OLG Graz 9Bs307/23z

OLG Graz9Bs307/23z14.8.2024

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Senatspräsidentin Maga. Kohlroser als Vorsitzende und die Richterinnen Maga. Schadenbauer-Pichler und Maga. Berzkovics in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerden der B* Aktiengesellschaft gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. August 2023, GZ 91 Hv 27/21a-1586, und vom 20. März 2024, GZ 23 Hv 64/23w-1622, in nicht öffentlicher Sitzung den

 

Beschluss

 

 

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OLG0639:2024:0090BS00307.23Z.0814.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Beschwerde gegen den Beschluss vom 1. August 2023, GZ 91 Hv 27/21a-1586, wird nicht Folge gegeben.

Die Beschwerde gegen den Beschluss vom 20. März 2024, GZ 23 Hv 64/23w-1622, ist gegenstandslos.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

 

begründung:

Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption führte zum AZ 6 UT 5/16v ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Täter wegen des Verdachts von Taten, die dem Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB subsumiert wurden. In dieses Ermittlungsverfahren wurde am 4. November 2016 das zuvor zum AZ 5 UT 87/15i der Staatsanwaltschaft Feldkirch geführte Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Täter wegen des Verdachts des Betrugs zum Nachteil der B* Aktiengesellschaft gemäß § 26 StPO einbezogen (ON 1 AS 101 und ON 193). In dem genannten Verfahren war bereits mit Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 27. Dezember 2015 über Antrag der Staatsanwaltschaft Feldkirch die gerichtliche Beschlagnahme des Bankguthabens von 3.793.000 Euro auf einem im Beschluss bezeichneten Konto der C* Limited durch Drittverbot erfolgt (ON 5 S 4 der ON 193).

Nach Ausforschung mehrerer Täter, darunter A*, führte die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption das Ermittlungsverfahren gegen bekannte und unbekannte Täter zum AZ 6 St 2/17d weiter.

Diesem Verfahren schloss sich die B* Aktiengesellschaft am 11. August 2017 mit dem Betrag von 3.793.000 Euro als Privatbeteiligte an (ON 416 S 6).

Über Antrag der Staatsanwaltschaft vom 25. August 2017 (ON 1 AS 167 ff) erfolgte mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 31. Oktober 2017, AZ 317 HR 30/16p, gemäß §§ 109 Z 2 lit a, 115 Abs 1 Z 2 StPO abermals die gerichtliche Beschlagnahme des zuvor genannten und bereits beschlagnahmten Bankguthabens von 3.793.000 Euro, und zwar nun durch (gesetzwidrige – RS0133580 [T1]) Überweisung des Betrags auf ein Konto der Verwahrungsabteilung beim Oberlandesgericht Wien (ON 433). Am 13. Mai 2019 nahm die Verwahrungsabteilung diesem Beschluss entsprechend – unter Abzug von Spesen – den Betrag von 3.792.863,25 Euro in Verwahrung (ON 702) und legte diesen über Auftrag des Gerichts in Form eines e-Sparbuchs fruchtbringend an (ON 725 S 5).

Am 19. Juli 2021 verfügte die Staatsanwaltschaft, dass das Verfahren gegen mehrere namentlich bekannte und weitere unbekannte Täter gemäß § 27 StPO getrennt zu führen ist und veranlasste eine Aktenneubildung. Dieses Ermittlungsverfahren ist nach wie vor zum AZ 6 St 5/21a der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption anhängig. Gegen A* hingegen brachte die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift ein (ON 1 AS 553).

Darin legt sie ihm das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, das Verbrechen der Geldwäscherei nach §§ 12 dritter Fall, 165 Abs 1, 3 und 4 erster und zweiter Fall StGB und das Verbrechen der kriminellen Organisation nach § 278a StGB zur Last, wobei zu den Details auf den Tenor und die Begründung der Anklageschrift (ON 1287) verwiesen wird. Soweit hier relevant wird dem Angeklagten von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, sich durch im Detail beschriebene Handlungen an den zum Nachteil der D* GesmbH & Co KG, der E* GmbH, der F* GmbH und der G* GmbH & Co KG begangenen Betrugshandlungen unbekannter Täter beteiligt zu haben. Betrugshandlungen zum Nachteil der B* Aktiengesellschaft sind nicht Gegenstand dieser Anklage. Hinsichtlich mehrerer Haftungsbeteiligter beantragte die Staatsanwaltschaft ferner gemäß § 20b Abs 1 und 2 StGB betraglich bestimmte Vermögenswerte, die der Verfügungsmacht einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) unterliegen und durch rechtswidrige Taten nach § 165 StGB erlangt wurden, für verfallen zu erklären, wobei betreffend die C* Ltd ein Verfallsausspruch über 3.792.863,25 Euro beantragt wurde.

