VwGH Ra 2023/10/0016

VwGHRa 2023/10/001618.6.2024

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Prendinger, über die Revision der C D in M, vertreten durch die bfp Brandstetter Feigl Pfleger Rechtsanwälte GmbH in 3300 Amstetten, Preinsbacherstraße 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 23. November 2022, Zl. LVwG‑351240/6/Bm/AK, betreffend Leistungen nach dem Oö. Chancengleichheitsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Eferding), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §6 Abs1
B-VG Art6 Abs3
ChancengleichheitG OÖ 2008 §49 Abs2
MeldeG 1991 §1 Abs7

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023100016.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Eingabe vom 21. April 2022 beantragte die Revisionswerberin ‑ durch ihren gerichtlichen Erwachsenenvertreter ‑ die Gewährung von Leistungen nach den §§ 9 und 12 Oö. Chancengleichheitsgesetz (Oö. ChG). Dazu wurde zusammengefasst ausgeführt, die Revisionswerberin, eine rumänische Staatsangehörige, habe bei der Bezirkshauptmannschaft Wels‑Land am 14. Oktober 2016 das freie Gewerbe der Personenbetreuung angemeldet und sei seither durchgehend in Österreich als 24‑Stunden-Betreuerin tätig, zuletzt über einen Zeitraum von rund zwei Jahren in H. (einer Gemeinde im Zuständigkeitsbereich der belangten Behörde). Aufgrund dieses örtlichen Einsatzbereiches werde „die Zuständigkeit der angerufenen Behörde und in weiterer Folge des Landes Oberösterreich“ abgeleitet. Die Revisionswerberin habe am 17. Juni 2020 während einer Fahrtunterbrechung im Zuge ihrer turnusmäßigen Anreise zu ihrem Einsatzort in H. in einem näher genannten Ort in Niederösterreich das Bewusstsein verloren und intensivmedizinisch in St. Pölten betreut werden müssen. Nach dieser intensivmedizinischen Betreuung sei die Revisionswerberin am 25. August 2020 an ein näher genanntes Landesklinikum (in Niederösterreich) überstellt worden, wo sie nach wie vor aufhältig sei. Sie befinde sich „in einem Zustand des Wachkomas“.

2 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 5. Juli 2022 wurde der Antrag vom 21. April 2022 „abgewiesen“.

3 Begründend führte die belangte Behörde unter anderem aus, die Revisionswerberin habe keinen aufrechten Hauptwohnsitz in Oberösterreich, die Nebenwohnsitzmeldung in H. sei nur aufgrund der Tätigkeit als 24‑Stunden-Betreuerin erfolgt; die Revisionswerberin habe in H. keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Sie habe vor ihrem „Unfall“ ihren tatsächlichen Aufenthalt 14‑tägig in Rumänien gehabt, dies lasse keinen Zweifel daran, dass ihr Lebensmittelpunkt in ihrem Heimatland gelegen gewesen sei und sie nur aufgrund der arbeitsbedingten Situation einen Nebenwohnsitz in Oberösterreich benötigt habe. Die Revisionswerberin habe einen „aktuell aufrechten Hauptwohnsitz“ in der Steiermark, ihr tatsächlicher Aufenthalt befinde sich seit dem 25. August 2020 in Niederösterreich. Zu keinem Zeitpunkt des temporären Aufenthalts in Oberösterreich sei hier ein rechtmäßiger Hauptwohnsitz vorgelegen, weshalb „allein aus diesem Grund keine Zuständigkeit“ der belangten Behörde bestehe und die beantragten Leistungen nicht gewährt werden könnten.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 23. November 2022 wurde die dagegen von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.

5 Dem legte das Verwaltungsgericht zu Grunde, die Revisionswerberin sei rumänische Staatsangehörige und seit 21. Juli 2020 in der Steiermark an einer näher genannten Adresse mit Hauptwohnsitz gemeldet. Sie stehe in aufrechter Ehe und habe zwei erwachsene Kinder, die wie der Ehemann in Rumänien lebten. Am 14. Oktober 2016 habe die Revisionswerberin bei der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land das freie Gewerbe der Personenbetreuung angemeldet, sie sei zuletzt bis Juni 2020 im Rahmen dieses Gewerbes als 24‑Stunden‑Betreuerin in H. tätig gewesen. Dort sei die Revisionswerberin nach wie vor mit Nebenwohnsitz gemeldet. Im Rahmen ihrer turnusmäßigen Anreise von Rumänien zum Einsatzort H. am 17. Juni 2020 habe die Revisionswerberin an einem näher genannten Ort in Niederösterreich infolge eines Herz‑Kreislaufstillstandes das Bewusstsein verloren und habe in St. Pölten notfallmedizinisch versorgt werden müssen. Am 25. August 2020 sei sie im Zustand des Wachkomas an ein näher genanntes Landesklinikum in Niederösterreich überstellt worden. Seit März 2022 befinde sie sich in einem anderen Klinikum in Niederösterreich.

