European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0230DS00005.24Y.0304.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch sowie demgemäß auch im Straf- und im Kostenausspruch aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
* wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe am 6. September 2022 dadurch, dass er auf die ihm als einstweiligen Erwachsenenvertreter des * vom Stadtpolizeikommando * erstatteten Terminvorschläge zur Vernehmung des Genannten als Beschuldigten wegen zweier Strafanzeigen mit E-Mail antwortete: „was weithin unbekannt ist: das Strafverfahrensrecht ist grundsätzlich vertretungsfeindlich, der Erwachsenenvertreter in diesem praktisch ein rechtliches Nichts“ und seine Teilnahme an der Einvernahme ablehnte, gegen § 6 RL-BA verstoßen, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.
Mit seiner gegen die Aussprüche über die Schuld und die Strafe gerichteten Berufung wird der Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt, weil er auf die ihm als einstweiligem Erwachsenenvertreter des * vom Stadtpolizeikommando * erstatteten Terminvorschläge zur Vernehmung des Genannten als Beschuldigten wegen zweier Strafanzeigen mit E-Mail vom 6. September 2022 antwortete: „was weithin unbekannt ist: das Strafverfahrensrecht ist grundsätzlich vertretungsfeindlich, der Erwachsenenvertreter in diesem praktisch ein rechtliches Nichts.“ und seine Teilnahme an der Vernehmung ablehnte. Über den Disziplinarbeschuldigten wurde gemäß § 16 Abs 1 Z 1 DSt die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt.
Rechtliche Beurteilung
[2] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die – auch Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5 sowie 9 lit a und b StPO relevierende (vgl RIS-Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung des Beschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld und (insoweit implizit) die Strafe (§ 49 letzter Satz DSt).
[3] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Schuldspruch – in der Berufung nicht (prozessförmig) geltend gemachte (§ 49 erster Satz DSt; vgl RIS-Justiz RS0128657 [T2]; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 2) – materielle Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) anhaftet, die zum Nachteil des Beschuldigten wirkt und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 54 Abs 3 DSt, § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 77 Abs 3 DSt).
[4] Der gerichtliche Erwachsenenvertreter (§ 271 ABGB) übt als gesetzlicher Vertreter gerade nicht die Verfahrensrechte des von ihm zwar gesetzlich vertretenen, im Strafverfahren aber deshalb nicht prozessunfähigen Angeklagten aus und kann daher insoweit über dessen Rechte auch nicht disponieren (RIS-Justiz RS0059304 [T1]). Dem Erwachsenenvertreter stehen daher im Rahmen seines Wirkungsbereichs nur die im Gesetz ausdrücklich als solche bezeichneten Rechte zu (vgl 11 Os 35/24t [Rz 17]), worunter die Teilnahme an einer Vernehmung des Beschuldigten im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht fällt. § 164 Abs 2 erster Satz StPO sieht diesbezüglich vielmehr (nur) die Beiziehung eines Verteidigers vor.
[5] Durch die vom Disziplinarrat (im Übrigen bloß in objektiver Hinsicht) konstatierte Ablehnung des Beschuldigten, an der beabsichtigten Vernehmung des Betroffenen in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren als dessen Erwachsenenvertreter teilzunehmen (ES 5; vgl auch ES 6 und 8), die somit in Übereinstimmung mit der Gesetzeslage erfolgte, wurden daher weder Berufspflichten noch Ehre oder Ansehen des Standes verletzt.
[6] Gleiches gilt für die im Erkenntnis vage angesprochene Herabsetzung des adressierten Polizeibeamten (vgl ES 6 dritter Absatz [„abschätzige Antwort“] und ES 9 dritter Absatz [„herablassender Ton“]; siehe dazu RIS-Justiz RS0055208), worauf sich der Schuldspruch im Übrigen auch gar nicht bezieht.
[7] Unter dem Aspekt der vom Disziplinarrat darüber hinaus angenommenen – vom Einleitungsbeschluss allerdings gar nicht umfassten (vgl § 28 Abs 2 sowie § 36 Abs 1 und 2 DSt; § 281 Abs 1 Z 8 StPO; RIS-Justiz RS0056978 [T13, T20], RS0102147 [T8]) – Verletzung von Mitteilungs-, Kontakt- und Aufklärungspflichten (ES 8) durch die Unterlassung als geboten erachteter Informationen (vgl dazu aber ES 6) und weiterer Handlungen ist hinwieder zu beachten, dass insoweit (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal die objektive oder tatsächliche Möglichkeit des Unterlassenden, die gebotene Handlung vorzunehmen, ist (RIS-Justiz RS0089510; Lehmkuhl in WK² StGB § 2 Rz 46 ff). Feststellungen dazu (wie auch zur darauf bezogenen subjektiven Tatseite des Berufungswerbers) sind der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen (vgl vielmehr abermals ES 6) und können – mangels entsprechender Ausdehnung iSd § 36 Abs 2 DSt in der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2023 (ON 15 S 2 ff; vgl RIS-Justiz RS0108959, RS0118886, RS0119213; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 36 DSt Rz 5 ff) – auch in einem zweiten Rechtsgang nicht nachgeholt werden.
[8] Das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen (im freisprechenden Teil) unberührt bleibt, war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – aus Anlass der Berufung im Schuldspruch und demgemäß auch im Straf- und im Kostenausspruch aufzuheben und mit Freispruch vorzugehen.
[9] Mit seiner Berufung war der Beschuldigte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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