European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00115.24A.0411.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt, sodass es (unter Einschluss des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils) zu lauten hat:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 9.611,94 EUR samt 4 % Zinsen seit 29. 7. 2017 binnen 14 Tagen zu zahlen.
2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 388,06 EUR samt 4 % Zinsen seit 29. 7. 2017 zu bezahlen, wird abgewiesen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.873,89 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin 765,73 EUR an USt und 2.280 EUR an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin begehrt von der beklagten Gemeinde Schadenersatz, weil diese im Jahr 2017eigenmächtig drei sogenannte Kopfweidenbäume habe fällen lassen, die sich am (allenfalls ersessenen) Grund der Klägerin befunden hätten. Dabei handelte es sich um Weidenbäume, die durch regelmäßigen Rückschnitt diesen besonderen Wuchs entwickelten, und die nach Ansicht der Klägerin Naturmonumente darstellten.
[2] Die Beklagte bestreitet den Anspruch dem Grunde und der Höhe nach, weil die Bäume auf Gemeindegrund gestanden seien, und im Übrigen aufgrund ihres hohen Alters morsch und damit sowohl gefährlich als auch wertlos gewesen seien.
[3] Das Erstgericht gab der Klage im Ausmaß von 9.611,94 EUR statt und wies das Mehrbegehren von (zuletzt) 388,06 EUR ab.
[4] Nach dessen Feststellungen grenzt im fraglichen Bereich eine Liegenschaft, die im Eigentum der Klägerin steht und von ihr bzw ihren Rechtsvorgängern landwirtschaftlich genutzt wurde und wird, an eine Liegenschaft der beklagten Gemeinde, ohne dass der exakte Grenzverlauf bekannt sei oder im Verfahren festgestellt hätte werden können. Die Grundstücke sind nicht im Grenzkataster erfasst und wurden nie vermessen, und der Grenzverlauf war zwischen den Streitteilen in der Vergangenheit auch nie strittig. Aktuell stellt sich die Situation so dar, dass in natura neben einem asphaltieren Weg der Gemeinde ein schmaler Wiesenstreifen verläuft, auf dem die Bäume standen, dann folgt ein Wassergraben und dann ein von der Klägerin genutztes Feld.
[5] Nach Ansicht des Erstgerichts hätten die Rechtsvorgänger der Klägerin die Fläche, auf der sie die vor ca 80 Jahren gepflanzten Weidenbäume zumindest über 40 Jahre gepflegt hätten, jedenfalls ersessen. Die Klägerin könne daher die geschätzten Wiederherstellungskosten für die Anpflanzung neuer Weidenbäume verlangen (nicht aber zusätzlich den Holzwert).
[6] Das – ausschließlich von der Beklagten – angerufene Berufungsgericht änderte das Urteil in eine gänzliche Klagsabweisung ab, weil das Verhalten der Klägerin und ihrer Rechtsvorgänger keine ausreichende Besitzausübung dargestellt habe, die außerhalb des Gemeingebrauchs gelegen sei und jeden anderen Besitz ausgeschlossen hätte.
[7] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob ein Eigentumserwerb durch Ersitzung erfolgen könne, wenn keine objektiven Besitzakte, die andere von der Nutzung gänzlich ausschließen, gesetzt würden, die Ersitzungsgegnerin jedoch positiv Kenntnis davon habe, dass sich jemand für den Eigentümer halte.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin, mit der sie eine Klagsstattgebung (erkennbar im Sinne einer Wiederherstellung des teilweise stattgebenden Ersturteils) anstrebt, ist zur Klarstellung zulässig und auch berechtigt.
I. Zur Ersitzung:
[9] I.1.1 Eigentumserwerb an öffentlichem Gut ist auch durch Ersitzung möglich (RS0009807). Ebenso können unselbständige Teilflächen eines Grundstücks, sofern dieses nicht im Grenzkataster enthalten ist, Objekt einer Ersitzung sein (vgl RS0011696 [T2]; 5 Ob 102/23w).
