European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00018.25P.0722.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die klagende österreichische Unternehmerin vermittelt Taxifahrten.
[2] Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach dem Recht des Königreichs der Niederlande mit Sitz in Amsterdam. Sie unterhält in Österreich keine Niederlassung und hat keine die Vermittlung von Verkehrsdienstleistungen zur Personenbeförderung deckende österreichische Gewerbeberechtigung.
[3] Bis zum Frühjahr 2020 betrieb die Beklagte eine elektronische Vermittlungsplattform in Form einer Smartphone‑Applikation („U*‑App“), über die registrierte Kunden Beförderungs‑Dienstleistungsverträge mit Mietwagen‑Partnerunternehmern der Beklagten abschließen konnten. Dafür stellte die Beklagte eine Technologie bereit, mit deren Hilfe die Anfrage eines Kunden nach einer Beförderungsdienstleistung an die Partnerunternehmer übermittelt wurde. In weiterer Folge ermittelte das Vermittlungssystem der Beklagten einen geeigneten, in der Nähe des Kunden befindlichen Fahrer. Der Fahrpreis war von der gefahrenen Route unabhängig und wurde von der Beklagten vorgegeben, in der Regel auch von ihr beim Kunden eingehoben und in der Folge (nach Abzug einer Provision) teilweise an den Partnerunternehmer weitergeleitet. Wurde der Fahrpreis (ausnahmsweise) beim Fahrer direkt beglichen, rechnete die Beklagte ihre Provision mit dem jeweiligen Partnerunternehmer ab. Die Beklagte gab den Partnerunternehmern auch die Fahrzeugkategorien vor. Zudem forderte sie von jedem Partnerunternehmer die Vorlage polizeilicher Führungszeugnisse der dort beschäftigten Fahrer; sie konnte einzelne Fahrer auch von der Durchführung von Fahrten ausschließen.
[4] Bis 24. 4. 2018 war die U*‑App so gestaltet, dass der Fahrer die Annahme einer von einem Kunden angefragten Fahrt bestätigen konnte. Nach der Bestätigung durch den Fahrer erhielt der Partnerunternehmer eine E‑Mail mit dem Inhalt, dass der Fahrer die Anfrage angenommen habe. Der Partnerunternehmer erteilte seinen Fahrern vorab die Zustimmung, Kundenanfragen anzunehmen (System der „Vorabzustimmung“ des Partnerunternehmers).
[5] Ab 25. 4. 2018 entfiel das System der Vorabzustimmung. Die U*‑App war ab diesem Zeitpunkt so gestaltet, dass der Partnerunternehmer die Anfrage an seinem Betriebssitz annehmen musste und der Fahrer anschließend über die Annahme informiert wurde.
[6] Die Umstellung vom Vermittlungssystem mit Vorabzustimmung auf ein Vermittlungssystem ohne Vorabzustimmung hatte keine (relevanten) Auswirkungen auf die Umsätze der Beklagten.
[7] Seit Frühjahr 2020 wird das operative Geschäft des Konzerns, zu dem die Beklagte gehört, in Österreich nicht mehr von der Beklagten, sondern von einer österreichischen Konzerngesellschaft geführt, die alle gewerberechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt.
[8] Es steht nicht fest, dass
- die Partnerunternehmer der Beklagten das Vermittlungssystem aufgrund der Vorabzustimmung nutzten;
- die Preise der Beklagten aufgrund der Vorabzustimmung unter jenen des Taxitarifs lagen;
- die Klägerin durch die Vorabzustimmung einen finanziellen Schaden durch verlorene Aufträge erlitt;
- die Vorabzustimmung zu einer Minderung des Unternehmenswerts der Klägerin führte; und
- die Klägerin seit dem Markteintritt der Beklagten „Abwehrkosten“ trug.
[9] Die Klägerin begehrte von der Beklagten zuletzt gestützt auf § 1 Abs 1 Z 1 und § 16 Abs 2 UWG die Unterlassung der Vermittlung von Verkehrsdienstleistungen zur Personenbeförderung in Österreich ohne Gewerbeberechtigung nach der österreichischen Gewerbeordnung, die Urteilsveröffentlichung und 4.520.898,03 EUR sA Schadenersatz (Ersatz von 271.898,03 EUR Umsatzrückgang, 250.000 EUR „Abwehrkosten“ und 3.999.000 EUR Minderung des Unternehmenswerts). Das Schadenersatzbegehren begründete sie – ausschließlich – damit, dass die Beklagte durch das gesetzwidrige System der Vorabzustimmung einen lauterkeitsrechtlich relevanten Beitrag zu einem Rechtsbruch (§ 1 Abs 1 Z 1 UWG) ihrer Partnerunternehmer geleistet habe.
[10] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Zum Unterlassungsbegehren entgegnete sie unter anderem, es bestehe keine Wiederholungsgefahr, weil der Konzern den operativen Betrieb in Österreich auf eine österreichische Konzerngesellschaft übertragen habe, die alle gewerberechtlichen Voraussetzungen dafür erfülle, und der Gesetzgeber mittlerweile das (reglementierte) Mietwagengewerbe abgeschafft und stattdessen ein einheitliches (freies) Taxigewerbe geschaffen habe.
