OGH 6Ob123/24t

OGH6Ob123/24t3.7.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadtgemeinde *, vertreten durch Donnerbauer & Partner Rechtsanwalts GmbH in Retz, gegen die beklagte Partei Mag. N*, Vereinigte Staaten von Amerika, vertreten durch Hock & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, Einwilligung und Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 18. April 2024, GZ 1 R 9/24i‑54, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Horn vom 13. November 2023, GZ 13 C 223/22t‑49, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00123.24T.0703.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.316,40 EUR (darin 219,40 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist die Ersitzung eines Gehwegs zu einem markanten Aussichtspunkt, an dem ein Denkmal (das sogenannte H*marterl, künftig: das Marterl) errichtet ist, durch die klagende Stadtgemeinde.

[2] Das Marterl befindet sich auf dem Grundstück Nr * KG * (künftig: das streitgegenständliche Grundstück) auf einem Felsvorsprung. Es wurde in den 1930er Jahren vom Maler * H* (künftig: der Maler) errichtet. Der Platz um das Marterl bietet einen eindrucksvollen Ausblick auf die Stadt D* und die Umgebung und ist ein beliebtes Ausflugsziel für die Bewohner:innen der klagenden Stadtgemeinde und für Ausflugsgäste. Das Grundstück erwarb der Maler im Jahr 1930 von einer Gemeinde, die 1971 mit weiteren Gemeinden zur klagenden Stadtgemeinde zusammengelegt wurde. Er verpflichtete sich im Kaufvertrag, keine Umzäunung der Liegenschaft vorzunehmen und das Landschaftsbild zu erhalten.

[3] Zu dem Marterl führten zwei Zugänge, der sogenannte westliche und der östliche Weg. 2021 oder 2022 sperrte der Beklagte beide Wege ab, wobei die klagende Stadtgemeinde die Sperrung des westlichen Weges akzeptierte. Verfahrensgegenständlich ist der andere Zugang zum Marterl (der östliche Weg). Dieser verlief ausgehend von der Straße ursprünglich über eine freie Wiese, die im Eigentum der Gemeinde stand. Daran anschließend führte und führt er über das streitgegenständliche Grundstück des Beklagten bis zum Marterl. Das ursprüngliche Wiesengrundstück der Gemeinde wurde im Jahr 2015 geteilt und verkauft, wobei sich die klagende Stadtgemeinde eine Parzelle in Form des Streifens, über den der Weg verläuft, behielt.

[4] Der – in seinem Verlauf näher festgestellte – Weg über das streitgegenständliche Grundstück wurde seit der Errichtung des Marterls als Zugangsweg zu diesem verwendet. Der genaue Beginn der regelmäßigen Verwendung als Zugangsweg konnte nicht festgestellt werden. Es steht allerdings fest, dass jedenfalls seit Beginn der 1950er-Jahre eine dauerhafte Benützung des Weges als Spazier- und Zugangsweg zum Marterl stattfand und der Weg über Jahrzehnte hindurch unbeanstandet von jedermann verwendet wurde, der zum Marterl gehen wollte. Festgestellt ist die Benutzung durch Einwohner:innen der klagenden Stadtgemeinde und Ausflugsgäste oder Touristen als Spazierweg zum Marterl sowie durch die in der Gemeinde lebenden Kindern, für die der Bereich um das Marterl ein Spielplatz war. Die klagende Stadtgemeinde veranlasste zur Erhaltung des Weges über Jahrzehnte die Durchführung von Mäharbeiten.

[5] Im Jahr 1934 erhob der Maler gegenüber der Gemeinde eine ein anderes als das streitgegenständliche Grundstück betreffende Beanstandung.

