European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00022.25A.0722.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurswird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.977,90 EUR (darin 329,65 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger begehrt mit seiner bei seinem Wohnsitzgericht eingebrachten Klage die Rückzahlung von Spielverlusten, die er in einem von der Beklagten in der Tschechischen Republik betriebenen Casino erlitten habe. Er hätte nicht zum Spiel zugelassen werden dürfen, weil er pathologisch spielsüchtig und sohin (partiell) geschäftsunfähig sei und eine lebenslange Spielsperre über sich verhängen habe lassen.
[2] Während das Erstgericht die Klage über entsprechende Einrede der Beklagten wegen internationaler Unzuständigkeit zurückwies, verwarf das vom Kläger angerufene Rekursgericht diese Einrede und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf.
[3] Das Rekursgericht bejahte eine internationale Zuständigkeit nach dem Verbrauchergerichtsstand des Art 17 Abs 1 lit c, Art 18 Abs 1 EuGVVO 2012, weil die Beklagte ihre Tätigkeit (auch) auf Österreich ausgerichtet habe.
[4] Es ging dabei (zusammengefasst) von folgenden erstgerichtlichen Feststellungen zu den die Zuständigkeit betreffenden Umständen aus (vgl RS0050455 [T9, T12], RS0130596 [T1], RS0046201):
[5] Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft nach tschechischem Recht mit Sitz in der Tschechischen Republik und betreibt dort auch jenes Casino, in dem der Kläger spielte. Ihre Mitarbeiter stammen hauptsächlich aus der Tschechischen Republik und der Ukraine; es wird nicht gefordert, dass sie Deutsch sprechen. Die Beklagte bedient sich keiner Suchmaschinenoptimierung, nimmt sohin keinen Referenzierungsdienst in Anspruch, und macht in Österreich auch keine Werbung, insbesondere nicht im Fernsehen, Radio, Zeitungen oder Zeitschriften. Die Beklagte veranstaltet auch kein (in Österreich für Österreicher zugängliches) Online-Glücksspiel. Ebensowenig werden von ihr andere Online-Dienste in Österreich angeboten. Allein ihre Webseite https://www.*.cz kann von Österreich aus erreicht werden.
[6] Die Website der Beklagten kann sowohl auf Tschechisch, als auch auf Englisch und Deutsch abgerufen werden. Dort wird darauf hingewiesen, dass man im Casino mit Euro spielen kann, sowie, dass das Casino in Grenznähe zu Österreich gelegen ist und Linz nur 50 km und Wels nur 90 km entfernt sind. Weiters findet sich eine Verlinkung mit Google Maps und die Telefonnummer der Beklagten einschließlich der internationalen Vorwahl.
[7] Beim ersten Besuch des Casinos oder nach längerer Abwesenheit hat sich ein Kunde zu registrieren, wobei ihm die notwendigen Angaben im Zuge des Registrierungsvorgangs am Bildschirm in tschechischer, englischer oder deutscher Sprache erklärt werden. Die Kunden der Beklagten kommen aus der Tschechischen Republik und „verschiedenen anderen Ländern“, der prozentuelle Anteil österreichischer Kunden konnte nicht festgestellt werden.
[8] Der Kläger versuchte nach seiner Sperre in Österreich ins Ausland auszuweichen, um seinem Spieltrieb nachzukommen. Er informierte sich im Internet, wo es Casinos gibt, und gelangte so zu einem Casino, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu jenem der Beklagten befindet. Nachdem er dort Spielverluste erlitten hatte, sah er an der Hauptstraße das Casino der Beklagten und begab sich dorthin.
[9] Ausgehend von diesem Sachverhalt erachtete das Rekursgericht in rechtlicher Hinsicht das Kriterium des „Ausrichtens“ der gewerblichen Tätigkeit auf Österreich unter Verweis auf Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (insb C‑585/08 und C‑144/09 , Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller)sowie des Obersten Gerichtshofs (insb 9 Ob 13/24p) als gegeben.
