European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0160OK00004.25M.0411.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht über die Veröffentlichung einer Entscheidung abgesprochen, mit der über die Antragsgegnerinnen wegen ihrer Teilnahme an einer Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG eine Geldbuße verhängt wurde.
[2] In der Äußerung vom 29. Jänner 2025 beantragten die Antragsgegnerinnen, bestimmte Teile dieses Beschlusses von der Veröffentlichung auszunehmen, um gleichartige Fälle auch in der Außenwirkung gleich zu behandeln und die Antragsgegnerinnen nicht (enorm) zu benachteiligen. Diese Teile betreffen die zahlenmäßige Darstellung des Umsatzes des Unternehmens in den Geschäftsjahren 2017 und 2023 und der Verluste bzw Ergebniseinbußen in den Geschäftsjahren 2022 und 2023, die Darstellung von Titel, Vornamen und (teilweise) Geburtsdaten der Gesellschafter der Antragsgegnerinnen und die Angabe der betroffenen Bauvorhaben (samt Auftragsdatum und Auftragsvolumen), ihrer Anzahl und ihres Gesamtvolumens.
[3] Das Erstgericht verfügte die Volltextveröffentlichung der Entscheidung. Die Entscheidung enthalte keine Geschäftsgeheimnisse und die Parteien hätten im Rahmen der ihnen gemäß § 37 Abs 2 KartG eingeräumten Äußerungsmöglichkeit auch keine Teile der Entscheidung bezeichnet, die sie von der Veröffentlichung ausgenommen haben wollten.
[4] Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerinnen, in dem sie beantragen, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die von ihnen bezeichneten Teile von der Veröffentlichung ausgenommen werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[5] Die Rekursbeantwortung der Antragstellerin enthält keinen ausdrücklichen Antrag. Sie steht auf dem Standpunkt, dass ausschließlich die zahlenmäßig dargestellten Verluste der Antragsgegnerinnen in den Jahren 2022 und 2023 als „mögliches Geschäftsgeheimnis“ für eine Ausnahme von der Veröffentlichung „zumindest potentiell in Betracht“ kämen.
[6] Der Bundeskartellanwalt beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Rekurs ist nicht berechtigt.
[8] 1.1. Gemäß § 37 Abs 1 KartG hat das Kartellgericht sowohl stattgebende als auch ab- oder zurückweisende rechtskräftige Entscheidungen über (unter anderem) die Verhängung einer Geldbuße durch Aufnahme in die Ediktsdatei zu veröffentlichen. Dies hat unter Angabe der Beteiligten und des wesentlichen Inhalts der Entscheidung einschließlich der verhängten Sanktionen zu erfolgen.
[9] 1.2. § 37 KartG sieht eine zwingende Veröffentlichung der Entscheidungen des Kartellgerichts von Amts wegen vor. Zweck der Bestimmung ist es, Schadenersatzklagen von Privaten (sogenannte Follow‑on-Klagen) infolge eines bindend festgestellten kartellrechtswidrigen Verhaltens zu erleichtern. Dies erfordert, den zu Grunde liegenden Sachverhalt möglichst deutlich wiederzugeben, um damit bereits eine Grundlage für die zivilrechtliche Beurteilung von Schadenersatzansprüchen gemäß § 37a Abs 3 KartG zu schaffen, zumindest aber, um jedermann die Prüfung zu ermöglichen, ob die Erhebung derartiger Schadenersatzansprüche im konkreten Fall für ihn überhaupt in Betracht kommt. Aus diesem Grund ist auch die namentliche Anführung von am Kartell beteiligten Unternehmen im Sinne einer möglichst umfassenden und zielgerichteten Information grundsätzlich zweckmäßig (RS0129323).
[10] 1.3. § 37 KartG orientiert sich hinsichtlich des Umfangs der Entscheidungsveröffentlichung am europäischen Rechtsrahmen, nach dem auch eine Volltextveröffentlichung – soweit Geschäftsgeheimnisse gewahrt bleiben – durchaus zulässig ist (RS0129950).