[6] In einem Schreiben vom 25. 6. 1957 an den Bürgermeister beanstandete die Erbin des Malers, dass entgegen dessen Willen um das Marterl herum Sitzbänke aufgestellt worden seien und sich dort „leicht bekleidete Menschen auf ihre Art amüsiert“ hätten. Sie ersuchte den Bürgermeister, die Sitzbänke zu entfernen, um die Schönheit des Ortes zu erhalten, und teilte mit, sie wolle „wieder“ Schilder mit der Aufschrift „Privatgrund, Durchgang bis auf Widerruf gestattet“ aufstellen, um Menschen entgegentreten zu können, die sich in der geschilderten Art „aufführten“. Das Anbringen derartiger Schilder auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück konnte allerdings weder für einen Zeitpunkt vor noch infolge des Schreibens festgestellt werden. Festgestellt konnte nur werden, dass zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt „vor längerer Zeit“ dort, wo der Weg von der Straße im Wiesenbereich verlief, nicht quer zum Weg, sondern südlich [in ein andere Himmelsrichtung] gerichtet, auf einer Föhre ein Schild „Privatgrundstück, Betreten bis auf Widerruf gestattet“ angebracht wurde.

[7] Am 4. 9. 1999 fand eine Besprechung zwischen dem Vater des Beklagten und dem damaligen Bürgermeister der klagenden Stadtgemeinde statt. In einem Schreiben vom 7. 9. 1999 hielt der Vertreter des Vaters fest, dieser sei Hälfteeigentümer der streitgegenständlichen Liegenschaft und dulde ein Begehen durch unbekannte Personen nur vorläufig und faktisch. Auch danach wurde der verfahrensgegenständliche Weg uneingeschränkt und unbeanstandet durch Gemeindeangehörige und Touristen begangen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beklagte oder dessen Eltern Schilder „Durchgang bis auf Widerruf gestattet“ angebracht hätten. Erst im Herbst 2020 oder im Jahr 2021 wurden durch den Beklagten Schilder „Privatgrundstück, Betreten verboten“ beziehungsweise „Durchgang verboten“ angebracht. Daraufhin verwies der Klagevertreter mit Schreiben vom 26. 11. 2020 auf den Bestand der Dienstbarkeit. Dem widersprach der Beklagte und machte 2021 oder Anfang 2022 durch die Errichtung von Zäunen die Benützung sowohl des streitgegenständlichen (östlichen) als auch des anderen (westlichen) Weges unmöglich.

[8] Mit Klage vom 25. 5. 2022 begehrt die klagende Stadtgemeinde die Feststellung, über das streitgegenständliche Grundstück auf dem näher bezeichneten Weg – es handelt sich um den im Verfahren so bezeichneten östlichen Weg – zum Marterl zu gehen (Punkt 1.), die Verpflichtung des Beklagten, der Einverleibung dieses Rechts zuzustimmen (Punkt 2.), sowie die Unterlassung von Widersetzungshandlungen (Punkt 3.).

[9] Sie brachte vor, mit dem Maler sei konkludent vereinbart worden, dass die Öffentlichkeit weiterhin Zugang zum Aussichtsplatz und dem Marterl haben sollte. Der Weg sei seither regelmäßig von Einheimischen und Touristen genutzt worden und das Zugangsrecht daher auch ersessen worden.

[10] Der Beklagte brachte vor, es habe keine Vereinbarung mit dem Maler oder ihm über ein Zugangsrecht gegeben. Eine Ersitzung habe nicht stattgefunden, es habe 1934, 1957 und 1999 Widersetzungen gegeben. Mit 1. 1. 1971 sei die bis dahin selbständige Gemeinde Z* mit drei weiteren Gemeinden vereinigt worden. Die Klägerin existiere daher erst seit 1971. Da eine unregelmäßige Servitut behauptet werde, sei ihr die Ersitzungszeit der Rechtsvorgängerin nicht anzurechnen und habe neu begonnen. Spätestens 1999 sei der gute Glaube der Allgemeinheit und der klagenden Stadtgemeinde zerstört und die noch nicht abgelaufene Ersitzungsfrist unterbrochen worden.

[11] Das Erstgericht gab der Klage gestützt auf die Ersitzung des Wegerechts statt. Durch die Gemeindezusammenlegung sei eine andere juristische Person, für die die Ersitzungszeit neu zu laufen beginne, nicht entstanden. Die Ersitzung habe 1950 begonnen und sei in den 1980er‑Jahren abgeschlossen worden, sodass eine Widersetzung im Jahr 1999 keine Auswirkungen darauf habe.

[12] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision zur Klärung der Auswirkung von Gemeindezusammenlegungen auf die noch nicht vollendete Ersitzung von Wegerechten zugunsten der Allgemeinheit zu.

