OGH 2Ob58/25f

OGH2Ob58/25f18.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und Mag. Jelinek als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Anton Becker, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. B*, vertreten durch die Stefan Prohaska Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1. 87.893,15 EUR sA (2 C 5/19y) und 2. 9.578,52 EUR sA und Rechnungslegung (2 C 5/22b), über die (teils außerordentliche) Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 23. Oktober 2024, GZ 42 R 116/24f‑81, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 18. Oktober 2023, GZ 2 C 5/19y (5/22b)‑68, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00058.25F.0918.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang ihrer rechtskräftigen Entscheidungen über das Rechnungslegungsbegehren, die Zurückweisung der Aufrechnungseinrede, soweit sie 6.340,95 EUR übersteigt, sowie die Abweisung von 63.376,74 EUR sA (führendes Verfahren) und 6.340,95 EUR sA (verbundenes Verfahren) unberührt bleiben, werden im übrigen Umfang aufgehoben. Die Rechtssachen werden insoweitzur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Beklagte ist im Jahr 2015 aus der Ehewohnung ausgezogen, in welcher die Klägerin mit der gemeinsamen Tochter verblieben ist. Als die Klägerin im Jänner 2016 vom Beklagten einen Betrag von 30.000 EUR verlangte, überwies der Beklagte diese Summe umgehend an sie.

[2] Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Erstgerichts vom 30. 9. 2019 geschieden und darin ausgesprochen, dass das Verschulden an der unheilbaren Zerrüttung der Ehe die nunmehrige Klägerin trifft. Dieses Urteil ist seit 2. 9. 2020 rechtskräftig. Die Klägerin ersetzte dem Beklagten bis dato nicht die Prozesskosten von 4.293,08 EUR aus dem Scheidungsverfahren.

[3] Im November 2022 übernahm der Beklagte nach Bitte seiner Tochter Reisekosten der Klägerin von 2.047,87 EUR. Er stellte gegenüber der Klägerin klar, dass er das Geld wieder zurück wolle, eine Rückzahlung erfolgte bislang nicht.

[4] Die Klägerin begehrt im führenden Verfahren für den Zeitraum Jänner 2016 bis einschließlich Jänner 2019 Unterhalt von 87.893,15 EUR sA und im verbundenen Verfahren für Februar bis Dezember 2019 Unterhalt von 9.578,52 EUR sA und Rechnungslegung über das Einkommen des Beklagten von Jänner bis September 2020.

[5] Der Beklagte wendet – soweit für das Revisionsverfahren relevant – ein, er habe seine Unterhaltspflicht aufgrund einer Zahlung von 30.000 EUR im Jänner 2016, wovon 778,48 EUR im Unterhaltsverfahren der Tochter berücksichtigt worden seien, bereits erfüllt. Als Gegenforderungenwendet er (soweit noch wesentlich) 4.293,08 EUR an Prozesskostenersatz aus dem Scheidungsverfahren und 2.047,87 EUR an übernommenen Reisekosten sowie hilfsweise (dh für den Fall der Nichtanrechnung auf den Unterhaltsanspruch) die Rückzahlung der 30.000 EUR im Ausmaß von 29.221,52 EUR ein.

[6] Die Klägerin replizierte, dass die Zahlung von 30.000 EUR nicht prozessgegenständlich sei. Sie sei als „Übertrag“ vor der geltend gemachten Unterhaltsperiode aus den ehelichen Ersparnissen erfolgt, weil die Klägerin aus Anlass der angestrebten Beantragung der Staatsbürgerschaft über ihren geringen Kontostand besorgt gewesen sei.

[7] Das Erstgerichtstellte im führenden Verfahren die Klagsforderung mit 7.582,22 EUR und die Gegenforderung bis zur Klagsforderung als zu Recht bestehend fest. Im verbundenen Verfahren erkannte es die Klagsforderung mit 9.578,52 EUR sowie die Gegenforderung bis zur Klagsforderung als zu Recht bestehend. Es wies daher beide Klagebegehren ab. Weiters verpflichtete es den Beklagten (rechtskräftig) zur Rechnungslegung über sein erzieltes Einkommen im Zeitraum vom 1. 1. 2020 bis 30. 9. 2020.

[8] Das Erstgericht wertete die Zahlung von 30.000 EUR als Vorleistung auf den Unterhaltsanspruch der Klägerin.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge.

[10] Im führenden Verfahren änderte es das Ersturteil unter Einschluss der rechtskräftigen Teilabweisung und des Rechnungslegungsanspruchs dahin ab, dass es die Klagsforderung mit 24.516,41 EUR als zu Recht bestehend erkannte und die Aufrechnungseinrede – soweit sie über die im verbundenen Verfahren als zu Recht bestehend erkannten Gegenforderungen hinausgehe – zurückwies. Es verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 24.516,41 EUR sA und wies das Mehrbegehren von 63.376,74 EUR sA (rechtskräftig) ab.

