OGH 7Ob56/25y

OGH7Ob56/25y7.8.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und durch die Hofrätin sowie die Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Gemeinde *, vertreten durch die Kneissl Tuncer Ebermayer Rechtsanwälte GmbH in Kitzbühel, wegen Feststellung, Zustimmung, Beseitigung und Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 24. Jänner 2025, GZ 3 R 146/24b‑47, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 16. Mai 2024, GZ 1 C 196/23f‑40, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00056.25Y.0807.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.127,40 EUR (darin enthalten 187,90 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ * KG *, bestehend aus GSt-Nr *. Rechtsvorgänger der Klägerin als Eigentümer der Liegenschaft waren unter anderem *.

[2] Die Beklagte verwaltet die Liegenschaft EZ * KG * (öffentliches Gut), bestehend unter anderem aus GSt-Nr *. Dieses Grundstück grenzt an das Grundstück der Klägerin an.

[3] Das GSt-Nr * war ursprünglich eine beidseits eingezäunte Viehtriebgasse. Im Zusammenhang mit einem im Jahr 1932 geschlossenen Vergleich vereinbarten * sowieder Eigentümer deswestlich gelegenenGrundstücks GSt-Nr *, die Viehtriebgasse zu verlegen, sodass diese westlich des GSt-Nr * zwischen diesem und dem GSt-Nr * verlaufe.

[4] Die Rechtsvorgänger der Klägerin setzten den damaligen Bürgermeister und den Gemeindesekretär der Beklagten von diesemVorhaben in Kenntnis. Sie erklärten, dass – damit sie eine Zufahrt zu ihrer Liegenschaft erhalten – die Viehtriebgasse verlegt werden sollte. Im Gegenzug sollte eine Teilfläche des GSt-Nr * zu ihrem Grundstück gezäunt und ein Teil davon als Zufahrt genutzt werden. Der Bürgermeister und der Gemeindesekretär waren damit einverstanden. Einen Beschluss des Gemeinderats gab es nicht.

[5] Die Viehtriebgasse wurde daraufhin verlegt. Die Rechtsvorgänger der Klägerin entfernten spätestens im Jahr 1937 die Zäune der ursprünglichen Viehtriebgasse. Sie errichteten einen neuen Zaun und zäunten eine Teilfläche im Ausmaß von 445 m² des GSt-Nr * zu ihrem Grundstück hinzu. Die Zufahrt zu diesem Grundstück führte fortan über diese Teilfläche. Die Klägerin und ihre Rechtsvorgänger nutzten diese Fläche als Acker, Garten, Wiese und Zufahrt. Die Beklagte wusste seit der Zaunerrichtung, dass die Rechtsvorgänger der Klägerin die eingezäunte Teilfläche und die Zufahrt als ihnen gehörig nutzten.

[6] Die Rechtsvorgänger der Klägerin und diese zweifelten bis zum Jahr 2005 nie daran, die Teilfläche als die ihrige (wie Eigentümer) besitzen und nutzen zu dürfen. Ihr Wille war während der gesamten Zeit immer darauf gerichtet, die Teilfläche als ihnen gehörig zu besitzen, zu nutzen und zu behalten. Sie taten dies im Bewusstsein, dazu aufgrund des Einvernehmens mit der Beklagten berechtigt zu sein.

[7] Mit Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 9. 8. 1950 wurde gemäß § 2 lit e Verwaltergesetz für das Vermögen von * als reichsdeutsche Staatsangehörige ein öffentlicher Verwalter bestellt. Mit Bescheid des Bundesministeriums für Finanzen vom 19. 3. 1952 wurde die öffentliche Verwaltung aufgehoben und gemäß § 20 Verwaltergesetz eine öffentliche Aufsichtsperson für die Liegenschaft bestellt. Mit Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 6. 4. 1959 wurde die öffentliche Aufsicht aufgehoben. Die Rechtsvorgänger der Klägerin lebten während dieser Zeit weiterhin auf der Liegenschaft und nutzten die Teilfläche wie bisher.

