European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00183.24S.1016.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.993,40 EUR (darin 498,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Beklagte war Hauptaktionärin der B* AG (künftig: B* AG). In deren Hauptversammlung am 3. 5. 2007 wurde der Beschluss gefasst, die Streubesitzaktionäre über ein Squeeze-Out-Verfahren durch Zahlung einer Barabfindung aus der Gesellschaft auszuschließen. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Gesellschafterausschlusses Aktionärin der B* AG.
[2] Einige (nach dem GesAusG ausgeschlossene) „Großaktionäre“ der B* AG, nicht aber die Klägerin, bekämpften den Squeeze-Out-Beschluss mit Anfechtungsklage. Die Beklagte schloss mit einer von ihnen (künftig: die „Großaktionärin“) am 30. 4. 2008 einen Vergleich, wonach sie sich unter anderem verpflichtete, der „Großaktionärin“ eine Pauschalzahlung von 14 Millionen EUR zu zahlen. Mit Aktienkaufvertrag zwischen der Beklagten und der „Großaktionärin“ vom selben Tag wurde zudem vereinbart, dass Letztere alle Aktien der B* AG, mit Ausnahme einer Aktie, an die Beklagte verkauft. Der Aktienkaufvertrag stand unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung des Gesellschafterausschlussbeschlusses im Firmenbuch und der Beendigung des Beschlussanfechtungsverfahrens sowie eines Verfahrens vor der Übernahmekommission.
[3] Der Anspruch auf Barabfindung wurde durch ein Anspruchszertifikat mit einer eigenen ISIN verbrieft. Die Barabfindung wurde am 6. 8. 2008 zur Auszahlung gebracht. Der Gesellschafterausschluss wurde am 21. 5. 2008 ins Firmenbuch eingetragen und am 6. 6. 2008 gemäß § 10 UGB in der Ediktsdatei bekannt gemacht.
[4] Beim Erstgericht wurde betreffend diesen Gesellschafterausschluss ein Verfahren zur Überprüfung der Barabfindung anhängig gemacht, welches zum Beurteilungszeitpunkt (§ 193 ZPO) noch nicht abgeschlossen war.
[5] Die Klägerin begehrte zunächst die Zahlung von 34.667,60 EUR sA. Sie bezifferte ihren Schadenersatzanspruch mit 15,758 EUR je Stück der von ihr gehaltenen 2.200 Nachbesserungszertifikate. Mit Schriftsatz vom 4. 1. 2021 dehnte sie das Klagebegehren auf Zahlung von 168.610,60 EUR samt Zinsen für insgesamt 10.700 Nachbesserungszertifikate aus.
[6] Sie brachte zusammengefasst vor, die „Großaktionärin“ habe unter Verletzung des § 47a AktG und des Gebots der Gleichbehandlung im Gesellschafterausschlussverfahren Aufzahlungen auf die Barabfindung erhalten. Im Einzelnen habe die „Großaktionärin“ folgende Zuzahlungen pro Aktie erhalten:
Äquivalent für erwartete Dividende: 4 EUR
Vergleichsvereinbarung Österreich pauschal 14 Mio EUR, das seien pro Aktie: 5,385 EUR
Vergleichsvereinbarung Polen pauschal 16,57 Mio EUR, das seien pro Aktie: 6,373 EUR
Insgesamt ergebe das einen Mehrbetrag pro Aktie von 15,758 EUR.
[7] Die Position der Beklagten, die Zahlung habe den Zweck gehabt, die Beschlussanfechtungsklage dieser Aktionärin abzuwenden, treffe nicht zu. Es sei der „Großaktionärin“ erkennbar darum gegangen, eine Teillösung zur Erhöhung der Barabfindung zu erlangen. Der Beklagten sei bewusst gewesen, dass sie Akontozahlungen auf eine höhere Barabfindung leiste, die allen übrigen ausgeschlossenen Aktionären ebenso zustünden.
[8] Die Beklagte haben das Recht der Klägerin auf Gleichbehandlung verletzt, das aus den aktienrechtlichen Vorschriften, aus den – auf Fälle wie den vorliegenden zu übertragenden – Wertungen des Übernahmerechts, aus der in § 7 GesAusG für alle Fälle des Gesellschafterausschlusses zu entnehmenden Gleichbehandlungspflicht, aus der Treuepflicht und aus der erga‑omnes‑Wirkung des Nachprüfungsverfahrens gemäß §§ 225a ff AktG abzuleiten sei. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte durch Parallelerwerbe von der ausgeschlossenen „Großaktionärin“ ihre Gleichbehandlungspflicht verletzt.
[9] Die Beklagte habe schuldhaft gehandelt, weil sie in dem Bewusstsein gehandelt und sich damit abgefunden habe, einzelne Aktionäre zu diskriminieren und zu schädigen. Die Beklagte sei der Klägerin zum Ersatz des Differenzschadens verpflichtet. Dieser bestehe in jenem Schaden, der der Klägerin durch die Differenz zwischen der durch Zuzahlung erhöhten Abfindung einzelner Aktionäre und ihrer eigenen, zu niedrigen Barabfindung entstanden sei.
[10] Die Klägerin habe von der Zuzahlung an die „Großaktionärin“ erst im Mai 2018 erfahren, weil die Beklagte sie geheim gehalten habe. Ihr Schadenersatzanspruch sei daher nicht verjährt.