[13] Zwar werde in Rechtsprechung und Literatur eine Besitzanrechnung bei der Ersitzung unregelmäßiger Dienstbarkeiten abgelehnt. Im vorliegenden Fall der Ersitzung zugunsten der Allgemeinheit sei allerdings eine Besitzanrechnung geboten, weil lediglich eine Veränderung in der Person des „Vertreters“ der Allgemeinheit, nicht aber in der Zusammensetzung oder der Rechtsausübung durch die Allgemeinheit vorliege. Es komme daher nicht darauf an, ob das Schreiben des Jahres 1999 die Redlichkeit des Besitzes zerstört habe, weil die Ersitzung zu diesem Zeitpunkt bereits vollendet gewesen sei. Eine Beeinträchtigung der Redlichkeit durch Schilder sei vor 2020 nicht hervorgekommen. Ob das Schreiben des Jahres 1957 der klagenden Stadtgemeinde zugegangen sei, sei nicht behauptet worden. Es sei nach seinem Inhalt und Gesamtkontext allerdings nicht geeignet, den guten Glauben zu zerstören. Das Berufungsgericht verneinte rechtliche Feststellungsmängel zum Besitzwillen sowie zur Intensität und Erkennbarkeit der Wegnutzung. Auf Grundlage der festgestellten Nutzung als Spazier- und Zugangsweg zum Marterl und der Mäharbeiten durch die Gemeinde bejahte es den Besitzwillen und die Erkennbarkeit der vermeintlichen Rechtsausübung für die jeweiligen Ersitzungsgegner.

[14] Der Beklagte beanstandet in seiner Revision eine unrichtige Beurteilung des Beginns der Ersitzungsfrist und der übrigen Ersitzungsvoraussetzungen.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revision des Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Grundsätze

[16] 1.1. Die Dienstbarkeit ist das dingliche Recht der beschränkten Nutzung einer fremden Sache.

[17] Ist der Berechtigte einer Eigentumsbeschränkung, die als Grunddienstbarkeit begründet werden könnte, nicht der jeweilige Eigentümer eines Grundstücks, sondern eine natürliche oder juristische Person, liegt ein Fall einer unregelmäßigen Servitut iSd § 479 ABGB vor (RS0011539; 5 Ob 59/18i [ErwGr 2]). Als unregelmäßige Dienstbarkeit in diesem Sinn anerkennt die Rechtsprechung die Einräumung von Wegerechten zugunsten von Gemeinden, welche die Nutzung der Allgemeinheit (Gemeindebürgern, Touristen) zur Verfügung stellen (RS0011562 [T1, T3]; zur Dienstbarkeit der Skiabfahrt zugunsten einer Gemeinde: RS0011524). Dabei handelt es sich dem Inhalt nach um Duldungsverpflichtungen des Eigentümers der belasteten Liegenschaft 5 Ob 59/18i [ErwGr 3]).

[18] 1.2. Für die Ersitzung eines Rechts an einer fremden Sache ist eine für den Eigentümer des belasteten Grundstücks erkennbare Rechtsausübung durch die Ersitzungszeit im eigenen Namen im Wesentlichen gleichbleibend zu bestimmten Zwecken erforderlich. Der zu einer Ersitzung erforderliche Rechtsbesitz wird dadurch erworben, dass man ein – wirkliches oder angebliches – Recht gegen jemanden gebraucht und dieser sich fügt. Die Ersitzung von Dienstbarkeiten und anderen dinglichen Rechten an fremdem Grund setzt dreißigjährigen redlichen und echten Besitz voraus (vgl nur 8 Ob 23/14m [ErwGr 1]).