[8] Die Klägerin begehrt – gestützt auf Ersitzung und vertraglichen Anspruch – die Feststellung, dass die strittige Teilfläche in ihrem Eigentum steht, sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Zustimmung, dass diese Teilfläche von der Liegenschaft EZ * abgeschrieben und der Liegenschaft der Klägerin rechte- und lastenfrei zugeschrieben wird, und zur Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechts der Klägerin. Weiters sei die Beklagte schuldig, einen innerhalb der Teilfläche in den Boden eingeschlagenen Holzpflock zu entfernen sowie das Einschlagen von Pflöcken in die Erde, die farbliche Markierung von Bäumen und andere gleichartige Handlungen zu unterlassen.

[9] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Rechtsvorgänger der Klägerin hätten die strittige Teilfläche über 40 Jahre lang redlich besessen. Die Ersitzungszeit laufe trotz Bestellung eines öffentlichen Verwalters oder einer öffentlichen Aufsichtsperson weiter. Dass die Beklagte im Jahr 1966 schriftlich zur Wiederherstellung der ursprünglichen Viehtriebgasse aufgefordert habe, bewirke angesichts des in der Folge von ihr gesetzten Verhaltens keine Unredlichkeit. Ein gesetzliches Ersitzungsverbot stehe der Ersitzung nicht entgegen.

[11] Die ordentliche Revision ließ es zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Unterbrechung der Ersitzung durch Bestellung eines öffentlichen Verwalters, zur Frage der Redlichkeit, wenn bei einem rechtsgeschäftlichen Erwerb eines Liegenschaftsteils von einer Gemeinde kein Gemeinderatsbeschluss vorliege, und dazu, ob ein Schreiben über die Beanspruchung einer Liegenschaft als Einheit mit einem nachfolgenden gegenteiligen Verhalten angesehen werden könne, fehle.

Rechtliche Beurteilung

[12] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[13] 1.1. Die Beklagte bestreitet nicht, dass bei Zutreffen der dafür notwendigen Voraussetzungen die Ersitzung des Eigentums an einer zum öffentlichen Gut gehörigen Liegenschaft möglich ist (vgl RS0009807). Einer Ersitzung stehe aber ein landesgesetzliches Ersitzungsverbot entgegen.

[14] 1.2. Die Ersitzung an einem öffentlichen Gut ist ausgeschlossen, wenn die Ausübung von Nutzungsrechten daran verboten ist (RS0034090). Ein solches Ersitzungsverbot erfordert das unmissverständlich und zwingend angeordnete Verbot jener Nutzungsausübung, die andernfalls zum Erwerb eines entsprechenden dinglichen Rechts durch Ersitzung führen könnte (RS0034090 [T1]).

[15] 1.3. Gemäß § 11 Tiroler Straßenpolizeiordnung 1923 (LGBl 6/1924) war zwar jede Benützung der Straßen zu anderen als den bestimmungsgemäßen Verkehrszwecken (§ 2 Tiroler Straßengesetz 1923, LGBl 5/1924) verboten. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch zur ähnlich lautenden Bestimmung des § 54 Abs 1 Stmk LStVG 1964, wonach jede Benützung von Straßen und der dazugehörigen Anlagen für einen anderen als den bestimmungsgemäßen Zweck einer Zustimmung der Straßenverwaltung bedarf, bereits ausgesprochen, dass ein ausdrückliches Ersitzungsverbot für den Gemeingebrauch überschreitende Sondernutzungsrechte nicht anzunehmen sei, weil die gesetzliche Anordnung auch so gedeutet werden könne, dass sie sich nur auf bestimmungsgemäß dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straßen beziehe (5 Ob 70/04m). Aus welchen Gründen diese Rechtsprechung nicht auf die insoweit vergleichbare Rechtslage nach § 11 Tiroler Straßenpolizeiordnung 1923 sowie §§ 1 und 2 Tiroler Straßengesetz 1923 (bzw §§ 1 und 2 Tiroler Straßengesetz 1950, LGBl 1/1951) zu übernehmen ist, legt die Revision nicht dar. Die von der Klägerin geltend gemachte Ersitzung scheitert somit nicht an diesen Gesetzesbestimmungen.

