Rom I‑VO österreichisches Recht zur Anwendung gelangt. Die Beklagte bestreitet nicht, dass der Kläger seine Arbeitsleistung in Österreich erbracht hat, wendet aber ein, dass eine schlüssige Rechtswahl getroffen wurde, derzufolge deutsches Recht anwendbar wäre. Die Vorinstanzen haben diese Frage offen gelassen, weil ihrer Ansicht nach selbst dann, wenn keine schlüssige Rechtswahl getroffen wurde und daher – wie vom Kläger seinen Ansprüchen zugrunde gelegt – österreichisches Recht zur Anwendung käme, die Klage nicht berechtigt wäre.
[12] 3. Zu prüfen ist daher zunächst nicht, ob eine grundsätzlich zulässige (vgl Art 3 Rom I‑VO) schlüssige Rechtswahl getroffen wurde, sondern ob, selbst wenn nach Art 8 Rom I‑VO materiell österreichisches Vertragsrecht zur Anwendung gelangt, der Kläger Ansprüche nach §§ 105 ff ArbVG geltend machen kann. Auf eine andere Rechtsgrundlage stützt er sich nicht.
[13] 4. Anknüpfungsgegenstand für die Kollisionsvorschrift in Art 8 Rom I-VO sind „Individualarbeitsverträge“. Die Verweisungsbegriffe sind, wie die anderen Bestimmungen der Verordnung, unionsrechtlich autonom auszulegen (Heindler in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 Art 8 Rom I‑VO Rz 37; Niksova, Kündigungsschutz und Kollisionsrecht – eine harmonische Beziehung? in Kozak [Hrsg], Die Tücken des Bestandschutzes 51 [61 ff]; vgl auch EuGH C‑135/15 , Nikiforidis,ECLI:EU:C:2016:774,Rn 28). Unterliegt ein Schuldverhältnis Art 8 Rom I‑VO, so sind die damit verbundenen Fragen einheitlich anzuknüpfen (Gesamtstatut; vgl Heindler in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 Art 8 Rom I‑VO Rz 61).
[14] Nach Art 12 Abs 1 lit d Rom I‑VO ist das nach dieser Verordnung auf einen Vertrag anwendbare Recht insbesondere maßgebend für die verschiedenen Arten des Erlöschens der Verpflichtungen, damit grundsätzlich auch für die Vertragsbeendigung durch Kündigung (vgl Verschraegen in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 Art 12 Rom I-VO Rz 21; Deinert, Internationales Arbeitsrecht [2013], Rz 32).
[15] 5. Art 8 Rom I-VO erfasst allerdings lediglich Fragen vertraglicher Schuldverhältnisse, nicht das kollektive Arbeitsrecht (vgl Heindler in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 Art 8 Rom I‑VO Rz 4; Musger in Bydlinski/Perner/Spitzer, ABGB7 Art 8 Rom I‑VO Rz 5).
[16] Für die Betriebsverfassung und damit grundsätzlich auch für die Bestimmungen des II. Teils des ArbVG, in dem auch der allgemeine Kündigungsschutz geregelt ist, ist nach herrschender Auffassung das Territorialitätsprinzip maßgebend (Auer-Mayer, Geltungsbereich der Betriebsverfassung – Betriebs- und Arbeitnehmer*innenbegriff, in Mosler [Hrsg], 50 Jahre Arbeitsverfassungsgesetz 307 [312]; Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht II6 § 33 ArbVG Rz 2; Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 33 Rz 17; Windisch-Graetz in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 33 ArbVG Rz 4).
[17] 6. Es kommt daher darauf an, ob bei einer Verweisung durch Art 8 Rom I-VO auf materiell österreichisches Vertragsrecht die Bestimmungen des österreichischen Kündigungsschutzes kollisionsrechtlich dem Individualarbeitsrecht oder dem Betriebsverfassungsrecht zuzuordnen sind.
[18] Der österreichische Kündigungsschutz ist in seinem Ursprung als Mitwirkungsrecht der Belegschaft kollektiv-rechtlich konzipiert (Niksova, Anwendung des österreichischen allgemeinen Kündigungsschutzes bei im Ausland gelegenem Betrieb? Eine Auseinandersetzung mit kollisionsrechtlichen Fragen und Art 30 Grundrechtecharta, JAS 2020, 311 [314 f]; mit umfassender historischer Aufarbeitung Trost/Mathy in Jabornegg/Resch/Kammler, ArbVG [Stand 1. 10. 2024, rdb.at] § 105 Rz 3 ff). Das ursprüngliche System wurde jedoch mit der Zeit sukzessive durchbrochen, hin zu einer Verstärkung individualrechtlicher Elemente (Wolligger in ZellKomm3 § 105 ArbVG Rz 12).
[19] In der Literatur wird der österreichische Kündigungsschutz dementsprechend als eine Schnittstelle zwischen Individual- und Betriebsverfassungsrecht gesehen (siehe zB Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang 131 f; Lutz, Grenzüberschreitende Telearbeit und Kündigungsschutz, ASoK 2025, 114) und auf die Verschränkung von betrieblicher Mitbestimmung und allgemeinem Kündigungsschutz verwiesen (Dullinger, Individualarbeitsrechtliche Aspekte grenzüberschreitender Unternehmens- und Konzernstrukturen, ZAS 2022/3, 13 [21]).
[20] 7. Die Lehre geht einheitlich davon aus, dass der allgemeine Kündigungsschutz ungeachtet der nationalen Eingliederung in das Betriebsverfassungsrecht dem Arbeitsvertragsstatut folgt.