[19] 1.3. Nach § 1493 ABGB ist derjenige, der eine Sache von einem rechtmäßigen und redlichen Besitzer redlich übernimmt, als Nachfolger berechtigt, die Ersitzungszeit seines redlichen Rechtsvorgängers miteinzurechnen. § 1493 ABGB schreibt das Erfordernis der Redlichkeit sowohl des Rechtsvorgängers als auch jener des Rechtsnachfolgers fest (vgl RS0034604). Bei der Einrechnung der Ersitzungszeit des Rechtsvorgängers wird nicht zwischen Gesamt- und Einzelrechtsnachfolge unterschieden (6 Ob 63/13b [ErwGr 1.1.]). Die konkret entschiedenen Fälle einer Besitzanrechnung zugunsten des Rechtsnachfolgers gemäß § 1493 ABGB im Bereich der Gesamtrechtsnachfolge betrafen die Fortsetzung der begonnenen Ersitzungszeit durch den Erben (1 Ob 597/90; vgl 6 Ob 63/13b, wo allerdings eine ausreichende Dauer der Besitzausübung insgesamt nicht vorlag). Auch in der Literatur wird als Beispiel einer Gesamtrechtsnachfolge, die eine Besitzanrechnung gemäß § 1493 ABGB erforderlich macht, ausschließlich der Erbweg genannt (Gusenleitner-Helm in Klang³ § 1493 ABGB Rz 2; ebenso implizit [durch Bezugnahme auf die Zeit zwischen dem Tod des Erblassers und der Einantwortung bzw auf einen Rechtserwerb durch den ruhenden Nachlass] Madl in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.07 § 1493 ABGB Rz 2 f; Dehn in KBB7 § 1493 Rz 1; M. Bydlinski/Thunhart in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1493 Rz 1; Janisch/Kietaibl in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar, Onlineaktualisierung4.01, § 1493 ABGB Rz 2).

[20] 1.4. Für die Ersitzung einer unregelmäßigen persönlichen Dienstbarkeit wird eine Besitzanrechnung nach § 1493 ABGB verneint (RS0011595; 9 Ob 5/09i; 1 Ob 11/65;Gusenleitner-Helm in Klang³ § 1493 ABGB Rz 2; Madl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.07 § 1493 ABGB Rz 2 f; Dehn in KBB7 § 1493 Rz 1; M. Bydlinski/Thunhart in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1493 Rz 1; Janisch/Kietaibl in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar, Onlineaktualisierung4.01 § 1493 ABGB Rz 2).

[21] 1.5. Der vom Beklagten aus den dargestellten Belegstellen gezogene Schluss, die von der ursprünglichen Gemeinde vor der Gemeindezusammenlegung zurückgelegte Ersitzungszeit sei nicht zugunsten der durch die Gemeindezusammenlegung mit 1. 1. 1971 in ihrer heutigen Form entstandenen klagenden Stadtgemeinde anzurechnen, trifft nicht zu: Vielmehr folgt die von den Vorinstanzen bejahte Fortsetzung der Ersitzungszeit ungeachtet der Vereinigung mehrerer Gemeinden zur nun klagenden Stadtgemeinde aus § 8 der niederösterreichischen Gemeindeordnung (NÖ GO) und § 1493 ABGB.

2. Zur Vereinigung von Gemeinden nach der NÖ Gemeindeordnung

[22] 2.1. Rechtsgrundlage der Zusammenlegung mehrerer Gemeinden zur im vorliegenden Fall klagenden Stadtgemeinde ist § 8 NÖ GemO in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung LGBl NÖ 1965/369. Die Kundmachung der Vereinigung von vier Gemeinden zur klagenden Stadtgemeinde mit 1. 1. 1971 wurde in LGBl NÖ 1971/38 kundgemacht.

[23] Nach § 8 Abs 1 NÖ GO idF LGBl NÖ 1965/369 (vgl § 8 Abs 1 NÖ GO 1973 idgF) können sich zwei oder mehrere aneinandergrenzende Gemeinden zu einer neuen Gemeinde vereinigen, sodass sie als eigene Gemeinde zu bestehen aufhören. Nach § 8 Abs 4 Satz 1 NÖ GO idF LGBl NÖ 1965/369, der wortgleich § 8 Abs 3 Satz 1 NÖ GO 1973 in der geltenden Fassung entspricht, hat die Vereinigung den vollständigen Übergang der Rechte und Pflichten auf die neue Gemeinde zur Folge.

