OGH 13Os46/25a

OGH13Os46/25a30.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. April 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl in Gegenwart der Schriftführerin Rechtspraktikantin Boyer LL.M. (WU), LL.M. in der Strafsache gegen * R* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen,AZ 702 St 12/22z der Staatsanwaltschaft Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten * R* gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom26. März 2025, AZ 19 Bs 74/25h, (ON 376.3) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0130OS00046.25A.0430.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Grundrechte

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

* R* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

 

Gründe:

[1] Das Landesgericht für Strafsachen Wien verhängte mit Beschluss vom 9. November 2024, AZ 333 HR 165/24w, (ON 314) über * R* die Untersuchungshaft, die es danach mehrfach, zuletzt am 13. März 2025 aus den Haftgründen der Flucht- und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO, fortsetzte (ON 372).

[2] Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde des * R* nicht Folge und setzte die über diesen verhängte Untersuchungshaft aus denselben Haftgründen fort (ON 376.3).

[3] Dabei ging es von einer dringenden Verdachtslage aus, * R* habe – durch im Beschluss beschriebene Handlungen – als Mitglied einer kriminellen Vereinigung

A) vom 30. März 2021 bis zum 28. Mai 2021 zur vorschriftswidrigen Ausfuhr von Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge aus den Niederlanden und anderen Ländern sowie zur anschließenden Einfuhr des Suchtgifts nach Österreich beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB),

B) vom 28. Juni 2019 bis zum 7. Juni 2021 in Wien und andernorts vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen und verschafft,

C) zur vorschriftswidrigen Erzeugung von Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge durch andere beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB), indem er im Jahr 2021 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit anderen in zumindest vier in Österreich befindliche Cannabisplantagen investierte und dadurch auch

D) zur vorschriftswidrigen Überlassung oder Verschaffung von Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge und

E) zum vorschriftswidrigen Anbau von Cannabispflanzen zum Zweck der Gewinnung von Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass dieses in Verkehr gesetzt werde, beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB).

[4] Diese Handlungen subsumierte das Oberlandesgericht Wien den Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (A), nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (B und D) und nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (C) sowie dem Verbrechen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Satz, Abs 2 und 3 SMG (E).

Rechtliche Beurteilung

[5] Gegen diesen Beschluss richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten.

[6] Mit der Behauptung einer Verletzung der Grundrechte auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 MRK) und auf Achtung des Privatlebens (Art 8 MRK) wird keine Garantie des Grundrechts auf persönliche Freiheit (Art 5 MRK) oder eine der über Art 5 Abs 2 bis 5 MRK angesprochenen Garantien des Art 6 Abs 1 MRK thematisiert und solcherart der Anfechtungsrahmen einer Grundrechtsbeschwerde verlassen (jüngst 11 Os 147/24p [Rz 24] und 14 Os 11/25m [Rz 8]; Kirchbacher/Rami, WK‑StPO Vor §§ 170–189 Rz 1 f).

[7] Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung des § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO angefochten werden (RIS‑Justiz RS0110146). Die Verletzung eines Beweisverwertungsverbots kann unter dem Aspekt der Z 5 vierter Fall StPO geltend gemacht werden (vgl 11 Os 147/24p [Rz 15], 14 Os 107/24b [Rz 5] und 11 Os 129/24s [Rz 6]).

[8] Zur in Rede stehenden Kommunikation mittels der Verschlüsselungstechnologie SKY-ECC ist auf die dazu jüngst ergangenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (insbesondere 11 Os 147/24p [Rz 18], 14 Os 11/25m [Rz 10 und 12], 14 Os 14/24a [Rz 28 ff] und 15 Os 129/24w [Rz 4 ff], RIS‑Justiz RS0119110 [T11]) zu verweisen.

[9] Insoweit sei hervorgehoben, dass sich der Oberste Gerichtshof mit genau den von der Grundrechtsbeschwerde angesprochenen Aktenbestandteilen des Verfahrens AZ 72 Hv 95/24b des Landesgerichts für Strafsachen Wien (insbesondere ON 140, die nach dem Beschwerdevorbringen in beglaubigter Übersetzung auch im gegenständlichen Verfahren vorgelegt und zum Akt genommen worden seien [ON 359.2]) und dem diesbezüglichen Einwand eines die Auswertung von SKY‑ECC Chats betreffenden Beweisverbots (anlässlich der Abweisung einer in diesem Verfahren von einem anderen erhobenen Grundrechtsbeschwerde) inhaltlich auseinandergesetzt und dabei die Durchführung einer nach österreichischem Strafverfahrensrecht unzulässigen Überwachungsmaßnahme durch ausländische Ermittlungsbehörden (in Österreich) auf der Basis der dort wiedergegebenen Sachverhaltsannahmen ausdrücklich verneint hat (11 Os 147/24p [insbesondere Rz 16 ff]).