[21] Etwa vertreten Burger (Anm zu 8 ObA 34/14d DRdA 2015, 334 [337]), Deinert (Internationales Arbeitsrecht § 13 Rz 32 ff) und Heindler (in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 Art 8 Rom I‑VO Rz 68), dass dies unabhängig davon sei, wie die nationale Sachnorm ausgestaltet sei und ungeachtet nationaler Verschränkungen mit dem Prozess- und Betriebsverfassungsrecht gelte. Die Abgrenzung des Arbeitsvertragsrechts mit Blick auf Art 8 Rom I‑VO müsse autonom unionsrechtlich erfolgen, also losgelöst von der Einordnung der Frage im österreichischen Sachrecht.
[22] Auch nach Dullinger (ZAS 2022/3, 13 [21 f]) vermag die systematische Einbettung des allgemeinen Kündigungsschutzes in das Betriebsverfassungsrecht allein die Anwendung des Territorialitätsprinzips nicht zu begründen, weil Art 8 Rom I‑VO unionsrechtlich autonom auszulegen sei. Für die Anknüpfung anhand des Territorialitätsprinzips spreche hingegen die inhaltliche Verschränkung von betrieblicher Mitbestimmung und allgemeinem Kündigungsschutz.
[23] Gahleitner (in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht III6 § 105 ArbVG Rz 3) vertritt, dass bei Auslandsbezug § 105 Abs 3–7 und § 107 ArbVG kollisionsrechtlich iSd Art 8 Rom I‑VO an das Arbeitsvertragsstatut anzuknüpfen seien. Für das betriebliche Vorverfahren komme eine gesonderte Anknüpfung nach dem Betriebsverfassungsstatut in Betracht.
[24] Kirschbaum (Handbuch zum internationalen Betriebsverfassungsrecht [1994] 116) verlangt für die kollisionsrechtliche Anknüpfung des allgemeinen Kündigungsschutzes eine Unterscheidung zwischen den inhaltlichen Voraussetzungen einer zulässigen Kündigung (Kündigungsgründe) und der Beteiligung kollektiver Interessenvertretungen (Mitwirkungsrechte des Betriebsrats, insbesondere Sperrrecht). Erstere seien nach dem Arbeitsvertragsstatut anzuknüpfen (und folglich einer Rechtswahl zugänglich), Letztere würden dem Statut der kollektiven Arbeitnehmervertretung (Staat, auf dessen Gebiet der Betrieb seinen Sitz hat) unterliegen.
[25] Nach Mathy (DRdA 2020/53, 569 [571 f] Anm zu 9 ObA 89/19g) sprächen insbesondere zwei Gründe für die Erfassung des allgemeinen Kündigungsschutzes durch das Arbeitsvertragsstatut. So habe der Oberste Gerichtshof die Anfechtungsklage nach dem allgemeinen Kündigungsschutz als Anspruch aus dem individuellen Arbeitsvertrag iSd Art 20 ff EuGVVO 2012 qualifiziert (vgl 9 ObA 144/08d). Zwar könne daraus kein Schluss hinsichtlich der Subsumtion unter den Begriff des Individualarbeitsvertrags gemäß Art 8 Rom I‑VO gezogen werden, allerdings solle die Auslegung der Rom I‑VO mit jener der EuGVVO im Einklang stehen (vgl ErwGr 7 Rom I-VO). Zudem spräche die rechtsvergleichende Interpretation der Rom I‑VO für eine solche Auslegung: Nach den bislang vorliegenden Untersuchungen ordne die Mehrzahl der Mitgliedstaaten die (positiven oder negativen) Kündigungsgründe dem Individualarbeitsrecht zu. Insoweit komme dem allgemeinen Kündigungsschutz nach österreichischem Recht mit seiner betriebsverfassungsrechtlichen Einordnung Ausnahmecharakter zu. Im Zweifel werde jedoch der Regelfall und nicht die Ausnahme für das Verständnis der gemeinsamen Regeln der Rom I‑VO maßgeblich sein.
[26] Nach Niksova (in Kozak [Hrsg], Tücken des Bestandschutzes 51 [61 ff]; vgl auchNiksova, Anwendung des österreichischen allgemeinen Kündigungsschutzes bei im Ausland gelegenem Betrieb? Eine Auseinandersetzung mit kollisionsrechtlichen Fragen und Art 30 Grundrechtecharta, JAS 2020, 311 [318]) unterliegt der allgemeine Kündigungsschutz der § 105 Abs 3–7 und § 107 ArbVG dem Arbeitsvertragsstatut. Anders als in Österreich sei der allgemeine Kündigungsschutz in den meisten Mitgliedstaaten individualrechtlich ausgestaltet. Außerdem träfen die Gründe, weshalb Betriebsverfassungs- und Kollektivvertragsrecht von Art 8 Rom I‑VO ausgenommen seien – nämlich das Gegenüberstehen von gleichrangigen Parteien, weshalb der Schutzaspekt des Art 8 Rom I‑VO nicht zum Tragen komme – nicht auf die Beendigung des Arbeitsvertrags zu.
[27] 8. In der älteren Rechtsprechung wurde in Zusammenhang mit § 44 IPRG davon ausgegangen, dass auf die Qualifikation nach österreichischen Sachnormen Bedacht zu nehmen sei. Die Verweisung nach § 44 IPRG umfasse nur den privatrechtlichen Bereich, nicht aber die Normen des Arbeitsverfassungsrechts über den Kündigungsschutz für die das Territorialitätsprinzip gelte (9 ObA 12/95; 9 ObA 183/95).