[11] Im verbundenen Verfahren erkannte es die Klagsforderung mit 9.578,52 EUR und die Gegenforderung mit 6.340,95 EUR als zu Recht bestehend. Die Aufrechnungseinrede hinsichtlich der darüber hinausgehenden Gegenforderungen wies es zurück. Es verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 3.237,57 EUR sA und wies das Mehrbegehren von 6.340,95 EUR sA (rechtskräftig) ab.

[12] Aufgrund der unterbliebenen Widmung der Zahlung von 30.000 EUR durch den Beklagten als Vorschuss auf den Geldunterhaltsanspruch der Klägerin scheide eine „materielle Aufrechnung“ mit den Unterhaltsansprüchen der Klägerin für die Vergangenheit aus. Mit Ausnahme der nicht bekämpften Gegenforderungen von 4.293,08 EUR (Prozesskosten) und 2.047,87 EUR (Reisekosten) bestehe nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ein Vorrang des Aufteilungsverfahrens, soweit aufzuteilendes Vermögen betroffen sei. Da das Aufteilungsverfahren noch nicht beendet sei, sei die Aufrechnungseinrede bezüglich der weiteren Gegenforderungen zurückzuweisen.

[13] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht im verbundenen Verfahren nachträglich zu, weil nicht auszuschließen sei, dass allenfalls die Frage einer Geldunterhaltsleistung unter Berücksichtigung der Ausführungen des Berufungsgerichts in der zuvor ergangenen Berufungsentscheidung nicht neuerlich aufzugreifen gewesen wäre und daher der Vorwurf der Überraschungsentscheidung insoweit zutreffe.

[14] In seiner (teils außerordentlichen) Revision beantragt der Beklagte, dass im führenden Verfahren das Klagebegehren abgewiesen und im verbundenen Verfahren die Klagsforderung als mit 4.705,11 EUR sowie die Gegenforderung bis zur Klagsforderung als zu Recht bestehend erkannt werden und das Klagebegehren ebenfalls abgewiesen wird.

[15] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurück-, hilfsweise die Abweisung der außerordentlichen Revision im führenden Verfahren und der ordentlichen Revision im verbundenen Verfahren.

Rechtliche Beurteilung

[16] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens

[17] 1.1 Die Höhe des Unterhaltsanspruchs der Klägerin sowie die Berechtigung der Gegenforderungen von 4.293,08 EUR (Kostenersatz aus dem Scheidungsverfahren) und 2.047,87 EUR (Reisekosten) sind im Rechtsmittelverfahren nicht mehr strittig.

[18] 1.2 Das Berufungsgericht hat die Aufrechnungseinrede des Beklagten – soweit sie über 6.250,95 EUR hinausgeht – zurückgewiesen. Umfasst ist daher auch die hilfsweise als Gegenforderung geltend gemachte Rückzahlung der 30.000 EUR. Die Zurückweisung einer Aufrechnungseinrede durch das Berufungsgericht ist unanfechtbar, weil dadurch der Rechtsschutz nicht abschließend verweigert wird (RS0043808 [T1]).

[19] 1.3 Gegenstand des Revisionsverfahrens ist daher nur die Frage, ob die vom Beklagten im Jänner 2016 geleistete Zahlung als vorweggenommene Erfüllung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin zu werten ist und der Beklagte somit seiner Unterhaltspflicht für den Zeitraum Jänner 2016 bis Dezember 2019 bis auf 4.705,11 EUR bereits nachgekommen wäre.

2. Vorleistung auf künftige Unterhaltsansprüche

[20] 2.1 Gemäß § 1412 ABGB wird die Verbindlichkeit vorzüglich durch Zahlung erfüllt. Da die Erfüllung kein Rechtsgeschäft ist, ist ein Erfüllungswille des Schuldners nicht Voraussetzung der Erfüllungswirkung (vgl RS0033232).

[21] Bei der Beurteilung, auf welche Schuld (Tilgungsobjekt) bezahlt wird, ist vom Empfängerhorizont auszugehen (vgl RS0033259). Ist der Bezug auf eine bestimmte Schuld offenkundig, genügt die Herbeiführung des Leistungserfolgs durch eine Leistungshandlung des Schuldners, die in jeder Weise der geschuldeten entspricht, zur Erfüllung (RS0033232 [T2]). Ein erklärter Zahlungswille ist zu beachten (Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1412 Rz 6).

[22] 2.2 Ein Gläubiger ist grundsätzlich nicht verpflichtet, eine vorzeitige Leistung anzunehmen, sondern kann diese zurückweisen. Der Unterhaltsberechtigte kann sich allerdings dann, wenn ihm zur Hereinbringung künftiger Unterhaltsleistungen die Exekution bewilligt worden ist, nicht auf § 1413 ABGB berufen, sondern muss eine vorzeitige Zahlung annehmen (RS0033335). Ob für die Obliegenheit zur Annahme das Vorliegen einer Exekutionsbewilligung erforderlich ist (vgl Stabentheiner/Kolbitsch‑Franz in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 1413 Rz 4) oder die Leistung künftigen Unterhalts generell anzunehmen ist (vgl Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1413 Rz 4), kann dahinstehen, weil die Klägerin die Annahme der 30.000 EUR ohnehin nicht verweigerte.