[16] 1.4. Gemäß § 59 Tiroler Straßengesetz 1950 wurde jede vorsätzliche und jede durch Mängel pflichtgemäßer Aufmerksamkeit verursachte Beschädigung einer Straße, der dazugehörigen baulichen Anlagen udgl als Verwaltungsübertretung geahndet. Soweit sich die Revision auf diese Bestimmung als Ersitzungsverbot stützt, weil die Umgestaltung der ursprünglichen Viehtriebgasse damit eine Verwaltungsübertretung darstelle, legt sie jedoch schon nicht dar, inwiefern einem – wie vom Berufungsgericht angenommen – im Zeitpunkt des Besitzerwerbs und der Umgestaltung der Fläche redlichen Ersitzungsbesitzer ein zumindest fahrlässiges Handeln vorgeworfen werden könne. Daher bedarf es keiner weiteren Auseinandersetzung mit der Frage, ob die genannte Bestimmung überhaupt ein Ersitzungsverbot anordnet.

[17] 1.5. Die Revision zeigt damit keine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts auf, soweit dieses – bis zum Inkrafttreten des Tiroler Straßengesetzes 1989 (LGBl 13/1989) – das Vorliegen eines Ersitzungsverbots verneint.

[18] 2.1. Voraussetzungen für die Ersitzung nach § 1477 ABGB sind neben dem Zeitablauf echter und redlicher Besitz eines Rechts, das seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entsprochen hat, und der Besitzwille (RS0034138 [insb T2]; RS0034283). Die Ersitzung des Eigentumsrechts setzt dabei Alleinbesitz voraus (RS0009792; RS0010117). Die Besitzausübung muss die volle Zugehörigkeit der Sache zum Ausübenden sichtbar zum Ausdruck bringen; die Besitzausübung dritter Personen muss erkennbar ausgeschlossen sein (vgl RS0010101; RS0034276; RS0009792 [T9, T12]).

[19] 2.2. Die Beweislast für die Ersitzungsvoraussetzungen trifft grundsätzlich den Ersitzungsbesitzer (RS0034237; RS0034251; RS0034243). Zur Vollendung der Ersitzungszeit genügt es, dass der Bestand des Besitzes bei deren Beginn und an deren Ende feststeht. Der Gegner hat demgegenüber einen in der Ersitzungszeit eingetretenen Besitzverlust oder eine Unterbrechung der Ersitzung zu beweisen wie auch, dass der Besitz nicht redlich oder nicht echt gewesen sei, sowie dass überhaupt die Absicht der Rechtsausübung gefehlt hätte (1 Ob 10/15z).

[20] 3.1. Nach § 326 (iVm § 1463) ABGB ist redlich, wer eine Sache aus wahrscheinlichen Gründen für die Seinige hält. Redlichkeit verlangt also nicht den Glauben, Eigentümer zu sein, sondern nur den Glauben an einen gültigen Titel (RS0010172). Maßgeblich ist demgemäß das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Besitzausübung (10 Ob 20/23y; 7 Ob 97/21x; 2 Ob 37/20k mwN), das beim Besitzerwerb und während der ganzen Ersitzungszeit vorhanden sein muss (RS0010175; RS0034105). Die Ersitzung wird daher etwa auch durch nachträgliche Schlechtgläubigkeit unterbrochen (RS0034103). Der gute Glaube fehlt bzw geht verloren, wenn der Besitzer positiv Kenntnis erlangt, dass sein Besitz nicht rechtmäßig ist, oder zumindest solche Umstände erfährt, die Anlass geben, an der Rechtmäßigkeit der Besitzausübung zu zweifeln (RS0010184; RS0010137 [T1]), wobei bereits leichte Fahrlässigkeit die Redlichkeit ausschließt (RS0103701; RS0010189 [T6, T7]). Da die Redlichkeit nach § 328 ABGB vermutet wird (RS0034251 [T6]; RS0010185 [T5]), trifft den Gegner für die Fehlerhaftigkeit und Unredlichkeit des Besitzes die Behauptungs- und Beweislast (RS0010185; RS0010175 [T2]; RS0034251).

[21] 3.2. Die Qualifikation des Verhaltens des Besitzers als redlich oder unredlich hängt von den Umständen des konkreten Falls ab und stellt daher in der Regel keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0010184 [T13]; RS0010185 [T7]). Dies trifft insbesondere auf die Frage zu, inwieweit Umstände geeignet sind, beim Erwerber dahingehende Zweifel hervorzurufen (RS0010184 [T14]).