[28] In der Entscheidung 9 ObA 144/08d wurde darauf verwiesen, dass der allgemeine Kündigungsschutz im Rahmen der Betriebsverfassung, eingebunden in die Mitwirkungsbefugnisse der Arbeitnehmerschaft, geregelt sei. Es handle sich also um einen kollektivrechtlich geprägten Kündigungsschutz mit dem vorrangigen Ziel der Wahrnehmung der Gesamtinteressen der Arbeitnehmerschaft. Der allgemeine Kündigungsschutz weise aber auch starke individualrechtliche Komponenten auf. Somit befinde sich der allgemeine Kündigungsschutz an der Schnittstelle zwischen kollektiv- und individualvertraglichen Ansprüchen. Dies manifestiere sich vor allem im Schutzinteresse des einzelnen Arbeitnehmers, das auch im Rahmen einer Anfechtung als Belegschaftsrecht Berücksichtigung finde. Gerade diesen Zweck verfolge aber auch die Schaffung eigener Zuständigkeitsregeln für Arbeitsvertragssachen in der EuGVVO. Aufgrund des gesteigerten Schutzbedürfnisses des Arbeitnehmers solle ihm die Geltendmachung arbeitsrechtlicher Ansprüche erleichtert werden. Auch die Kündigungsanfechtung nach § 105 ArbVG sei daher dem Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlich autonom auszulegenden Art 18 ff EuGVVO 2001 zu unterstellen.
[29] In der Entscheidung 9 ObA 65/11s ging der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf die Kritik zu einer früheren Judikatur davon aus, dass manches dafür spreche, „– unabhängig von der Ausgestaltung (Einbettung) – den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem jeweiligen Arbeitsvertragsstatut anzuwenden“, konnte diese Frage jedoch letztlich offenlassen. Unter Hinweis auf diese Entscheidung führte der Oberste Gerichtshof in 8 ObA 34/14d aus, dass, soweit der Entscheidung 9 ObA 12/95 entnommen werden könne, dass der deutsche Kündigungsschutz dem Betriebsverfassungsrecht im Sinne des II. Teils des ArbVG zuzuordnen sei und daher das deutsche Kündigungsschutzgesetz aufgrund des für das Betriebsverfassungsrecht kollisionsrechtlich geltenden Territorialitätsprinzips für in Österreich tätige Arbeitnehmer nicht zur Anwendung kommen könne, diese Ansicht nicht aufrecht erhalten werde.
[30] 9. Der erkennende Senat vertritt nunmehr ausdrücklich die Rechtsauffassung, dass kollisionsrechtlich der allgemeine Kündigungsschutz nach österreichischem Recht gemäß § 105 Abs 3–7 und § 107 ArbVG prinzipiell dem Arbeitsvertragsstatut folgt. Aus den Anforderungen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitsgrundsatzes folgt, dass die Begriffe einer Bestimmung des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen (EuGH C‑135/15 , Rn 28 mwN). Auf das nationale Verständnis kommt es dabei nicht an. Damit kann das nach der Rom I‑VO anwendbare Arbeitsvertragsstatut nicht davon abhängen, wie die Mitgliedstaaten den konkreten Anspruch ausgestalten und in welchem Sachzusammenhang sie ihn regeln. Auch wenn im österreichischen Recht die Kündigungsanfechtung eine starke kollektivrechtliche Komponente aufweist, ist Gegenstand dieses Anspruchs das Fortbestehen des jeweiligen individuellen Arbeitsvertrags und damit die Wirksamkeit der Beendigungserklärung.
[31] 10. Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass der Kündigungsschutz nach § 105 Abs 3–7 und § 107 ArbVG kollisionsrechtlich iSd Art 8 Rom I‑VO dem Arbeitsvertragsstatut folgt. Geht man davon aus, dass auf das Arbeitsverhältnis des Klägers österreichisches Recht anwendbar ist, gelten daher auch die § 105 Abs 3–7 und § 107 ArbVG.
[32] 11. Daher ist in weiterer Folge zu prüfen, ob die materiell‑rechtlichen Voraussetzungen für eine Kündigungsanfechtung nach diesen Bestimmungen erfüllt sind. Grundsätzlich setzt ihre Anwendbarkeit die Eingliederung des Arbeitnehmers in einen Betrieb mit mindestens fünf Mitarbeitern voraus. Der Kläger war nach eigenem Vorbringen in den Betrieb der Beklagten in Deutschland eingegliedert. In Österreich bestand kein Betrieb. Zu klären ist daher zunächst, ob der Betrieb, in den der Arbeitnehmer eingegliedert ist, im Inland gelegen sein muss.
[33] 12. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurde diese Frage bislang nicht beantwortet.
[34] Zu 9 ObA 88/97z, 9 ObA 54/09w und 9 ObA 79/13b (RS0107424) war zu klären, inwieweit dauerhaft im Ausland tätige Arbeitnehmer in einen inländischen Betrieb eingegliedert waren. Diesen Entscheidungen ist zwar zu entnehmen, dass das ArbVG und insbesondere der allgemeine Kündigungsschutz (9 ObA 79/13b) auch auf im Ausland tätige Arbeitnehmer anwendbar sein kann, eine Aussage zu Arbeitnehmern ausländischer Betriebe enthalten sie aber nicht.