[10] Gerade die auf Deutsch und nicht in der Landessprache geführte Webseiten-Version samt Hinweis auf die Möglichkeit der Zahlung in Euro (und damit nicht in der Landeswährung) sowie der ausdrückliche Hinweis auf die Grenznähe und die Entfernungen zu den österreichischen Ballungsräumen Linz und Wels würden die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit der Beklagten ins benachbarte Ausland zeigen, insbesondere nach Österreich. Die Beklagte gebe durch diese Handlungsweisen aktiv zu erkennen, dass sie bereit sei, mit in deutschsprachigen Mitgliedsländern der EU – und damit auch in Österreich – wohnhaften Verbrauchern wie dem Kläger Glücksspielverträge zu schließen.
[11] Dass dieser Internetauftritt für das vom Kläger behauptete Zustandekommen des Geschäfts nicht ausschlaggebend (kausal) gewesen sei, sei für die Anwendung des Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO 2012 irrelevant. Ebensowenig müsse die Initiative zum Vertragsabschluss vom Unternehmer ausgegangen sein.
[12] Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Auslegung, ob der Internetauftritt der Beklagten ausreichende Anhaltspunkte für ein „Ausrichten“ im Sinn der Rechtsprechung zu Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO 2012 biete, eine erhebliche Rechtsfrage aufwerfe.
Rechtliche Beurteilung
[13] Der – vom Kläger beantwortete – Revisionsrekurs der Beklagten, mit dem sie eine Wiederherstellung der erstgerichtlichen Zurückweisung erreichen will, ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof gemäß § 526 Abs 2 ZPO nicht bindenden Ausspruchs des Rekursgerichts mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig und daher zurückzuweisen.
[14] 1. Die Beklagte zieht die Rechtsansicht des Rekursgerichts nicht in Zweifel, dass die internationale Zuständigkeit unabhängig davon sei, ob die von ihr gesetzten Handlungen für den Vertragsabschluss des Klägers kausal waren (und dieser auch nicht im Wege des Fernabsatzes erfolgen musste, vgl 4 Ob 172/12s), sondern wendet sich ausschließlich gegen die Bejahung des Erfordernisses des „Ausrichtens“ der gewerblichen Tätigkeit nach Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO 2012.
[15] Hängt die Entscheidung jedoch von der Lösung einer Frage des Gemeinschaftsrechts ab, und ergeben sich aus der Rechtsprechung des EuGH Leitlinien zur Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, so liegt eine erhebliche Rechtsfrage iSd §§ 502 Abs 1, 528 Abs 1 ZPO nur vor, wenn das Gericht zweiter Instanz seinen Beurteilungsspielraum überschritten hätte, ihm also bei Lösung dieser Frage eine gravierende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl RS0117100 [insb T12, T14]).
[16] 2. Das Rekursgericht berücksichtigte bereits, dass Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO 2012 nach der Rechtsprechung unionsrechtlich autonom und als Ausnahme eng auszulegen ist (vgl RS0112614 [T1], RS0128703) und ein bloßes „doing business“ oder die alleinige Abrufbarkeit einer Webseite nicht genügt (vgl RS0125252, RS0125001).
[17] Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist für die Anwendbarkeit des (nunmehr) Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO 2012 erforderlich, dass der Gewerbetreibende (vor dem Vertragsabschluss) seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern anderer Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzmitgliedstaats des klagenden Verbrauchers, herzustellen (vgl RS0128704, RS0128705). Vom Begriff des „Ausrichtens“ sind alle auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichteten absatzfördernden Handlungen erfasst (vgl RS0125252, RS0125001 [T2]).
[18] Die von der Beklagten in ihrem Revisionsrekurs geforderte „Grundsatzentscheidung“ zum Unterschied zwischen „ausrichten“ und „doing business“ kann sohin nicht getroffen werden, weil es sich dabei stets um eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls handelt (zumal auch der EuGH seine Aufzählung relevanter Kriterien als nicht erschöpfend ansieht, vgl RS0125001 [T2]). Dies ermöglicht dafür eine flexible Berücksichtigung der von der Beklagten angesprochenen Entwicklung im Bereich Technik und Marketing, insbesondere bei Internet-Auftritten.
