European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0010OB00131.25H.1111.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Konsumentenschutz und Produkthaftung, Unionsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
I. Das Verfahren über die Revision der beklagten Partei wird fortgesetzt.
II. Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 602,54 EUR (darin enthalten 100,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb am 10. 9. 2013 einen von der Beklagten hergestellten Opel Zafira Tourer Sport 2,0 CDTI mit einem Dieselmotor der Abgasklasse Euro 5 um 41.330 EUR.
[2] Bei der Beklagten ist ein „Compliance-Board“ mit Teilnehmern aus dem „Emissionsfachbereich“, der Rechtsabteilung und der Typgenehmigungsabteilung eingerichtet. In diesem Kollegium wurden jeweils die Emissionsstrategien besprochen und genehmigt. Auf diese Weise wollte die Beklagte sicherstellen, dass sie die für die Typgenehmigung geltenden Normen mit ihren Abgasstrategien einhält. Ihre Typgenehmigungsabteilung war im Austausch mit externen technischen Prüfdiensten, mit denen auch Fragen und Interpretationen von maßgeblichen Rechtstexten besprochen wurden. Ihr „Compliance-Board“ genehmigte die im Fahrzeug verbaute Abgasstrategie. Zuvor hatten auch die externen Prüfstellen keine Bedenken an der Zulässigkeit des Emissionssystems geäußert, wobei diese externen Prüfstellen jedoch ebenso wenig wie das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) alle internen Unterlagen der Beklagten vom Emissionssystem zur Verfügung gehabt hatten. Von diesen externen Prüfstellen wurden auch keine Prüfungen hinsichtlich des Systems der Abgasrückführung (AGR) bei unterschiedlichen Temperaturen vorgenommen. Entsprechend dem damaligen allgemeinen Verständnis der Motorenindustrie wurden die maßgeblichen Bestimmungen betreffend Abschalteinrichtungen vom „Compliance-Board“ so ausgelegt, dass unter normalen Betriebsbedingungen die beim Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) vorgeschriebenen zu verstehen sind. Aufgrund von Versottungsproblemen betreffend AGR‑Ventil und AGR‑Kühler bei sehr hohen oder sehr niedrigen Temperaturen hielt auch das „Compliance-Board“ die im Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtungen (Thermofenster, Höhenkorrektur, Korrektur über Motordrehzahl) zur Vermeidung von Ausfällen des AGR‑Systems für zulässig.
[3] Im Fahrzeug ist eine temperaturabhängige AGR – ein sogenanntes „Thermofenster“ – implementiert. Diese „rampt“ unterhalb einer Umgebungslufttemperatur von „+15 Grad bzw +17 Grad“ Celsius „aus“, unterhalb von ‑10 Grad Celsius und oberhalb von +40 Grad Celsius Umgebungslufttemperatur wird die AGR gänzlich unterbunden. Das Fahrzeug enthält auch eine sogenannte Höhenabschaltung. Die AGR wird oberhalb von 900 Höhenmetern bzw einem Luftdruck von 91 kPa gänzlich deaktiviert. Zudem wird bei einer Motordrehzahl oberhalb von 3.200 UpM die AGR reduziert und bei 3.300 UpM gänzlich ausgeschaltet. Ein Drehzahlbereich zwischen 2.000 und 4.000 UpM ist bei einem Dieselmotor normal.
[4] Der Kläger ging beim Kauf davon aus, dass das Fahrzeug die relevanten Abgasnormen einhält. Hätte er gewusst, dass dies nicht der Fall ist, hätte er das Fahrzeug nicht gekauft.
[5] Der Kläger begehrte von der Beklagten zuletzt – gestützt auch auf Schutzgesetzverletzung – die Zahlung von 12.399 EUR sA (Minderwert von 30 % des Kaufpreises) wegen Einbaus unzulässiger Abschalteinrichtungen.
[6] Die Beklagte wandte ein, sie habe weder Manipulationen vorgenommen noch den Kläger oder das KBA als Typgenehmigungsbehörde arglistig getäuscht oder den Kläger sittenwidrig vorsätzlich geschädigt. Eine Offenlegung der Abgasstrategie gegenüber der Behörde sei (gesetzlich noch) nicht notwendig gewesen; sie habe „alle erforderlichen“ Angaben und Nachweise korrekt gemacht und erbracht. Das konkret verwendete parametergesteuerte Emissionskontrollsystem sei branchenüblich gewesen und von der beigezogenen externen Prüfstelle in Kenntnis der Funktionsweise des Systems akzeptiert worden. Auch das KBA habe das Fahrzeug trotz Überprüfungen des Motortyps nie beanstandet, es sei daher von einer „hypothetischen Genehmigung“ auszugehen. Ihr Verschulden sei ausgeschlossen.
[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 4.133 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 8.266 EUR sA ab.
