OGH 13Os89/24y

OGH13Os89/24y19.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. März 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Vogel in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall und 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Privatbeteiligten G* AG gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 15. Mai 2024, GZ 23 Hv 64/23w‑1641, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreter der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, und der Privatbeteiligten, Mag. Welser und Dr. Wiesinger, des Angeklagten, seines Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Al‑Zaher sowie des Dolmetschers Rajsek, MA zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0130OS00089.24Y.0319.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Wirtschaftsstrafsachen

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen mit Ausnahme des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche der F* GmbH unberührt bleibt, im Verfallserkenntnis ersatzlos aufgehoben.

Der Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die Strafe wird nicht Folge gegeben, die Berufung der G* AG wird zurückgewiesen.

In Stattgebung der Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche der F* GmbH wird dieser Ausspruch dahin geändert, dass er lautet:

* S* ist gemäß § 369 Abs 1 StPO schuldig, der F* GmbH 41.954.686,05 Euro samt 4 % Zinsen pro Jahr seit 22. Februar 2020 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Mit ihren darüber hinausgehenden Ansprüchen wird die F* GmbH nach § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die durch seine Nichtigkeitsbeschwerde und seine Berufung verursachten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Der G* AG wird der Ersatz der durch ihre Berufung verursachten Kosten des Rechtsmittelverfahrens auferlegt.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. Oktober 2022, GZ 91 Hv 27/21a‑1546, wurde * S* – soweit hier von Bedeutung – je eines Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall und 15 StGB (I 1) und der kriminellen Organisation nach § 278a (zu ergänzen) zweiter Fall StGB (II) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er vom Jänner 2015 bis zum April 2017 in I* und andernorts

(I) zur Ausführung der von Nachgenannten begangenen strafbaren Handlungen beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB), indem er im Urteil namentlich bezeichnete Personen beauftragte, für ihn unter Verwendung von von ihm gefälschten Urkunden, die eine Beglaubigung durch Notariats- und Rechtsanwaltskanzleien suggerieren sollten, in Bulgarien, Polen und der Slowakei die im Urteil im Einzelnen angeführten Gesellschaften (Scheinunternehmen) zu gründen oder zu kaufen, für diese Scheingeschäftsführer im jeweiligen Handelsregister eintragen zu lassen und für die Gesellschaften (im Urteil konkret bezeichnete) Bankkonten zu eröffnen, sodann die ihm übermittelten Bankdaten samt Kreditkarten, Transaktionsnummern (TAN) und „Token“ an den abgesondert verfolgten Mittäter * A* zur Weiterleitung an unbekannte Täter zwecks Verwendung bei den zu I 1 beschriebenen Tathandlungen übergab und Mitglieder der zu II angeführten kriminellen Organisation (§ 278a StGB) in der Folge bei der Abwicklung von Überweisungen durch Übersetzungstätigkeiten, die Weitergabe seines Fachwissens und durch Kontaktaufnahme mit Banken unterstützte, und zwar

1) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz (US 35, 68 f, 70 und 75) zu den strafbaren Handlungen unbekannter Täter, die gewerbsmäßig (in Bezug auf Betrugshandlungen nach § 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2 StGB) und mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz in zahlreichen, im angefochtenen Urteil näher beschriebenen Angriffen Verfügungsberechtigte im Urteil bestimmt bezeichneter, in Österreich situierter Gesellschaften durch Täuschung über Tatsachen unter Benützung falscher oder verfälschter Daten (§ 147 Abs 1 Z 1 StGB) zu Handlungen verleiteten (I 1 1) und zu verleiten versuchten (§ 15 StGB [I 1 2]), die die genannten Gesellschaften im 300.000 Euro übersteigenden Betrag von insgesamt rund 56 Mio Euro am Vermögen schädigten oder schädigen sollten, und zwar durch Übermittlung von vermeintlich von der Geschäftsführung dieser Gesellschaften stammenden E‑Mails unter Vorgabe einer angeblich bevorstehenden Unternehmensakquisition zu Überweisungen von (jeweils 5.000 Euro und auch 300.000 Euro übersteigenden) im Urteil im Einzelnen angeführten Geldbeträgen von den Gesellschaftskonten auf tatsächlich der (zu II dargestellten) kriminellen Organisation zurechenbare Konten der eingangs angeführten Scheinunternehmen veranlassten (sogenannter „CEO‑Fraud“), sowie