[23] 3. Im vorliegenden Fall steht nur fest, dass der Beklagte einen Betrag von 30.000 EUR umgehend an die Klägerin überwies, als sie nach Auflösung der ehelichen Gemeinschaft im Jänner 2016 vom Beklagten diese Summe forderte.

[24] Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, dass sich aus den Feststellungen kein Hinweis ergibt, dass der Beklagte (allenfalls konkludent) seinen Zahlungswillen erklärte oder für die Klägerin aus sonstigen Umständen objektiv erkennbar war, dass die Zahlung – wie vom Beklagten geltend gemacht – als Vorleistung auf die (großteils erst künftig fälligen) Unterhaltsansprüche dienen sollte.

[25] 4. Die damit begründete Entscheidung des Berufungsgerichts verstößt allerdings gegen das Verbot der Überraschungsentscheidung:

[26] 4.1 Das Berufungsgericht hatte in der Rechtsmittelentscheidung gegen das Teilurteil, mit dem der Beklagte verpflichtet wurde, der Klägerin über sein erzieltes Einkommen im Zeitraum 1. 1. 2016 bis 31. 1. 2019 Rechnung zu legen, die Zahlung der 30.000 EUR als Geldunterhaltsleistung qualifiziert.

[27] Das Erstgericht wertete – dieser Rechtsansicht folgend – im weiteren Verfahren die Zahlung als Vorleistung auf den ab Jänner 2016 geschuldeten Unterhalt.

[28] 4.2 Das Berufungsgericht verwies sodann erstmals in der angefochtenen Entscheidung darauf, dass sich aus den Feststellungen kein Hinweis auf eine Widmung als Vorschuss auf den Unterhalt ergebe und der Beklagte eine solche Widmung nicht einmal behauptet, sondern lediglich vorgebracht habe, dass es sich um einen Vorschuss gehandelt habe. Ausgehend davon liege keine Vorleistung auf die zukünftigen Unterhaltsansprüche der Klägerin vor.

[29] 4.3 Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RS0037300). Das gilt auch für das Berufungsgericht (vgl RS0037300 [T24]). § 182a ZPO hat nichts daran geändert, dass es keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen bedarf, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben hat (RS0122365).

[30] 4.4 Die Erklärung eines Zahlungswillens („Widmung“) und die Erkennbarkeit des Tilgungsobjekts waren im bisherigen Verfahren kein Thema. Angesichts der Vorentscheidung zum Rechnungslegungsbegehren, in dem die Zahlung vom Berufungsgericht – trotz ebenfalls fehlenden Vorbringens – explizit als Geldunterhaltszahlung gewertet wurde, kann dem Beklagten sein fehlendes Vorbringen zu diesen Aspekten nicht vorgeworfen werden.

[31] Die Klägerin bestritt zwar allgemein die Anrechnung der Zahlung auf den Unterhalt, wies ihrerseits aber weder auf eine fehlende Erklärung des Beklagten hin noch nannte sie einen abweichenden Rechtsgrund, dem sie die Zahlung zuordnete, sodass deren Einwendungen nichts an der Erörterungsbedürftigkeit ändern.

[32] 4.5 Dem Beklagten gelingt es in seiner Revision auch, die Erheblichkeit dieses Verfahrensmangels aufzuzeigen. Er verweist darauf, dass er dargelegt hätte, dass die Zahlung als Unterhaltszahlung berücksichtigt hätte werden müssen, weil unstrittig sei, dass er zum Zeitpunkt der Zahlung unterhaltspflichtig für die Klägerin gewesen sei und die Klägerin über keine weiteren Ansprüche gegen den Beklagten verfügt hätte. Ein Aufteilungsanspruch wäre ihr zu diesem Zeitpunkt nicht zugestanden, weil die Ehe erst viele Jahre später geschieden worden sei.

[33] 5. Die Urteile der Vorinstanzen sind daher – soweit sie nicht bereits rechtskräftig sind – zur Erörterung dieser Fragen aufzuheben. Auf Basis eines allenfalls ergänzten Parteivorbringens wird das Erstgericht ausreichend konkrete Feststellungen zu einer (allenfalls schlüssigen) Erklärung des Zahlungswillens bzw zur Erkennbarkeit des Tilgungsobjekts für die Klägerin zu treffen haben, um beurteilen zu können, ob der Beklagte seine Unterhaltspflicht im Umfang von 29.221,52 EUR durch eine Vorausleistung im Jänner 2016 bereits erfüllt hat.

[34] Dabei ist zu beachten, dass der Schuldner nach Erbringung der Leistung eine unterbliebene Widmung nicht mehr nachholen kann, wenn für den Empfänger nicht erkennbar gewesen sein sollte, auf welchen Schuldposten die Zahlung erfolgt ist (3 Ob 113/13h Punkt 7.1 mwN). Relevant sind daher nur jene Umstände und Erklärungen des Beklagten, die vor der Annahme der Zahlung durch die Klägerin erfolgt sind.

[35] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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