[22] 3.3. Das Berufungsgericht nimmt eine redliche Besitzausübung der Rechtsvorgänger der Klägerin an, weil sie aufgrund der Einbindung des Bürgermeisters und des Gemeindesekretärs der Beklagten sowie der von dieser unwidersprochen gebliebenen Nutzung der Teilfläche davon ausgehen hätten dürfen, dass sie rechtmäßig Eigentümer geworden seien. Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der aufgezeigten Judikatur.

[23] 3.4.1. Eine durch einen erforderlichen Gemeinderatsbeschluss nicht gedeckte Willenserklärung des Bürgermeisters bindet mangels der dafür erforderlichen Vertretungsbefugnisse die Gemeinde grundsätzlich nicht (RS0014664; RS0014699; RS0014717). Nach § 65 Abs 1 der Gemeindeordnung für das Land Tirol idF LGBl 36/1928 vertrat der Bürgermeister die Gemeinde nach außen und vermittelte den Geschäftsverkehr derselben. Gemäß § 42 Abs 1 Z 1 leg cit unterlag jedoch jede Verfügung über das Gemeindevermögen und Gemeindegut und jede Bestimmung über die Art der Benützung des Gemeindeguts der Beratung und Beschlussfassung des Gemeinderats. Vorliegend wurde ein vom Bürgermeister geäußertes Einverständnis zur Verlegung der Viehtriebgasse und Hinzuzäunung der strittigen Teilfläche zum Grundstück der Rechtsvorgänger der Klägerin also nicht wirksam, weil die Genehmigung durch den Gemeinderat nicht erfolgte. Dieser Umstand steht einer Ersitzung jedoch nicht entgegen, weil die Rechtmäßigkeit des Besitzes keine Voraussetzung der uneigentlichen Ersitzung ist (§ 1477 ABGB; RS0034138 [T3]). Ebenso wenig kommt es damit auf die Argumentation in der Revision an, die mangelnde Bindung der Beklagten an die Willenserklärung des Bürgermeisters sei weder durch eine (nachträgliche) schlüssige Zustimmung noch eine Duldung der Grundstücksnutzung geheilt worden.

[24] 3.4.2. Nach § 326 ABGB kann jemand aus Irrtum über Tatsachen oder Unwissenheit der gesetzlichen Vorschriften ein zwar unrechtmäßiger, aber doch redlicher Besitzer sein. Die uneigentliche Ersitzung hat auch dann Bedeutung, wenn der Ersitzende zwar die vertragliche Einräumung von Rechten annimmt, diese aber nicht ausreichend nachweisbar ist, oder ein Recht trotz ausreichenden Titels nicht verbüchert wurde (10 Ob 20/23y Rz 16 mwN). Ein Ersitzungsbesitzer ist dabei entgegen der Revisionsausführungen nicht schon allein deshalb unredlich, weil bei Übertragung von Liegenschaftsvermögen einer Gemeinde die dafür maßgeblichen Organisationsvorschriften nicht eingehalten wurden. Die Beurteilung der Redlichkeit erfolgt vielmehr auch diesfalls nach den Umständen des konkreten Falls (vgl 7 Ob 180/10m; zu § 418 Satz 3 ABGB: 2 Ob 94/12f). Soweit die Revision dazu auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abstellt, wonach ein Dritter die für die Willensbildung einer Gemeinde geltenden öffentlich-rechtlichen Beschränkungen auch dann gegen sich gelten lassen muss, wenn er sie nicht gekannt haben sollte (vgl RS0014699), betrifft dies die Wirksamkeit eines abgeschlossenen Rechtsgeschäfts, nicht aber die Ersitzungsvoraussetzung der Redlichkeit.

