European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00202.24W.0722.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurswird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 1.680,28 EUR (darin 268,28 EUR an 19%iger USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin, eine Verbraucherin mit Wohnsitz im Sprengel des Erstgerichts, begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand den Ersatz von Verlusten aus in Österreich konzessionslosem und damit verbotenem Online‑Glücksspiel. Sie stützt sich dafür auf Schadenersatz und eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der nichtigen Glücksspielverträge.
[2] Über eine entsprechende Einrede (und nach mündlicher Erörterung) wies das Erstgericht die Klage gegenüber der Erstbeklagten wegen internationaler (und örtlicher) Unzuständigkeit zurück.
[3] Es ging davon aus, dass die Erstbeklagte keine Online‑Glücksspiele anbiete. Betreiberin der Webseite www.*.com/at, auf der die Klägerin gespielt habe, sei die Zweitbeklagte. Die Erstbeklagte sei zwar deren 100 %ige Tochtergesellschaft und laut AGB der Zweitbeklagten ihre „Zahlstelle“, die die Zahlungen nach bzw von Curaçao weiterleite. Dies genüge aber nicht für eine Zuständigkeit nach Art 17 Abs 1, Art 18 Abs 1 EuGVVO 2012. Der Verbrauchergerichtsstand setze einen – autonom zu bestimmenden – Vertrag oder Ansprüche aus einem solchen voraus. Einseitige Verpflichtungen würden dafür ausreichen, allerdings keine Vertragskette; vielmehr müsse eine direkte vertragliche Beziehung zwischen den Streitteilen bestehen. Das Klagsvorbringen dazu sei jedoch widersprüchlich und unschlüssig geblieben, weil die Klägerin einen „dreipersonalen Rahmenvertrag“ behaupte, die Erstbeklagte jedoch als Zahlstelle bezeichne und kein (dreipersonales) Anweisungsverhältnis oder eine sonstige direkte vertragliche Beziehung zur Erstbeklagten behaupte. Die Erstbeklagte sei vielmehr mit einer Zwischenbank im bargeldlosen Zahlungsverkehr vergleichbar. Die Klägerin könne daher ihre Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, die in einem nichtigen Vertrag wurzeln, nur gegen die Anbieterin des Glücksspiels, sohin die Zweitbeklagte, als ihre einzige Vertragspartnerin und alleinige Leistungsempfängerin geltend machen.
[4] Des Weiteren verneinte das Erstgericht eine Zuständigkeit für deliktische Schadenersatzansprüche wegen einer Verletzung des GSpG nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012.
[5] Das Rekursgericht gab einem Rekurs der Klägerin teilweise Folge und bestätigte die Klagszurückweisung „soweit die Klägerin ihr gegen die Erstbeklagte erhobenes Begehren auf den Rechtsgrund der ungerechtfertigten Bereicherung stützt“. Hingegen verwarf es die Unzuständigkeitseinrede, „soweit die Klägerin ihr gegen die Erstbeklagte erhobenes Begehren auf den Rechtsgrund des deliktischen Schadenersatzes stützt“.
[6] Es vertrat ebenfalls die Ansicht, dass das Klagsvorbringen zur Zuständigkeit betreffend den Bereicherungsanspruch gegen die Erstbeklagte unschlüssig geblieben sei, weil ein solcher nur gegenüber der Zweitbeklagten als Leistungsempfängerin und nicht gegenüber der Erstbeklagten als bloßer Zahlstelle bestehen könne. Hingegen stehe der Gerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 zur Verfügung, wenn ein in Österreich wohnhafter Spieler aus dem Rechtsgrund des deliktischen Schadenersatzes ein in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässiges Unternehmen mit der Begründung belange, es habe als Zahlstelle (Vertreter) und damit auch als Beitragstäter des Anbieters in Österreich verbotener Glücksspiele agiert.
[7] Da der Oberste Gerichtshof dazu noch nicht explizit Stellung genommen habe, sei der Revisionsrekurs zur Frage der internationalen Zuständigkeit für deliktische Schadenersatzansprüche gegen die Erstbeklagte zulässig.