[10] Der Verweis der Beklagten auf § 1 StVO und den Umstand, dass das Bankett in der Straßenverkehrsordnung zur Straße gehöre, geht für Fragen der Ersitzung ins Leere. Die Klage ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht unschlüssig, weil sich die Klägerin erkennbar nicht auf eine „Ersitzung der Bäume“ beruft, sondern stets vorbrachte, dass die Bäume von ihren Rechtsvorgängern auf deren Grund gepflanzt worden seien, hilfsweise die Fläche, auf der die Bäume standen, ersessen worden sei. Da die Ersitzung zudem nur Vorfrage für den Schadenersatzanspruch der Klägerin ist, musste die Fläche auch nicht näher abgegrenzt werden.
[11] I.1.2 Voraussetzungen für die Ersitzung sind neben dem Zeitablauf echter und redlicher Besitz eines Rechts, das seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entspricht, sowie Besitzwille (RS0034138, RS0010140). Die Besitzergreifungshandlungen und der Besitzwille bestimmen den Inhalt des Besitzes und damit das Ausmaß des zu ersitzenden Rechts (RS0010145 [T3]; RS0011702). Der Besitzwille muss aber nur auf den Besitz der Sache, nicht auf Ersitzung des Eigentums gerichtet sein (RS0034283). Will daher jemand vermeintlich eigenen Grund benützen, so kann er grundsätzlich Eigentum ersitzen (5 Ob 102/23w).
[12] Für die uneigentliche Ersitzung nach § 1460 iVm § 1477 ABGB bedarf es keines rechtmäßigen Besitzes, dh keines Titels. Der Ersitzungsbesitzer muss außer einer Besitzungsübung, die nach Inhalt und Umfang dem zu erwerbenden Recht entspricht, nur die Vollendung der Ersitzungszeit beweisen (RS0034251), hier sohin 40 Jahre (§ 1472 ABGB). Die Klägerin kann sich insoweit auf die Ersitzung(‑szeit) ihrer Rechtsvorgänger berufen (vgl § 1493 ABGB).
[13] I.1.3 Die Ersitzung des Eigentumsrechts, wie von der Klägerin und dem Erstgericht angenommen, setzt Alleinbesitz voraus (RS0009792, RS0010117). Die Besitzausübung muss die volle Zugehörigkeit der Sache zum Ausübenden sichtbar zum Ausdruck bringen; die Besitzausübung dritter Personen muss erkennbar ausgeschlossen sein (vgl RS0010101, RS0034276, RS0009792 [T9, T12]).
[14] § 312 ABGB nennt als Arten der einseitigen Besitzerwerbung bei unbeweglichen Sachen exemplarisch die Betretung, Verrainung, Einzäunung, Bezeichnung oder Bearbeitung (vgl RS0010127). „Bäuerliche Nutzungsarten“ wurden bereits als ausreichend erachtet (vgl RS0009792 [T1], RS0010140 [T7]); bei geringer Bewirtschaftungsintensität nimmt die Rechtsprechung jedoch bloß die Ersitzung einer Grunddienstbarkeit an (RS0010142 [T2], RS0009792 [T10], RS0010126).
[15] I.2.1 Das Berufungsgericht war der Ansicht, dass das regelmäßige Zurückschneiden der Weiden in Anbetracht von Veröffentlichungen in den Gemeindenachrichten, mit denen Anrainer von öffentlichen Wegen ersucht wurden, auf öffentlichem Gut stehende Sträucher und Bäume mitzupflegen, noch keine Besitzausübung sei, die außerhalb des Gemeingebrauchs liege und jeden anderen Besitz ausschließe. Auch aus einem Ersuchen der Gemeinde um Erlaubnis zur Verlegung des Wassergrabens im Jahr 1979 sowie der damit verbundenen Entfernung eines Weidenbaumes ließe sich keine ausreichende Besitzausübung durch die Klägerin ableiten.
[16] I.2.2 Damit verkehrt das Berufungsgericht jedoch die für die Ersitzung relevante Abfolge und weicht in korrekturbedürftiger Weise von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ab.
[17] Nach den erstgerichtlichen – und insoweit unangefochtenen – Feststellungen nutzten die Rechtsvorgänger der Klägerin den nunmehr strittigen Grundstücksteil bereits dadurch, dass sie „vor über 80 Jahren“ vier Weidenbäume pflanzten. Die Rechtsvorgänger und später die Klägerin schnitten die Weiden sodann in regelmäßigen Abständen „auf Kopf“ zurück und nutzten das Holz zum Selchen.
