OGH 15Os129/24w

OGH15Os129/24w22.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Jänner 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Sadoghi sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Prieth in der Strafsache gegen * M* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16. Juli 2024, GZ 71 Hv 107/23h‑323, nach Anhörungder Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0150OS00129.24W.0122.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Suchtgiftdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * M* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB (I/), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 2 Z 2 SMG, § 12 dritter Fall StGB (II/) und des Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1 Z 2, Abs 4 erster und zweiter Fall StGB (III/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – zusammengefasst – von Ende 2019 bis Sommer 2021 in W* und an anderen Orten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (§ 278 StGB), die als ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, bestehend aus ihm selbst, mehreren namentlich bezeichneten und weiteren Personen, darauf ausgerichtet war, dass von ihren Mitgliedern fortgesetzt Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz und der Geldwäscherei begangen werden,

I/ in einer größeren Zahl von im Urteil näher beschriebenen Angriffen vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) um ein Vielfaches übersteigenden Menge – Kokain mit dem Wirkstoff Cocain (US 3 ff – I/A/) sowie Marihuana und Cannabisharz mit den Wirkstoffen THCA und Delta‑9‑THC (US 25 ff – I/B/) – anderen Personen überlassen oder andere zur Überlassung solcher Suchtgifte bestimmt (§ 12 zweiter Fall StGB), indem er selbst das Suchtgift an Käufer und weitere Mitglieder der kriminellen Vereinigung übergab oder die Suchtgiftübergaben organisierte und andere Mitglieder der kriminellen Vereinigung mit der Durchführung der Übergabe beauftragte,

II/ von 23. November 2020 bis 7. Juli 2021 vorschriftswidrig (US 72) zur Erzeugung einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge Suchtgift – 6.860,70 Gramm Marihuana (Wirkstoffmengen: 276,26 Gramm THCA und 21,03 Gramm Delta-9-THC) – durch einen namentlich genannten und weitere unbekannte Täter beigetragen (§ 12 dritter Fall SMG), indem er das geeignete Equipment für Anbau und Aufzucht sowie das Haus, in welchem die Plantage eingerichtet wurde, mitorganisierte und eine andere Person damit beauftragte, 760 Marihuana-Setzlinge für diesen Zweck zu kaufen sowie beim Verpacken des erzeugten Suchtgifts zu unterstützen,

III/ die wahre Natur, Herkunft, Lage, Verfügung oder Bewegung von Vermögensbestandteilen mit einem 50.000 Euro übersteigenden Wert, die aus kriminellen Tätigkeiten (Verbrechen nach dem SMG) herrührten, verheimlicht oder verschleiert, indem er einer anderen Person in zehn bis zwölf Angriffen jeweils 5.000 Euro bis 10.000 Euro (insgesamt 70.000 Euro) Bargeld, das aufgrund des Suchtgifthandels in Österreich erlangt worden war, selbst übergab oder diese Person dazu bestimmte (§ 12 zweiter Fall StGB), diese Vermögensbestandteile einer weiteren Person zu übergeben, die das Bargeld anschließend im Auftrag von M* undeklariert nach Serbien transportierte und in B* an weitere unbekannte Mitglieder der kriminellen Vereinigung übergab.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 2, 3 und 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die nicht berechtigt ist.

[4] Voranzustellen ist, dass in der Hauptverhandlung Aufzeichnungen von Kommunikationen über Sky‑ECC und Anom verlesen wurden. Diese Beweismittel stammen aus eigenständigen Ermittlungsmaßnahmen ausländischer Strafverfolgungsbehörden. Die österreichischen Strafverfolgungsbehörden beschafften sich diese bereits existierenden Beweismittel durch Europäische Ermittlungsanordnungen (EEA) von den französischen (Sky‑ECC) und durch Rechtshilfeersuchen von den amerikanischen (Anom) Strafverfolgungsbehörden.

[5] Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf „Beischaffung der rechtlichen Grundlagen der ANOM und Sky-ECC Überwachungen, die in den jeweiligen Ursprungsländern ergangen sind, und zwar vom Bundesministerium für Inneres, ARGE 'ACHILLES'“. Zur Begründung wurde vorgebracht, dass in den Akten bislang keine rechtliche Grundlage für diese Überwachungen ersichtlich sei. Wäre diese nicht mit einer richterlichen Genehmigung vergleichbar, käme dies dem „Nichtigkeitsgrund“ nach § 140 Abs 1 Z 2 StPO gleich.