[35] In der Entscheidung zu 9 ObA 65/11s wurde überlegt, ob aus § 107 ArbVG als Teil des Arbeitsvertragsstatuts abgeleitet werden könnte, dass bei im Ausland gelegenen Betrieben mit mindestensfünf Arbeitnehmern eine Anfechtung möglich sei. Da das Klagebegehren aber nicht (mehr) auf § 105 ArbVG gestützt wurde, wurde diese Frage ebenso wie in der Entscheidung 9 ObA 54/13a offengelassen. Auch in den Entscheidungen 9 ObA 101/17v und 9 ObA 89/19g musste trotz entsprechendem Auslandsbezug dazu nicht abschließend Stellung genommen werden.
[36] 13. In Deutschland geht das BAG zu § 23 dKSchG trotz anhaltender Kritik in der Lehre in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Betrieb bzw die Verwaltung im Inland gelegen und die Größenerfordernisse im Inland erfüllt sein müssen (vgl die zahlreichen Judikaturnachweise bei Moll in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht7 § 23 KSchG Rn 68). Diese Rechtsprechung stützt sich dabei neben systematischen und historischen Erwägungen zum deutschen Kündigungsschutzgesetz auch auf das Argument, der Gesetzgeber habe mit dem Betrieb einen feststehenden Rechtsbegriff aufgegriffen, der durch das deutsche Betriebsverfassungsgesetz (dBetrVG) geprägt gewesen sei und dort nur solche organisatorischen Einheiten erfasse, die in der Bundesrepublik Deutschland liegen (vgl krit Daum, RdA 2022, 96 [103 f] mwN).
[37] 14. Im Schrifttum werden zu dieser Frage divergierende Ansichten vertreten.
[38] Teilweise wird die Relevanz eines betriebsratspflichtigen Betriebs im Ausland für den allgemeinen Kündigungsschutz nach den §§ 105 und 107 ArbVG bejaht. So geht Deinert (Internationales Arbeitsrecht [2013], Rz 34 f) davon aus, dass der Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Anfechtung der Kündigung nach § 105 Abs 3 ArbVG habe. Sofern die Geltendmachung einer sozialen Auswahl nur im Fall eines Widerspruchs des Betriebsrats gerügt werden könne, komme eine Substitution in Betracht. Verfahrensmäßig könne nicht der (nichtösterreichische) Betriebsrat, sondern der Arbeitnehmer entsprechend § 107 ArbVG die Kündigung gerichtlich angreifen, die Bestimmung die das Fehlen eines Betriebsrats voraussetze, passe unmittelbar nicht, da es ja einen Betriebsrat gebe.
[39] Burger (DRdA 2015/43 [338]) verweist darauf, dass weder der Betriebs- noch der Arbeitnehmerbegriff des II. Teils des ArbVG von seinem Wortlaut her auf das Inland eingeschränkt seien, auch die Anfechtung nach § 105 Abs 3 ArbVG könne individualrechtlich verstanden werden. Daher werde eine Anfechtung nach § 107 ArbVG zulässig sein.
[40] Weiß (Anm zu 9 ObA 101/17v, DRdA 2018/45, 437 [442]) erachtet eine Interpretation der Voraussetzung eines „Betriebs, in dem ein Betriebsrat zu errichten ist“ (§ 107 ArbVG) in dem Sinne zumindest für diskussionswürdig, dass der allgemeine Kündigungsschutz dann zur Anwendung komme, wenn bei (fiktiver) Anwendbarkeit des ArbVG Betriebsratspflicht bestünde.
[41] Ludvik (Der internationale Betrieb [2021], 42 f) spricht sich für eine einheitliche und abgeschlossene Qualifikation des individuellen Kündigungsschutzes aus. Bei Anwendung österreichischen Arbeitsrechts sei für §§ 105 und 107 ArbVG lediglich entscheidend, ob die Arbeitsorganisation (auch im Ausland) den §§ 33 ff ArbVG entspreche.
[42] Pačić (Arbeitsrechtliches zur Matrixorganisation – Versuch über die „funktionelle“ Ausfaltung des Begriffs „Arbeitgeber/in“, JMG 2021, 210 [212 f]) zufolge soll österreichisches Betriebsverfassungsrecht insofern zur Anwendung kommen, als Arbeit im Inland organisiert sei, sodass eine Arbeitsstätte gegeben sei. Diesfalls müsste auch in einer solchen Arbeitsstätte, die unselbständiger Teil eines ausländischen Betriebs sei, der bei Ansässigkeit in Österreich betriebsratspflichtig wäre, der Kündigungsschutz gelten. Dieser setze keinen Betriebsrat, sondern das Nichtvorliegen eines Kleinstbetriebs voraus.
[43] Dullinger (ZAS 2022/3, 22) hält aus der Perspektive des nationalen Rechts das Abstellen auf einen inländischen Betrieb für nachvollziehbar. Aus der Perspektive der vorrangigen Rom I‑VO sei dieses Kriterium hingegen problematisch. Die herrschende Ansicht akzeptiere zwar die Möglichkeit, dass nationale Sachnormen auf materiell‑rechtlicher Ebene ihren räumlichen Anwendungsbereich beschränken, werde dadurch jedoch das Territorialitätsprinzip weitestgehend durch die Hintertür wieder eingeführt, würden sich doch erhebliche unionsrechtliche Bedenken regen.
[44] Auch Lutz (ASoK 2025, 117 f) argumentiert, dass – würde ein inländischer Betrieb verlangt – trotz individualrechtlicher Einordnung des Kündigungsschutzes im Ergebnis erneut das Territorialitätsprinzip angewendet werde. Diese Beschränkung „durch die Hintertüre“ sei nicht nur im Licht des Unionsrechts der Rom I-VO, sondern auch hinsichtlich Effektivitätserwägungen bedenklich. Im Extremfall führe sie nämlich dazu, dass Arbeitnehmern multinationaler Großunternehmen kein Kündigungsschutz zuteil werde. Der Zweck der Ausnahme für Kleinstbetriebe erschöpfe sich im Ziel, Arbeitgeber mit wenigen Beschäftigten nicht zu belasten. Die Voraussetzung eines Betriebs mit fünf Arbeitnehmern sei daher für die Ausnahme aus dem Anwendungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes und nicht für die Festlegung seines räumlichen Geltungsbereichs relevant. Vielmehr sei eine normzweckbezogene Bewertung der Verhältnisse des Arbeitgebers vorzunehmen. Dabei seien nicht nur Arbeitnehmer im Ausland bei der Betriebsgröße mit einzuberechnen, sondern auch dem Arbeitgeber zurechenbare gänzlich im Ausland gelegene Betriebe für das Anfechtungsverfahren gemäß §§ 105 und 107 ArbVG maßgeblich. Aufgrund der individualarbeitsrechtlichen Einordnung des Kündigungsschutzes entstehe auch kein Konflikt mit dem grundsätzlich geltenden Territorialitätsprinzip. Denn zum einen erlaube dieses im Rahmen der Ausstrahlung die Zurechnung von Arbeitnehmern im Ausland gemäß § 36 ArbVG. Zum anderen könne in ausländischen Betrieben ohnehin kein Betriebsrat im Sinne des ArbVG eingerichtet werden, wonach für die Arbeitnehmer lediglich die Anfechtung gemäß § 107 ArbVG möglich sei.
[45] 15. Andere Autorinnen und Autoren vertreten, dass der örtliche Anwendungsbereich des II. Teils des ArbVG auf das österreichische Bundesgebiet beschränkt ist und die Bestimmungen der Betriebsverfassung auf im Ausland gelegene Betriebe nicht anzuwenden seien.
[46] In diesem Sinn argumentiert Schrank (in Brameshuber/Tomandl, ArbVG [9. Lfg, 2012], § 105 Rz 2). Wegen ihrer Verankerung im II. Teil des ArbVG gelten auch die Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes ausschließlich für Betriebe und Arbeitnehmer iSd §§ 33 bis 36 ArbVG; mangle es im Falle eines ausländischen Unternehmens einer unselbständigen Arbeitsstätte in Österreich an der Betriebsqualität iSd § 34 ArbVG, könne daher bei den ausschließlich oder gewöhnlich in Österreich beschäftigten Arbeitnehmern bei Geltung des österreichischen Arbeitsrechts ein etwaiges Vorverfahren nach ausländischem Betriebsverfassungsrecht nicht greifen.
[47] Auch Wolligger (in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 107 ArbVG Rz 2) führt aus, Voraussetzung für das Selbstanfechtungsrecht nach § 107 ArbVG sei, dass der Betrieb unter den sachlichen Geltungsbereich der Betriebsverfassung des ArbVG falle. Diesen wiederum erachtet sie aufgrund des Territorialprinzips auf inländische Betriebe beschränkt (aaO § 105 ArbVG Rz 6).
[48] Gahleitner (in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht III6 § 105 ArbVG Rz 2 f) verweist darauf, dass für die Normen des Arbeitsverfassungsrechts über den Kündigungsschutz das Territorialitätsprinzip mit der Folge gelte, dass grundsätzlich nur Betriebe in Österreich erfasst würden. Die materiellen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des österreichischen Kündigungsschutzes bei einem im Inland für einen ausländischen Betrieb tätigen Arbeitnehmer seien in der Entscheidung 9 ObA 65/11s jedoch offen geblieben.
[49] Eingehend setzt sich Niksova mit der Problematik auseinander (Anwendung des österreichischen allgemeinen Kündigungsschutzes bei im Ausland gelegenem Betrieb? – Eine Auseinandersetzung mit kollisionsrechtlichen Fragen und Art 30 Grundrechtecharta [Anm zu 9 ObA 89/19g], JAS 2020, 311; vgl auch Niksova, Kündigungsschutz und Kollisionsrecht – eine harmonische Beziehung? in Kozak, Die Tücken des Bestandschutzes [2017], 51 [73]; vgl auch Niksova, Das Internationale Betriebsverfassungsrecht im digitalen Transformationsprozess in Mosler, 50 Jahre Arbeitsverfassungsgesetz 591 [601 f]; aA noch Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang [2014], 145). Für die Ansicht, dass die Voraussetzungen eines Betriebs auch im Ausland erfüllt sein können, spreche zunächst, dass der Wortlaut des ArbVG nicht verlange, dass der Betrieb im Inland liegen müsse. Auch der Zweck der Ausnahme für Kleinstbetriebe sei in der Regel bei international tätigen Unternehmen nicht erfüllt. Der Gesetzgeber habe mit Sicherheit nicht bezweckt, international tätigen Unternehmen durch Aufspaltung der Betriebe auf unterschiedliche Staaten die Umgehung der Regelungen des Kündigungsschutzes zu ermöglichen. Gegen eine Kündigungsanfechtung nach §§ 105, 107 ArbVG bei einem ausländischen Betrieb spreche jedoch, dass der österreichische Kündigungsschutz in der Betriebsverfassung eingebettet und für den allgemeinen Kündigungsschutz im österreichischen Recht der gleiche Betriebsbegriff heranzuziehen sei wie für andere Betriebsverfassungsnormen. Wollte man einen ausländischen Betrieb für ausreichend ansehen, sei ferner zu beachten, dass der in Österreich tätige Arbeitnehmer dem ausländischen Betrieb auch angehören müsse. Ferner müsse der ausländische Betrieb betriebsratspflichtig sein; es sei jedoch ausgeschlossen, dass ein im Ausland gelegener Betrieb nach österreichischem Recht betriebsratspflichtig sei und dort ein Betriebsrat nach österreichischem Recht zu wählen sei. Das könne ein weiteres Indiz dafür sein, dass der Betrieb iSd §§ 105, 107 ArbVG im Inland liegen müsse. Auch wenn für beide Lösungen gute Argumente sprächen, sei de lege lata aufgrund der dargestellten Probleme eher der Lösung der Vorzug zu geben, nach welcher der betriebsratspflichtige Betrieb im Inland liegen müsse. Die Unionsrechtskonformität dieser Auslegung sei zu bejahen, zumal der Anwendungsbereich des Art 30 GRC nicht eröffnet sei. Das Unionsrecht enthalte nämlich keine Vorgaben für die Ausgestaltung des allgemeinen Kündigungsschutzes.
[50] Auch nach Mathy (DRdA 2020/53, 572 f) schlägt auf der Ebene des materiellen Rechts die Einbettung des allgemeinen Kündigungsschutzes in das Betriebsverfassungsrecht durch. Rechtsträgerin des durch den allgemeinen Kündigungsschutz vermittelten materiellen Anfechtungsrechts sei – auch im Falle des § 107 ArbVG – die Belegschaft. Ob durch den II. Teil des ArbVG die Gemeinschaft der Arbeitnehmer eines Betriebs in rechtlich relevanter Weise organisiert werde, sei daher eine dem Tatbestand des allgemeinen Kündigungsschutzes immanente Vorfrage. Der räumliche Geltungsbereich der Normen, die die Gemeinschaft der Arbeitnehmer eines Betriebs als juristische (Teil‑)Person errichten, bestimme sich jedoch nach dem Betriebsverfassungsstatut. Ebenso wie es für die Bildung der Organe der juristischen (Teil‑)Person „Belegschaft“ auf einen Betrieb mit Sitz in Österreich ankomme, setze auch ihr Entstehen einen Betrieb mit Sitz in Österreich voraus. Fehle es an einem solchen, dann fehle es auch am Zurechnungsendpunkt des durch den allgemeinen Kündigungsschutz vermittelten materiellen Anfechtungsrechts, weshalb dieser dann nicht zur Anwendung gelangen könne. Die daraus resultierende Schutzlücke sei (im Hinblick auf § 15 Abs 3–6 AVRAG) als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers bei der Auslegung der §§ 105 und 107 ArbVG zu respektieren.
[51] Kietaibl (in Brameshuber/Tomandl, ArbVG [17. Lfg, 2023] § 33 ArbVG Rz 4 f) hält – unter Hinweis auf die Entscheidungen zu 9 ObA 65/11s, 8 ObA 34/14d und 9 ObA 89/19g – fest, dass der allgemeine Kündigungs- und Entlassungsschutz nur in solchen Betrieben gelte, die dem II. Teil des ArbVG unterliegen, wobei er dessen Anwendungsbereich auf in Österreich gelegene Betriebe eingrenzt.
[52] Gruber-Risak (in Gruber-Risak/Mazal, Arbeitsrecht [44. Lfg, 2024] III Rz 11) geht ebenfalls davon aus, dass die betriebsverfassungsrechtlichen Normen des ArbVG dem Territorialitätsprinzip unterliegen, weshalb sie auf unselbständige Betriebsteile ausländischer Betriebe nicht anzuwenden seien. Dabei meint er unter Berufung auf die Entscheidungen 9 ObA 12/95 und 9 ObA 183/95, der Oberste Gerichtshof wende auf den allgemeinen Bestandschutz ebenfalls das Territorialitätsprinzip an.
[53] Auch Trost/Mathy (in Jabornegg/Resch/Kammler, ArbVG, § 105 Rz 71) führen aus, dass der Wortlaut des ArbVG der Annahme zwar nicht entgegenstehe, wonach die Voraussetzung eines Betriebs mit fünf dauernd beschäftigten Arbeitnehmern auch durch einen im Ausland gelegenen Betrieb erfüllt werden könne; allerdings ergäben sich mit Blick auf die Systematik des ArbVG doch erhebliche Zweifel.
16. Dazu ist auszuführen:
[54] Der allgemeine Kündigungsschutz nach §§ 105 und 107 ArbVG ist im Betriebsverfassungsrecht verankert, und zwar im II. Teil, 3. Hauptstück, 3. Abschnitt des ArbVG, bei den Befugnissen des Betriebsrats unter dem Titel „Mitwirkung in personellen Angelegenheiten“. Nach § 33 ArbVG gelten die Bestimmungen des II. Teils für Betriebe aller Art. § 34 ArbVG definiert den Betrieb und damit den zentralen Begriff, auf dem die gesamte Organisation der Betriebsverfassung aufbaut (Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht II6 § 34 ArbVG Rz 1). Als Betrieb gilt demnach jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht besteht oder nicht.
[55] Auch wenn das ArbVG keine ausdrückliche Bestimmung enthält, dass diese Bestimmungen sich nur auf in Österreich gelegene Betriebe beziehen, besteht wie dargelegt Übereinstimmung, dass für den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsrechts nach dem Territorialitätsprinzip ausschließlich auf in Österreich gelegene Betriebe abzustellen ist.
