OGH 2Ob82/25k

OGH2Ob82/25k26.6.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und weitere Richter in derRechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mecenovic Rechtsanwalt GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei I*, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner, Rechtsanwältin in Graz, wegen 25.016,98 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 19. Februar 2025, GZ 4 R 199/24b‑32, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 27. September 2024, GZ 20 Cg 11/23m‑24,in Bezug auf die Klageforderung als Teilurteil bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00082.25K.0626.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil wird dahin abgeändert, dass es – unter Einschluss der unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Abweisung von 1.320,16 EUR – insgesamt lautet:

„1. Die Klageforderung besteht mit 23.696,82 EUR zu Recht.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 23.696,82 EUR samt 4 % Zinsen seit 12. Juni 2021 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

3. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 1.320,16 EUR samt 4 % Zinsen seit 12. Juni 2021 zu zahlen, wird abgewiesen.

4. Die Entscheidung über die Gegenforderung und die Kostenentscheidung bleiben der Endentscheidung vorbehalten.“

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die klagende Rechtsanwältin vertrat die beklagte, mittlerweile pensionierte Volksschullehrerin in diversen Verfahren.

[2] In einem vom Landesschulrat eingeleiteten Versetzungsverfahren brachte die Klägerin mehrere Schriftsätze für die Beklagte ein und nahm darin zur beabsichtigten Dienstrechtsmaßnahme Stellung. Gegen die vom Landesschulrat ausgesprochene Versetzung erhob sie Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht, wo sie die Beklagte auch bei einer Verhandlung vertrat. Gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts brachte sie (vergeblich) eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein. Für die erbrachten Leistungen verrechnete die Klägerin der Beklagten – unter Berücksichtigung von Teilzahlungen über insgesamt 3.003,30 EUR – auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 143.653,20 EUR (drei Jahresbezüge) insgesamt restliches Honorar über 16.877,22 EUR.

[3] Die Klägerin begehrt von der Beklagten – soweit noch Gegenstand des Revisionsverfahrens – die Zahlung dieses offenen Honorars. Bemessungsgrundlage sei gemäß § 5 Z 8 AHK der dreifache Jahresbezug. Ein Abschlag nach § 2 Abs 2 AHK sei nicht vorzunehmen.

[4] Die Beklagte wendet ein, die Bemessungsgrundlage sei überhöht. Erstes Beurteilungskriterium sei ihr Interesse als Auftraggeberin, das allenfalls mit einem Verdienstentgang oder erhöhten Fahrtkosten zu beziffern sei. Überdies stehe ihr gegen die Klägerin aufgrund von zu Unrecht auf vorprozessuale Kosten eines anderen Verfahrens angerechneten Unterhaltszahlungen ihres geschiedenen Ehemanns ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch zu, den sie compensando geltend mache.

[5] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte – ohne über die Gegenforderung abzusprechen – zur Zahlung von 19.366,62 EUR und wies das Mehrbegehren ab. Ein Zuspruch von 12.359,10 EUR betraf die Vertretungsleistungen im Versetzungsverfahren.

[6] Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht gab nur der Berufung der Beklagten in Bezug auf das Unterbleiben einer Entscheidung über die Gegenforderung Folge und trug dem Erstgericht insoweit die ergänzende Verhandlung und Entscheidung auf. Im Übrigen bestätigte es die Entscheidung des Erstgerichts als Teilurteil. Rechtlich ging es davon aus, dass es sich beim Versetzungsverfahren nicht – wie vom Erstgericht angenommen – um eine sonstige Zivil- und Verwaltungssache von „weittragender Bedeutung“ iSd § 5 Z 34 lit c AHK, sondern um eine Dienstrechtssache iSd § 5 Z 8 AHK gehandelt habe, die mit dem dreifachen Jahresbezug zu bewerten sei. Da das Versetzungsverfahren aber den Durchschnittsfall der möglichen Kategorien von Dienstrechtssachen unterschreite, sei gemäß § 2 Abs 2 AHK ein Abschlag vorzunehmen, sodass die vom Erstgericht im Ergebnis erzielte Reduktion um rund 26 % angemessen erscheine. Die verneinte Honorierung einer Urkundenvorlage (187,92 EUR) bekämpfe die Klägerin nicht. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage des anzuwendenden Honoraransatzes sowie den allenfalls vorzunehmenden Abschlägen zu.