[24] 2.2. Auf dieser gesetzlichen Grundlage bejahte der Oberste Gerichtshof die Berechtigung der neuen, durch Vereinigung entstandenen Gemeinde sowohl aus bücherlichen als auch aus obligatorischen Rechten: Unbeschadet der fortbestehenden Einverleibung einer der seinerzeitigen Gemeinden im Grundbuch stünden der neuen Gemeinde kraft Gesetzes auch ohne Verbücherung das Eigentumsrecht und die Ansprüche des Vermieters aus dem von der seinerzeitigen Gemeinde abgeschlossenen Mietvertrag zu (5 Ob 343/71 = RS0030889; vgl 3 Ob 594/85 zur Vereinigung von Gemeinden nach dem Kärntner Gemeindestruktur-VerbesserungsG).

[25] 2.3. Schon der in § 8 Abs 4 Satz 1 NÖ GO idF LGBl NÖ 1965/369 (vgl § 8 Abs 3 Satz 1 NÖ GO 1973 idgF) angeordnete Übergang aller bestehenden Rechte bedingt die inhaltlich unveränderte Fortsetzung der Rechtsposition der vormaligen Gemeinde durch die im Weg der Vereinigung neu entstandene Gemeinde. Das führt in einem Fall wie dem vorliegenden zur Fortsetzung der durch die vormalige Gemeinde begonnenen Ersitzungszeit, ohne dass es auf die Anwendung des § 1493 ABGB ankäme.

[26] Dieses Ergebnis steht mit § 1493 ABGB im Einklang:

3. Zur Fortsetzung der Ersitzungszeit § 1493 ABGB im Fall eines Subjektwechsels

[27] 3.1. Der Zweck der Besitzanrechnung nach § 1493 ABGB liegt darin, die Wirkungen der Ersitzung trotz Subjektwechsels eintreten zu lassen (Apathy, Ausgewählte Fragen des Ersitzungsrechts, JBl 1999, 205 [217]; so bereits Klang in Klang VI² [1951] § 1493 ABGB 640 [Anm 1]). Diesem Ziel entsprechend wird die Fortsetzung der begonnenen Ersitzungszeit durch ein anderes Rechtssubjekt – bei Vorliegen der übrigen Ersitzungsvoraussetzungen – umfassend verstanden und kommt, wie oben dargestellt, sowohl bei der Einzel- als auch der Gesamtrechtsnachfolge zur Anwendung. Aus der Anwendung des § 1493 ABGB auf Fälle der erbrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge wird gleichzeitig deutlich, dass auch diese Fälle für die Frage der Fortsetzung der Ersitzungszeit des Vormanns als Subjektwechsel zu behandeln sind. Das leuchtet insofern ein, als § 1493 ABGB das Erfordernis statuiert, dass die Redlichkeit kumulativ beim Rechtsvorgänger und beim Rechtsnachfolger vorliegen muss.

[28] 3.2. Die Auslegung des § 1493 ABGB, wonach bei unregelmäßigen persönlichen Dienstbarkeiten eine Besitzanrechnung nicht stattzufinden hat (RS0011595), ergibt sich daraus, dass persönliche Dienstbarkeiten nach § 529 ABGB mit dem Tod des Berechtigten enden und nur sehr eingeschränkt auf die Erben erstreckt werden können.

[29] Es ist daher schon aus einem Größenschluss geboten, in Fällen eines Subjektwechsels, in denen sogar die ersessene persönliche Dienstbarkeit unterginge, auf Seiten des Ersitzenden dessen Rechtsnachfolgern die Fortsetzung der vom Rechtsvorgänger begonnenen Ersitzungszeit zu versagen (OGH GlUNF 4220).

[30] Handelt es sich bei dem aus einer persönlichen Servitut begünstigten Rechtsträger allerdings um eine juristische Person, so besteht die Servitut für die gesamte Dauer des Bestands der juristischen Person (§ 529 Satz 4 ABGB).

[31] 3.3. Der vorliegende Fall ist dadurch charakterisiert, dass ein Subjektwechsel, der einer Fortsetzung der in den 1950er‑Jahren begonnenen Ersitzungszeit gemäß § 1493 ABGB entgegensteht, nicht vorliegt. Gerade im Bereich juristischer Personen besteht Rechtsprechung, nach der bestimmte Umstrukturierungen, die eine gesellschaftsrechtliche Gesamtrechtsnachfolge nach sich ziehen, dem Weiterbestand höchstpersönlicher Rechte auch dann nicht entgegenstehen, wenn die Strukturmaßnahmen mit dem Untergang des bisherigen Rechtsträgers einhergehen.