[11] Hilfsweise begehrte die Klägerin, der Beklagten die Zahlung von 168.610,60 EUR samt Zinsen (bloß) Zug um Zug gegen Herausgabe von 10.700 Stück der den Anspruch auf Erhöhung der Barabfindung verbriefenden Wertpapiere aufzuerlegen, sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten auf einen allfälligen Differenzbetrag auf eine im Verfahren über die Überprüfung der Barabfindung festgestellte höhere angemessene Barabfindung.
[12] Die mit Beschluss vom 21. 4. 2020 vom Erstgericht a limine ausgesprochene Zurückweisung der Klage wegen Streitanhängigkeit wurde vom Rekursgericht mit Beschluss vom 28. 8. 2020 ersatzlos behoben.
[13] Im fortgesetzten Verfahren erhob die Beklagte die Einreden der Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs und der Streitanhängigkeit. Sie wendete in der Sache ein, es seien die behaupteten Zahlungen im Zusammenhang mit Vergleichen (unter anderem) im Beschlussanfechtungsverfahren erfolgt. Konkret habe die „Großaktionärin“ den Beschluss auf Gesellschafterausschluss vor dem Erstgericht angefochten, ein Verfahren vor der Übernahmekommission anhängig gemacht und eine Klage vor einem polnischen Gericht im Zusammenhang mit dem Beteiligungserwerb der im vorliegenden Verfahren Beklagten an einer polnischen Aktiengesellschaft erhoben. Die Vergleichszahlungen hätten alleine der Bewältigung der Risiken aus den eingeleiteten Rechtsschritten der aktiven ausgeschlossenen Aktionäre, darunter der „Großaktionärin“, gedient. Der Ausgang des Beschlussanfechtungsverfahrens vor dem Erstgericht sei aufgrund näher dargestellter Sonderkonstellationen mit zwei Namensaktionären nicht klar abschätzbar gewesen. Erst durch die Erledigung der Beschlussanfechtungsklage sei der Squeeze‑Out möglich geworden. Es liege auch kein Scheingeschäft vor. Gegenleistung für die Vergleichszahlungen seien die Klagsrücknahmen in den anhängigen Verfahren gewesen. Daraus seien keine Rückschlüsse auf den inneren Wert der Aktien und die Angemessenheit der gewährten Barabfindung zu ziehen.
[14] Mit Beschluss vom 27. 4. 2021 sprach das Erstgericht gemäß § 40a JN aus, das gegenständliche Verfahren sei als streitiges Verfahren zu führen. Das Rekursgericht bestätigte dies mit Beschluss vom 30. 11. 2021.
[15] Mit der angefochtenen Entscheidung verwarf das Erstgericht die von der Beklagten erhobene Einrede der Streitanhängigkeit und gab dem Antrag der Beklagten auf Unterbrechung des vorliegenden Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren über die Überprüfung der Barabfindung nicht statt. In der Sache wies es das Haupt‑ und das Eventualbegehren ab.
[16] Das Berufungsgericht gab der nur gegen die Sachentscheidung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. Es ließ die Revision zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu vorliege, ob bei Klagsführung durch einen mittels Squeeze‑Out ausgeschlossenen Aktionär der Vergleichsabschluss mit der Anfechtungsklägerin samt Auszahlung eines Pauschalbetrags als Basis eines Schadenersatzanspruchs gegen die Hauptgesellschafterin genützt werden könne.
[17] Rechtlich schloss es sich den ausführlich wiedergegebenen Ausführungen Foglar‑Deinhardsteins (Glosse zu 6 Ob 71/22t, GesRZ 2023, 328) an. Demnach liege keine Verletzung der Gleichbehandlungspflicht vor, wenn vom Hauptgesellschafter geleistete Zahlungen mit der Abgeltung eines wirtschaftlichen Vorteils aus der Erledigung des Anfechtungsverfahrens begründet werden könnten. Im Ergebnis sei einer in einem Vergleich erhöhten Kompensationsleistung nur dann Bedeutung für die Angemessenheit der Barabfindung zuzubilligen, wenn die „Nachzahlung“ mit Verbindlichkeit und Wirkung für alle betroffenen Anteilseigner zugesagt worden sei.
Rechtliche Beurteilung
[18] Die Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[19] 1. Die Klägerin macht einen Schadenersatzanspruch geltend, den sie darauf stützt, die Beklagte als Hauptaktionärin in dem am 3. 5. 2007 beschlossenen Gesellschafterausschluss habe das sie gegenüber allen ausgeschlossenen Aktionären treffende Gleichbehandlungsgebot dadurch verletzt, dass sie der Klägerin bloß eine niedrigere Barabfindung gewährt habe, als einer bestimmten ausgeschlossenen Minderheitsaktionärin.
2. Rechtliche Grundsätze
[20] 2.1. Nach § 2 Abs 1 GesAusG hat der Hauptgesellschafter den ausscheidenden Minderheitsgesellschaftern eine „angemessene“, auf den Tag der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung abstellende Barabfindung zu gewähren. Eine gesetzliche Determinierung der Angemessenheit wurde nicht getroffen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte die Ableitung, unter welchen Voraussetzungen die Abfindung angemessen ist und welche Bewertungsmethoden anzuwenden sind, grundsätzlich der Rechtsprechung überlassen sein (6 Ob 246/20z Rz 83 = SZ 2021/46 = GesRZ 2021, 241 [Foglar‑Deinhardstein/ Aichinger, Vanovac/Löffler] = ZFR 2021, 560 [Hubcheva]; ErläutRV 1334 BlgNR 22. GP 28).