[11] In Abänderung des Ersturteils in Bezug auf das Veröffentlichungsbegehren gab das Berufungsgericht dem Unterlassungsbegehren statt und wies das Veröffentlichungs‑ und das Zahlungsbegehren ab.
[12] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die gegen die Stattgabe des Unterlassungsbegehrens gerichtete außerordentliche Revision der Beklagten sowie die formell gegen das Berufungsurteil „in seinem gesamten Umfang“ gerichtete, inhaltlich aber nur auf die Abweisung des Veröffentlichungsbegehrens und eines Teils des Zahlungsbegehrens (Ersatz von Umsatzrückgang sowie Minderung des Unternehmenswerts) eingehende außerordentliche Revision der Klägerin zeigen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) auf:
1. Grundlagen des Revisionsverfahrens:
[14] Die Parteien ziehen im Revisionsverfahren – im Anschluss an zwei Entscheidungen des Fachsenats über Sicherungsanträge der Klägerin (4 Ob 162/18d; 4 Ob 206/19a) – nicht (substanziiert) in Zweifel, dass
- die Beklagte bis zum Frühjahr 2020 in Österreich Verkehrsdienstleistungen zur Personenbeförderung ohne die dafür erforderliche Gewerbeberechtigung nach der österreichischen Gewerbeordnung vermittelte;
- die Beklagte dadurch gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG verstieß (Rechtsbruch);
- das bis zum 24. 4. 2018 in der U*‑App vorgesehene System der Vorabzustimmung der Partnerunternehmer der Beklagten gesetzwidrig war; und
- die Beklagte dadurch einen Beitrag zu einem lauterkeitsrechtlich relevanten Rechtsbruch (§ 1 Abs 1 Z 1 UWG) der Partnerunternehmer leistete.
2. Zur außerordentlichen Revision der Beklagten:
[15] 2.1. Die ständige Rechtsprechung vermutet, dass derjenige, der gegen das UWG verstoßen hat, neuerlich dazu geneigt sein werde. Er hat daher jene besonderen Umstände darzutun, die eine Wiederholung des Verstoßes als völlig ausgeschlossen oder doch äußerst unwahrscheinlich erscheinen lassen (RS0080065). Ein neuerlicher Verstoß kann – auch bei Bestreitung der Unterlassungspflicht, was an sich ein (weiteres) Indiz für die Wiederholungsgefahr ist (RS0009357 [T4]) – aus tatsächlichen Gründen (zB bei Veräußerung des Unternehmens und Ausscheiden aus dem Gewerbebetrieb ohne Anzeichen dafür, dass das Geschäft in anderer Form wieder aufgenommen wird) oder aus rechtlichen Gründen (zB bei Wegfall der Verbotsnorm) als völlig ausgeschlossen erscheinen (RS0037664; 4 Ob 89/01v; 4 Ob 123/03x).
[16] 2.2. Ob Wiederholungsgefahr vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher nur dann eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl RS0042818; RS0021095 [T3]). Eine solche zeigt die Beklagte hier nicht auf.
[17] Dass im Lichte des von der Beklagten zitierten Zurückweisungsbeschlusses 4 Ob 93/22p auch ein anderes Ergebnis vertretbar sein hätte können, ist nicht geeignet, die Unvertretbarkeit der Beurteilung des Berufungsgerichts im vorliegenden Fall zu begründen. Ob Umstrukturierungsmaßnahmen im Konzern die Wiederholungsgefahr wegfallen lassen, kann nur aufgrund einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.
[18] 2.3. Dem weiteren Argument der Beklagten, dass die Wiederholungsgefahr aus rechtlichen Gründen weggefallen sei, weil der Gesetzgeber mittlerweile das (reglementierte) Mietwagengewerbe abgeschafft und ein einheitliches (freies) Taxigewerbe geschaffen habe, ist bereits das Berufungsgericht nicht gefolgt. Es hat zum einen auf die allgemein auf die Vermittlung von Verkehrsdienstleistungen ohne Gewerbeberechtigung nach der österreichischen Gewerbeordnung bezogene Fassung des Unterlassungsbegehrens und zum anderen auf die Rechtsprechung des Fachsenats, nach der das Unterbleiben einer Gewerbeanmeldung unlauter ist (4 Ob 316/97t; 4 Ob 259/01v; ebenso Frauenberger in Wiebe/Kodek, UWG² § 1 Rz 947), verwiesen. Es mag sein, dass die Beklagte nicht konkret gegen die Pflicht zur Anmeldung eines freien Gewerbes verstoßen hat. Das allein macht aber die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Wiederholungsgefahr sei nicht weggefallen, nicht unvertretbar.
3. Zur außerordentlichen Revision der Klägerin:
[19] 3.1. Die vorgebrachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (in der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO) wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[20] 3.2. Die Klägerin kritisiert die Abweisung des Veröffentlichungsbegehrens kursorisch als unrichtig, behauptet insofern aber nicht einmal das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung.