[18] Im Jahr 1979 wurde der Weg von der Gemeinde „neu gemacht“. Im Zuge dessen sollte auch der Wassergraben in Richtung der Liegenschaft der Klägerin verlegt und dafür einer der Weidenbäume gefällt werden. Die Klägerin und ihre Rechtsvorgänger waren stets der Meinung, dass sich die Weidenbäume auf ihrem Grund befinden – was der Gemeinde zumindest seit damals bekannt war –, weswegen die Gemeinde für die Verlegung des Grabens und das Fällen des Baumes auch deren Zustimmung einholte. Im Jahr 2002 suchte die Klägerin im eigenen Namen beim Katastrophenfonds um eine Förderung für die Sanierung des Wassergrabens nach einem Hochwasser an, während die Gemeinde diesen nicht sanierte.
[19] Im Jahr 2008 bekam die Gemeinde einen neuen Bürgermeister. Diesem war die Rechtsansicht der Klägerin bekannt, er ging jedoch ausgehend vom „NÖ-Atlas“ und dem Umstand, dass alle sonstigen Wassergräben im Eigentum der Gemeinde stehen, davon aus, dass sich auch die drei verbliebenen Weidenbäume auf Gemeindegrund befinden.
[20] In der Gemeinde war es „schon seit langer Zeit“ üblich, dass Bepflanzungen auf Gemeindegrund nicht aktiv bewirtschaftet werden. Deswegen werden Anrainer von öffentlichen Wegen in den Gemeindenachrichten regelmäßig ersucht, auf öffentlichem Gut stehende Sträucher und Bäume mitzupflegen.
[21] Am 3. 1. 2017 erklärte die Beklagte schließlich in einem Schreiben, dass die Klägerin, indem sie die drei Weidenbäume auf Stock gekürzt habe, das Eigentumsrecht der Gemeinde verletzt habe, und ersuchte, den widerrechtlich zwischen den Weiden gelagerten Baumschnitt zu entfernen.
[22] I.2.3 Das Zurückschneiden der Weidenbäume war entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sohin nicht Folge des Ersuchens in den Gemeindenachrichten, sondern der (für die Gemeinde erkennbaren) Inbesitznahme der Fläche durch Pflanzung der Bäume vor über 80 Jahren und nachfolgende, wiederkehrende Stutzung zu „Kopfweiden“ und Nutzung der Äste. Auch im Jahr 1979 brachten die Rechtsvorgänger der Klägerin im Zuge der Änderung des Wegs ihren Besitzwillen im Sinn eines Alleineigentums klar zum Ausdruck (was von der Gemeinde widerspruchslos akzeptiert und gerade nicht zum Anlass für eine Klärung der Grenze genommen wurde). Besitzhandlungen der Gemeinde (oder Dritter) in Bezug auf diese Fläche vor dem Jahr 2017 stehen gerade nicht fest.
[23] In der Rechtsprechung wurde eine Eigentumsersitzung etwa bejaht bei forstwirtschaftlicher Bewirtschaftung wie Eigentümer (7 Ob 528/86, 9 Ob 26/00i) oder durch Befahren und Ausmähen eines Wegs (9 Ob 2020/96s). Auch die Errichtung und Instandhaltung eines Wegs auf eigene Kosten in Verbindung mit einem regelmäßigen Befahren ua zur Durchführung von Heu- und Viehtransporten sowie die Gestattung der Benützung durch Dritte samt Aufstellen einer Fahrverbotstafel wurde für ausreichend erachtet (2 Ob 11/10x). Nach der Entscheidung 5 Ob 2090/96f bringen bäuerliche Nutzungen, die jemand aus eigener Machtvollkommenheit in Anspruch nimmt, wie die Grasnutzung, das Ernten von Obst und die Pflege und das Pflanzen von Bäumen, bei landwirtschaftlichen Grundstücken die dem Eigentum wesentliche Zugehörigkeit zumindest dann ausreichend deutlich zum Ausdruck, wenn sie nach Art und Umfang ortsüblich sind.