[21] Die angemessene Barabfindung dient dem Ausgleich für den Verlust der Beteiligung (VfGH G 30/2017 ErwGr IV.2.2.4.). Damit steht im Einklang, dass sich die Barabfindung grundsätzlich nach dem anteiligen Unternehmenswert des Anteilsberechtigten bemisst (6 Ob 246/20z Rz 83; Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung³ [2021] § 2 GesAusG Rz 12 mwN). Die Angemessenheit der Barabfindung muss in Vorbereitung der Beschlussfassung über den Gesellschafterausschluss im gemeinsamen Bericht des Vorstands (der Geschäftsführung) und des Hauptgesellschafters erläutert und begründet werden (§ 3 Abs 1 Satz 2 GesAusG); sie ist von einem sachverständigen Prüfer zu prüfen (§ 3 Abs 2 Satz 1 GesAusG).
[22] 2.2. Die Überprüfung der Barabfindung hat nach § 6 Abs 2 GesAusG im (außerstreitigen, § 225e Abs 1 AktG) Verfahren nach den §§ 225c ff AktG zu erfolgen. Hingegen kann die Anfechtung des Beschlusses über den Gesellschafterausschluss nach § 6 Abs 1 GesAusG nicht darauf gestützt werden, dass die Barabfindung nicht angemessen festgelegt ist.
[23] Der Zweck des außerstreitigen Überprüfungsverfahrens besteht darin, die Frage der Angemessenheit der Barabfindung mit Wirkung für die Gesellschaft und alle Gesellschafter zu beantworten. Der erfolgreiche Antrag führt zu einer Anpassung des Beschlussinhalts im Umfang der angemessenen Festlegung der Barabfindung (6 Ob 246/20z Rz 40, 54; 6 Ob 221/09g ErwGr 3.3.4, GesRZ 2010, 228 [Ofner] = EvBl 2010/92, 661 [Garber]). Die rechtskräftige Entscheidung im Überprüfungsverfahren ist damit Voraussetzung der Geltendmachung des individuellen, ziffernmäßig bestimmten Anspruchs auf bare Zuzahlung (samt den daraus gebührenden Zinsen) durch den einzelnen ausgeschlossenen Minderheitsgesellschafter (6 Ob 246/20z Rz 78).
[24] 2.3. Grundsätzlich ist allen Gesellschaftern für die gleichen Anteile die gleiche Abfindung zu gewähren. Dies ergibt sich primär (im Umkehrschluss) aus § 2 Abs 1 letzter Satz GesAusG, wonach eine unterschiedliche Behandlung nur bei rechtlich differenzierter Ausgestaltung der Anteile erlaubt ist. § 47a AktG begründet keine horizontale Gleichbehandlungspflicht der Gesellschafter untereinander. Eine Gleichbehandlungspflicht für den Hauptaktionär wird allerdings in der Literatur neben § 2 Abs 1 GesAusG aus seiner mitgliedschaftlichen Treuepflicht (vgl Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung³ § 2 GesAusG Rz 20; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht [2008] 509 f; ders, Wert und Preis im neuen Recht des Squeeze‑out, JBl 2007, 434 [437]; Burger, Gleichbehandlung und Squeeze‑out-Abfindung zum Börsenkurs, RdW 2012, 393 [394 f]) und aus § 225i Abs 1 AktG iVm § 6 Abs 2 GesAusG abgeleitet, wonach die Entscheidung über die Anpassung der Abfindung im Nachprüfungsverfahren für und gegen alle ausgeschlossenen Gesellschafter wirkt (Winner, Wert und Preis im Zivilrecht 510; Foglar-Deinhardstein/Aichinger, Angemessene Barabfindung beim Squeeze‑out: OLG Wien fasst heiße Eisen an, GesRZ 2021, 74 [81]).
[25] 2.4. Auf rechtlich unterschiedlich ausgestaltete Anteile ist das Gleichbehandlungsgebot durch sachlich gebotene Differenzierung anzuwenden. § 2 Abs 1 letzter Satz GesAusG hält fest, dass mit Anteilen verbundene Sonderrechte gesondert abzugelten sind. Bestehen unterschiedliche Aktiengattungen, so ist dies ebenfalls bei Ermittlung der Abfindungshöhe zu berücksichtigen (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung³ § 2 GesAusG Rz 20).
3. Verdeckte Barabfindungen
[26] 3.1. Die Klägerin argumentiert, bei der von der beklagten Hauptgesellschafterin im Vergleich zugesagten Zahlung handle es sich um eine verdeckte Barabfindung, deren Höhe kraft Gleichbehandlungsgebots für die Barabfindung aller ausgeschlossener Aktionäre maßgeblich sei.