(II) sich an einer auf längere Zeit angelegten, jedenfalls vom Frühjahr 2015 bis zum April 2017 bestehenden unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, nämlich des abgesondert verfolgten A* und zahlreicher weiterer, teils mit Aliasnamen bezeichneter Täter, die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Vermögen bedrohen, nämlich weltweit verübter qualifizierter Betrugs- und Geldwäschereihandlungen, ausgerichtet war, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebte und die sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen suchte, nämlich durch Fälschung von Urkunden, „Spoofen“ von E‑Mail‑Adressen, Auftreten unter falschen Namen, den Einsatz von „Strohmännern“ als Scheingeschäftsführer, arbeitsteilige Tatbegehung in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union und in Drittstaaten sowie mehrfache Weiterüberweisungen erlangter Beträge unter deren Aufsplittung auf Scheinunternehmen, die ausschließlich zu dem Zweck gegründet und gekauft wurden, Geldflüsse zu verschleiern und die erbeuteten Kontoguthaben dem Zugriff der Opfer und der Strafverfolgungsorgane zu entziehen, in dem Wissen, dass er dadurch die Organisation oder deren strafbare Handlungen fördert, als Mitglied beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB), indem er im Rahmen ihrer kriminellen Ausrichtung durch die zu I genannten Handlungen zur Ausführung der dort beschriebenen, von anderen Mitgliedern begangenen, strafbaren Handlungen beitrug und sich an ihren Aktivitäten durch die Bereitstellung von Informationen und die Unterstützung von Mitgliedern bei der Abwicklung von Überweisungen beteiligte.

[3] Gemäß § 20 Abs 3 StGB wurde hinsichtlich * S* ein Geldbetrag von 149.310 Euro für verfallen erklärt.

[4] Mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 15. November 2023, GZ 13 Os 71/23z‑11, (ON 1592) wurde dieses Urteil, das im Übrigen unberührt blieb, in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, in teilweiser Stattgebung jener des Angeklagten sowie aus deren Anlass – soweit hier von Bedeutung – in der Subsumtion der vom Schuldspruch I 1 umfassten Taten auch nach §§ 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und in der zu diesem Schuldspruch gebildeten Subsumtionseinheit, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), ferner in den Aussprüchen über die privatrechtlichen Ansprüche der G* AG und der F* GmbH aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

[5] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Übrigen wurde verworfen.

[6] Mit dem nunmehr angefochtenen, im zweiten Rechtsgang ergangenen Urteil wurde * S* unter formal verfehlter (RIS‑Justiz RS0100041 [T9] und RS0098685 sowie Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 12) Wiederholung des im ersten Rechtsgang rechtskräftig gewordenen Schuldspruchs – (auch) der Verwirklichung der Qualifikationsnormen des § 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB schuldig erkannt und unter Berücksichtigung des rechtskräftigen Schuldspruchs II des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. Oktober 2022 (ON 1546) „samt Ausspruch über den Verfall“ unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 147 Abs 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.

[7] Dabei ging das Gericht davon aus, dass die unmittelbaren Täter den Betrug, zu dem der Angeklagte beitrug, begingen, indem sie zur Täuschung falsche oder verfälschte Daten benützten und durch die Taten einen 300.000 Euro übersteigenden Schaden von 58.153.510 Euro herbeiführten oder herbeizuführen trachteten.

[8] Zudem wurde hinsichtlich * S* der für die Begehung der mit Strafe bedrohten Handlung erlangte Vermögenswert von 149.310 Euro – erneut – nach § 20 Abs 3 StGB für verfallen erklärt.