[10] Die Behauptung, das Beschwerdegericht habe sich bei seinen Sachverhaltsannahmen in Bezug auf die Nichtinstallation eines „Bundestrojaners“ und der Verwertbarkeit der aus dem Krypto-Messenger-Dienst SKY‑ECC nicht mit dem Akteninhalt befasst, trifft nicht zu (BS 25 iVm ON 372, 22 f).

Darüber hinaus sei erwidert:

[11] Mit dem vorgelegten Privatgutachten musste sich das Beschwerdegericht nicht auseinandersetzen (RIS‑Justiz RS0097292 [insb T5 und T13]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351).

[12] Mit spekulativen Überlegungen zu aktenkundigen Unterlagen wird kein Verfahrensergebnis aufgezeigt, das den Sachverhaltsannahmen des angefochtenen Beschlusses erörterungsbedürftig entgegenstünde.

[13] ON 359.2 ließ das Beschwerdegericht nicht unberücksichtigt (BS 25 iVm ON 372, 19 ff).

[14] Mit dem Einwand, „diese Feststellungen ergeben sich nicht aus dem Akt, vielmehr widersprechen sie dem Inhalt des Aktes“, macht die Grundrechtsbeschwerde kein Fehlzitat im Sinn der Z 5 fünfter Fall (dazu RIS‑Justiz RS0099431 [T1]) geltend. Gleiches gilt für das Bemühen der Beschwerde, aus einem Aktenbestandteil anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Beschuldigten günstigere Schlüsse abzuleiten.

[15] Weshalb die Staatsanwaltschaft Wien im Fall der Bewilligung der Ermittlungsmaßnahme des Federal Bureau of Investigation (FBI) nicht durch ein außerhalb der USA befindliches Drittland, sondern durch „einen Mitgliedstaat der Europäischen Union“ verpflichtet gewesen wäre, die französischen Behörden aufzufordern, die aus dem Krypto‑Messenger‑Dienst ANOM (dazu RIS‑Justiz RS0119110 [T10]) sichergestellten Daten zu löschen, und warum dem Beschwerdegericht insoweit ein Fehler unterlaufen sei, lässt die Grundrechtsbeschwerde im Dunkeln.

[16] Ebenso wenig erklärt sie, weshalb die übermittelten ANOM-Dateninhalte in dem von der Beschwerde angeführten Fall unter das Regime des EU-JZG fallen sollten.

[17] Die weitwendigen Ausführungen zu den Bestimmungen des § 55 EU-JZG iVm § 55a EU-JZG orientieren sich nicht an den Feststellungen des Beschwerdegerichts, wonach die ausländischen Ermittlungsmaßnahmen weder durch Veranlassung österreichischer Strafverfolgungsorgane noch unter deren Beteiligung erfolgten (BS 25 iVm ON 372, 31).

[18] Eine Möglichkeit der effektiven Unterbindung von im Ausland gesetzten Überwachungsmaßnahmen sieht im Übrigen weder das ARHG noch der Vertrag zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen (BGBl III 1998/107) vor.

[19] Eine allfällige Verletzung der Verständigungspflicht nach Art 31 Abs 1 RL-EEA nähme den österreichischen Behörden im Übrigen zwar die Möglichkeit, Überwachungsmaßnahmen auf österreichischem Hoheitsgebiet zu unterbinden (vgl § 55d Abs 7 EU-JZG). Ein Verbot der Verwendung dadurch erlangter Beweismittel im gegenständlichen Strafverfahren hätte daraus jedoch bei Gesamtbetrachtung der Feststellungen zur derzeit bestehenden dringenden Verdachtslage und unter Berücksichtigung, dass der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit auch die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege umfasst, nicht abgeleitet werden können (14 Os 14/24a). Die dringende Verdachtslage weist nämlich in die Richtung schwerster Kriminalität im Bereich des international agierenden Drogenhandels, deren Aufklärung großes öffentliches Interesse zukommt, aber ohne Verwendung von Beweisergebnissen wie den vorliegenden wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre.

[20] Zur Anregung einer Antragstellung im Sinn des Art 89 Abs 2 B‑VG genügt der Hinweis, dass der Gesetzgeber mit der seit 1. Jänner 2015 geltenden Rechtslage (Art 140 Abs 1 lit d B‑VG idF BGBl I 2013/114 iVm § 62a VfGG idF BGBl I 2014/92) ein subjektives Recht auf Normanfechtung durch die Strafgerichte ausdrücklich verneint hat (RIS‑Justiz RS0130514).

[21] Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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