[27] 3.2. Der Oberste Gerichtshof hat zu behaupteten verdeckten Barabfindungen bisher lediglich insofern Stellung bezogen, als er klarstellte, dass der Grundsatz, wonach derjenige, der sich auf das Vorliegen eines Scheingeschäfts berufe, die Voraussetzungen dafür zu beweisen habe, auch in diesem Zusammenhang anwendbar ist. In jenem Fall konnte er keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass mit den im Verfahren zur Überprüfung der Barfindung vergleichsweise vereinbarten gestaffelten Kostenersatzbeträgen in Wahrheit ein zusätzlicher Vorteil geleistet werde (6 Ob 138/19s ErwGr 4 = GesRZ 2020, 150 [Zollner]; dazu Foglar‑Deinhardstein/Molitoris/Hartig, Angemessene Barabfindung beim Squeeze‑out: Jagd nach einer Chimäre? GesRZ 2020, 43).
[28] 3.3. In der Literatur wird im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller ausgeschlossenen Aktionäre auf die Gefahr des „Auskaufens“ einzelner Minderheitsaktionäre Bezug genommen. Insofern wird die in § 225i AktG vorgesehene erga-omnes-Wirkung vor dem Hintergrund verstanden, dass dadurch die Versuchung, einzelne Anteilsinhaber auszukaufen, gemindert werde (6 Ob 138/19s ErwGr 1; Szep in Artmann/Karollus, AktG III6 [2019] § 225i Rz 1; Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG³ [2021] § 225i Rz 1; Eckert/Schopper/Wöss in Eckert/Schopper, AktG-ON [2021] § 225i Rz 2).
[29] Das Gleichbehandlungsgebot solle auch für Gestaltungen gelten, die als Umgehungen (verdeckte Zuzahlungen) zu qualifizieren seien. Ein Beispiel sei die Vereinbarung von Beratungshonoraren, denen kein Beratungsaufwand gegenüber stehe oder die nicht fremdüblich seien (Gall/Potyka/Winner, Squeeze‑out [2006] Rz 237).
4. Zeitnahe Transaktionen
[30] 4.1. Die Frage, ob die Preise, die der Hauptgesellschafter in Transaktionen mit einzelnen Aktionären, die im zeitlichen Nahebereich zum Gesellschafterausschluss stattfinden, zahlt, die Höhe der Barabfindung nach unten hin begrenzen, ist nur für den – im vorliegenden Fall nicht vorliegenden – Gesellschafterausschluss nach § 7 GesAusG (sogenannter übernahmerechtlicher oder kapitalmarktrechtlicher Gesellschafterausschluss) geregelt:
[31] § 7 GesAusG regelt den Gesellschafterausschluss binnen dreimonatiger Frist (§ 7 Abs 1 GesAusG) nach Erlangung der Stellung als Hauptgesellschafter (im Sinn des § 7 Abs 2 GesAusG) infolge eines erfolgreichen Übernahmeangebots. Nach § 7 Abs 3 Satz 1 GesAusG ist eine Barabfindung unter dem Wert der höchsten Gegenleistung des Übernahmeangebots jedenfalls nicht angemessen. § 7 Abs 3 Satz 2 GesAusG enthält eine widerlegbare (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung³ § 7 GesAusG Rz 42) Vermutung der Angemessenheit der Barabfindung für den Fall, dass der Bieter mehr als 90 % der vom Angebot betroffenen Aktien erworben hat. Dies beruht auf der Erwägung, dass bei einem Übernahmeangebot, das von 90 % angenommen wurde, der angebotene Preis für die abzufindenden Gesellschafter attraktiv genug erscheint, um auch für die verbleibenden 10 % seine Angemessenheit zu vermuten (Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss [2009] 189; vgl ErläutRV 1334 BlgNR 22. GP 32 [ÜbRÄG 2006]). Darüber hinaus normiert § 7 Abs 3 letzter Satz GesAusG im Weg der sinngemäßen Geltung des § 16 Abs 7 ÜbG eine generelle nachwirkende Gleichbehandlungs‑ und damit Nachbesserungspflicht (vgl Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung³ § 7 GesAusG Rz 39). Die Anordnung dieser Nachzahlungsverpflichtung steht im Einklang damit, dass der Gesellschafterausschluss nach § 7 Abs 2 GesAusG stets parallel zur Austrittsfrist, das heißt, der Nachfrist des § 19 Abs 3 ÜbG, vorgenommen werden muss (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung³ § 7 GesAusG Rz 40).
[32] 4.2. Die Fragen, ob bzw unter welchen Voraussetzungen Leistungen an einzelne Minderheitsaktionäre im zeitlichen Nahebereich zum Gesellschafterausschluss auch für den allgemeinen Gesellschafterausschluss die Untergrenze der angemessenen Barabfertigung (gemäß § 2 GesAusG) bilden und zugunsten aller ausgeschlossenen Gesellschafter zu einer Erhöhung des Abfindungsbetrags führen, und ob dies auch für Zahlungen im Zusammenhang mit der Zurücknahme der Anfechtung des Ausschlussbeschlusses gelten soll, wurden in der Literatur vielfach diskutiert:
[33] 4.2.1. Nach Kalss löst eine Zahlung zur Klagerücknahme im Rahmen eines Anfechtungsverfahrens – wie sie im vorliegenden Fall behauptet ist – keine Erhöhungswirkung aus (Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung³ § 2 GesAusG Rz 24).