[24] Zwar wurde in der Entscheidung 5 Ob 36/10w das Anpflanzen und Bewirtschaften eines Obstgartens nicht als ausreichend für die Ersitzung von Grundeigentum angesehen, weil die dort festgestellte „Bewirtschaftung“ auch von einem Servituts- oder aufgrund eines Vertrags Nutzungsberechtigten vorgenommen hätte werden können.
[25] Hier haben die Rechtsvorgänger der Klägerin mit der Pflanzung von Weidenbäumen, die durch regelmäßigen Zuschnitt als Kopfweidenbäume genutzt wurden, jedoch erkennbar nicht ein bloßes Nutzungsrecht an Gemeindegut begründen (oder bloß Gemeingebrauch ausüben) wollen, sondern nahmen die Fläche wie ein Eigentümer aus eigener Machtvollkommenheit in Anspruch. Auch in der Folge verhielten sie sich mehr als 40 Jahre und von der Gemeinde unbeeinsprucht wie Alleineigentümer.
[26] Das Erstgericht hat eine Ersitzung (so die strittigen Flächen nicht ohnedies zur Liegenschaft der Klägerin gehören) sohin zu Recht bejaht.
II. Zum Schadenersatzanspruch:
[27] II.1.1 Die Beklagte berief sich in erster Instanz sinngemäß darauf, dass ihr Handeln gerechtfertigt sei, weil die Bäume bereits so morsch gewesen seien, dass für die Benutzer des öffentlichen Wegs Gefahr bestanden habe. Das Erstgericht verneinte dies, das Berufungsgericht ließ eine Beweisrüge unerledigt, mit der die Beklagte die Ersatzfeststellung begehrte, dass die Entfernung erfolgte, „weil die Bäume eine Gefahr für die Benützer des Wegs darstellten und desolat waren“.
[28] II.1.2 Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, dass das Fällen der Bäume über das Selbsthilferecht nach § 422 Abs 1 ABGB hinausgeht, wonach jeder Eigentümer die in seinen Grund eindringenden Wurzeln eines fremden Baumes aus seinem Boden entfernen und die über seinem Luftraum hängenden Äste abschneiden kann.
[29] Selbsthilfe kann ganz generell, wenn sie die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands zum Ziel hat, zwar auch angriffsweise ausgeübt werden; offensive Selbsthilfe ist aber nur dann erlaubt, wenn staatliche Hilfe zu spät käme und die Grenzen des Angemessenen eingehalten werden (vgl RS0009026, RS0009048, RS0009027, RS0009019). Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen trifft denjenigen, der sich auf sein Recht zur Selbsthilfe beruft (vgl RS0009034).
[30] Aus der pauschal begehrten Feststellung und dem Vorbringen der Beklagten dazu ist aber weder ersichtlich, warum nicht etwa ein fachgerechter Rückschnitt ausgereicht hätte, noch, warum der Anspruch nicht auf dem Rechtsweg durchgesetzt hätte werden können. Ein Rechtfertigungsgrund ist sohin zu verneinen und ein Verschulden zu bejahen, war dem Bürgermeister der Beklagten doch bekannt, dass die Klägerin und deren Rechtsvorgänger Eigentumsansprüche an den Bäumen behaupteten.
[31] II.2.1 Schließlich wandte sich die Beklagte in ihrer Berufung gegen die Art und Höhe des vom Erstgericht zugesprochenen Schadenersatzes, worauf das Berufungsgericht wegen Verneinung der Ersitzung nicht mehr einging.
[32] Die Klägerin begehrt konkret die Kosten für die Wiederherstellung der Weidenbäume (in der Klage ausgehend von einem Kostenvoranschlag für Trauerweiden 18.451,60 EUR, nachfolgend eingeschränkt auf 10.000 EUR).
[33] Nach den erstgerichtlichen Feststellungen haben derartige Weidenbäume eine Lebenserwartung von 100 bis 150 Jahren; die von der Beklagten gefällten Bäume waren bereits 80 bis 100 Jahre alt. Dabei handelte es sich um keine eingetragenen Naturdenkmäler, allerdings waren sie „als Habitatbäume von besonderem, nicht wiederherstellbarem, ökologischen Wert“. Der reine Holzwert betrug 100 EUR pro Baum. Um annähernd drei gleichwertige Bäume wiederherzustellen ist, ausgehend von 10‑jährigem Wuchs und Pflegemaßnahmen, ein Wert von 3.203,98 EUR pro Baum anzusetzen; „wenn die Klägerin daher als Ersatz 10‑jährige Kopfweiden erwerben möchte, muss sie 9.611,94 EUR dafür aufwenden“.