[9] Gemäß § 369 Abs 1 StPO wurde der Angeklagte schuldig erkannt, der Privatbeteiligten F* GmbH 52.874.000 Euro samt 4 % Zinsen seit 22. Februar 2020 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu zahlen.

[10] Die G* AG wurde mit ihren Ansprüchen „gemäß § 366 StPO“ auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Rechtliche Beurteilung

[11] Gegen den Schuldspruch wegen Betrugs richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[12] Das gegen den Ausspruch über die Begehung der Taten und die Subsumtion nach § 146 StGB erhobene Beschwerdevorbringen übersieht, dass der damit relevierte Schuldspruch aufgrund der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 15. November 2023, GZ 13 Os 71/23z‑11, (ON 1592) bereits in Rechtskraft erwachsen und solcherart dem Erkenntnis des zweiten Rechtsgangs unverändert zugrundezulegen gewesen ist. Eine neuerliche Anfechtung desselben ist daher unzulässig (vgl RIS‑Justiz RS0100041 und Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 12).

[13] Der in der Hauptverhandlung gestellte Antrag des Verteidigers, „sämtliche Angaben des Angeklagten in I* nicht zu verlesen“ (ON 1640 S 6 f), wurde vom Erstgericht zu Recht abgewiesen (ON 1640 S 7). Zu welchem – prozessual noch zulässigen – Zweck die beantragte Verfügung begehrt wurde, war dem Beweisantrag nicht zu entnehmen (dazu § 55 Abs 1 StPO), als Bezugspunkt der Verfahrensrüge (Z 4) scheidet er solcherart aus.

[14] Dem Einwand der Mängelrüge (Z 5) zuwider ist die Ableitung (US 66 ff) der Feststellung des auf Herbeiführung eines 300.000 Euro übersteigenden Schadens gerichteten Vorsatzes des Angeklagten (US 37) aus dem objektiven Tatgeschehen, insbesondere aus seiner Anweisung in Bezug auf die Höhe des Überweisungslimits und seiner Einschätzung, wonach der jährliche „Turnover“ (Umsatz) bei drei bis fünf Millionen Euro liegen sollte (US 16), unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden.

[15] Soweit die Rechtsrüge in Bezug auf einzelne der vom Schuldspruch I umfassten Taten ein prozessuales Verfolgungshindernis behauptet (Z 9 lit b), ist auf die bereits dargelegte absolute Wirkung der materiellen Rechtskraft des Schuldspruchs I hinzuweisen, welche nur durch eine erfolgreiche Wiederaufnahme (§§ 353 ff StPO) beseitigt werden könnte (RIS‑Justiz RS0112232).

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO).

Zur amtswegigen Maßnahme:

[17] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil im Verfallserkenntnis nicht geltend gemachte Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 StPO anhaftet, die – mangels Bekämpfung des Verfallsausspruchs mit Berufung (RIS‑Justiz RS0130617 [T1 und T3]) – von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[18] Indem das Erstgericht den Angeklagten im zweiten Rechtsgang trotz Rechtskraft des Ausspruchs des Verfalls von 149.310 Euro erneut gemäß § 20 Abs 3 StGB zur Zahlung eines Geldbetrags von 149.310 Euro verpflichtete, verstieß es gegen den im 16. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen (RIS‑Justiz RS0101270, jüngst 13 Os 37/22y EvBl 2023/34; im gegebenen Zusammenhang Fuchs/Tipold,WK‑StPO § 443 Rz 5). Damit überschritt es die Grenzen der ihm zustehenden Strafbefugnis (Z 11 erster Fall; vgl Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 34 f).

[19] Der Verfallsausspruch war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ersatzlos zu beheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO).

Zur Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die Strafe:

[20] Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und die Vielzahl der Betrugsangriffe über einen längeren Deliktszeitraum (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) als erschwerend, die „Unbescholtenheit“ (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), das teilweise Verbleiben im Versuchsstadium (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB) und die „lange Verfahrensdauer“ (§ 34 Abs 2 StGB) als mildernd.