[7] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Abänderungsantrag, ihr weitere 4.330,20 EUR (restliches Honorar aus dem Versetzungsverfahren exkl Urkundenvorlage) zuzusprechen.

[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist zulässig, weil die Auslegung von § 2 AHK Bedeutung über den Einzelfall hinaus hat. Sie ist im Sinn der beantragten Abänderung auch berechtigt.

[10] Die Klägerin argumentiert, eine Angemessenheitskontrolle nach § 2 Abs 2 AHK habe bei einer Honorarverrechnung nach § 5 Z 8 AHK nicht stattzufinden. Jedenfalls sei das (konkrete) Versetzungsverfahren eine durchschnittliche „Dienstrechtssache“, sodass kein Abschlag vorzunehmen sei.

[11] 1. Nach der ständigen Rechtsprechung bestimmt sich die Rangfolge der Rechtsgrundlagen für das Anwaltshonorar wie folgt: 1. Parteienvereinbarung, 2. RATG und 3. angemessenes Entgelt nach § 1152 ABGB, wobei jede Rechtsgrundlage die nachfolgende ausschließt (RS0071999). Wurde keine Vereinbarung getroffen, hat der Rechtsanwalt daher in erster Linie Anspruch auf ein nach dem Rechtsanwaltstarif ermitteltes Entgelt (RS0038356). Besteht auch kein Tarif, kommt den Allgemeinen Honorar-Kriterien (AHK) als qualifiziertes Gutachten über die Angemessenheit der im RATG nicht näher geregelten anwaltlichen Leistungen Bedeutung zu (RS0038369; RS0038356 [T5]). Die Maßgeblichkeit der AHK ziehen die Parteien nicht in Zweifel.

[12] 2. Die vom Berufungsgericht angenommene Bemessungsgrundlage trifft zu.

[13] 2.1. Aus dem Wortlaut des § 5 AHK ergibt sich klar, dass die im einzelnen angeführten Bemessungsgrundlagen als Mindestbeträge nur dann herangezogen werden sollen, wenn sich nicht schon – also primär – aufgrund des Interesses des Auftraggebers oder aus der Sache selbst ein bestimmter Wert als Bemessungsgrundlage ergibt. Erstes Beurteilungskriterium zur Ermittlung der Bemessungs-grundlage ist daher immer das Interesse des Auftraggebers. Nur wenn dieses nicht eindeutig in Geld beziffert werden kann, sind sekundär die für einzelne Angelegenheiten angeführten Mindestbemessungsgrundlagen als Hilfsmittel heranzuziehen (RS0052157).

[14] 2.2. Dass das Versetzungsverfahren, in dem die Klägerin Vertretungsleistungen erbracht hat, eine Dienstrechtssache iSd § 5 Z 8 AHK ist und sich kein bestimmter Wert aufgrund des Interesses der Beklagten oder aus der Sache selbst ergibt, wird im Revisionsverfahren zu Recht nicht (mehr) angezweifelt. Gleiches gilt für die Höhe der vom Berufungsgericht herangezogene Bemessungsgrundlage (dreifacher Jahresbezug).

[15] 3. Ein Abschlag nach § 2 Abs 2 AHK ist nicht vorzunehmen.

[16] 3.1. Gemäß § 2 Abs 2 AHK ist bei der Beurteilung der Angemessenheit des Honorars zu berücksichtigen, ob diese Leistungen nach Art oder Umfang den Durchschnitt erheblich übersteigen oder unterschreiten. Zweck der Bestimmung ist die Festsetzung des für den konkreten Einzelfall angemessenen Honorars (7 Ob 52/24h Rz 62), wobei keine Reduktion der Bemessungsgrundlage, sondern eine Honorarreduktion vorgenommen wird (7 Ob 45/24d Rz 34).