[8] Das Fahrzeug verfüge über unzulässige Abschalteinrichtungen in Form von Thermofenster, Höhenabschaltung und Reduzierung der AGR ab einer Motordrehzahl von 3.200 UpM. Die Beklagte hafte infolge Schutzgesetzverletzung für den nach § 273 ZPO ausgemittelten Minderwert des Fahrzeugs von 10 % des Kaufpreises.
[9] Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien nicht Folge.
[10] Die Festsetzung der Höhe des Minderwerts im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO sei nicht zu beanstanden. Infolge des Thermofensters und der Höhenabschaltung liege eine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Bei Erwerb eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs bestehe das geringere rechtliche Interesse – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit. Dieser Schaden trete bereits durch den Kaufvertrag ein. Das Vorbringen der Beklagten enthalte keine Ausführungen zu konkreten und stichhaltigen Umständen, die ihr Verhalten nicht als fahrlässig erscheinen ließen. Es lasse sich nicht ausreichend erkennen, in Kenntnis welcher Fakten die zuständige Typgenehmigungsbehörde – allenfalls rechtswidrig – welche vorhandenen Einrichtungen gebilligt hätte und ob die Beklagte einem der Rechtsansicht der Behörde entsprechenden Rechtsirrtum unterlegen sei. Es stehe nicht fest, zu welchem Zeitpunkt und auf Basis welcher konkreter Informationen die Typgenehmigungsbehörde welchen Kenntnisstand gehabt habe und welche Rechtsansicht gegenüber der Beklagten geäußert habe. Daher sei vom Verschulden der Beklagten an der vorgeworfenen Schutzgesetzverletzung auszugehen.
[11] Die Revision ließ das Berufungsgericht mit der (zusammengefassten) Begründung zu, dass die Schadensberechnung zur Haftung eines Fahrzeugherstellers wegen Schutzgesetzverletzung einer Klärung bedürfe.
Rechtliche Beurteilung
[12] Gegen diese Entscheidung richtet sich (nach Zurückweisung der Revision des Klägers zu 1 Ob 136/24t) die – vom Kläger beantwortete – Revision der Beklagten, mit der sie die gänzliche Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.
[13] I. Mit Beschluss vom 25. 2. 2025, 1 Ob 136/24t, hat der Oberste Gerichtshof das Verfahren über die Revision der Beklagten bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom 27. 10. 2023 des Landgerichts Ravensburg (Deutschland), Rechtssache C-666/23 , unterbrochen. Mit Urteil vom 1. 8. 2025 hat der EuGH die Vorabentscheidung getroffen. Das Revisionsverfahren ist daher fortzusetzen.
[14] II. Die Revision der Beklagten ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[15] 1. Ein von der zweiten Instanz zugelassenes Rechtsmittel ist auch dann unzulässig, wenn die relevierte erhebliche Rechtsfrage in der Zwischenzeit vom Obersten Gerichtshof in anderen Verfahren beantwortet wurde (vgl RS0112921, RS0112769) oder wenn das Rechtsmittel nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (vgl RS0102059). Das ist hier der Fall. Die Begründung kann sich daher auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[16] 2. Die Revision der Beklagten wendet sich nicht gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass das im Fahrzeug des Klägers verbaute Thermofenster sowie die „Höhenabschaltung“ unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinn von Art 5 Abs 2 iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sind (vgl EuGH 14. 7. 2022, GSMB Invest, C‑128/20 , Rn 44; Volkswagen AG, C‑134/20 , Rn 51; 7 Ob 111/24k Rz 6; 3 Ob 83/24p Rz 18).
[17] 3. Unter Verweis auf die bestehende EG‑Typgenehmigung und gestützt auf das Postulat, dass ein Entzug der Genehmigung auch in Zukunft nicht drohe, argumentiert sie sinngemäß, die Vorinstanzen seien zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich bereits ein ersatzfähiger Schaden des Klägers realisiert habe.
[18] 3.1. Das (noch) aufrechte Vorliegen einer EG‑Typgenehmigung spricht allerdings nach gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht gegen den Schadenersatzanspruch (2 Ob 137/23w Rz 24, 26; 3 Ob 106/24w Rz 14 ff ua):
[19] Im Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn dieser Norm unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs liegt das – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend einen Schaden im Sinn des § 1293 ABGB bildende – geringere rechtliche Interesse eines Käufers in der (objektiv) unsicheren und daher latent eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit (Endurteil vom 25. 4. 2023 zu 10 Ob 2/23a Rz 22; 10 Ob 27/23b Rz 25; RS0022537 [T32]). Ob aufgrund der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung latent die Gefahr des Entzugs der EG‑Typgenehmigung droht, ist an der objektiven Rechtslage zu messen (Endurteil vom 25. 4. 2023 zu 10 Ob 2/23a Rz 25; 4 Ob 66/24w Rz 27; 3 Ob 106/24w Rz 15). Einschätzungen von Behörden sind daher ohne Relevanz (3 Ob 170/23f Rz 18).