[56] Es gibt aber keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber in Zusammenhang mit dem allgemeinen Kündigungsschutz – mag dieser auch im kollisionsrechtlichen Zusammenhang individualrechtlich und nicht betriebsverfassungsrechtlich zu beurteilen sein – von einem anderen Betriebsbegriff ausgehen wollte als im Betriebsverfassungsrecht. Im Gegenteil lässt sich aus der Einbettung des allgemeinen Kündigungsschutzes in den II. Teil des ArbVG ableiten, dass für ihn auch dieselben Begrifflichkeiten gelten sollen.
[57] Insofern ist die Rechtslage in Österreich auch nicht mit jener in Deutschland vergleichbar, wo § 23 dKSchG einen eigenständigen Betriebsbegriff beinhaltet und sich daher im deutschen Schrifttum die Frage stellt, inwieweit dieser dem Betriebsbegriff des Betriebsverfassungsgesetzes entspricht.
[58] Die Anknüpfung auch des Kündigungsschutzes an den Betriebsbegriff des ArbVG ist auch nicht zufällig, sondern hat ihre Grundlage in der vom Gesetzgeber gewollten Einbindung des Betriebsrats in den allgemeinen Kündigungsschutz. Nach der Intention des Gesetzes ist der allgemeine Kündigungsschutz nur dort gegeben, wo grundsätzlich ein Betriebsrat zu bestellen ist, der die ihm in dieser Bestimmung übertragenen Rechte auch ausüben kann. Wie bereits dargelegt handelt es sich um einen kollektivrechtlich geprägten Kündigungsschutz mit dem vorrangigen Ziel der Wahrnehmung der Gesamtinteressen der Arbeitnehmerschaft. Daher ist auch im Zusammenhang mit den Regeln des allgemeinen Kündigungsschutzes vom Grundkonzept eines in Österreich gelegenen Betriebs auszugehen.
[59] Ob dieses Konzept in seiner derzeitigen Ausprägung noch zeitgemäß ist und den Anforderungen der modernen digitalisierten Arbeitswelt entspricht, ist nicht von den Gerichten zu beantworten (RS0008880; RS0009099).
[60] 17. In der Literatur wird teilweise, wie dargelegt, vertreten, dass in Fällen wie dem vorliegenden von einer Anwendung der Bestimmungen des Kündigungsschutzes deshalb ausgegangen werden könne, weil die „Kleinstbetriebausnahme“ nicht anwendbar sei.
[61] Die Beschränkung des Betriebsbegriffs auf solche Betriebe, die dauernd mindestens fünf stimmberechtigte Arbeitnehmer beschäftigen, folgt aus § 40 Abs 1 ArbVG. Kleinstbetriebe, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, unterliegen nicht dem Organisationsrecht des II. Teils des ArbVG. Deren Arbeitnehmern kommt auch der allgemeine Kündigungsschutz nicht zu, weil weder ein Betriebsrat errichtet wurde, noch nach den Bestimmungen des ArbVG zu errichten gewesen wäre. Kündigungsschutz nach dem ArbVG besteht prinzipiell nur in betriebsratspflichtigen Betrieben.
[62] Der Zweck der Ausnahme für Kleinstbetriebe wird darin gesehen, dass aufgrund des in der Regel engen Kontakts zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber ein Belegschaftsorgan unnötig erscheint, der Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis steht und Arbeitgeber mit so wenigen Beschäftigten nicht belastet werden sollen.
[63] Richtig ist, dass diese Voraussetzungen in der Regel auf grenzüberschreitende Betriebe, hinter denen oft große international tätige Konzerne stehen, meist nicht zutreffen werden.
[64] Allerdings besteht in Fällen wie dem vorliegenden unstrittig in Österreich überhaupt kein eigenständiger Betrieb, auch nicht mit weniger als fünf Arbeitnehmern. Eine Anwendung der Kündigungsschutzbestimmungen würde daher nicht ein Absehen von der im Gesetz vorausgesetzten Mindestanzahl an Arbeitnehmern erfordern, sondern den Entfall der Voraussetzung des Vorhandenseins eines (österreichischen) Betriebs, was mit dem ArbVG nicht in Einklang zu bringen ist.
[65] 18. Auch wenn man davon ausgeht, dass das Gesetz den allgemeinen Kündigungsschutz an das Vorliegen eines inländischen Betriebs anknüpft, ist weiters eine analoge Anwendung der Bestimmungen über den Kündigungsschutz auf Arbeitnehmer, die dem österreichischen Vertragsstatut unterliegen, aber in einen ausländischen Betrieb eingegliedert sind, zu prüfen. Da in solchen Fällen regelmäßig kein Betriebsrat nach dem ArbVG bestehen wird, kommt dafür nur eine analoge Anwendung von § 107 ArbVG in Betracht.
[66] Ein Analogieschluss setzt eine Gesetzeslücke voraus, das heißt also, dass der Rechtsfall nach dem Gesetz nicht beurteilt werden kann, jedoch von Rechts wegen einer Beurteilung bedarf. Es muss also eine „planwidrige Unvollständigkeit“, dass heißt eine nicht gewollte Lücke, vorliegen (RS0098756).