[34] Die Autorin grenzt derartige Konstellationen von Paralleltransaktionen ab, die der Umgehung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dienten und daher erhöhungswirksam seien:
[35] Erwerbe der Hauptgesellschafter „außerhalb eines Ausschlussverfahrens“ Anteile von einzelnen Minderheitsgesellschaftern, so sei die von ihm gezahlte Gegenleistung als Untergrenze für die Abfindung heranzuziehen. Dies deshalb, weil der Grundsatz, dass allen Gesellschaftern für die gleichen Anteile die gleiche Abfindung zu gewähren sei, nicht durch Paralleltransaktionen umgangen werden dürfe. Erhöhungswirksam seien Aktienerwerbe während des zeitgleichen Ausschlussverfahrens, worunter die Autorin Erwerbe „nach Eintragung in das Firmenbuch zur Eliminierung lästiger Aktionäre“ auffasst.
[36] Angesprochen sind damit offenkundig Zahlungen des Hauptgesellschafters für den Erwerb von Nachbesserungszertifikaten gegenüber ausgeschlossenen (früheren) Aktionären, die ihren „Lästigkeitswert“ in einem Verfahren auf Überprüfung der Barabfindung entfalten. Die Erhöhungswirkung soll nach Kalss allerdings nur in den Fällen greifen, in denen der Hauptgesellschafter die „Anteile“ völlig freiwillig erwirbt.
[37] Hingegen seien Zahlungen des Hauptgesellschafters aufgrund eines Anfechtungsvergleichs – also Zahlungen zur Klagerücknahme im Verfahren auf Anfechtung des Ausschlussbeschlusses – nicht erfasst, weil sie keine freiwilligen, den inneren Wert der Anteile abbildenden Kaufpreiszahlungen seien. Vielmehr berge der Anfechtungsprozess ein Prozesskostenrisiko; zudem sei die Eintragung des Ausschlusses bei aufrechtem Beschlussanfechtungsverfahren nicht möglich. Die Verzögerung des Ausschlusses könne finanzielle Nachteile verursachen. Wenn die Zahlung eines bestimmten Betrags – allenfalls aliquotiert pro Aktie – mit der Vergütung einer bestimmten Leistung oder der Abgeltung für einen wirtschaftlichen Vorteil des Hauptgesellschafters, etwa die Eintragung des Ausschlusses ins Firmenbuch, begründet werden könne, komme ihr keine Erhöhungswirkung zu (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung³ § 2 GesAusG Rz 24, unter Bezugnahme auf die Darstellung des deutschen Meinungsstands bei Mollnhuber, Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung im Spruchverfahren, GesRZ 2020, 257 [259]). Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht verletzt, weil sich der anfechtende Aktionär in einer anderen Situation befinde als die nicht anfechtenden Minderheitsaktionäre (Kalss aaO Rz 24).
[38] Eine allgemeine Übernahme des Angemessenheitsregimes des § 7 Abs 3 GesAusG lehnt Kalss ab. Die in § 7 GesAusG zum Ausdruck kommenden Wertungen können ihrer Ansicht nach nur in solchen Fällen auf das allgemeine Ausschlussverfahren nach § 1 GesAusG übertragen werden, in denen der Hauptgesellschafter zwischen einem Ausschluss nach § 7 GesAusG und einem solchen nach § 1 GesAusG wählen kann und es sich „tatsächlich um eine völlig vergleichbare Situation“ handelt (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung³ § 2 GesAusG Rz 24). Der Hauptgesellschafter kann dann zwischen dem Gesellschafterbeschluss nach § 7 Abs 3 GesAusG – für den bestimmte Sonderregeln vorgesehen sind – und jenem nach §§ 1 ff GesAusG wählen, wenn die Voraussetzungen der Anwendung der spezielleren Regelung des § 7 GesAusG erfüllt sind (vgl nur Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung³ § 7 GesAusG Rz 4). Die Klägerin hat im vorliegenden Verfahren allerdings keine Behauptungen zum Vorliegen einer solchen Konstellation aufgestellt. Auf die Frage, ob im Fall einer Wahlmöglichkeit des Hauptgesellschafters die Wertungen des § 7 Abs 3 GesAusG zur Angemessenheit der Barabfindung auch auf den Gesellschafterausschluss nach §§ 1 ff GesAusG zu übertragen sind, kommt es daher im vorliegenden Fall nicht an.
[39] 4.2.2. Wie Kalss hält auch Foglar‑Deinhardstein Pauschalzahlungen in einem Anfechtungsvergleich nicht für Zuzahlungen auf die Barabfindung. Bei solchen Zahlungen gehe es offenkundig darum, den Squeeze‑Out durch Beendigung des Beschlussanfechtungsverfahrens überhaupt erst zu ermöglichen, nicht hingegen darum, den Wert der Minderheitsbeteiligungen abzufinden. Foglar‑Deinhardstein hält ein Vergleichsangebot, das der Hauptgesellschafter im Zug der Beendigung eines Anfechtungsverfahrens unterbreitet, für die Angemessenheitsprüfung für irrelevant. Gegen die Auffassung, dass derartige Zahlungen als Maßstab für die erga‑omnes‑Wirkung gemäß § 225i AktG anzuerkennen seien, spreche vor allem, dass diese Zahlungen des Hauptgesellschafters „wohl kaum“ aus einem Anerkenntnis einer geschuldeten Nachzahlung auf Barabfindung resultierten. Häufig könnten „Sonderzahlungen“ sogar spezifische Gegenleistungen zugeordnet werden. Einer in einem Vergleich erhöhten Kompensationsleistung sei nur dann Bedeutung für die Nachprüfung der Angemessenheit der Barabfindung zuzubilligen, wenn die Nachzahlung mit Verbindlichkeit und Wirkung für alle betroffenen Anteilseigner zugesagt worden sei (Foglar‑Deinhardstein, Glosse zu 6 Ob 71/22t, GesRZ 2023, 328).