[20] 3.2. Auf die demnach maßgebliche Frage, ob nach der objektiven Rechtslage ein Entzug der EG‑Typgenehmigung möglich ist, geht die Revision allerdings nicht substanziiert ein. Sie macht im Kern nur geltend, eine latente Nutzungsunsicherheit liege schon deshalb nicht vor, weil für den Fall, dass die Typgenehmigungsbehörde die Nichtkonformität des Fahrzeugtyps feststellen und einen Zeitplan zur (nachträglichen) Herstellung der Konformität der Fahrzeuge verfügen würde, die Beklagte ohne weiteres in der Lage wäre, durch ein Software-Update (zur Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung) Abhilfe zu schaffen.
[21] Damit entfernt sie sich aber vom festgestellten Sachverhalt, ging doch das Erstgericht bloß davon aus, es sei in jenem Fall „wahrscheinlich, dass die Beklagte ein entsprechendes Software-Update zur Entfernung der Unzulässigkeit anbieten würde“. Von einer (objektiv) gesicherten uneingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs des Klägers auch in der Zukunft kann ausgehend davon keine Rede sein.
[22] 3.3. Ein rechtlicher Feststellungsmangel liegt in diesem Zusammenhang nicht vor.
[23] 4. Die Beklagte beruft sich in ihrer Revision weiters auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum. Zu dieser Frage hat der Oberste Gerichtshof das Revisionsverfahren im Hinblick auf das anhängige Verfahren vor dem EuGH unterbrochen.
[24] 4.1. Mittlerweile hat der EuGH mit Entscheidung vom 1. 8. 2025, C‑666/23 , CM, DS gegen Volkswagen AG, zur Frage, inwieweit sich der Fahrzeughersteller auf einen solchen Irrtum berufen kann, wie folgt Stellung genommen:
„1. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 385/2009 der Kommission vom 7. Mai 2009 geänderten Fassung sind in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge dahin auszulegen, dass sie im Rahmen einer vom Käufer eines Kraftfahrzeugs erhobenen Klage auf Ersatz des durch das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne dieses Art. 5 Abs. 2 verursachten Schadens den Hersteller des Fahrzeugs daran hindern, sich zu seiner Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit dieser Abschalteinrichtung zu berufen, der darauf zurückzuführen sein soll, dass für diese Abschalteinrichtung oder das damit ausgerüstete Fahrzeug von der zuständigen Behörde eine EG‑Typgenehmigung erteilt wurde oder diese Behörde, wenn sie von diesem Hersteller dazu befragt worden wäre, seine rechtliche Beurteilung bezüglich der angeblichen Zulässigkeit der betreffenden Abschalteinrichtung bestätigt hätte.
2. Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 sowie Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung Nr. 715/2007 in der durch die Verordnung (EU) Nr. 566/2011 der Kommission vom 8. Juni 2011 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie verlangen, dass der Erwerber eines Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz hat, wenn dem Erwerber wegen einer im Sinne dieses Art. 5 Abs. 2 unzulässigen Abschalteinrichtung, die vom Hersteller nach der EG‑Typgenehmigung für dieses Fahrzeug mittels eines Software-Updates installiert wurde, ein Schaden entstanden ist.“
[25] 4.2. In der jüngst ergangenen Entscheidung zu 9 Ob 92/25g (Rz 31 f) hat sich der Oberste Gerichtshof mit dieser Vorabentscheidung bereits auseinandergesetzt und aus den Vorgaben des EuGH abgeleitet, dass dem Fahrzeughersteller die Berufung auf einen Rechtsirrtum versperrt ist.
[26] Im dortigen Verfahren bezog sich der Einwand des entschuldbaren Rechtsirrtums der beklagten Fahrzeugherstellerin nicht nur auf eine „hypothetische Genehmigung“ der betreffenden Abschalteinrichtung durch die für die Typgenehmigung zuständige Behörde. Die Herstellerin hatte sich vielmehr darauf gestützt, sie habe auf die Rechtsauskunft des KBA, das in Kenntnis der beanstandeten Abschalteinrichtungen dennoch die EG‑Typgenehmigung erteilt habe, vertrauen dürfen.
[27] 4.3. Im vorliegenden Verfahren räumte die Beklagte demgegenüber selbst ein, dem KBA – mangels entsprechender gesetzlicher Verpflichtung – die Abgasstrategie gar nicht offengelegt zu haben; sie führte zur Begründung eines entschuldbaren Rechtsirrtums in erster Instanz sinngemäß bloß ins Treffen, sie hätte auch bei vollständiger Offenlegung die EG‑Typgenehmigung erhalten und habe im Übrigen bei der Entwicklung ohnedies auch externe Prüfer eingebunden, die keine Einwände gegen die ihnen bekannte Funktionsweise des Emissionskontrollsystems gehabt hätten.