[34] II.2.2 Während die Klägerin die Rechtsansicht des Erstgerichts unbekämpft ließ, dass sie neben den Wiederherstellungskosten von 9.611,94 EUR nicht auch den Holzwert verlangen könne, bestritt die Beklagte in ihrer Berufung die Zulässigkeit einer Naturalrestitution iSd § 1323 ABGB.
[35] Naturalrestitution durch Schaffung einer im Wesentlichen gleichartigen Ersatzlage mittels Wiederaufforstung, etwa durch pflanzfähige große Bäume, wurde in der Rechtsprechung bereits bejaht (vgl 3 Ob 565/88, 5 Ob 61/11y; RS0030380; vgl auch RS0030228).
[36] Den auf den Vorrang der Naturalrestitution abstellenden Grundsätzen ist im besonderen Maß bei Liegenschaften Geltung zu verschaffen. Bei Beschädigung solcher Güter ist – ähnlich wie bei Sachen ohne Verkehrswert – zu fragen, ob ein verständiger Eigentümer in der Lage des Geschädigten die Kosten aufwenden, ob also ein wirtschaftlich vernünftig handelnder Mensch, der den Schaden selbst zu tragen hätte, diesen Aufwand gleichfalls bestreiten würde (5 Ob 61/11y).
[37] Die Beweislast für die Unmöglichkeit oder Untunlichkeit der Naturalrestitution trifft den Verpflichteten (RS0112887 [T8]). Der Schädiger hat sohin im Schadenersatzprozess die Tunlichkeit der Naturalherstellung zu bestreiten, wenn er nur zur Zahlung des Schätzwerts bereit ist, und zwar schon im Verfahren erster Instanz (RS0030394, [insb T3]).
[38] Dies hat die Beklagte hier jedoch unterlassen, sodass ihr Berufungsvorbringen zur Untunlichkeit gegen das Neuerungsverbot verstößt. Im Übrigen ist anzumerken, dass sich das Interesse an der Pflanzung eines Baums nicht im Holzwert erschöpft, sondern vielfältige Umstände eine Rolle spielen können, wie Wind- und Sichtschutz, Schutz vor Bodenerosion und Hitze sowie Erhalt der Artenvielfalt und von Nützlingen.
[39] II.2.3 Schließlich stützte die Beklagte ihre Berufung darauf, dass das Erstgericht einen Abzug „neu für alt“ vornehmen hätte müssen.
[40] Der Geschädigte hat nur Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens, er darf durch die Ersatzleistung weder schlechter noch besser als vor dem Schadensereignis gestellt werden. Erfordert die Zerstörung der Sache durch das schädigende Ereignis eine Neuanschaffung, dann hat der Geschädigte grundsätzlich Anspruch auf Wiederherstellung. Wird aber als Nebeneffekt die schadhafte Sache nun in einen besseren Zustand gebracht, der dem Geschädigten objektiv, in Geld bewertbare Vorteile bietet, so hat der Ersatzberechtigte dieses Mehr nach dem Grundsatz „neu für alt“ abzugelten (RS0114929, RS0022849). Danach ist ein Vorteil, den der Geschädigte ohne die Beschädigung nicht erlangt hätte, grundsätzlich zu Gunsten des Schädigers zu buchen, dessen Ersatzpflicht dadurch vermindert wird (vgl RS0022726).
[41] Eine Minderung des Schadenersatzanspruchs wurde etwa wegen einer längeren Nutzbarkeit der Sache bejaht (8 Ob 115/23d; RS0022849 [T12]). Dies ist aber nicht zwingend; es kommt darauf an, ob die neue Sache dem Beschädigten tatsächlich mit Sicherheit eine längere Brauchbarkeit bietet als die beschädigte, gebrauchte Sache (vgl RS0030246; 2 Ob 234/05h).