Nachdem bereits einem im Ermittlungsverfahren gestellten Antrag der B* Aktiengesellschaft auf Ausfolgung des beschlagnahmten Bankguthabens (ON 764) seitens der Staatsanwaltschaft nicht entsprochen und der dagegen erhobene Einspruch wegen Rechtsverletzung abgewiesen worden war (ON 805 iVm ON 1120), beantragte die B* Aktiengesellschaft in dem (im ersten Rechtsgang) zum AZ 91 Hv 27/21a des Landesgerichts für Strafsachen Graz gegen A* geführten Hauptverfahren neuerlich, das Bankguthaben gemäß § 367 Abs 2 StPO bzw in analoger Anwendung von § 114 Abs 2 StPO an sie auszufolgen und erklärte, sich dem Strafverfahren gegen A* mit 3.793.000 Euro samt 4 % Zinsen seit 23. Dezember 2015 als Privatbeteiligte anzuschließen (ON 1377; HV-Prot vom 22. März 2022, PS 18 f).

Im ersten Rechtsgang wurde der Angeklagte mit Urteil des Schöffengerichts vom 19. Oktober 2022 (ON 1546) anklagekonform je eines Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1, 3 und 4 erster und zweiter Fall StGB und der kriminellen Organisation nach § 278a (zweiter Fall) StGB schuldig erkannt und gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Zahlung von 3.793.000 Euro samt 4 % Zinsen seit 23. Dezember 2015 an die Privatbeteiligte B* Aktiengesellschaft verpflichtet.

Den Antrag auf Ausfolgung des beschlagnahmten Bankguthabens an die B* Aktiengesellschaft wies das Erstgericht mit Beschluss vom 1. August 2023 (ON 1586) ab.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, in der sie unter Vorlage von zwei „strafrechtlichen Kurzgutachten“ beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und ihr das Bankguthaben gemäß § 367 Abs 2 StPO bzw in analoger Anwendung von § 114 Abs 2 StPO durch Überweisung auf ihr Bankkonto auszufolgen (ON 1588).

Rechtliche Beurteilung

Mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 15. November 2023, GZ 13 Os 71/23z-11, wurde das Urteil vom 19. Oktober 2022 in der Subsumtion nach §§ 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und der hiezu gebildeten Subsumtionseinheit, im Schuldspruch wegen Geldwäscherei nach § 165 Abs 1, 3 und 4 erster und zweiter Fall StGB, im Strafausspruch, in den Aussprüchen über die privatrechtlichen Ansprüche der B* Aktiengesellschaft und einer weiteren Privatbeteiligten sowie im Ausspruch über den erweiterten Verfall aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen (ON 1592).

In dem im zweiten Rechtsgang zum AZ 23 Hv 64/23w des Landesgerichts für Strafsachen Graz geführten Verfahren wies die Vorsitzende des Schöffensenats die Erklärung der B* Aktiengesellschaft, sich dem Verfahren gegen A* als Privatbeteiligte anzuschließen, gemäß § 67 Abs 4 Z 1 StPO mit Beschluss vom 20. März 2024 (ON 1622) als offensichtlich unberechtigt zurück, weil diese nicht Opfer der angeklagten Straftaten sei.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der B* Aktiengesellschaft, die unter Vorlage eines weiteren „strafrechtlichen Kurzgutachtens“ im Wesentlichen argumentiert, dass sich ihre zivilrechtlichen Ansprüche aus der Verurteilung des Angeklagten wegen § 278a StGB ableiten ließen (ON 1628).