[25] 3.4.3. Berücksichtigt man, dass der Bürgermeister und der Gemeindesekretär in das Vorhaben der Liegenschaftseigentümer eingebunden und damit einverstanden waren, die Beklagte – obwohl ihre Organe davon wussten – die Verlegung der Viehtriebgasse sowie die Umgestaltung und Nutzung der Teilfläche durch die Rechtsvorgänger der Klägerin als ihnen gehörig erstmals mit Schreiben vom 19. 9. 1966 beanstandete und die Rechtsvorgänger der Klägerin keine Zweifel am Eigentum an der Teilfläche hatten, ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts vertretbar, wonachder Besitz redlich gewesen sei. Die den Organen der Beklagten bekannte und für jedermann erkennbare Nutzung der Teilfläche wurde über Jahre hinweg weder behördlich beanstandet noch von der Beklagten aufgegriffen. Vielmehr zog diese selbst die ausschließliche Verfügungs- und Nutzungsgewalt der Rechtsvorgänger der Klägerin über die Fläche nie in Zweifel.

[26] 3.4.4. Vorliegend gibt es auch nicht den Ausschlag, dass die vereinbarte Verlegung der Viehtriebgasse im mehrpersonalen Verhältnis zwischen den Rechtsvorgängern der Klägerin, dem Eigentümer der benachbarten Liegenschaft sowie dem Bürgermeister und Gemeindesekretär der Beklagten besprochen wurde. Inwiefern dieser Umstand sowie eine rechtliche Qualifikation der Vereinbarung als Kauf- oder Tauschvertrag der Redlichkeit entgegenstehen soll, vermag die Revision nicht darzulegen. Eine rechtsgeschäftliche Bindung der Beklagten haben die Vorinstanzen zudem ohnehin nicht angenommen.

[27] 3.5.1. Schon die Mitteilung des Rechtsstandpunkts des (grundbücherlichen) Eigentümers der Sache oder die Inanspruchnahme des Besitzes der strittigen Sache durch den Ersitzungsgegner kann den guten Glauben des Ersitzungsbesitzers zerstören (RS0010175 [T4]; 7 Ob 180/10m). Demgemäß schließt ein Verbotsschild in der Regel den guten Glauben an die Rechtmäßigkeit der Rechtsausübung aus, weil dem Ersitzungsbesitzer die Unrechtmäßigkeit des Besitzes bzw der Benützung bekannt sein musste (4 Ob 69/23k Rz 17 mwN). Die Redlichkeit kann jedoch im Einzelfall dennoch gegeben sein, wenn über Jahrzehnte hinweg die Besitzausübung trotz Kenntnis der Nutzung trotz Verbotstafel seitens des Ersitzungsgegners geduldet wird, er diese also unbeanstandet hinnimmt (9 Ob 39/24m Rz 39; 4 Ob 69/23k Rz 20; 4 Ob 49/16h).

[28] 3.5.2. Der vorliegende Fall ist insoweit ähnlich gelagert. Die Beklagte forderte – nach bereits langjähriger Duldung der Einzäunung und Nutzung der Fläche durch die Rechtsvorgänger der Klägerin – im Jahr 1966 zwar zunächst in einem Schreiben zur Wiederherstellung der ursprünglichen Viehtriebgasse auf. Im nachfolgenden Bescheid vom 8. 6. 1967 hielt sie jedoch gegenteilig fest, die Wegverlegung sei mit stillschweigender Duldung durch die Gemeinde ausgeführt worden und habe gemäß der Vereinbarung eine Einzäunung und Inbesitznahme des aufgelassenen Grundstücksteils stattgefunden. Die Beklagte widersprach zudem nicht dem Schreiben der Rechtsvorgänger der Klägerin vom 3. 10. 1966. Weiters duldete sie auch nach ihrem Schreiben langjährig die Einzäunung und Nutzung der strittigen Teilfläche durch die Rechtsvorgänger der Klägerin. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die Redlichkeit trotz des im Jahr 1966 übermittelten Schreibens dennoch gegeben sei, jedenfalls vertretbar.

[29] 3.5.3. Dem Standpunkt der Beklagten, sie habe mit dem Bescheid vom 8. 6. 1967 ihr Nutzungsrecht an der strittigen Fläche nach außen hin aufgezeigt, steht schon der Inhalt der Bescheidbegründung entgegen.

[30] 4.1. Die – insofern beweispflichtige (RS0034251 [T5, T8]) – Beklagte behauptet, die Bestellung des öffentlichen Verwalters und der öffentlichen Aufsichtsperson habe die Ersitzung unterbrochen. Den Berechtigten werde die Dispositionsbefugnis über das verwaltete Vermögen entzogen und dem öffentlichen Verwalter übertragen.