[32] 3.3.1. So wurde zu 5 Ob 136/19i (NZ 2020/56, 218 [Bittner]; vgl dazu Csoklich, Gesellschaftsrechtliche Gesamtrechtsnachfolge bei Vor- und Wiederkaufsrecht, JBl 2020, 678; Nicolussi, Wiederkaufsrecht und Gesamtrechtsnachfolge, GesRZ 2020, 132; Hayden/Drach, Gesellschaftsrechtliche Gesamtrechtsnachfolge und höchstpersönliche Rechte, PSR 2022, 9) im Fall der Verschmelzung nach § 96 GmbHG, §§ 220 ff AktG in ausdrücklicher Abkehr von der früheren Rechtsprechung klargestellt, dass die Verschmelzung von Gesellschaften nicht zum Erlöschen des im Grundbuch zugunsten der übertragenden Gesellschaft eingetragenen, von seiner Konzeption her höchstpersönlichen (§ 1070 ABGB; zum Vorkaufsrecht vgl § 1074 ABGB) Wiederkaufsrecht führt.

[33] Zuvor war in der (mit der Entscheidung 5 Ob 136/19i abgelehnten) älteren Entscheidung 5 Ob 106/95 aus § 1074 ABGB abgeleitet worden, dass bei Verschmelzung das im Grundbuch zugunsten der übertragenden Gesellschaft eingetragene Vorkaufsrecht erloschen sei, weil die Verschmelzung nach § 96 GmbHG iVm § 226 Abs 4 AktG zum Untergang der übertragenden Gesellschaft geführt habe. Deren Vermögen gehe zur Gänze auf die aufnehmende Gesellschaft über, sodass sie nicht mehr existent sei; die aufnehmende, zur neuen Rechtsträgerin des Vermögens werdende Gesellschaft wiederum sei ein anderes Rechtssubjekt.

[34] Nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der in der Literatur an der Entscheidung 5 Ob 106/95 geäußerten Kritik hielt der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 5 Ob 196/19i die zu 5 Ob 106/95 vertretene Ansicht, die Verschmelzung führe zum Erlöschen der im Grundbuch zugunsten der übertragenden Gesellschaft eingetragenen höchstpersönlichen Gestaltungsrechte, für das Wiederkaufsrecht gemäß § 1068 ABGB ausdrücklich nicht aufrecht. Er führte aus, mit der Verschmelzung finde keine Übertragung des Rechts an einen von der berechtigten Gesellschaft verschiedenen Dritten im Sinne des § 1070 ABGB statt; das Vermögen der übertragenden Gesellschaft gehe vielmehr in der übernehmenden Gesellschaft auf, sodass das – wenngleich höchstpersönliche – Gestaltungsrecht zugunsten der dann vereinten Gesellschaft fortwirke. Diese Form der Gesamtrechtsnachfolge könne daher auch nicht den Rechtsfolgen des Todes einer natürlichen Person gleichgehalten werden.

[35] Der Rechtsübergang infolge Verschmelzung sei eine besondere gesellschaftsrechtliche Form der Gesamtrechtsnachfolge, die nur in den im Gesetz geregelten Fällen zulässig sei. Die übertragende Gesellschaft sei, wenn sie auch als selbständige juristische Person nicht mehr existiere, in der anderen juristischen Person enthalten; alle Rechte der dann vereinigten juristischen Personen sollten dabei erhalten bleiben. Die übertragende Gesellschaft wirke damit wirtschaftlich auch nach Verschmelzung als Einheit mit der übernehmenden Gesellschaft fort. Das sei Folge des Umstands, dass keine Abwicklung der übertragenden Gesellschaft stattfinde, sodass ihr Erlöschen aufgrund dieses gesellschaftsrechtlichen Vorgangs auch nicht ihrem (endgültigen) Untergang, in dem Sinn, dass sie mit ihren Rechten und Pflichten aufgehört hätte zu existieren, gleichgehalten werden könne (5 Ob 136/19i [ErwGr 4.5.]).