[21] Teils ausdrücklich, teils der Sache nach im Rahmen der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung erachtete das Erstgericht das strukturierte, organisierte Vorgehen und das vielfache Überschreiten der Wertgrenze des § 147 Abs 3 StGB straferhöhend, die Sicherstellung eines Teils der Beute (dazu Riffel in WK2 StGB § 34 Rz 33) strafmindernd (§ 32 Abs 3 StPO).

[22] Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte ein geringeres Strafmaß an.

[23] Entgegen der Berufung ist dem Angeklagten der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 18 StGB nicht zugute zu halten, weil dieser ein etwa fünfjähriges Wohlverhalten nach Abschluss der Delinquenz voraussetzt, wobei Zeiten behördlicher Anhaltung – hier also die vom 26. Februar 2019 bis zum 27. Februar 2024 erlittene Vorhaft (US 7) – nicht einzurechnen sind (RIS‑Justiz RS0108563 [T3], Riffel in WK2 StGB § 32 Rz 46).

[24] Beitragstäterschaft bedeutet nicht zwangsläufig eine untergeordnete Tatbeteiligung im Sinn des § 34 Abs 1 Z 6 StGB (RIS‑Justiz RS0090704). Nach den Feststellungen des Erstgerichts war der Tatbeitrag des Angeklagten geradezu essentiell (dazu US 14 bis 23). Die Nichtannahme untergeordneter Tatbeteiligung (hiezu Riffel in WK2 StGB § 34 Rz 16) durch das Erstgericht ist somit nicht zu beanstanden.

[25] Auch die weitere Behauptung der Berufung, die Opfer wären außergewöhnlich sorglos und leichtgläubig gewesen (dazu eingehend mwN Riffel in WK2 StGB § 32 Rz 81–84), findet im Urteilssachverhalt, wonach sich die kriminelle Organisation einer speziellen, damals noch relativ neuen Betrugsmethode („CEO‑Fraud“) bediente, die darauf angelegt war, vertrauenswürdige Identitäten vorzutäuschen, gezielt an Personen heranzutreten, die den scheinbar Agierenden unterstellt waren, auf diese Personen in mehrfacher Hinsicht Druck auszuüben und deren Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verlangten Transaktionen zu beseitigen (dazu US 14 ff), keine Deckung.

[26] Die im Sinn der Judikatur des EGMR (vgl HK‑EMRK5/Harrendorf/König/Voigt Art 6 Rz 191) auch unter Berücksichtigung des Auslandsbezugs, des Aktenumfangs (50 Aktenbände) und der Komplexität des Strafverfahrens unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) hat das Erstgericht als Verletzung des Art 6 Abs 1 erster Satz MRK anerkannt und durch Reduktion der Freiheitsstrafe um sechs Monate (US 75) ausreichend ausgeglichen.

[27] Nach § 32 Abs 3 StGB ist die Strafe im Allgemeinen umso strenger zu bemessen, je größer die Schädigung ist, die der Täter verschuldet hat, je reiflicher er seine Taten überlegt, je sorgfältiger er sie vorbereitet, je rücksichtsloser er sie ausgeführt hat und je weniger Vorsicht gegen die Tat hat gebraucht werden können.

[28] Bei einer Strafdrohung von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verlangen somit schon die akribische Planung des Vorgehens, die mehrjährige organisierte, strukturierte Delinquenz und das Ausmaß des Schadens in der Höhe von insgesamt etwa 58 Millionen Euro eine spürbare Sanktion.

[29] Ausgehend vom außerordentlich hohen Schuldgehalt (§ 32 Abs 1 StGB) sowie unter Berücksichtigung der vom Erstgericht vollständig erfassten und – entgegen der Berufung – zutreffend gewichteten besonderen Erschwerungs- und Milderungsgründe (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweist sich die gefundene Sanktion somit keiner weiteren Herabsetzung zugänglich.