[40] 4.2.3. Winner führt aus, höhere Zahlungen erfolgten beim Gesellschafterausschluss häufig deshalb, weil ein Gesellschafter seine hold‑out‑Position nur gegen gesonderte Entlohnung aufzugeben bereit sei: Erfolge die Transaktion parallel zum Ausschlussverfahren, gehe es im Regelfall darum, lästige Aktionäre auszukaufen, die sonst ein langwieriges Nachprüfungsverfahren durchführen könnten. Das könne auch bereits vor dem Gesellschafterausschluss erfolgen (Winner, Wert und Preis im Zivilrecht 507; zur Berücksichtigung von Transaktionen vor Beginn des Ausschlussverfahrens auch ders, JBl 2007, 442 f). Der Grundsatz, dass die Abfindung für alle Gesellschaftsanteile mit gleichen Rechten auch gleich hoch sein müsse, dürfe nicht dadurch umgangen werden, dass der Hauptgesellschafter einzelnen Gesellschaftern während des Ausschlussverfahrens, aber außerhalb desselben, ihre Anteile zu einem höheren Preis abkaufe. Die Angemessenheit der Abfindung dürfe sich nicht nach dem Lästigkeitswert eines bestimmten Gesellschafters richten (Winner, Wert und Preis im Zivilrecht 510). Das Recht solle derartige Verhaltensmuster nicht fördern, weshalb der Hauptgesellschafter glaubhaft versichern können solle, die Zuzahlung nicht zu leisten. Die Glaubwürdigkeit eines solchen Standpunkts werde unterstützt, wenn er vorbringen könne, diese Prämie an alle anderen Gesellschafter weitergeben zu müssen (JBl 2007, 442).
[41] Konkret zu Vergleichen im Zusammenhang mit von einem ausgeschlossenen Gesellschafter angestrengten Verfahren auf Anfechtung des Ausschlussbeschlusses nimmt Winner (an den angegebenen Fundstellen) nicht Stellung.
[42] 4.2.4. Told plädiert dafür, die Wertungen des § 7 Abs 3 GesAusG stets auf den allgemeinen Gesellschafterausschluss zu übertragen (Angemessene Barabfindung und zeitnahe Transaktion, GES 2022, 108 [117 ff]). Dadurch werde die „Konkretisierungslücke“ des § 2 GesAusG, die der Gesetzgeber im Hinblick auf die Angemessenheitsprüfung gelassen habe, gefüllt.
[43] Nach Told ist eine Zahlung des Hauptgesellschafters als verdeckte Barabfindung zu identifizieren, wenn die Anteilsübernahme und der zusätzliche Rechtsakt (auch sie nennt als Beispiel Beratungsverträge ohne tatsächlich intendierte Beratungsleistung) in zeitlicher und sachlicher Hinsicht so gekoppelt sind, dass unter Umgehung der Berücksichtigungspflicht von Transaktionen in zeitlicher Nähe wirtschaftlich der Erfolg einer Barabfindung eingestellt wird (GES 2022, 108 [120]). Oft würden „räuberische Aktionäre“ den Beschluss über den Gesellschafterausschluss anfechten, um lukrative Vergleichssummen für die Rücknahme des Anfechtungsprozesses zu erwirken. Die sachliche Nähe der Rechtsgeschäfte ergebe sich typischer Weise daraus, dass die Zahlung durch den Hauptgesellschafter und nicht den Anfechtungsgegner (die Gesellschaft) zugesagt werde, sowie in Vertragsgestaltungen, nach denen der Hauptgesellschafter auch die Anteile oder Nachbesserungsrechte der anfechtenden Gesellschafter kaufe, um ihre Partizipation an einer nachträglichen Erhöhung der Barabfindung auszuschließen. Komme eine zeitliche Nähe dazu und würden zusätzlich die beiden Transaktionen aufeinander verweisen oder die Geschäftsgrundlage oder Bedingungen für die jeweils andere Vereinbarung begründen, liege eine verbundene Transaktion vor. Im Ergebnis sei jener Teil der Vergleichssumme, den die Anfechtungsgegnerin (also die Gesellschaft) infolge eines hypothetischen Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr nicht hätte zusagen dürfen, als Gegenleistung für den Anteilskaufvertrag oder als Kaufvertrag über die Nachbesserungsrechte anzusehen. Dieser Betrag bilde die Untergrenze für die angemessene Barabfindung für alle ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre (Told, GES 2022, 121). Im Ergebnis befürwortet Told die Berücksichtigung von Vor‑, Parallel‑ und Nacherwerben (zum Begriffsverständnis im Zusammenhang mit einem Gesellschafterausschuss vgl aaO 109) als Untergrenze der angemessenen Barabfindung. Davon ausgenommen seien nur solche Überzahlungen an einzelne Minderheitsgesellschafter, die von Sonderüberlegungen geprägt seien. Dafür sei der Hauptgesellschafter beweispflichtig (Told aaO 121).