[11] 1.4. Der Beschluss über den konkreten Umfang der Veröffentlichung ist eine Ermessensentscheidung des Gerichts, das dabei auch auf ein berechtigtes Interesse der Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse Bedacht zu nehmen hat (RS0129950). Ein Geschäftsgeheimnis liegt vor, wenn legitime wirtschaftliche Interessen durch die Veröffentlichung oder die bloße Weitergabe einer Information an einen Dritten schwer beeinträchtigt werden können. Es muss sich um Daten handeln, die ein Unternehmen anderen (insbesondere Wettbewerbern) üblicherweise nicht zugänglich macht und deren Kenntnis für mögliche Empfänger von Vorteil sind. Bei Beurteilung der Vertraulichkeit einer Information sind die schützenswerten „privaten“ Interessen mit dem Interesse der Allgemeinheit an der Offenlegung des Handelns der Kartellbehörde abzuwägen (16 Ok 5/22d Rz 11; 16 Ok 6/14i).
[12] Ob eine bestimmte Information ein Geschäftsgeheimnis darstellt, ist jeweils aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Beispiele für Geschäftsgeheimnisse sind etwa Geschäftsbeziehungen, technische oder finanzielle Angaben in Bezug auf das Know‑How eines Unternehmens, Kostenrechnungsmethoden, Produktionsgeheimnisse und -verfahren, Bezugsquellen, produzierte und verkaufte Mengen, Marktanteile, Kunden- und Händlerlisten, Vermarktungspläne, Kosten, Preisstruktur oder Absatzstrategien, aktuelle Verkaufszahlen und ähnliches (RS0040493 [T1]). Bei Angaben zu einem Wettbewerbsverstoß handelt es sich um kein schützenswertes Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis (16 Ok 5/22d Rz 11; 16 Ok 3/21h Rz 79 ua).
[13] 1.5. Im Rechtsmittelverfahren über eine Entscheidung nach § 37 Abs 1 KartG überprüft das Kartellobergericht, ob die zur Veröffentlichung bestimmte Fassung der Entscheidung dem Gesetz entspricht und sich innerhalb des dem Erstgericht eingeräumten Ermessensspielraums hält, nicht hingegen, ob auch eine davon abweichende andere Fassung diesen Kriterien genügt (RS0129950).
[14] 2. Diesen Grundsätzen entspricht die verfügte Volltextveröffentlichung durch das Erstgericht. Die Antragsgegnerinnen gehen in ihrer Gegenäußerung vom 29. Jänner 2025 und im Rekurs nur unsubstanziiert davon aus, dass die Veröffentlichung der bezeichneten Teile der Entscheidung das Unternehmen „weiter schädigen“ würde und anderen betroffenen Unternehmen (bezüglich derer entsprechende Geschäftszahlen durch das Erstgericht nicht veröffentlicht worden seien) einen Vorteil verschaffen könne. Mangels konkreter Ausführungen, die eine Abwägung eines schützenswerten Geheimhaltungsinteresses mit dem Interesse der Allgemeinheit (insbesondere geschädigter Dritter) an einer umfassenden Offenlegung des Kartellverstoßes ermöglichen würden, bedarf die angefochtene Entscheidung keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.
Im Einzelnen ist den Antragsgegnerinnen Folgendes entgegenzuhalten:
[15] 2.1. Umsatzzahlen (RS0129950) und (aktuelle) Verkaufszahlen (RS0040493 [T1]) könnten zwar grundsätzlich Geschäftsgeheimnisse darstellen. Die in der zu veröffentlichenden Entscheidung aufgenommene zahlenmäßige Darstellung des Umsatzes des Unternehmens in den Geschäftsjahren 2017 und 2023 und von „Verlusten bzw Ergebniseinbußen“ in den Jahren 2022 und 2023 betrifft aber (im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Veröffentlichung durch das Erstgericht) vergangene Geschäftsjahre und damit nicht mehr aktuelle Informationen, die überdies nur gerundet (auf eine Nachkommastelle gerundete Millionenbeträge) und bezüglich der Verluste zusammengefasst für mehrere Geschäftsjahre angeführt werden. Bei derartigen Kennzahlen von geringer Aussagekraft wurde das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses vom Obersten Gerichtshof verneint (16 Ok 6/14i unter Hinweis auf die Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission). Dass die Veröffentlichung von aggregierten Kennzahlen, die ein Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens vermitteln, insbesondere von Umsatzerlösen und Gewinnen bzw Verlusten vergangener Geschäftsjahre legitime wirtschaftliche Interessen eines Unternehmens grundsätzlich nicht (schwer) beeinträchtigt, zeigen auch die (wenn auch nicht alle Unternehmer treffenden) Offenlegungs- und Veröffentlichungsvorschriften des UGB (vgl §§ 200, 231, 277 ff UGB). Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass die angeführten Zahlen das gesamte – in unterschiedlichen Bereichen tätige – Unternehmen der (aller) Antragsgegnerinnen betreffen, die daher noch weniger Aussagekraft für Wettbewerber auf einem bestimmten Markt besitzen. Inwiefern die Kenntnis dieser Daten für mögliche Empfänger von Vorteil sein kann, legen die Antragsgegnerinnen nicht offen und ist auch nicht ersichtlich. Dass die Antragstellerin im Rahmen ihrer Gegenäußerung (wie auch in der Rekursbeantwortung) auf dem Standpunkt steht, dass die dargestellten Verluste für eine Ausnahme von der Veröffentlichung „zumindest potentiell in Betracht“ kämen, ändert daran – entgegen der im Rekurs von den Antragsgegnerinnen vertretenen Rechtsauffassung – nichts.