Zur Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche der F* GmbH:

[30] Die der F* GmbH betrügerisch herausgelockten Beträge konnten in drei Fällen auf Empfängerkonten im Ausland sichergestellt werden (US 32).

[31] Mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 18. Februar 2025, AZ 23 Hv 64/23w, ordnete das Landesgericht für Strafsachen Graz gemäß § 367 Abs 2 StPO an, die beschlagnahmten und fruchtbringend auf Sparbüchern angelegten Beträge von 2.896.724,50 Euro, von 3.855.940 Euro und von 3.990.940 Euro jeweils zuzüglich der bis zur Auszahlung angefallenen Zinsen an die F* GmbH zurückzustellen. Die Buchhaltungsagentur des Bundes wurde unter einem angewiesen, die genannten Beträge samt angefallener Zinsen nach Rechtskraft dieses Beschlusses verwahrgebührenfrei auf ein Konto der Vertreterin der F* GmbH zu überweisen (ON 11 der Os‑Akten).

[32] Mit Schreiben vom 13. März 2025 teilte die Verwahrungsabteilung beim Oberlandesgericht Wien insoweit mit, dass an die Vertreterin der Privatbeteiligten nach der Freigabe seitens der Buchhaltungsagentur 10.892.313,95 Euro überwiesen werden (ON 14 der Os‑Akten).

[33] Die Privatbeteiligtenvertreterin erklärte im Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung, diesen Betrag (darin enthalten 148.709,45 Euro Zinsen) erhalten zu haben, und schränkte vor diesem Hintergrund ihre Anschlusserklärung um den an sie ausgefolgten Kapitalbetrag in der Höhe von 10.743.604,50 Euro auf 42.130.395,50 Euro samt 4 % Zinsen seit 22. Februar 2020 ein (ON 18 der Os‑Akten).

[34] Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat die F* GmbH durch die vom rechtskräftigen Schuldspruch I 1 1 c des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 19. Oktober 2022 (ON 1546) umfassten Taten des Angeklagten einen Vermögensschaden in der Höhe von insgesamt 52.847.000 Euro erlitten.

[35] § 146 StGB (einschließlich seiner Qualifikationstatbestände) ist ein Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB, in dessen Schutzbereich gerade das Vermögen des durch den Betrug Geschädigten einbezogen ist (RIS‑Justiz RS0027653 [T1]).

[36] Der auf eine behauptete Obliegenheitsverletzung der Geschädigten im Sinn einer schadenskausalen Sorglosigkeit gegenüber eigenen Gütern gestützte Mitverschuldenseinwand eines – wie hier – vorsätzlich handelnden Schädigers ist von vornherein unbeachtlich (14 Os 79/12t).

[37] Mit dem Hinweis auf die Täterschaftsform des § 12 dritter Fall StGB wird kein die Haftung des Angeklagten ausschließender Grund dargetan. Bei Schadenszufügung durch vorsätzliches Zusammenwirken mehrerer, wenn auch in unterschiedlichen Täterschaftsformen, haften alle an der Tat Beteiligten solidarisch für den Gesamtschaden (§§ 1301 ff ABGB; vgl auch RIS‑Justiz RS0109825 [T3] und RS0026610; Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.09 § 1302 Rz 1 und 7).

[38] Dem Grunde nach verfehlt die Berufung somit ihr Ziel.

[39] Der Höhe nach war der Zuspruch an die F* GmbH aber in Stattgebung der Berufung um den an diese Privatbeteiligte bereits gemäß § 367 Abs 2 StPO ausgefolgten Betrag zu reduzieren.

[40] Im Hinblick darauf, dass die im Gerichtstag vorgenommene Einschränkung des privatrechtlichen Anspruchs nicht den gesamten Ausfolgungsbetrag umfasst, war die F* GmbH mit ihrem Mehrbegehren gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.

Zur Berufung der Privatbeteiligten G* AG:

[41] Mit Beschluss vom 20. März 2024 wies die Vorsitzende des Schöffensenats die Erklärung der G* AG, sich dem Verfahren gegen * S* als Privatbeteiligte anzuschließen, gemäß § 67 Abs 4 Z 1 StPO als offensichtlich unberechtigt zurück (ON 1622).