[42] Auch insofern gilt, dass ein Abzug „neu für alt“ nicht von Amts wegen vorzunehmen ist, sondern der Schädiger die Behauptungs- und Beweislast dafür trägt (RS0022849 [T3, T14]). Der Schädiger muss konkret jene Umstände behaupten, die einen Vorteilsausgleich rechtfertigen (RS0036710 [T3, T4]).
[43] Das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten erschöpfte sich in diesem Zusammenhang jedoch in dem Hinweis, dass ein Abzug neu für alt „angesichts des Zustandes der umgeschnittenen Weidenbäume jedenfalls gegeben ist“.
[44] Ein wirtschaftlicher Vorteil der Klägerin, der zu einer Bereicherung führen und damit eine Kürzung der Wiederherstellungskosten erfordern würde, liegt hier auch nicht auf der Hand. Dass die Bäume bereits ihr Lebensende erreicht gehabt hätten, steht nicht fest und ist nur ein mögliches Szenario; umgekehrt wäre es nach den Feststellungen ebenso möglich gewesen, dass die Bäume noch weitere 70 Jahren gestanden wären. Auch zu allfällig ersparten Aufwendungen wurde kein Vorbringen erstattet.
[45] II.3 Im Ergebnis ist sohin der erstinstanzliche Zuspruch der Kosten für eine Ersatzpflanzung wiederherzustellen.
III. Zur Kostenentscheidung:
[46] III.1 Hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens kann im Wesentlichen auf die Kostenentscheidung des Erstgerichts verwiesen werden, die es im ersten Verfahrensabschnitt (bis zur Klagseinschränkung in der ersten Stunde der Tagsatzung vom 23. 11. 2022 von 18.451,60 EUR auf 10.000 EUR) auf § 43 Abs 1 ZPO (Kostenaufhebung) stützte und im zweiten auf § 43 Abs 2 1. Fall ZPO (geringfügiges Unterliegen).
[47] Kostenersatz nach § 43 Abs 2 2. Fall ZPO (richterliches Ermessen bzw Ausmittlung durch einen Sachverständigen) kommt hier nicht in Betracht, weil von der Klägerin zunächst teurere Trauerweiden verlangt wurden und auch eine Überklagung der Höhe nach vorliegt.
[48] Für den ersten Verfahrensabschnitt steht der Klägerin sohin die Hälfte ihrer Pauschalgebühr zu, das sind 371,50 EUR. Im ersten Verfahrensabschnitt fielen zudem 765 EUR an Gebühren für das schriftliche Sachverständigengutachten an, die von der Klägerin getragen wurden, sodass sie davon 382,50 EUR erhält. Die Beklagte hatte im ersten Abschnitt keine Barauslagen.
[49] Im zweiten Abschnitt hat die Klägerin Anspruch auf vollen Kostenersatz (auf Basis des obsiegten Betrags von 9.611,94 EUR, vgl RS0116722). Die Einwendungen der Beklagten iSd § 54 Abs 1a ZPO sind insofern berechtigt, als die Vertagungsbitte vom 17. 5. 2023 aus der Sphäre der Klägerin resultiert und daher nicht ersatzfähig ist. Damit verleiben die Tagsatzungen vom 23. 11. 2022 und 13. 7. 2023 mit einem Verdienst von gesamt 2.134,97 EUR (darin 355,83 EUR an USt).
[50] Die Sachverständigengebühren für die mündliche Gutachtenserörterung sowie die Gebühren für den Ortsaugenschein fielen in den zweiten Verfahrensabschnitt und wurden aus dem Kostenvorschuss der Beklagten beglichen.
[51] II.2 Im Rechtsmittelverfahren betrug der Streitwert lediglich 9.611,94 EUR. Die Kostenentscheidung beruht insofern auf § 41 iVm § 50 ZPO. Der Klägerin waren für ihre Berufungsbeantwortung 1.458,67 EUR (darin 243,11 EUR an USt) und für ihre Revision 2.526,75 EUR (darin 166,79 EUR an USt und 1.526 EUR an Pauschalgebühren) zuzuerkennen. Die nachträgliche Vollmachtsbekanntgabe ist nicht gesondert ersatzfähig.
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