[6] Dieser Antrag (erst in der Rechtsmittelausführung nachgetragenes Vorbringen ist unbeachtlich; vgl RIS-Justiz RS0099618 [insb T17, T18]) behauptete nicht einmal, dass die genannten Beweisaufnahmen tatsächlich ohne richterliche Genehmigungen durchgeführt wurden, sondern zielte auf die Klärung der Frage ab, ob dies der Fall gewesen sein könnte. Somit war er – im Stadium der Hauptverhandlung unzulässig – auf Erkundungsbeweisführung gerichtet (vgl RIS-Justiz RS0099353; 15 Os 13/23k [Rz 31]).

[7] Darüber hinaus kritisiert der Beschwerdeführer die Abweisung des Antrags, „die Originaldaten sowohl der Sky-ECC als auch der Anom-Kommunikationsüberwachungen beizuschaffen und dem Angeklagten zur Verfügung zu stellen, damit er zu diesen sachgerecht Stellung nehmen kann“. Ohne diese Daten könne er weder den Umfang noch die konkreten Ergebnisse der Überwachung kennen und auch nicht überprüfen, ob die im Akt erliegenden Auswertungen mit den Originaldaten übereinstimmen.

[8] Dieser Antrag legte jedoch nicht dar, welche von den vorliegenden Chatverschriftlichungen abweichenden „Originaldaten“ existieren sollten. Damit war auch er auf Erkundungsbeweisführung in Form einer unspezifischen Überprüfung der Integrität der vorliegenden Beweismittel gerichtet (vgl RIS‑Justiz RS0118123 [insb T5, T6]).

[9] Daran ändert der Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 30. April 2024, C‑670/22 (Rz 130 f), wonach per EEA beschaffte Beweismittel nicht zu berücksichtigen sind, wenn der Angeklagte nicht in der Lage ist, dazu „sachgerecht Stellung zu nehmen“, nichts. Denn eine aus dem Unionsrecht (insb aus der Richtlinie 2014/41 ) resultierende Verpflichtung der Gerichte des Anordnungsstaats, auf unspezifische Prüfungen der Integrität der vom Vollstreckungsstaat übermittelten Beweismittel abzielenden Erkundungsbeweisanträge stattzugeben, obwohl die nationale Strafprozessordnung dies nicht vorsieht, ist diesem Urteil nicht zu entnehmen (zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit der nationalen Strafprozessordnungen für die Beurteilung der Zulässigkeit der Beschaffung und Verwendung solcher Beweismittel vgl Rz 88, 90 f, 92, 103, 128 ff des genannten Urteils).

[10] Ferner rügt der Nichtigkeitswerber die Verlesung dieser Beweismittel trotz seines Widerspruchs (Z 2, 3 und 4).

[11] Da die Ermittlungsmaßnahmen nicht über Initiative der österreichischen Strafverfolgungsbehörden durchgeführt wurden, handelt es sich auch nicht um die Verwendungsbeschränkungen des § 140 Abs 1 StPO unterliegende „Ergebnisse (§ 134 Z 5)“ einer „Ermittlungsmaßnahme nach § 135 StPO“ und Nichtigkeit aus Z 2 oder 3 scheidet aus (zur mittlerweile gefestigten Rsp vgl 14 Os 106/22b [Rz 8]; 15 Os 101/23a [Rz 9]; 11 Os 85/24w [Rz 12]; 14 Os 100/24y [Rz 5]).

[12] Unter dem Aspekt der Z 4 steht die Verletzung eines Beweiserhebungsverbots im Ermittlungsverfahren oder die Gewinnung von Beweisen ohne (innerstaatliche) gesetzliche Grundlage (vgl § 5 Abs 1 erster Satz StPO) einer Vorführung derartiger Beweise in der Hauptverhandlung so lange nicht entgegen, als nicht gerade in der Vorführung selbst eine Grundrechtsverletzung zu erblicken wäre (vgl RIS‑Justiz RS0124162, RS0125172; 14 Os 14/24a [Rz 10]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 65, 368).

[13] Letzteres könnte etwa angenommen werden, wenn (soweit hier von Bedeutung) die Beweisaufnahme im Ausland so gravierend gegen Menschenrechte oder sonstige fundamentale Verfahrensgrundsätze verstieß, dass es selbst für den die Aufnahme nicht veranlassenden Empfängerstaat einer Distanzierung durch die Nichtverwendung solcherart aufgenommener Beweise bedürfte (zB bei Verstößen gegen das Folterverbot nach Art 3 MRK; vgl 14 Os 14/24a [Rz 11 f]; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 71).