[44] 4.2.5. Aschauer setzt in seiner Gegenüberstellung des übernahmerechtlichen Gesellschafterausschlusses nach § 7 GesAusG und des allgemeinen (gesellschaftsrechtlichen) Gesellschafterausschlusses nach §§ 1 ff GesAusG an den (unterschiedlichen) Ausgangspunkten bei der Preisermittlung an: Konkret weist er darauf hin, dass das ÜbG (auf das § 7 Abs 3 GesAusG verweist) ausschließlich die Preise realer Markttransaktionen heranzieht (Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss 188). Im Ergebnis hält er die Ansicht, dass zeitnahe Transaktionen auch im Abfindungssystem des allgemeinen Gesellschafterausschlusses zu berücksichtigen seien, für zustimmungswürdig. Es sei jedoch auf die spezielle Fallkonstellation abzustellen und zu fragen, ob eine Konstellation so ausgestaltet sei, dass der Transaktionspreis einen guten Indikator für den Wert des Gesamtunternehmens bilde (aaO 191). Das „Lästigkeitspotenzial“ eines bestimmten Gesellschafters könne dazu führen, dass für dessen Abfindung eine Prämie gezahlt werde (aaO 190).
[45] 4.3. Der deutsche Bundesgerichtshof hatte in seiner Entscheidung „Stollwerck“ (II ZR 18/09) die Konstellation zu beurteilen, dass das gegen den Beschluss auf Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär eingeleitete Beschlussmängelstreitverfahren durch einen gerichtlichen Vergleich beendet wurde, in dem sich die Hauptaktionärin verpflichtete, Minderheitsaktionären, die auf die Durchführung eines Spruchverfahrens zur Überprüfung der Barabfindung verzichteten, eine höhere Barabfindung (395 anstelle von 295 EUR) zu gewähren. Er kam zum Ergebnis, dass das von der Hauptaktionärin im Zug der Beendigung des Beschlussmängelstreits unterbreitete Vergleichsanbot keine Auswirkungen auf die im Spruchverfahren zuzumessende Barabfindung habe. Darauf, ob mit dem Vergleichsanbot einzelnen Aktionären ein ungerechtfertigter Sondervorteil versprochen werde, komme es nicht an. Selbst wenn dies der Fall wäre, hätten die anderen Aktionäre keinen Anspruch darauf, einen ebenfalls ungerechtfertigten Sondervorteil zu erhalten (Rz 32).
5. Der Senat hat dazu erwogen
[46] 5.1. Die nach dem GesAusG ausgeschlossenen Gesellschafter haben gegen den Hauptgesellschafter das Recht auf angemessene Barabfindung, die den Verlust ihrer Beteiligung durch Ausschluss aus verfassungsrechtlicher Perspektive erst zulässig macht.
[47] 5.2. Eine fixe Untergrenze in Höhe von in realen Transaktionen im zeitlichen Nahebereich des Gesellschafterausschlusses getätigten Erwerben des Hauptgesellschafters ist nur für den Gesellschafterbeschluss nach § 7 GesAusG durch die dort enthaltenen Anknüpfungen an bzw Verweise auf das Übernahmegesetz ausdrücklich angeordnet.
[48] Eine derartige Anknüpfung sieht das GesAusG für den Gesellschafterausschluss nach §§ 1 ff GesAusG nicht vor.
[49] Da es sich bei § 7 GesAusG um eine speziellere Regelung gegenüber dem allgemeinen Gesellschafterausschluss handelt, die nur für börsenotierte Aktiengesellschaften und nur dann zur Anwendung kommt, wenn der Ausschluss binnen dreimonatiger Frist nach einem Übernahmeangebot stattfindet (vgl im Einzelnen § 7 Abs 1 GesAusG) und die von ihrem Charakter her insgesamt als übernahmerechtliche Regelung gesehen werden kann (vgl Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung³ § 7 GesAusG Rz 3), können die Wertungen, die der Regelung der Angemessenheit der Barabfindung gemäß § 7 Abs 3 GesAusG zugrunde liegen, nach Ansicht des Senats nicht schlechthin auf den Gesellschafterausschluss nach §§ 1 ff GesAusG übertragen werden.
[50] Im zeitlichen Nahebereich zum Gesellschafterausschluss stattfindende Transaktionen können allerdings – je nach Fallgestaltung – eine Indizwirkung hinsichtlich des Unternehmenswerts entfalten (Aschauer, Unternehmensbewertung 191).
[51] Dies zu beurteilen, ist Gegenstand des Verfahrens zur Überprüfung der Barabfindung nach § 6 Abs 2 GesAusG iVm §§ 225c ff AktG. Dieses Verfahren ist im vorliegenden Fall noch nicht abgeschlossen.