[16] 2.2. Die in der veröffentlichten Entscheidung angeführten Titel, Vornamen und (teilweise) Geburtsdaten der Gesellschafter der Antragsgegnerinnen sind öffentlich zugänglich (Firmenbuch) und schon deswegen kein Geschäftsgeheimnis (Völkl‑Torggler in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG3 § 37 Rz 35).
[17] 2.3. Die Angabe der von der Zuwiderhandlung der Antragsgegnerinnen betroffenen Bauvorhaben (samt Auftragsdatum und Auftragsvolumen), ihrer Anzahl und ihres Gesamtvolumens betrifft den konkreten Wettbewerbsverstoß der Antragsgegnerin, sodass es sich nach der zitierten Rechtsprechung (oben ErwGr 1.4.) nicht um ein schützenswertes Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis handeln kann. Ob solche Informationen in vergleichbaren Fällen (dasselbe Kartell betreffend) – wie die Antragsgegnerinnen in der Äußerung vom 29. Jänner 2025 und im Rekurs behaupten – vom Erstgericht nicht veröffentlicht wurden, ist für das Vorliegen eines berechtigten Interesses der Antragsgegnerinnen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse nicht entscheidend.
[18] 3.1. Soweit die Antragsgegnerinnen im Rekurs eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens darin erblicken, dass das Erstgericht ihre Äußerung vom 29. Jänner 2025 bei seiner Entscheidung „nicht beachtet“ und daher nicht über alle im Verfahren gestellten Anträge abgesprochen habe, liegt ein solcher Verfahrensmangel nicht vor. Das Erstgericht verfügte die Veröffentlichung der gesamten Entscheidung und entschied damit – wenn auch nicht im von den Antragsgegnerinnen gewünschten Sinn – über die Veröffentlichung der in der Gegenäußerung bezeichneten Teile.
[19] 3.2. Im Übrigen wurde den Antragsgegnerinnen im Sinn des § 37 Abs 2 KartG vor der Entscheidung über die Veröffentlichung – frei von Verfahrensfehlern – Gelegenheit gegeben, die Teile der Entscheidung zu bezeichnen, die sie von der Veröffentlichung ausnehmen wollen. Ob das Erstgericht einen Verfahrensmangel oder eine Aktenwidrigkeit dadurch bewirkte, dass es im Rahmen der rechtlichen Beurteilung anführte, dass die Antragsgegnerinnen keine von der Veröffentlichung auszunehmenden Teile bezeichnet hätten, bedarf keiner weiteren Prüfung, weil sowohl der im Rekurs diesbezüglich behauptete Verfahrensmangel (RS0116273) als auch die im Rekurs in diesem Zusammenhang geortete Aktenwidrigkeit (RS0043347 [T9]) für ihre erfolgreiche Geltendmachung wesentlich für die Entscheidung sein müssten. Dies ist hier nicht der Fall, weil der Inhalt der Gegenäußerung – wie aufgezeigt (oben ErwGr 2. ff) – keinen Anlass zur Ausnahme der darin von den Antragsgegnerinnen bezeichneten Teile von der Veröffentlichung gibt.
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