[21] 3.3. Die Klägerin meint, die Vorinstanzen seien bei der Beurteilung der (fehlenden) Kausalität der rechtswidrigen Handlung der Beklagten für einen Umsatzrückgang und eine Minderung des Unternehmenswerts der Klägerin von den Entscheidungen über die zu den Unterlassungsbegehren gestellten Sicherungsanträge (4 Ob 162/18d; 4 Ob 206/19a) abgewichen. Der Oberste Gerichtshof habe in diesen Entscheidungen nicht die Vorabzustimmung, sondern die Bereitstellung der U*‑App an sich als rechtswidrig und konkret kausal für die von der Klägerin geltend gemachten Schäden beurteilt. Dabei übersieht sie, dass die eingeklagten Schadenersatzansprüche in den Sicherungsverfahren (noch) nicht zu beurteilen waren. Daher tragen auch die von ihr zitierten Passagen der Entscheidungen über die Sicherungsanträge ihre Schlussfolgerungen nicht: In diesen ging es um die Beurteilung der U*‑App als Verkehrsdienstleistung (4 Ob 206/19a, ErwGr 1.3), den Beitrag der Beklagten zu Normverstößen ihrer Partnerunternehmer (4 Ob 162/18d, ErwGr 4.3), die grundsätzliche Eignung des bescheinigten Rechtsbruchs der Beklagten zur spürbaren Beeinflussung des Wettbewerbs (4 Ob 162/18d, ErwGr 6.2; 4 Ob 206/19a, ErwGr 2.6) und die Verhältnismäßigkeit des im Sicherungsverfahren erlassenen Unterlassungsgebots (4 Ob 206/19a, ErwGr 4.2).
[22] 3.4. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die schadenersatzrechtlich relevante rechtswidrige Handlung der Beklagten nicht die Bereitstellung der U*‑App an sich gewesen sei, sondern die in dieser App vorgesehene Vorabzustimmung, wirft auch davon abgesehen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf: Die Klägerin hat ihre Schadenersatzansprüche in erster Instanz stets ausschließlich auf die rechtswidrige Vorabzustimmung und nicht auf die Bereitstellung der U*‑App an sich gestützt.
[23] 3.5. Die Klägerin moniert die unterbliebene Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises (RS0040274; RS0040287) durch die Vorinstanzen als der höchstgerichtlichen Rechtsprechung widersprechend. Hilfsweise stützt sie sich auf das Fehlen einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises in einer Konstellation wie der vorliegenden. Sie argumentiert, mit dem Nachweis des Rechtsbruchs der Beklagten in einem bestimmten Zeitraum sowie des Umsatzrückgangs und der Minderung des Unternehmenswerts der Klägerin im selben Zeitraum könne die Klägerin den Anscheinsbeweis der Kausalität des Rechtsbruchs für den Umsatzrückgang und die Minderung des Unternehmenswerts erbringen. Damit zeigt die Klägerin aber schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil die Entscheidung nicht von ihrer Lösung abhängt (vgl § 502 Abs 1 ZPO): Die Klägerin räumt nämlich selbst ein, dass der Schädiger den Anscheinsbeweis der Kausalität durch den Beweis von Tatsachen erschüttern kann, nach denen ein anderer als der typische Geschehensablauf ernstlich möglich ist (RS0022664; RS0040272). Hier steht fest, dass die Umstellung der U*‑App von einem System mit (rechtswidriger) Vorabzustimmung auf ein System ohne Vorabzustimmung – ab dem Zeitpunkt der Umstellung macht die Klägerin keine Schadenersatzansprüche geltend – keine Auswirkungen auf die Umsätze der Beklagten hatte. Wenn man daher den von der Klägerin geforderten Anscheinsbeweis als zulässig und als erbracht ansehen wollte, hätte die Beklagte jedenfalls eine Tatsache bewiesen, nach der es ernstlich möglich wäre, dass allfällige Umsatzrückgänge und eine allfällige Minderung des Unternehmenswerts der Klägerin nicht auf die rechtswidrige Vorabzustimmung zurückzuführen wären.
[24] 3.6. Auch mit dem Vorwurf der „Verfassungswidrigkeit“ des Berufungsurteils zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[25] 3.7. Ein an den Verfassungsgerichtshof gerichteter Antrag eines Gerichts, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, setzt voraus, dass das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden ist oder dass die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist. Der Antrag hat darzulegen, inwiefern das Gericht das Gesetz anzuwenden und welche Auswirkungen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs auf die beim Gericht anhängige Rechtssache hätte (§ 62 Abs 2 VfGG). Die von der Klägerin als verfassungswidrig angesehene TP 3 des GGG ist hier weder anzuwenden noch präjudiziell für die Entscheidung. Der von der Klägerin angestrebte Gesetzesprüfungsantrag kommt schon deshalb nicht in Betracht.
[26] 4. Die außerordentlichen Revisionen beider Parteien sind daher – ohne weitere Begründung (vgl § 510 Abs 3 ZPO) – zurückzuweisen.
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