[52] 5.3. Der Anspruch besteht im vorliegenden Fall schon dem Grunde nach nicht zu Recht, weil die behauptete Verletzung des Gleichbehandlungsgebots, aus der die Klägerin ihren Schadenersatzanspruch ableitet, nicht vorliegt:
[53] 5.3.1. Nach einhelliger – oben dargestellter – Ansicht trifft den Hauptgesellschafter gegenüber den vom Gesellschafterbeschluss betroffenen Gesellschaftern die Pflicht zur Gleichbehandlung.
[54] Eine nicht allen ausgeschlossenen Gesellschaftern angebotene Aufzahlung auf die Barabfindung stünde im Gegensatz zu diesem Grundsatz. Sofern eine nur einzelnen Gesellschaftern angebotene Zuzahlung in ein anders tituliertes Rechtsgeschäft gegossen wird, kann es nach den allgemeinen, für Umgehungsgeschäfte geltenden Grundsätzen als Umgehung der Gleichbehandlungspflicht mit der Rechtsfolge der Verpflichtung an alle ausgeschlossenen Gesellschafter gewertet werden.
[55] 5.3.2. Von einem Umgehungsgeschäft wird dann gesprochen, wenn die Parteien die von einer Norm angeordneten Rechtsfolgen dadurch vermeiden, dass sie ein Rechtsgeschäft schließen, das dem Wortlaut nach nicht von dieser Norm betroffen wird, das jedoch den gleichen Zweck erfüllt wie das verbotene Geschäft (RS0018173). Es genügt, dass das Umgehungsgeschäft objektiv den Sinn und Zweck der umgangenen Norm vereitelt; auf eine spezielle Umgehungsabsicht der Parteien kommt es nicht an (RS0016780 [T1]). Ein Umgehungsgeschäft unterliegt der Rechtsnorm, die auf das in Wahrheit intendierte Rechtsgeschäft anzuwenden ist (RS0045196). Die Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trifft denjenigen, der das Vorliegen eines Umgehungsgeschäfts behauptet (RS0018177; vgl zu einer Kostenersatzvereinbarung im Verfahren auf Überprüfung der Barabfindung als behauptetes Scheingeschäft 6 Ob 138/19s ErwGr 4).
[56] 5.3.3. Im vorliegenden Fall steht fest, dass das Verfahren über die Beschlussanfechtungsklage der „Großaktionärin“ aufgrund der geschlossenen Vereinbarungen, in denen die Leistung einer Pauschalzahlung an die „Großaktionärin“ vorgesehen war, durch gerichtlichen Vergleich beendet wurde. Die Klägerin hat selbst – neben dem gesonderten Aktienkaufvertrag ./C, dessen Preisgestaltung sie im Verfahren nicht thematisiert – die Vereinbarungen ./D und ./E vorgelegt, aus denen sich die Beilegung der Verfahren auf Anfechtung des Ausschlussbeschlusses und des Verfahrens vor der Übernahmekommission (./D) sowie des Verfahrens vor dem polnischen Gericht (./E) jeweils gegen Zahlung eines Pauschalbetrags ergibt.
[57] 5.3.4. Die Vereinbarung eines Geldbetrags für die Bereinigung eines (oder mehrerer) für den Hauptgesellschafter unerwünschter Verfahren gegen Zahlung eines Geldbetrags verfolgt offenkundig einen wirtschaftlichen Zweck, der sich von der Entschädigung eines ausgeschlossenen Gesellschafters für den Verlust seines Geschäftsanteils unterscheidet.
[58] Die von der Klägerin angestrebte isolierte Betrachtung bloß des verfahrensbeendenden Vergleichs als gar nicht gewolltes Schein‑ oder als Umgehungsgeschäft würde die Tatsache der von der „Großaktionärin“ anhängig gemachten Verfahren schlicht ausblenden. Gerade darin, dass die ausgeschlossene „Großaktionärin“ durch die Erhebung einer Beschlussanfechtungsklage in der Lage war, die Durchführung des Gesellschafterausschlusses zumindest zu verzögern (vgl § 5 Abs 2 GesAusG) oder im Fall des Prozesserfolgs sogar zu vereiteln, liegt auch der tatsächliche Umstand, der die Situation dieser Aktionärin von jener anderer, den Ausschlussbeschluss nicht anfechtender Minderheitsaktionäre in rechtlich relevanter Weise unterscheidet. Dazu traten im vorliegenden Fall die weiteren, von der „Großaktionärin“ gegen die Beklagte angestrengten Verfahren (das Verfahren vor einem polnischen Gericht sowie das Verfahren vor der Übernahmekommission) hinzu.
[59] Eine Gleichbehandlung aller vom Gesellschafterausschluss betroffener Aktionäre mit einer Minderheitsaktionärin, die eine Beschlussanfechtungsklage erhoben hat und weitere Verfahren gegen die Hauptaktionärin führt, ist daher im Hinblick auf jene Leistungen, die die Hauptgesellschafterin für die Bereinigung der für sie beschwerlichen Verfahren zu leisten bereit ist, nicht geboten.
[60] Mangels eines Verstoßes der Beklagten gegen eine Pflicht zur Gleichbehandlung in der vorliegenden Fallkonstellation ist der geltend gemachte Schadenersatzanspruch nicht berechtigt.
[61] 5.4. Die Revision erweist sich daher sowohl hinsichtlich des Haupt‑ als auch hinsichtlich des Eventualbegehrens als nicht berechtigt.
6. Kostenentscheidung
[62] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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