[67] Eine solche ist aber zu verneinen. Nochmals ist darauf zu verweisen, dass der allgemeine Kündigungsschutz in Österreich von seiner Konzeption her die Mitwirkung der nach dem ArbVG bestellten Belegschaftsorgane verlangt. § 107 ArbVG regelt das Selbstanfechtungsrecht des Arbeitnehmers in betriebsratspflichtigen Betrieben, in denen kein Betriebsrat besteht. Auch in diesem Fall kommt das materielle Anfechtungsrecht der Belegschaft zu. Nur das formelle Anfechtungsrecht entsteht – weil ein Betriebsrat nicht (rechtswirksam) gebildet wurde – sofort beim betroffenen Arbeitnehmer (RS0051378). § 107 ArbVG ist kein Auffangtatbestand für alle Fälle, in denen kein Betriebsrat besteht, sondern nur für solche, in denen ein Betriebsrat nach österreichischem Betriebsverfassungsrecht zu errichten gewesen wäre, aber nicht errichtet wurde.
[68] Die Ausübung dieser Mitwirkungsbefugnisse ist aber bei ausländischen Betrieben auch nicht abstrakt möglich. Bei diesen werden, wenn überhaupt, Belegschaftsorgane nach anderen Normen eingesetzt und sind regelmäßig mit anderen Befugnissen ausgestattet. Davon, dass der Gesetzgeber auch solche Fälle in die von ihm geschaffene Möglichkeit der – inhaltlich mit den Mitwirkungsrechten des Betriebsrats eng verflochtenen – Kündigungsanfechtung hätte einbeziehen wollen, kann nicht ausgegangen werden.
[69] 19. Gegen eine Beschränkung des allgemeinen Kündigungsschutzes auf inländische Betriebe bestehen auch keine unionsrechtlichen Bedenken:
[70] Die Rom I‑VO harmonisiert die Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse und nicht die materiellen Vorschriften des Vertragsrechts. Soweit Letztere vorsehen, dass das angerufene Gericht bestimmte Voraussetzungen für den Kündigungsschutz als tatsächlichen Umstand zu berücksichtigen hat, stehen die Bestimmungen der Rom I-VO der Berücksichtigung dieses tatsächlichen Umstands durch das angerufene Gericht nicht entgegen (vgl EuGH C‑135/15 , Rn 52 zu Eingriffsnormen). Das Vorliegen eines (österreichischen) Betriebs ist aber im österreichischen Recht auf der Tatbestandsebene Voraussetzung für den Kündigungsschutz. Entgegen der Revision kann auch nicht von einer Umgehung des Unionsrechts gesprochen werden, wenn bei grundsätzlicher Anwendbarkeit österreichischen Rechts nach dem Vertragsstatut zu einem konkreten Aspekt aus sachlichen Gründen (Mitwirkungsbefugnis des Betriebsrats) materiell‑rechtlich das Vorhandensein eines in Österreich gelegenen Betriebs vorausgesetzt wird.
[71] Art 30 GRC normiert zwar den Anspruch jeder Arbeitnehmerin und jedes Arbeitnehmers nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung. Allerdings ist der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta hinsichtlich des Handelns der Mitgliedstaaten in Art 51 Abs 1 GRC definiert. Danach gilt diese für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH ergibt sich im Wesentlichen, dass die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen und nicht außerhalb derselben Anwendung finden (EuGH 5. 2. 2015, C‑117/14 , Nisttahuz Poclava; ECLI:EU:C:2015:60, Rn 28 f; 9 ObA 21/23p).
[72] Von den Kompetenzen nach Art 153 Abs 1 lit d AEUV auf dem Gebiet des Schutzes der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsvertrags hat der Unionsgesetzgeber bislang nicht Gebrauch gemacht, sodass das Unionsrecht keine Vorgaben für die Ausgestaltung des allgemeinen Kündigungsschutzes enthält (vgl Niksova, JAS 2020, 311 [324]).
[73] Eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 45 ff AEUV) durch einen fehlenden bzw eingeschränkten allgemeinen Kündigungsschutz könnte nur in einer Behinderung des Zuzugs oder Wegzugs liegen, zumal eine Diskriminierung weder behauptet wurde noch sonst ersichtlich ist. Allerdings verneint der EuGH in ständiger Rechtsprechung eine solche Beeinträchtigung, wenn sie auf einer Gesamtheit von Umständen beruht, die zu ungewiss und zu indirekt sind (vgl EuGH 13. 3. 2019, C‑437/17 , Gemeinsamer Betriebsrat EurothermenResort Bad Schallerbach GmbH, ECLI:EU:C:2019:193 Rn 40). So hat der EuGH (EuGH 27. 1. 2000, C‑190/98 , Graf, ECLI:EU:C:2000:49, Rn 24) eine Regelung, die an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer selbst ausdrücklich nicht dieselbe Rechtsfolge knüpft wie an eine Beendigung, die er weder herbeigeführt noch zu vertreten hat, als ein zu ungewisses und zu indirekt wirkendes Ereignis angesehen, als dass sie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beeinträchtigen könnte.
[74] Das Gleiche ist aber anzunehmen, wenn nach dem auf Grundlage der Rom I-VO anwendbaren Recht bei grundsätzlich freier Kündbarkeit die Anfechtung einer Arbeitgeberkündigung an das Vorliegen eines inländischen Betriebs geknüpft ist.
[75] Für eine Vorlage an den EuGH besteht daher keine Veranlassung.
[76] 20. Zusammenfassend ist dann, wenn das Dienstverhältnis dem österreichischen Vertragsstatut unterliegt, kollisionsrechtlich auch der allgemeine Kündigungsschutz nach § 105 Abs 3–7, § 107 ArbVG anwendbar. Dieser setzt aber materiell-rechtlich auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten das Vorhandensein eines in Österreich gelegenen Betriebs voraus.
[77] 21. Der Revision des Klägers war daher nicht Folge zu geben.
[78] 22. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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