[31] 4.2.1. Gemäß § 5 Verwaltergesetz (Bundesgesetz vom 26. 7. 1946, BGBl Nr 157/1946) ruhten während der Dauer der öffentlichen Verwaltung die Befugnisse des bisher Verfügungsberechtigten und bei juristischen Personen die Befugnisse ihrer Organe und Mitglieder, von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen. Der öffentliche Verwalter übte vielmehr gemäß § 6 Verwaltergesetz alle Rechte und Pflichten des Verfügungsberechtigten (der Organe) aus, vertrat das Unternehmen nach außen und hatte gemäß § 7 die Weisungen des bestellenden Ministeriums zu befolgen.

[32] 4.2.2. Durch die Bestellung eines Verwalters wurden die Dispositionsbefugnis über das verwaltete Vermögen den bisher Verfügungsberechtigten entzogen und alle Befugnisse dem Verwalter übertragen, der sie unter Kontrolle der zuständigen Aufsichtsbehörde auszuüben hatte (6 Ob 89/66; 7 Ob 831/76). Der öffentliche Verwalter hatte ab dem Zeitpunkt der Bewilligung der öffentlichen Verwaltung den bisher Verfügungsberechtigten nach außen zu vertreten (5 Ob 289/64).

[33] 4.2.3. Der öffentliche Verwalter war gesetzlicher Vertreter desjenigen, dem das Unternehmen, das Vermögen oder das Recht gehörte, das unter öffentlicher Verwaltung stand (3 Ob 498/53; 1 Ob 384/60 mwN). Der öffentliche Verwalter handelte somit als Vertreter des Eigentümers (1 Ob 580/52). Der ursprünglich Verfügungsberechtigte blieb trotz der – behördlich angeordneten – öffentlichen Verwaltung dennoch Eigentümer des unter öffentlicher Verwaltung stehenden Vermögens (vgl 1 Ob 384/60 [auch mit Hinweis auf die damalige Rechtslage bei Entmündigten]). Durch die Bestellung eines öffentlichen Verwalters wurde somit nur die Vertretungsbefugnis anders geregelt (3 Ob 498/53).

[34] 4.2.4. Bei Bestellung einer öffentlichen Aufsichtsperson hatte die Geschäftsführung des betroffenen Unternehmens gemäß § 20 Abs 2 Verwaltergesetz der Aufsichtsperson alle notwendigen Auskünfte zu erteilen und Einsicht in ihre Bücher und Korrespondenzen zu gewähren, während dieser nach § 21 leg cit bei allen über den Rahmen des gewöhnlichen und ordentlichen Geschäftsbetriebs hinausgehenden Verfügungen ein Einspruchsrecht zustand.

[35] 4.3.1. Für die Ersitzung muss die Besitzausübung ununterbrochen während der gesamten Ersitzungszeit gegeben sein (vgl RS0105766). Ein Besitzverlust unterbricht daher die Ersitzung (§ 1460 ABGB). Die Rechtsvorgänger der Klägerin nutzten die strittige Grundfläche auch während der Zeit der öffentlichen Verwaltung und öffentlichen Aufsicht unverändert. Die erkennbare Rechtsausübung erfolgte weiterhin wie zuvor.

[36] 4.3.2. Den Revisionsausführungen, der öffentliche Verwalter sei als „(quasi) Eigentümer“ der Liegenschaft und Stellvertreter des Bundes bzw des zuständigen Bundesministeriums tätig geworden, womit es zur Unterbrechung der Besitzausübung und der Ersitzung gekommen sei, ist die unter Pkt 4.2.3. dargestellte Rechtsprechung entgegenzuhalten. Der öffentliche Verwalter handelte als gesetzlicher Vertreter der Rechtsvorgänger der Klägerin. Er wurde weder (außerbücherlicher) Eigentümer der verwalteten Sache noch vertrat er bei Ausübung der öffentlichen Verwaltung den Bund.

