OGH 2Dg1/25b

OGH2Dg1/25b18.6.2025

Der Oberste Gerichtshof als Dienstgericht für Richter und Staatsanwälte hat am 18. Juni 2025 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig, Mag. Lendl und Mag. Wurzer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Wessely‑Kristöfel in der Dienstgerichtssache der Richterin der Bezirksgerichte * und * M* über deren Beschwerden I./ gegen das Erkenntnis und II./ gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Dienstgericht für Richter und Staatsanwälte jeweils vom 8. Jänner 2025, GZ 34 Dg 1/24g‑10, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020DG00001.25B.0618.001

Rechtsgebiet: Undefined

 

Spruch:

I./ In Stattgebung der Beschwerde gegen das Erkenntnis vom 8. Jänner 2025 wird diesesErkenntnis aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Wien als Dienstgericht für Richter und Staatsanwälte zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

II./ Die Beschwerde gegen den Beschluss vom selben Tag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Die Richterin der Bezirksgerichte * und * M* wurde mit Erkenntnis des Oberlandesgerichts Wien als Dienstgericht für Richter und Staatsanwälte vom 8. 1. 2025, GZ 34 Dg 1/24g‑10, gemäß § 83 Abs 1 Z 1 RStDG in den zeitlichen Ruhestand versetzt (I./). Mit Beschluss vom selben Tag wies das Erstgericht die Anträge der Betroffenen ab, „den Behindertenausschuss beizuziehen, das Gutachten der BVAEB vom 7. 8. 2024 zu übermitteln bzw Einsicht in dieses Gutachten zu gewähren sowie ihre Enthebung vom Dienst gemäß § 95 RStDG zu verfügen“ (II./).

[2] I./ Gegen das Erkenntnis richtet sich die Beschwerde der betroffenen Richterin mit dem Antrag, es dahin abzuändern, dass „der Antrag des Disziplinaranwalts auf Versetzung der Beschwerdeführerin in den zeitlichen Ruhestand abgewiesen wird“. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Beschwerde, die Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtige Tatsachenfeststellung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht, ist im Sinne ihres Aufhebungsantrags berechtigt.

[4] 1. Vorauszuschicken ist, dass gegen die in § 90 Z 1 RStDG normierte Zuständigkeit des Dienstgerichts keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Das Dienstgericht entscheidet über eine Versetzung in den Ruhestand gegen den Willen der Richterin in den Fällen des § 83 Abs 1 RStDG nicht – wie die Beschwerdeführerin meint – über einen Antrag eines Verwaltungsorgans, sondern von Amts wegen (§ 88 Abs 2 B‑VG iVm §§ 90, 91 RStDG; vgl Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG I5 § 93 RStDG Rz 2).

[5] Die Frage der Bekämpfbarkeit des Beschlusses auf Einleitung eines dienstgerichtlichen Verfahrens nach § 92 RStDG stellt sich hier nicht. Im Übrigen sind auch die Bestimmungen über den partiellen Rechtsmittelausschluss betreffend den Einleitungsbeschluss (§ 93 Abs 1 iVm § 164 Abs 1 RStDG) verfassungsrechtlich unbedenklich. Der VfGH hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass der Einleitungsbeschluss lediglich eine prozessleitende Verfügung vor Durchführung eines Disziplinarverfahrens (hier dienstgerichtlichen Verfahrens) und keine Anklageschrift nach der StPO ist; eine Präjudizierung des Disziplinarrats (hier des Dienstgerichts) tritt nicht ein (zB VfGH 16. 6. 2011, B 998/10 mwN).

[6] 2. Gemäß § 83 Abs 1 Z 1 RStDG – welchem Tatbestand ein anderer Begriff der Dienstunfähigkeit zugrunde liegt, als jenem in Z 2 leg cit (Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG I5 § 83 RStDG Rz 2 f) – ist die Richterin in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie infolge Krankheit länger als ein Jahr vom Dienst abwesend ist. Weitere Bedingungen sieht das Gesetz nicht vor, sodass im Fall krankheitsbedingter Dienstabwesenheit in der (nach § 83 Abs 3 RStDG zu berechnenden) Dauer von mehr als einem Jahr Dienstunfähigkeit ex lege vermutet wird (2 Dg 2/21v).

[7] Bei der Prüfung der Frage auf Versetzung in den zeitlichen Ruhestand nach dem § 83 Abs 1 Z 1 RStDG kommt es zwar nicht auf die Ursachen für die Krankheit an, die eine länger als ein Jahr dauernde (ununterbrochene) Abwesenheit vom Dienst bewirkt (vgl RS0072657; RS0072666). Die Abwesenheit vom Dienst muss aber – zumindest zu Beginn und zum Ende der Abwesenheit (zumal „zwischenzeitige Abwesenheiten aus anderen Gründen nicht als Unterbrechung anzusehen“ sind) – durch Krankheit verursacht worden sein (§ 83 Abs 3 erster Satz RStDG; vgl Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG I5 § 83 RStDG Rz 8 erster Halbsatz).

[8] Krankheit im Sinn des § 62 RStDG ist ein abnormer Körper- oder Geisteszustand, der eine wesentliche Beeinträchtigung des physischen oder psychischen Wohlbefindens darstellt (Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG I5 § 62 RStDG Rz 3).

[9] 3. Nach den Feststellungen des Erstgerichts befand sich die betroffene Richterin seit 20. 2. 2023 im Krankenstand, der lediglich durch die Inanspruchnahme von Erholungsurlaub vom 27. 12. 2023 bis 25. 1. 2024 und vom 5. 2. 2024 bis 8. 4. 2024 unterbrochen wurde. Ihrem Einwand, sie wäre – ungeachtet der ärztlichen Bestätigungen, die bloße „Gefälligkeits-Krankschreibungen“ seien – „nicht krank“, hielt das Erstgericht entgegen, es sei „auch angesichts der Vielzahl der dokumentierten gesundheitlichen Probleme [der betroffenen Richterin] bereits seit 2007 davon auszugehen, dass tatsächlich seit Februar 2023 eine Erkrankung vorlag bzw vorliegt, die aus Sicht des behandelnden Arztes eine Krankschreibung rechtfertigte bzw rechtfertigt“.

[10] 4. Im Ergebnis zutreffend zeigt die Beschwerde auf, dass diese Feststellungen zum Vorliegen einer „Erkrankung“ bzw einer „Krankheit“ mit einem Begründungsmangel (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) behaftet sind.

[11] Die Annahme einer seit Februar 2023 vorliegenden Krankheit blieb durch den bloßen Verweis auf die – nicht näher erläuterte – „Vielzahl der dokumentierten gesundheitlichen Probleme“ der Beschwerdeführerin offenbar unzureichend begründet (RS0099413 uva; vgl auch Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG I5 § 62 RStDG Rz 4 f, wonach für die Beurteilung, ob die Dienstunfähigkeit Folge einer Erkrankung ist, eine ärztliche Bestätigung allein nicht ausreicht).

[12] Auch die Verfahrensrüge (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) erweist sich als im Ergebnis berechtigt: Durch die Abweisung ihres in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags auf Zustellung des „offensichtlich vorhandenen“ Gutachtens der BVAEB an den Verteidiger samt „Einräumung einer angemessenen Frist zur Stellungnahme zum Beweis dafür, dass es im konkreten Fall keinen durchgehenden Krankenstand gegeben hat, der auf die Beeinträchtigungen der Betroffenen zurückzuführen ist“, wurde der Beschwerdeführerin ein im Anlassfall wesentliches – in der mündlichen Verhandlung zwar nicht verlesenes, aber vom Gesetz ausdrücklich hervorgehobenes (§ 89a Abs 1 RStDG) und sowohl im Einleitungsbeschluss als auch von der Vertreterin der Oberstaatsanwaltschaft in ihrem Schlussvortrag thematisiertes – Beweismittel vorenthalten und damit eine Schmälerung ihrer Verteidigungsrechte bewirkt.

[13] Die Auffassung des Dienstgerichts, die Zustellung des BVAEB‑Gutachtens wäre „lediglich bei einer Überprüfung im Sinne des § 83 Abs 1 Z 2 RStDG gerechtfertigt gewesen“, verkennt, dass die betroffene Richterin gerade aus diesem Beweisantrag ableiten will, dass – wie sie behauptet – die Voraussetzungen des § 83 Abs 1 Z 1 RStDG (krankheitsbedingte Dienstabwesenheit in der Dauer von mehr als einem Jahr) nicht vorliegen.

[14] 5. Das angefochtene Erkenntnis ist daher – ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG I5 § 140 RStDG Rz 4; RS0072812) – aufzuheben und die Sache zur Wiederholung der Verhandlung und zur neuerlichen Entscheidung an das Oberlandesgericht Wien zurückzuverweisen (§ 93 Abs 1 iVm § 140 Abs 2 RStDG; vgl RS0129414).

[15] 6. Klarzustellen bleibt für das fortzusetzende Verfahren, dass der auf § 8a BEinStG gestützte Antrag der betroffenen Richterin „auf Beiziehung des Behindertenausschusses zur Klärung der Frage, ob andere Möglichkeiten gegeben sind, die psychische Beeinträchtigung [der Richterin] zu lindern und ihr eine Weiterführung des Dienstes zu ermöglichen“, zu Recht abgewiesen wurde.

[16] Im dienstgerichtlichen Verfahren ist § 8a BEinstG nicht anwendbar (Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG I5.03 § 93 RStDG Rz 1 [Stand 1. 3. 2024, rdb.at] mwN), weil im Fall einer Versetzung in den Ruhestand gegen den Willen der Richterin nach § 83 Abs 1 RStDG das Dienstverhältnis nicht (so wie es der Wortlaut des § 8a BEinstG verlangt) „kraft Gesetzes“, also ex lege, sondern durch eine Gerichtsentscheidung endet.

[17] Eine analoge Anwendung im dienstgerichtlichen Verfahren kommt schon mangels erkennbar planwidriger Lücke des Gesetzes nicht in Betracht (RS0008866).

[18] II./ Die gegen den Beschluss vom 8. 1. 2025 gerichtete Beschwerde der betroffenen Richterin, die auf ihre Enthebung vom Dienst nach § 95 RStDG abzielt, ist nicht zulässig.

[19] Nach § 93 Abs 1 iVm § 164 Abs 1 RStDG sind Rechtsmittel im Verfahren vor dem Dienstgericht – abgesehen von der Beschwerde gegen das Erkenntnis des Oberlandesgerichts als Dienstgericht (§ 93 Abs 2 RStDG) – nur in den im 2. Teil des RStDG vorgesehenen Fällen zulässig.

[20] Gegen die Abweisung der in der mündlichen Dienstgerichtsverhandlung vom 8. 1. 2025 gestellten Anträge der Beschwerdeführerin auf Beiziehung des Behindertenausschusses und auf Zustellung des Gutachtens der BVAEB ist im 2. Teil des RStDG kein gesondertes Rechtsmittel vorgesehen.

[21] Gegen den Beschluss, mit dem das Oberlandesgericht die Enthebung der Richterin vom Dienst nach § 95 RStDG abgelehnt hat, kann gemäß § 98 RStDG nur die Oberstaatsanwaltschaft, aber nicht die betroffene Richterin Beschwerde an den Obersten Gerichtshof als Dienstgericht erheben. Die in diesem Zusammenhang geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken der Beschwerdeführerin können schon deshalb auf sich beruhen, weil sie zwischenzeitig mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 25. 2. 2025, GZ 34 Dg 1/24g‑16, gemäß § 95 RStDG mit dem Tag der tatsächlichen Wiederaufnahme ihrer richterlichen Tätigkeit nach ihrer langen Abwesenheit vom Dienst enthoben wurde.

[22] Die Beschwerde ist daher als unzulässig zurückzuweisen (§ 93 Abs 1 iVm § 164 Abs 3 zweiter Satz RStDG).

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