[14] Mit seinem Vorbringen, wonach im Ausland ermittelte Beweise im Strafverfahren vor österreichischen Gerichten nur verwendet werden könnten, wenn der Nachweis erbracht sei, dass die ausländischen Ermittlungsmethoden, „insbesondere was die Vorschriften zum Schutz des Betroffenen vor unzulässigen Ermittlungsmaßnahmen betrifft, zumindest mit den inländischen Vorschriften für derartige Ermittlungsmaßnahmen gleichwertig“ seien, zeigt der Beschwerdeführer jedoch keine Umstände auf, die die Verwendung der hier in Rede stehenden Beweismittel zur Aufklärung überaus schwerwiegender Suchtgiftdelinquenz unter den bezeichneten Aspekten des Grundrechtsschutzes und fundamentaler Verfahrensgrundsätze unfair erscheinen ließen (erneut 14 Os 14/24a [Rz 10 ff]; vgl auch Michel-Kwapinski, WK-StPO § 166 Rz 4, 6; Kirchbacher/Sadoghi, WK-StPO § 246 Rz 99 f; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 337).

[15] Soweit sich der Beschwerdeführer auch in diesem Kontext auf das genannte Urteil des EuGH stützt, macht er nicht klar, warum es ihm nicht möglich gewesen sein sollte, zu den mittels EEA beschafften Beweismitteln „sachgerecht Stellung zu nehmen“. Denn diese Beweismittel waren im Rahmen der Akteneinsicht zugänglich und wurden in der Hauptverhandlung in seiner und in der Anwesenheit seines Verteidigers verlesen. Ferner wurde er dazu befragt und erhielt mehrfach Gelegenheit, Erklärungen dazu abzugeben (vgl auch 14 Os 14/24a [Rz 41]).

[16] Weiters wendet sich die Verfahrensrüge (Z 4) gegen die auf Undurchführbarkeit gestützte Abweisung des Antrags, namentlich genannte Zeugen zu vernehmen, von denen auszugehen sei, dass sie angeben würden, die vorgeworfenen Straftaten nicht gemeinsam mit dem Beschwerdeführer begangen zu haben (ON 246 S 17; ON 293 S 2).

[17] Soweit sich der Antrag auf * A* – einschließlich dessen Vernehmung im Weg der Rechtshilfe mit der Republik Serbien (ON 308a S 3 f) – bezog, ist der Nichtigkeitswerber darauf zu verweisen, dass das Protokoll über die Vernehmung des Genannten als Beschuldigter nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO verlesen wurde (ON 322 S 5). Da dieses Beweismittel solcherart ohnedies (aus Z 3 unbeanstandet) in der Hauptverhandlung vorkam, wäre im Antrag darzulegen gewesen, warum bei einer neuerlichen Vernehmung von der bisherigen Aussage abweichende, für eine entscheidende Tatsache erhebliche Angaben dieses Zeugen zu erwarten gewesen wären. Dies unterblieb jedoch, weshalb insoweit abermals unzulässig auf Erkundungsbeweisführung abgezielt wurde (vgl RIS-Justiz RS0117928 [T6]).

[18] In Ansehung der übrigen beantragten Zeugen leitete das Schöffengericht die angenommene Undurchführbarkeit aus bislang erfolglosen (zum Teil sogar internationalen) Fahndungsmaßnahmen, dokumentierten Fluchten und unbekannten Aufenthalten ab (ON 322 S 5).

[19] Die darauf bezogene Verfahrensrüge schlägt fehl, weil die in der Hauptverhandlung gestellten Anträge des Beschwerdeführers entgegen § 55 Abs 1 zweiter Satz StPO keine Informationen enthielten, die für die Durchführung der beantragten Beweisaufnahmen erforderlich gewesen wären (etwa Hinweise zur Erreichbarkeit der genannten Zeugen; vgl Schmoller, WK-StPO § 55 Rz 61). Auch wird mit der Behauptung, längere Fahndung bedeute nicht Undurchführbarkeit der beantragten Zeugenbeweise, kein Mangel im Sinn der Z 5 oder 5a der von den Tatrichtern angenommenen, zur Abweisung der Anträge führenden Sachverhaltsgrundlage aufgezeigt (vgl RIS-Justiz RS0118977, RS0099478 [T5]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 46).

[20] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[21] Bleibt klarstellend anzumerken, dass nach den maßgeblichen Feststellungen (US 70 f, 78 f) die Tatbegehung zu I/ und II/ jeweils in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl RIS-Justiz RS0112225) erfolgte, weshalb es zu I/ auch nicht des Freispruchs von einzelnen Akten bedurft hätte (vgl RIS-Justiz RS0115553 [T14]). Insoweit kann hier auch dahinstehen, dass von dem zu I/B/11/l/ referierten Tatgeschehen (US 31: Überlassung von 500 Gramm Marihuana am 1. März 2021) gleichzeitig nach § 259 Z 2 StPO freigesprochen wurde (US 37, 81).

[22] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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