In der Zwischenzeit wurde der Angeklagte mit Urteil des Schöffengerichts vom 15. Mai 2024 (ON 1641) des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 15 StGB schuldig erkannt und unter Berücksichtigung des rechtskräftigen Schuldspruchs aus dem Urteil vom 19. Oktober 2022 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil enthält ferner Aussprüche über den Verfall nach § 20 Abs 3 StGB und den erweiterten Verfall nach § 20b Abs 1 und 2 StGB und einen Privatbeteiligtenzuspruch. Die B* Aktiengesellschaft wurde (ungeachtet der bereits erfolgten Zurückweisung ihrer Anschlusserklärung) auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Der Angeklagte meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil an (ON 1644). Die B* Aktiengesellschaft meldete Berufung an (ON 1645). Das Urteil ist sohin nicht rechtskräftig.

Zum Beschluss vom 20. März 2024, GZ 23 Hv 64/23w-1622:

Ein Beschluss, mit dem ein Privatbeteiligtenanschluss zurückgewiesen wurde, kann vom Betroffenen mit Beschwerde bekämpft werden. Zur Vermeidung von Rechtsschutzdefiziten kommen dem Betroffenen bis zur Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses aber weiterhin die Rechte eines Privatbeteiligten zu, weshalb ihm das Urteil zuzustellen ist und er dagegen Rechtsmittel erheben kann, als wäre er auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden. Daraus folgt, dass das Berufungsgericht die Parteistellung des Privatbeteiligten zu prüfen und einen eigenständigen Ausspruch über dessen Ansprüche zu treffen hat (RS0124921 [T4]). Nach Fällung des Urteils kann die Bekämpfung der Legitimation eines Privatbeteiligten sohin nur mehr mit den gegen Urteile vorgesehenen Rechtsmitteln erfolgen. Eine gegen die Zurückweisung ergriffene Beschwerde ist nach diesem Zeitpunkt gegenstandslos (RS0126603 [T1]).

Eine Entscheidung über die Beschwerde der B* Aktiengesellschaft gegen den Zurückweisungsbeschluss erübrigt sich daher.

Zum Beschluss vom 1. August 2023, GZ 91 Hv 27/21a-1586:

Über einen Antrag des Opfers auf Zurückstellung nach § 367 Abs 2 StPO entscheidet im Hauptverfahren das erkennende Gericht, im Ermittlungsverfahren jedoch die Staatsanwaltschaft.

„Opfer“ ist – soweit hier von Bedeutung – jede Person, die durch eine Straftat einen Schaden erlitten hat oder sonst in ihrer strafrechtlich geschützten Rechtsgütern beeinträchtigt worden sein könnte (§ 66 Z 1 lit c StPO).

Wegen jener Betrugshandlungen, deren Opfer die B* Aktiengesellschaft mutmaßlich ist, wurde – wie bereits oben dargelegt – nicht Anklage gegen A* erhoben. Diese Tat ist sohin nicht Gegenstand des gegen ihn geführten Hauptverfahrens. Auch sonst wurde A* in der Anklageschrift kein strafbares Verhalten zum Nachteil der B* Aktiengesellschaft, die nach den Verdachtsannahmen der Anklagebehörde von anderen Mitgliedern der kriminellen Organisation geschädigt wurde (S 46 f, 71 f der ON 1287), zur Last gelegt. Daraus folgt, dass ein Antrag auf Ausfolgung des beschlagnahmten Geldbetrags nur bei der Staatsanwaltschaft gestellt werden kann, die das Ermittlungsverfahren wegen des die B* Aktiengesellschaft betreffenden Sachverhalts nach wie vor führt. Damit ist die Entscheidung des Erstgerichts, das den Antrag auf Ausfolgung abgewiesen hat, im Ergebnis nicht zu kritisieren.

Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit einer Übertragung von (anderen) Vermögenswerten (als in behördlicher Verwahrung befindlichen körperlichen Gegenständen) an Opfer oder Privatbeteiligte schon im Ermittlungsverfahren oder vor einer die Anklage erledigenden Gerichtsentscheidung nach der Rechtsprechung weder aus § 114 Abs 2 StPO noch aus § 69 Abs 3 oder § 367 Abs 2 StPO abzuleiten ist. Eine planwidrige, durch analoge Anwendung von § 114 Abs 2 StPO zu schließende Lücke besteht nicht (RS0134321).

Die Übertragung eines Bankguthabens an eine Privatbeteiligte vor einer Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche wäre daher gesetzwidrig (RS0134321 [T1]).

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