3.2. Der Oberste Gerichtshof sah im Zusammenhang mit der Honorierung von Leistungen in Verwaltungsstrafverfahren, für die gemäß § 13 Abs 1 Z 4 AHK die für ein geschworenengerichtliches Verfahren angemessenen Honoraransätze zur Anwendung kamen, Abschläge nach § 2 Abs 2 AHK für gerechtfertigt an, weil „offenkundig“ war, dass die Anwendung der für ein geschworenengerichtliches Verfahren angemessenen Honoraransätze und der dortigen Bemessungsgrundlage auf die jeweiligen Verwaltungsstrafverfahren auch unter Berücksichtigung der konkreten Strafdrohung nicht dem Angemessenheitsgebot entsprochen hätte (7 Ob 208/22x [Geldstrafe von 300 EUR; Übermittlung der Lenkerauskunft]; 7 Ob 45/24d [Geldstrafe von 600 EUR, strittige Zustellung der Lenkererhebung: Abschlag von 25 %]; 7 Ob 6/25w [Geldstrafe von 2.000 EUR im Zusammenhang mit einem Laserblocker: Abschlag von 50 %]).

[17] 3.3. Thiele (Zum Anwaltshonorar bei Abrechnung mit Rechtsschutzversicherungen – Anmerkungen zu OGH 7 Ob 25/24p, 7 Ob 45/24d und 7 Ob 52/24h, JBl 2025, 271) steht der Rechtsprechung insoweit kritisch gegenüber, als er darauf verweist, dass für die Vergütung anwaltlicher Leistungen im Verwaltungsstrafverfahren § 13 AHK das Konkretisierungsgebot von § 2 Abs 2 Satz 2 AHK durch ein „austariertes System von Bemessungsgrundlagen, Tarifansätzen und Zuschlägen“ ausfülle, welches auf den Durchschnitt gleichartiger Verrichtungen eines Rechtsanwalts ausgerichtet sei. Für eine „außerordentliche Honorarkürzung“ nach § 2 Abs 2 AHK verbleibe kein Raum, denn ein Honorar, das den AHK entspreche, sei in der Regel bereits als angemessen anzusehen.

3.4. Diese Kritik ist nicht berechtigt.

[18] § 5 AHK enthält subsidiär heranzuziehende Mindestbemessungsgrundlagen als Hilfsmittel für die Bemessung des angemessenen Honorars (vgl RS0052157). § 2 Abs 2 AHK normiert darüber hinaus als allgemeinen Grundsatz, dass bei der Beurteilung der Angemessenheit des Honorars zu berücksichtigen ist, ob diese Leistungen nach Art oder Umfang den Durchschnitt erheblich übersteigen oder unterschreiten. § 5 AHK ist nicht schon als „abschließende Konkretisierung“ des Angemessenheitsgrundsatzes zu verstehen, weil bei einem derartigen Verständnis für § 2 Abs 2 Satz 2 AHK kein vernünftiger Anwendungsbereich verbliebe. An der Möglichkeit einer Kürzung des auf der Bemessungsgrundlage nach § 5 AHK ermittelten Honorars ist daher festzuhalten.

[19] 3.5. Voraussetzung für eine „außerordentliche Honorarkürzung“ nach § 2 Abs 2 Satz 2 AHK ist aber, dass die Leistungen nach Art oder Umfang den Durchschnitt (einer Dienstrechtssache) erheblich unterschreiten. Dass dies der Fall war, hat die Beklagte aber gar nicht vorgebracht. Weshalb die Leistungen der Klägerin im Versetzungsverfahren, in dem es um einen Wechsel des Arbeitsplatzes der Beklagten ging und in dem die Klägerin zahlreiche Vertretungsschritte unternahm, nach Art oder Umfang den Durchschnitt erheblich unterschritten hätten, ist auch nicht ohne weiteres ersichtlich.

[20] 3.6. Der Klägerin war daher auch noch das restliche Honorar aus dem Versetzungsverfahren mit Leistungsbefehl (vgl 5 Ob 194/24a) zuzusprechen.

[21] 4. Das Erstgericht hat die Entscheidung über die Verfahrenskosten gemäß § 52 Abs 1 ZPO vorbehalten. Damit hat das Gericht erster Instanz nach rechtskräftiger Erledigung der Sache über die Verpflichtung des Kostenersatzes für das gesamte Verfahren zu entscheiden (§ 52 Abs 3 ZPO). Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens ist daher ebenfalls dem Erstgericht vorzubehalten (1 Ob 104/23k Rz 27).

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