[28] 4.4. Ausgehend von den nunmehr aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 1. 8. 2025, C-666/23 , CM, DS gegen Volkswagen AG, zu beachtenden unionsrechtlichen Vorgaben betreffend die Unzulässigkeit des Entlastungsbeweises des Fahrzeugherstellers unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtums infolge einer erteilten EG‑Typgenehmigung und der dazu inzwischen erfolgten Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof zu 9 Ob 92/25g (vgl nunmehr auch 1 Ob 115/25f ErwGr 4.; 1 Ob 116/25b ErwGr 5.) sind die von der Beklagten in diesem Zusammenhang aufgeworfenen erheblichen Rechtsfragen als geklärt zu erachten (vgl auch 2 Ob 94/21v Rz 11 mwN = RS0112921 [T17]).
[29] 4.5. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das den Einwand der Beklagten (wenngleich schon mangels hinreichend substanziiertenProzessvorbringens in erster Instanz) als unbeachtlich beurteilte, hält sich im Rahmen der vorgegebenen Leitlinien:
[30] Daran, dasssich die Beklagte durch die Berufung auf eine „hypothetische Genehmigung“ der Abschalteinrichtung durch die Typgenehmigungsbehörde im Anwendungsbereich der VO 715/2007/EG nicht zu exkulpieren vermag, besteht angesichts der klaren Festlegungen des EuGH kein Zweifel. Ebenso wenig kann die Beklagte der sinngemäße Einwand entlasten, sie habe zwar nicht der Typgenehmigungsbehörde, wohl aber im Vorfeld einer (für die EG‑Typgenehmigung gerade nicht zuständigen) externen Prüfstelle die Funktionsweise ihres Emissionskontrollsystems offengelegt und auf deren Expertise vertraut, wenn nach dem zuvor Gesagten nicht einmal das Vertrauen auf eine von der Typgenehmigungsbehörde in Kenntnis der Abgasstrategie erteilte Genehmigung als Entlastungsbeweis zuzulassen ist.
[31] Im Übrigen lassen die Revisionsausführungen der Beklagten außer Betracht, dass nach den Feststellungen ohnedies auch den erwähnten externen Prüfern die Abgasstrategie nicht vollständig offengelegt wurde. Wieso sich die Beklagte angesichts dessen auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum stützen können soll, legt sie nicht nachvollziehbar dar.
[32] Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision keine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung der Frage des Verschuldens der Beklagten auf.
[33] 5. Zur Höhe des Schadenersatzanspruchs betreffend den Minderwert des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs judiziert der Oberste Gerichtshof seit der Entscheidung 10 Ob 27/23b, dass der zu ersetzende Betrag grundsätzlich im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung – selbst mit Übergehung eines von einer Partei angebotenen (etwa: Sachverständigen-)Beweises – innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des Kaufpreises festzusetzen ist (RS0134498).
[34] Soweit sich die Beklagte gegen das Ergebnis der Schadensschätzung durch die Vorinstanzen wendet, ist darauf Bedacht zu nehmen, dass dem Gericht bei Anwendung des § 273 ZPO die Befugnis zukommt, die Höhe des Anspruchs nach freier Überzeugung festzusetzen (RS0040459 [T1]). Für die Ausübung des richterlichen Ermessens sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (vgl RS0121220 [T1]; RS0111576 [T2]).
[35] Einen aufzugreifenden Ermessensfehler legt die Revision nicht dar: Der Umstand, dass die Vorinstanzen den Schadensbetrag im Einzelfall ungeachtet der langen Behaltedauer des Fahrzeugs im mittleren – statt wie von der Beklagten angestrebt im unteren – Bereich der Bandbreite ausmittelten, reicht dafür nicht aus. Auch dass der „Abgasskandal“ keinen relevanten Einfluss auf den Gebrauchtwagenwert des betroffenen Fahrzeugs hat, ist für die Schadensschätzung nicht von entscheidender Bedeutung, weil es um die Beurteilung des Minderwerts im Erwerbszeitpunkt geht (vgl 10 Ob 46/23x Rz 19; 4 Ob 88/24f Rz 20).
[36] 6. Der Anregung auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 267 AEUV über die Gültigkeit von Art 3 Nr 10 und Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG „sowie der ungeschriebenen Rückausnahme“ ist nicht näherzutreten. Der Oberste Gerichtshof teilt die Zweifel der Beklagten an der hinreichenden Bestimmtheit der angeführten Regelungen nicht.
[37] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen. Die Bemessungsgrundlage für seine Kosten beträgt 4.133 EUR.
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