[37] 4.3.3. Ob die Rechtsvorgänger der Klägerin trotz der Bestellung des öffentlichen Verwalters ihren bereits zuvor erworbenen Besitz an der strittigen Grundfläche durch deren weitere Nutzung aufrecht erhielten und die Ersitzung selbst fortführten (vgl § 352 S 2 ABGB; Ehgartner/Winkler in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1460 Rz 10 [Stand 1. 9. 2021, rdb.at]) oder diese unmittelbare Besitzausübung im rechtlichen Sinn unterbrochen wurde, kann dahingestellt bleiben. Für letzteren Fall nahm das Berufungsgericht nämlich an, der öffentliche Verwalter als gesetzlicher Vertreter habe die Besitzausübung für die Rechtsvorgänger der Klägerin fortgeführt. Dabei schadet es nicht, wenn er einen Besitz nicht selbst ausgeübt hat. Der Rechtsbesitz kann auch durch Stellvertreter, Boten oder andere Besitzmittler ausgeübt werden (RS0011655), selbst wenn diese nicht für sich (selbständig) Besitz erwerben können (1 Ob 10/15z). Als Besitzmittler können somit auch Personen in Betracht kommen, denen – wie den Rechtsvorgängern der Klägerin – die Dispositionsbefugnis über ihr Vermögen entzogen wurde. Dies unterstellt auch die Beklagte, führt sie in der Revision doch selbst aus, die Rechtsvorgänger der Klägerin seien als „Mittelspersonen“ des öffentlichen Verwalters anzusehen.

[38] 4.3.4. Der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Besitzausübung sei somit weiterhin ununterbrochen, tritt die Revision nur insofern entgegen, als sie einen auf Erwerb von Eigentum an der strittigen Teilfläche gerichteten Besitzwillen des öffentlichen Verwalters und des Bundes bezweifelt. Dazu ist erneut auf das unter Pkt 4.2.3. Gesagte zu verweisen. Auf einen Besitzwillen des Bundes kommt es nicht an. Zudem übergeht die Beklagte die ständige Rechtsprechung, wonach für den Besitzwillen das äußere Bild der Benützung ausschlaggebend ist (RS0011655 [T3]). Im Übrigen behauptete sie im erstinstanzlichen Verfahren nicht, dass der öffentliche Verwalter einen von den Rechtsvorgängern der Klägerin abweichenden Besitzwillen gehabt habe (vgl RS0034224) oder unredlich gewesen sei. Somit ist ihr dieser Einwand nunmehr verwehrt.

[39] 4.3.5. Damit istvorliegend auch nicht weiter zu beurteilen, ob es bei Bestellung eines öffentlichen Verwalters (nur) auf dessen Besitzausübung, Besitzwillen und Gutgläubigkeit oder (auch) jene/n des Vertretenen ankommt (vgl RS0010174; RS0102112).

[40] 4.4. Die in der Revision als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob es durch Bestellung eines öffentlichen Verwalters zur Hemmung oder Unterbrechung der Ersitzung komme, stellt sich daher in dieser Form nicht.

[41] 4.5. Auf die im erstinstanzlichen Verfahren noch behauptete Enteignung der Rechtsvorgänger der Klägerin und einen damit verbundenen Übergang des Liegenschaftseigentums auf den Bund von 1945 bis 1959 kommt die Beklagte in der Revision nicht mehr zurück. Darin übernimmt sie vielmehr die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach es zu einer Enteignung nicht gekommen sei. Auf die Behauptung der Beklagten, der Bund als zwischenzeitiger Eigentümer habe keinen Besitzwillen und keine Redlichkeit hinsichtlich der strittigen Grundfläche gehabt, kommt es damit auch hier nicht an.

[42] 5. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe im erstinstanzlichen Verfahren keine konkreten grundbücherlichen Lasten behauptet, womit die Berufungsausführungen zu der unter C-LNr 33 einverleibten Last gegen das Neuerungsverbot verstoßen würden, ist nicht korrekturbedürftig, weil die Beklagte diesen konkreten Einwand im Verfahren erster Instanz nicht erhoben, sondern nur auf „allenfalls grundbücherlich sichergestellte Rechte und Lasten“ verwiesen hat (vgl zur Auslegung von Vorbringen als Frage des Einzelfalls RS0042828). Zudem legt die Revision nicht dar, weshalb eine lastenfreie Ab- und Zuschreibung nicht geschuldet werde.

[43] 6. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[44] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.

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