[19] Auch wenn man die Angabe der internationalen Vorwahl, die Verlinkung zu einem Routenplaner und ein Übersetzungstool als (nunmehr) üblichen Webseiten-Standard ansehen würde, handelt es sich bei der deutschsprachigen Version der Webseite der Beklagten aber gerade nicht um eine rein automationsunterstützte Übersetzung ihres inländischen Webauftritts. Vielmehr argumentierte das Rekursgericht maßgeblich mit den expliziten deutschsprachigen Hinweisen auf eine Zahlungsmöglichkeit in Euro (also nicht der Landeswährung), auf die Grenznähe zu Österreich sowie die Entfernungsangaben zu größeren österreichischen Städten (und gerade nicht zu Städten in der Tschechischen Republik).
[20] Warum die Rechtsansicht des Rekursgerichts unvertretbar sein soll, daraus (objektiv) einen Willen abzuleiten, (auch) mit österreichischen Verbrauchern zu kontrahieren, und eine Inanspruchnahme an deren Wohnsitz in Österreich für die Beklagte vielmehr unvorhersehbar gewesen sei iSd ErwGr 15 EuGVVO 2012 (obwohl auch die Registrierung im Casino in deutscher Sprache möglich ist), kann der Revisionsrekurs nicht aufzeigen.
[21] Die konkret auf Österreich abstellenden Hinweise sind auch der wesentliche Unterschied zu der von der Beklagten ins Treffen geführten Entscheidung 2 Ob 189/22s. Dort war – neben der Top-Level-Domin .eu, von der jedoch eine Weiterleitung auf eine .cz-Webseite erfolgte, und einer Telefonnummer mit internationaler Vorwahl – ein einziger, den Tätigkeitsbereich allgemein umschreibender Abschnitt (auch) in Englisch und Deutsch verfügbar (der primär auf den aus Bayern stammenden Geschäftsführer zurückzuführen war).
[22] Soweit die Beklagte dem Rekursgericht vorwirft, es habe außer Acht gelassen, dass ihrer Tätigkeit der internationale Charakter fehle, weil sie nur Glücksspiel im Casino und nicht online anbiete, ist ihr entgegenzuhalten, dass ihr Anbot zwar als solches nicht grenzüberschreitend ist. Dessen ungeachtet ist es aber nach seinem Inhalt nicht regional beschränkt und kann von jedem regelkundigen Spieler ohne besondere Kenntnisse der tschechischen Sprache (insbesondere bei Spielautomaten) in Anspruch genommen werden, sodass Vertragsabschlüsse mit österreichischen Verbrauchern auch nicht wegen der Art des Angebots fernliegen.
[23] Die Erwägungen des Rekursgerichts bewegen sich daher innerhalb der vom EuGH, insbesondere zu den verbundenen Rechtssachen C‑585/08 und C‑144/09 , Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller (zusammenfassend RS0125001 [T2]) sowie zu C‑218/12 , Emrek/Sabranovic, vorgegebenen Leitlinien und der Rechtsprechung des OGH dazu (jüngst 2 Ob 189/22s, 4 Ob 96/23f, 9 Ob 13/24p) und bedürfen keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.
[24] 3. Schließlich ist auch das von der Beklagten angeregte Vorabentscheidungsersuchen nicht erforderlich.
[25] Der EuGH hielt bereits fest, dass seine Aufzählung der maßgeblichen Kriterien nicht erschöpfend sei, und es Sache des nationalen Richters sei, zu prüfen, ob derartige Anhaltspunkte vorliegen (vgl RS0125001 [T2]).
[26] Dass sich die (marketing‑)technischen Bedingungen seit der Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen C‑585/08 und C‑144/09 , Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller geändert haben, mag sein. Wie dargelegt handelt es sich aber gerade bei den vom Rekursgericht als bedeutsam angesehenen Hinweisen zu Währung und Lage nicht um „im Lichte der fortschreitenden Digitalisierung digitale Selbstverständlichkeiten“, sondern um in die deutschsprachige Webseite eingegliederte, explizit auf Österreich Bezug nehmende Angaben. Für deren Beurteilung kann auf die bisherige Rechtsprechung des EuGH zurückgegriffen werden.
[27] 4. Die Kostenentscheidung im selbständigen Zwischenstreit über die internationale Zuständigkeit (vgl RS0035955 [T17]) beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO. DerKläger hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (vgl RS0112296).
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