[42] Die dagegen gerichtete Beschwerde der G* AG erachtete das Oberlandesgericht Graz als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 14. August 2024, AZ 9 Bs 307/23z, 84/24g, (ON 1659) zutreffend als gegenstandslos, weil die Legitimation der Privatbeteiligten (vgl § 67 Abs 4 und 5 StPO) nach Fällung des Ersturteils nur mehr mit den gegen Urteile vorgesehenen Rechtsmitteln releviert werden kann (11 Os 4/11i, SSt 2011/19; RIS‑Justiz RS0126603; Spenling, WK‑StPO Vor §§ 366–379 Rz 62).

[43] Gemäß § 67 Abs 4 Z 1 StPO ist die Anschlusserklärung – durch die das Opfer zur Privatbeteiligten wird (§ 65 Z 2 StPO) – zurückzuweisen, wenn sie offensichtlich unberechtigt ist. Nach § 65 Z 1 lit c StPO ist Opfer jede andere (ie jede nicht in § 65 Z 1 lit a oder b StPO bezeichnete) Person, die durch eine Straftat einen Schaden erlitten haben oder sonst in ihren strafrechtlich geschützten Rechtsgütern beeinträchtigt worden sein könnte.

[44] Die Privatbeteiligte muss somit Opfer der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Straftat sein (Kirchbacher, StPO15 § 65 Rz 5).

[45] Das Bestehen einer Opferstellung ist im Hauptverfahren danach zu beurteilen, ob die betreffende Person – nach Lage der Akten – durch die den Gegenstand der Anklage bildende und vorsätzlich begangene Straftat (im prozessualen Sinn) einen Schaden erlitten hat oder sonst in ihren strafrechtlich geschützten Rechtsgütern beeinträchtigt worden sein kann (RIS‑Justiz RS0130256 [T1]; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 20).

[46] Auch im Einheitstätersystem verantwortet jeder Beteiligte ausschließlich eigenes Unrecht und eigene Schuld (Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 11), womit auch Adhäsionserkenntnisse nur täterbezogen ergehen können (vgl § 366 Abs 2 erster Satz StPO). Hinsichtlich des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a zweiter Fall StGB bedeutet dies, dass gegen den in der Variante der „Beteiligung als Mitglied“ Handelnden nur nach Maßgabe seiner Beteiligungshandlungen Ansprüche im Sinn des § 366 Abs 2 StPO abgeleitet werden können (vgl dazu Plöchl in WK2 StGB § 278a Rz 28).

[47] Mit dem Berufungsvorbringen, wonach der G* AG durch betrügerische Handlungen anderer Mitglieder der kriminellen Organisation, an der sich der Angeklagte als Mitglied beteiligt habe (rechtskräftiger Schuldspruch II des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. Oktober 2022 [ON 1546]), ein Vermögensschaden zugefügt worden sei, wird ein durch eine Straftat des Angeklagten entstandener Schaden somit nicht schlüssig dargetan (zum Erfordernis 11 Os 2/15a, SSt 2015/40; Spenling, WK‑StPO Vor §§ 366–379 Rz 25; Kodek in Kert/Kodek, HB Wirtschaftsstrafrecht2 Rz 20/10).

[48] Da die G* AG somit zur Anfechtung des (Urteils‑)Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche mit Berufung (§ 283 Abs 1 StPO) nicht legitimiert ist, war deren Berufung als unzulässig zurückzuweisen.

[49] Der Kostenausspruch in Bezug auf den Angeklagten, der weder die durch das ganz erfolglos gebliebene Rechtsmittel der G* AG verursachten Kosten noch die amtswegige Maßnahme (dazu RIS‑Justiz RS0101558) umfasst, beruht auf § 390a Abs 1 erster Satz StPO, jener in Bezug auf die G* AG auf § 390a Abs 1 zweiter Satz StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte