European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0150OS00049.25G.0519.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiete: Grundrechte, Suchtgiftdelikte
Spruch:
* L* und * D* wurden im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerden werden abgewiesen.
Gründe:
[1] Mit Beschluss vom 16. April 2025, AZ 17 Bs 82/25w, 83/25t, gab das Oberlandesgericht Wien den Beschwerden der Angeklagten * L* und * D* nicht Folge und setzte die am 14. Februar 2024 bzw am 13. Juli 2024 verhängte und bereits fortgesetzte Untersuchungshaft jeweils aus den Haftgründen der Flucht‑ und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO fort (ON 194.1).
[2] Dabei ging es von der dringenden Verdachtslage aus, L* und D* hätten in W* und andernorts als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich
A./ L* Abnehmern
1./ angeboten, indem er von 24. August 2020 bis 18. Mai 2021 in Ansehung der im Beschluss des Oberlandesgerichts zu 1./a./ und 1./b./ genannten Suchtgiftquanten mit den dort bezeichneten Reinheitsgehalten mit diesen Kontakt aufnahm und Suchtgiftgeschäfte anbahnte;
2./ verschafft, indem er von 8. Jänner 2020 bis 2. Juni 2021 in Ansehung der zu 2./a./, 2./b./ und 2./e./ genannten Suchtgiftquanten mit den dort bezeichneten Reinheitsgehalten Suchtgiftbestellungen entgegennahm, Übergabemodalitäten festlegte und Suchtgiftlieferanten zu Übergabetreffpunkten beorderte sowie in Ansehung der zu 2./c./ und 2./d./ genannten Suchtgiftquanten mit den dort bezeichneten Reinheitsgehalten das Suchtgift selbst überließ;
B./ D* als Kurierfahrer des L* und in dessen Auftrag
1./ Abnehmern
a./ angeboten, indem er von 24. Oktober 2020 bis 16. November 2020 sowie am 1. Februar 2021 in Ansehung der zu 1./a./i./ und 1./a./ii./ genannten Suchtgiftquanten mit den dort bezeichneten Reinheitsgehalten mit diesen Kontakt aufnahm und Suchtgiftgeschäfte anbahnte;
b./ überlassen, indem er von 18. September 2020 bis 9. Dezember 2020 in Ansehung des zu 1./b./ genannten Suchtgiftquantums mit dem dort bezeichneten Reinheitsgehalt Suchtgiftlieferungen an Abnehmer und Lieferanten weitergab;
2./ am 18. September 2020 in Ansehung des dort genannten Suchtgiftquantums mit dem dort bezeichneten Reinheitsgehalt aus Deutschland aus- und nach Österreich eingeführt;
3./ von 18. September 2020 bis 9. Dezember 2020 in Ansehung des dort genannten Suchtgiftquantums mit dem dort bezeichneten Reinheitsgehalt aus Österreich aus- und nach Italien eingeführt.
[3] Diesen als sehr wahrscheinlich angenommenen Sachverhalt subsumierte das Beschwerdegericht betreffend L* als jeweils das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (A./1./) und nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (A./2./) sowie betreffend D* als jeweils das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (B./1./), nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (B./1./b./) sowie nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (B./2./ und I./B./3).
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen diesen Beschluss richten sich die Grundrechtsbeschwerden der beiden Angeklagten, denen keine Berechtigung zukommt.
[5] Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren kann die Begründung des dringenden Tatverdachts in sinngemäßer Anwendung des § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO angefochten werden (RIS‑Justiz RS0110146). Die Verletzung eines Beweisverwertungsverbots kann unter dem Aspekt der Z 5 vierter Fall StPO geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0110146 [T25]). Die rechtliche Beurteilung, welche strafbaren Handlungen durch die als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen begründet werden, unterliegt der Prüfung nach den Kriterien der Z 9 und 10 des § 281 Abs 1 StPO.
Zu den Beschwerden, insoweit beide das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots behaupten:
[6] Soweit beide Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf einen Teil der – im Grundrechtsbeschwerdeverfahren entwickelten – Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0135215; siehe aber RIS-Justiz RS0119110 [T10, T11] sowie 14 Os 14/24a Rz 12, 19 ff [Anom] und Rz 28 ff, 36 [Sky-ECC]; kritisch auch Figl, Unterrichtung nach § 55d Abs 7 EU-JZG und Beweisverwendungsverbot, ÖJZ 2025/27; zur restriktiven Annahme von Beweisverwertungsverboten Kirchbacher/Sadoghi, WK-StPO § 246 Rz 60, 102; vgl unter Hinweis auf grundrechtliche Gewährleistungspflichten Österreichs zu effizienter Strafverfolgung jüngst 13 Os 46/25a Rz 19) einwenden, das Beschwerdegericht habe die Annahmen zum dringenden Tatverdacht auf Verfahrensergebnisse, konkret SKY‑ECC‑ bzw betreffend L* auch ANOM‑Chats gestützt, die einem innerstaatlichen Beweisverwertungsverbot (§ 55d Abs 7 EU‑JZG) unterliegen würden, verfehlen sie die Ausrichtung am Prozessrecht.
[7] Zur in Rede stehenden Kommunikation mittels der Verschlüsselungstechnologie SKY‑ECC ist auf die dazu ergangenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (insb 11 Os 147/24p Rz 18, 14 Os 11/25m Rz 10 und 12, 14 Os 14/24a Rz 28 ff und 15 Os 129/24w Rz 4 ff; RIS‑Justiz RS0119110 [T11]) zu verweisen.
[8] Insoweit sei hervorgehoben, dass sich der Oberste Gerichtshof mit dem Einwand eines die Auswertung von SKY‑ECC‑Chats betreffenden Beweisverwertungsverbots bereits mehrfach inhaltlich auseinandergesetzt und dabei die Durchführung einer nach österreichischem Strafverfahrensrecht unzulässigen Überwachungsmaßnahme durch ausländische Ermittlungsbehörden (in Österreich) auf der Basis der dort wiedergegebenen Sachverhaltsannahmen (insbesondere zum technischen Ablauf) ausdrücklich verneint hat (zuletzt 11 Os 147/24p Rz 16 ff auch unter Berücksichtigung des Vorbringens hier, wonach von einem in Frankreich zwischengeschalteten MITM-Server an in Österreich befindliche Endgeräte [Mobiltelefone] versandte „Push-Nachrichten“ als solche eine Überwachung von verschlüsselten Nachrichteninhalten beim Senden, Übermitteln oder Empfangen durch deren Ausleitung an die Strafverfolgungsbehörden vor der Verschlüsselung oder nach der Entschlüsselung ermöglicht hätten).
[9] Weil die Sachverhaltsgrundlage des hier bekämpften Beschlusses in Ansehung der (technischen) Funktionsweise von SKY-ECC nicht davon abweicht (BS 7), stellen die Beschwerdeführer, soweit sie auf Basis eigenständiger Überlegungen aus den im Akt befindlichen Unterlagen und aus Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs zur Aufhebung von § 134 Z 3a und § 135a StPO idF BGBl I 2018/27 ableiten, die verschlüsselte Kommunikation sei unter Einsatz eines in Österreich nicht zulässigen „Bundestrojaners“ überwacht und die Staatsanwaltschaft Wien hierüber „unterrichtet“ worden, die (hier: prozessualen) Sachverhaltsgrundlagen des Beschwerdegerichts zur Frage der Verwertbarkeit der Chat-Inhalte nicht nach Maßgabe der Kriterien des § 281 Abs 1 Z 5 oder 5a StPO in Frage:
[10] Indem der Angeklagte L* einzelne Schriftstücke der französischen Strafverfolgungsbehörden, forensische Berichte und die „technische Expertise“ eines Privatexperten als vom Beschwerdegericht übergangen reklamiert (Z 5 zweiter Fall), unterlässt er die gebotene deutliche und bestimmte Bezeichnung jener konkreten Verfahrensergebnisse, die den von ihm daraus eigenständig abgeleiteten Sachverhalt indizierten und demnach unter dem Aspekt eines Beweisverwertungsverbots erörterungsbedürftig gewesen wären.
[11] Soweit dieser Angeklagte vorbringt, das Oberlandesgericht habe sich mit seinen Ausführungen nicht auseinandergesetzt und er in deren Würdigung als „tatsachenwidrig“ (BS 7) eine Scheinbegründung erblickt, übergeht er den – zulässigen (RIS‑Justiz RS0124017 [T4]) – Verweis des Beschwerdegerichts auf dessen früheren Beschluss im gegenständlichen Verfahren (AZ 17 Bs 46/15a; ON 172.1).
[12] Mit dem Einwand, das Oberlandesgericht habe seine Entscheidung „nicht aus dem Aktenstamm begründet“, macht die Grundrechtsbeschwerde des L* kein Fehlzitat im Sinn der Z 5 fünfter Fall geltend (RIS‑Justiz RS0099431 [T1]). Außerhalb des Verfahrensrechts liegt auch das Bemühen seiner Beschwerde, aus Aktenbestandteilen anhand eigener Beweiswerterwägungen für ihn günstigere Schlüsse abzuleiten.
[13] Die von D* geltend gemachten Beschwerdepunkte beziehen sich ausdrücklich nur auf die (dislozierte) Feststellung des Oberlandesgerichts, wonach von den ausländischen Behörden auf den Handys der Angeklagten kein Programm („Trojaner“) installiert worden ist, bezüglich der SKY‑ECC‑Chats der „private“ Schlüssel durch Zusenden einer Push‑Nachricht erlangt wurde und so – ohne Installierung eines Programms oder ähnliches auf den Handys – die Nachrichten entschlüsselt und damit lesbar gemacht wurden (BS 7).
[14] Die Behauptung des D*, hiefür „liefere der gesamte Akt keine Ergebnisse und Unterlagen“ legt keine Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) im Sinn mangelnder Eindeutigkeit dar (RIS‑Justiz RS0117995). Soweit unter den Aspekten der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall; RIS‑Justiz RS0098646), des Widerspruchs (Z 5 dritter Fall; RIS‑Justiz RS0119089) und der offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall; RIS‑Justiz RS0099413) eigene spekulative Überlegungen zu einer aktenkundigen Unterlage, in der von der „toolbox“ sowie „Push-Nachricht“ als „Software“ bzw „Programm“ die Rede ist und zu Passagen aus dem „Befund“ eines Privatexperten angestellt werden, um auf dieser Basis die vom Beschwerdegericht gezogenen Schlüsse zu kritisieren, erschöpft sich das Vorbringen in bloßer Beweiswürdigungskritik, ohne einen formellen Begründungsmangel aufzuzeigen.
[15] Mit dem Einwand, die Festellungen würden sich nicht aus dem Akt ergeben, macht die Grundrechtsbeschwerde des D* kein Fehlzitat im Sinn der Z 5 fünfter Fall geltend (neuerlich RIS‑Justiz RS0099431 [T1]).
[16] Mit dem vorgelegten Privatgutachten musste sich das Beschwerdegericht – entgegen den entsprechenden Vorbringen – nicht auseinandersetzen (RIS‑Justiz RS0097292 [T13]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 351).
[17] Die von beiden Beschwerdeführern entwickelte Hypothese zum technischen Ablauf der Überwachungsmaßnahmen der ausländischen Behörden (insbesondere zur Installation eines Programms zur Entschlüsselung) sind auch nicht geeignet, erhebliche Bedenken an den Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht (im Sinn der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO) zu wecken (vgl RIS‑Justiz RS0118780).
[18] Weshalb im Fall der Bewilligung der Ermittlungsmaßnahme des Federal bureau of investigation (FBI) nicht durch ein außerhalb der USA befindliches Drittland, sondern durch „einen Mitgliedstaat der Europäischen Union“ zur Frage eines Beweisverwertungsverbots „die zu § 55d Abs 7 EU-JZG skizzierten Voraussetzungen“ auch in Ansehung des Krypto‑Messengerdienstes ANOM (siehe dazu RIS‑Justiz RS0119110 [T10]) vorliegen würden und warum dem Beschwerdegericht insoweit ein Fehler unterlaufen sei, lässt die Grundrechtsbeschwerde des L* offen (13 Os 46/25a Rz 16).
Zur übrigen Beschwerde des L*:
[19] Dem Vorbringen (nominell Z 9 lit a) zuwider hat das Beschwerdegericht im Rahmen der von ihm reformatorisch zu treffenden Haftentscheidung (RIS‑Justiz RS0116421, RS0120817) die Verdachtsannahmen zum objektiven Tatgeschehen durchaus selbst zum Ausdruck gebracht (BS 3 f). Die die Ableitung der subjektiven Tatseite aus dem äußeren Tatgeschehen darstellende Beschlusspassage (BS 6) bringt auch deren Konstatierung (noch) deutlich genug (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) zum Ausdruck.
[20] Im Übrigen wäre das Beschwerdegericht durchaus berechtigt, sich die entscheidenden Verdachtsannahmen durch wörtliche Übernahme des Tenors der Anklageschrift oder durch – hinreichend deutlichen – Verweis auf in dieser Strafsache früher ergangene Entscheidungen zu eigen zu machen (neuerlich RS0124017 [T4]).
[21] Soweit die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts als jener des Obersten Gerichtshofs entgegenstehend kritisiert wird (nominell Z 9 lit b), entfernt sich die Beschwerde – in Fehlinterpretation – von den Verdachtsannahmen im bekämpften Beschluss (BS 7).
[22] Willkür (RIS‑Justiz RS0117806, RS0118185 [T5]) bei der rechtlichen Annahme der herangezogenen Haftgründe der Flucht‑ und Tatbegehungsgefahr zeigt die Beschwerde, die den gerichtlichen Erwägungen (vgl US 7 f) bloß eigene Schlüsse aus dem längeren Zurückliegen des Tatzeitraums und der aktuellen Lebenssituation des Angeklagten entgegenhält, nicht auf.
Zur übrigen Beschwerde des D*:
[23] Mit der Behauptung einer durch „die Verwertung und Verwendung der SKY‑ECC‑Chats durch das OLG Wien“ erfolgten Verletzung (auch) des Grundrechts auf ein faires Verfahren (Art 6 MRK) und des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens (Art 8 Abs 1 MRK) wird keine Garantie des Grundrechts auf persönliche Freiheit (Art 5 MRK) oder eine der über Art 5 Abs 2 bis 5 MRK angesprochenen Garantien des Art 6 Abs 1 MRK thematisiert und solcherart der Anfechtungsrahmen einer Grundrechtsbeschwerde verlassen (jüngst 11 Os 147/24p Rz 24, 13 Os 46/25a Rz 6 jeweils mwN).
[24] Zur Anregung einer Antragstellung im Sinn des Art 89 Abs 2 B‑VG genügt der Hinweis, dass der Gesetzgeber mit der seit 1. Jänner 2015 geltenden Rechtslage (Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG idF BGBl I 2013/114 iVm § 62a VfGG idF BGBl I 2014/92) ein subjektives Recht auf Normanfechtung durch die Strafgerichte ausdrücklich verneint hat (RIS‑Justiz RS0130514). Auch amtswegiges Vorgehen (Art 89 Abs 2 B‑VG) ist auf Basis der vom Beschwerdeführer angestellten Überlegungen nicht indiziert.
[25] Die Grundrechtsbeschwerden waren daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
[26] Mit Blick auf § 10 GRBG iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bleibt anzumerken, dass das jeweilige Defizit an einer Sachverhaltsgrundlage für die Annahme der Qualifikation der Tatbegehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung nach § 28a Abs 2 Z 2 SMG fallbezogen keine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit bewirkt (siehe dazu 11 Os 85/24w Rz 17, 19 f), weil der hafttragende Verdacht der Tatbestandsverwirklichung in Bezug auf eine „übergroße Menge“ (§ 28a Abs 4 Z 3 SMG) jeweils entsprechend festgestellt wurde (siehe insb BS 6).
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