[8] Gegen diese Entscheidung erhob ausschließlich die Klägerin einen [richtig:] Revisionsrekurs, mit dem sie deren bestätigenden Teil bekämpft und eine Zuständigkeit des Erstgerichts auch für vertragliche Schadenersatz‑ und Bereicherungsansprüche erreichen will.
[9] Die Erstbeklagte beantragt, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Revisionsrekurs der Klägerin ist mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO unzulässig und daher zurückzuweisen.
[11] 1. Hängt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht (mehr) von jener Rechtsfrage ab, die das Rekursgericht für die Begründung seines Zulassungsausspruchs angeführt hat, und ist nicht ersichtlich, welche andere Rechtsfrage eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs iSd § 528 Abs 1 ZPO rechtfertigen soll, so ist der Revisionsrekurs unzulässig (vgl RS0042733; RS0042392 [T9]).
[12] Wenn die Entscheidung von der Lösung einer Frage des Gemeinschaftsrechts abhängt, ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zur Nachprüfung zudem nur zulässig, wenn der zweiten Instanz bei der Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union eine gravierende Fehlbeurteilung unterlief (vgl RS0117100).
[13] Im Zusammenhang mit doppelrelevanten Tatsachen hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Beurteilung, ob die Prozessbehauptungen schlüssig sind, immer nur den Einzelfall betrifft und damit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO begründet (vgl RS0116404 [T5]).
[14] 2. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens sind ausschließlich behauptete Ansprüche der Klägerin aus vertraglichem Schadenersatz und der Verbrauchergerichtsstand nach Art 17 Abs 1, Art 18 Abs 1 EuGVVO 2012.
[15] Soweit die Klägerin eine Nichtigkeit der Rekursentscheidung gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO und eine unvollständige Erledigung ihrer Sachanträge rügt, weil das Rekursgericht nur über bereicherungsrechtliche Ansprüche, nicht aber vertraglichen Schadenersatz abgesprochen habe, verkennt sie den Inhalt der Rekursentscheidung.
[16] Die Klägerin ist daran zu erinnern, dass sie in erster Instanz ausdrücklich und ausschließlich eine Solidarhaftung beider Beklagten für ihre Einsätze bei verbotenem Glücksspiel geltend machte (abzüglich erspielter Gewinne). Dies stützte sie einerseits auf (deliktischen) Schadenersatz wegen eines Verstoßes gegen das österreichische Glücksspielrecht und Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012, wobei die Erstbeklagte Beitragstäterin gewesen sei. Andererseits berief sie sich darauf, dass die Glücksspielverträge, die sie mit beiden Beklagten (iS einer „dreipersonalen [Glücksspiel‑]Rahmenvereinbarung“) geschlossen habe, nach § 879 Abs 1 ABGB nichtig seien und sie daher einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch gegen beide Beklagte (zur ungeteilten Hand) gemäß §§ 877, 1431 ABGB habe (s dazu ausführlich etwa 6 Ob 164/23w mwN). Ein solcher Anspruch falle nach Ansicht der Klägerin, wenn er aus einem Verbrauchergeschäft resultiere, unter Art 17 Abs 1 EuGVVO 2012. Auch zur sachlichen Zuständigkeit brachte sie vor, dass sie „ausschließlich deliktische Schadenersatzansprüche (Schutzgesetzverletzung) und Bereicherungsrecht“ geltend mache. Ein „anderer“ vertraglicher Schadenersatzanspruch, der nicht auf eine (solidarische) bereicherungsrechtliche Rückabwicklung gerichtet ist, wurde von ihr hingegen nicht erhoben, sodass die Rekursentscheidung insofern zwar verkürzt, aber keineswegs unvollständig ist.