[36] 3.3.2. Der Übergang von der übertragenden Gesellschaft eingeräumten Wiederkaufs- und Vorkaufsrechten auf die übernehmende Gesellschaft aufgrund gesellschaftsrechtliche Gesamtrechtsnachfolge wurde in der Folge auch für die Verschmelzung im Zug der Errichtung einer SE (1 Ob 173/19a [Wiederkaufsrecht] ecolex 2020/183, 412 [Foglar-Deinhardstein]; RS0132979), die Vermögensübernahme nach § 142 UGB (5 Ob 74/20y EvBl 2020/144, 1020 [Foglar-Deinhardstein] = ecolex 2020/412, 966 [Horn/Berger]; RS0133206) und die Verschmelzung durch Aufnahme gemäß § 1 Abs 1 Z 1 GenVG (5 Ob 215/21k NZ 2022/184, 609 [Bittner], GesRZ 2023, 53 [Dellinger]) bejaht.

[37] 3.3.3. Konkret zu einer persönlichen Dienstbarkeit wurde für den Fall einer Abspaltung zur Aufnahme (§ 1 Abs 2 Z 2, § 17 SpaltG), bei der es allerdings nicht zur Beendigung einer der beteiligten Gesellschaften kommt, ausgesprochen, dass die dadurch bewirkte (partielle) Gesamtrechtsnachfolge den Übergang persönlicher Servituten auf die übernehmende Kapitalgesellschaft nicht ausschließt (5 Ob 88/05k [ErwGr 4 f] NZ 2005, 382 [Hoyer]).

[38] 3.3.4. Dieser Rechtsprechung kann insgesamt die Wertung entnommen werden, in bestimmten Fällen der Gesamtrechtsnachfolge durch Strukturänderungen juristischer Personen höchstpersönliche Rechte ebenso wie – nach der gesetzlichen Ausgestaltung nur eingeschränkt übertragbare – persönliche Dienstbarkeiten zugunsten des Gesamtrechtsnachfolgers bestehen zu lassen.

4. Zum Ablauf der Ersitzungsfrist im vorliegenden Fall

[39] 4.1. Die den dargestellten gesellschaftsrechtlichen Entscheidungen zugrunde liegenden Wertungen bestätigen die oben erzielte Auslegung des § 8 NÖ GO:

[40] 4.2. Auch der vorliegende Fall der Vereinigung mehrere Gemeinden nach § 8 NÖ GO kann den Rechtsfolgen des Todes einer natürlichen Person nicht gleichgehalten werden (vgl 5 Ob 196/19i [ErwGr 5.3.]). Die vormaligen Gemeinden haben ihre Existenz nur insofern verloren, als sie – was der Gesetzeswortlaut deutlich hervorhebt – „als eigene Gemeinden“ zu bestehen aufhörten. Ihre Rechte und Pflichten sind aber nicht untergegangen – dies wird durch § 8 NÖ GO ausdrücklich verhindert –, sondern gehen kraft gesetzlicher Anordnung auf die durch Vereinigung neu entstandenen Gemeinden über und wirken zugunsten der neu entstandenen Gemeinden fort. Eine zugunsten einer Gemeinde bestehende unregelmäßige Dienstbarkeit hört demnach durch die Vereinigung mit einer oder mehreren Gemeinden nicht auf zu bestehen, sondern kommt gemäß § 8 NÖ GO der durch die Vereinigung neu entstandenen Gemeinde zu.

[41] Bei dieser Ausgangslage, bei der ein Erlöschen der von der vormaligen Gemeinde erworbenen Rechtspositionen durch die Vereinigung mit anderen Gemeinden aufgrund des in § 8 NÖ GO ausdrücklich angeordneten Rechtsübergangs nicht in Betracht kommt, trägt auch der gegen eine Besitzanrechnung gemäß § 1493 ABGB bei der Ersitzung persönlicher Servituten sprechende Größenschluss nicht, weil auch die bereits ersessene Dienstbarkeit durch die Gemeindevereinigung nicht unterginge.