[17] 3. Der – autonom auszulegende – Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ in Art 17 EuGVVO 2012 entspricht im Wesentlichenjenem in Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 und erfasst auch Schadenersatzansprüche aus Vertragsverletzungen oder bereicherungsrechtliche Rückforderungsansprüche, die aus einem nichtigen Vertrag resultieren (vgl RS0112614; RS0108473 [T22]; RS0117972; einschränkend 6 Ob 18/17s Pkt 2.3.5 mwN). Der Abschluss eines Vertrags ist nach der Rechtsprechung zu Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 kein Tatbestandsmerkmal, die Feststellung einer (vertraglichen) Verpflichtung aber unerlässlich. Es muss daher eine von einer Person gegenüber einer anderen Person freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung vorliegen, auf die sich die Klage stützt (vgl RS0108473 [T17, T22]). Voraussetzung für die Anwendung des Verbrauchergerichtsstands ist zudem eine direkte vertragliche Beziehung zwischen den Streitteilen; der Verbraucher muss Empfänger der vertragscharakteristischen Leistung sein (vgl RS0131536; RS0130472; RS0112279 [T7]).
[18] Willein Kläger einen anderen als den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten (vgl Art 4 Abs 1 EuGVVO 2012) in Anspruch nehmen, muss er bereits in der Klage ausdrücklich und konkret jene Tatsachen behaupten, die den besonderen (internationalen) Gerichtsstand begründen. Er ist zwar nicht gehalten, Zuständigkeitstatbestände in ihrer rechtlichen Konfiguration zu benennen, muss aber das dafür erforderliche Tatsachensubstrat vorbringen (vgl 4 Ob 116/23x mwN).
[19] 4. Die Klägerin geht erkennbar von einem „Glücksspiel-Rahmenvertrag“ aus, den sie mit beiden Beklagten geschlossen habe und aus dem beide als Leistungsempfänger bereichert seien, setzt sich aber nicht mit der Argumentation der Vorinstanzen auseinander, dass dies mit ihrem Vorbringen in Widerspruch stehe, die Zweitbeklagte habe die Erstbeklagte als „Zahlstelle“ benannt. Mit der (unspezifizierten) Behauptung einer „abgeschlossenen Rahmenvereinbarung“ zeigt der Revisionsrekurs keine Unvertretbarkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen auf, die das Vorbringen zum Verbrauchergerichtsstand insgesamt für unschlüssig hielten. Insofern fehlt es sogar noch im Revisionsrekurs an konkreten und schlüssigen Behauptungen, durch welche (zurechenbare) Handlungen die Erstbeklagte gegenüber der Klägerin welche rechtliche Verpflichtung freiwillig einging, die zum geltend gemachten Bereicherungsanspruch führen soll.
[20] Die von der Klägerin ins Treffen geführte Entscheidung 3 Ob 44/22z ist nicht einschlägig, weil die dortige Beklagte die Anbieterin des (verbotenen) Glücksspiels war und ua auch das Spielerkonto (übernahm und weiter-)führte, was hinsichtlich der Erstbeklagten nie behauptet wurde (zum Unterschied zur „Zahlstelle“ s auch 2 Ob 98/22h mwN).
[21] Das Revisionsrekursvorbringen, wonach die Erstbeklagte vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten verletzt habe, indem sie die Klägerin nicht über die Illegalität des Angebots der Zweitbeklagten informiert und ihre Zahlungen nicht retourniert habe, und das einen vertraglichen Schadenersatzanspruch untermauern soll, verstößt hingegen gegen das Neuerungsverbot (vgl RS0042091 [T5]), wird damit doch ein anderer Anspruch als in erster Instanz behauptet.
[22] Die Zurückweisung der bereicherungsrechtlichen Ansprüche gegen die Erstbeklagte mangels schlüssiger Darlegung einer internationalen Zuständigkeit, insbesondere nach Art 17 Abs 1, Art 18 Abs 1 EuGVVO 2012, ist im Einzelfall sohin jedenfalls vertretbar und begründet keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO.
[23] 5. Die Kostenentscheidung im selbständigen Zwischenstreit über die internationale Zuständigkeit hinsichtlich der Erstbeklagten (vgl RS0035955 [T17]) beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO. Die Erstbeklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (vgl RS0112296).
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