[42] Die durch Vereinigung gemäß § 8 NÖ GO mit 1. 1. 1971 entstandene, im vorliegenden Verfahren klagende Stadtgemeinde setzte daher den in den 1950er‑Jahren von der vormaligen Gemeinde begonnenen Lauf der Ersitzungsfrist fort.

5. Zu den übrigen Ersitzungsvoraussetzungen

[43] 5.1. Für die Ersitzung einer Wegeservitut an einer fremden Sache ist grundsätzlich die – dem Eigentümer der belasteten Liegenschaft erkennbare – Ausübung des Dienstbarkeitsrechts erforderlich (RS0033018). Die bloße Ausübung des Gemeingebrauchs oder einer jedermann offenstehenden örtlichen Übung genügt nicht. Vielmehr muss der Eigentümer der belasteten Liegenschaft aus der Art der Benützungshandlung erkennen können, dass damit ein individuelles Recht ausgeübt wird (RS0010135; 8 Ob 59/17k [ErwGr 2.2.]). Allerdings wird zur Ersitzung eines Wegerechts zugunsten einer Gemeinde lediglich der Gemeingebrauch während der Ersitzungszeit sowie die Notwendigkeit des Weges verlangt. Es genügt, dass jedermann den Weg als öffentlichen Weg ansieht und behandelt. Eine besondere Absicht, das Wegerecht für die Gemeinde zu ersitzen, ist nicht erforderlich (RS0011698).

[44] Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass sowohl ortsansässige Personen als auch Ausflugsgäste und Touristen den Weg zum Marterl regelmäßig nutzten. Aus dem Schreiben der Erbin des Malers an den Bürgermeister im Jahr 1956 geht auch hervor, dass diese die Nutzung des Weges als Gemeingebrauch konkret erkannte.

[45] Das Revisionsvorbringen, wonach keine Rechtsausübung, sondern bloß eine „örtliche Übung“ oder Gemeingebrauch vorgelegen sei, lässt außer Acht, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Ersitzung eines Rechts durch eine Einzelperson geht, wofür der Gemeingebrauch nicht ausreicht, sondern um die Ersitzung durch die Gemeinde zugunsten der Allgemeinheit. Das Revisionsvorbringen, die Besitzausübung sei für die jeweiligen Eigentümer nicht erkennbar gewesen, lässt das klar für die Erkennbarkeit der Rechtsausübung sprechende Schreiben der Erbin des Malers an den Bürgermeister außer Acht.

[46] 5.2. Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit von Wegservituten zugunsten von Gemeinden können Bedürfnisse des Fremdenverkehrs genauso von Bedeutung sein wie wirtschaftliche oder kulturelle Bedürfnisse, wie beispielsweise die Benützung als Kindergarten-, Schul- oder Kirchweg oder zur Freizeitgestaltung und Erholung (9 Ob 32/21b [Rz 11]; 2 Ob 521/94). Der vorliegende Weg dient der Erreichung eines als Klein- und Flurdenkmal dokumentierten, an einem markanten Aussichtspunkt in der Natur gelegenen Marterls und damit der Freizeitgestaltung und Erholung der Öffentlichkeit im Sinn der dargestellten Rechtsprechung. Ob die Bezeichnung der klagenden Stadtgemeinde als „Tourismusgemeinde“ aufgrund des Touristenaufkommens im Vergleich zu anderen österreichischen Gemeinden gerechtfertigt ist, ist bei dieser Sachlage nicht entscheidend.

[47] 5.3. Soweit die Revision beanstandet, das Berufungsgericht hätte die Auswirkungen des Aufstellens von Verbotsschildern unrichtig beurteilt, bezieht sie sich auf die im Jahr 1999 angebrachten Schilder. Zu allfälligen früher montierten Schildern, aus denen eine Unredlichkeit der Besitzausübung abgeleitet werden könnte, wurde eine – zu Lasten des Ersitzungsgegners gehende (RS0010185) – Negativfeststellung getroffen. Im Jahr 1999 war allerdings die Ersitzung bereits abgeschlossen. Aus demselben Grund gehen auch die Revisionsausführungen, die sich auf die im Jahr 1999 stattgefundene Besprechung mit dem Bürgermeister und das danach an den Bürgermeister gerichtete Schreiben beziehen, ins Leere.

[48] 6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

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