6 In rechtlicher Hinsicht begründete das Verwaltungsgericht seine Entscheidung damit, dass im Oö. ChG die Frage der zuständigen Behörde in § 49 geregelt sei. Nach § 49 Abs. 2 erster Satz Oö. ChG richte sich die örtliche Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde nach dem Hauptwohnsitz, in Ermangelung eines solchen nach dem Aufenthalt des Menschen mit Beeinträchtigungen. Sofern das Gesetz nicht anderes bestimme, sei für die Zuständigkeit zur Erlassung eines Bescheides die Rechts‑ und Sachlage im Zeitpunkt der Erlassung maßgebend. Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides habe die Revisionswerberin weder einen Hauptwohnsitz in Oberösterreich gehabt noch sei ein tatsächlicher Aufenthalt der Revisionswerberin vorgelegen, setze dieser doch eine Anwesenheit in Oberösterreich voraus, die unbestritten nicht gegeben gewesen sei. Nach § 49 Abs. 2 erster Satz Oö. ChG sei demnach „die Zuständigkeit für die belangte Behörde im vorliegenden Verfahren nicht gegeben gewesen“. Eine andere Beurteilung der Zuständigkeitsfrage ergebe sich ‑ aus näher dargestellten Gründen ‑ auch nicht aus § 49 Abs. 2 zweiter Satz Oö. ChG. Auch sei die in § 49 Abs. 2a Oö. ChG normierte gesonderte Zuständigkeitsbestimmung hinsichtlich der Hauptleistung „Heilbehandlung“ nach § 9 Oö. ChG ‑ aus näher dargestellten Gründen ‑ nicht erfüllt.

7 Für die Revisionswerberin sei aber auch ‑ so das Verwaltungsgericht weiter ‑ nichts gewonnen, wenn „man von einer Zuständigkeit der belangten Behörde“ ausgehe, weil sie die in § 4 Abs. 1 Oö. ChG genannten persönlichen Voraussetzungen nicht erfülle. Die Revisionswerberin sei zwar in Oberösterreich im Rahmen des freien Gewerbes der Personenbetreuung als 24‑Stunden‑Betreuerin tätig gewesen, der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen sei allerdings weiterhin in Rumänien gewesen. Die Revisionswerberin habe die pflegerische Tätigkeit in einem 14‑tägigen Turnus vorgenommen und sei nach Beendigung des jeweiligen Turnus nach Rumänien zurückgereist, wo sich auch ihre Familie befunden habe. Es sei schon deshalb davon auszugehen, dass sich der gewöhnliche Mittelpunkt der Interessen der Revisionswerberin in Rumänien befunden habe. Ein Indiz dafür sei auch die polizeiliche Meldung des Nebenwohnsitzes ‑ nicht aber des Hauptwohnsitzes ‑ in Oberösterreich.

8 Die Revisionswerberin habe sich zudem vor dem Unglücksfall nicht dauernd im Sinne des § 4 Abs. 1 Z 2 Oö. ChG in Oberösterreich aufgehalten. Auch ein Verweis der Revisionswerberin auf Art. 24 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit könne aus näher dargestellten Gründen der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Soweit die Revisionswerberin auf § 4 Abs. 6 Oö. ChG verweise, sei festzuhalten, dass es sich hierbei um eine „Kann-Bestimmung“ und keine „zwingende“ Vorschrift handle, die der Revisionswerberin keinen Rechtsanspruch einräume.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

10 Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die kostenpflichtige Zurück‑ bzw. Abweisung der Revision beantragt.

11 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe. Eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG liegt nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage „abhängt“. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. VwGH 13.9.2023, Ra 2023/10/0063; 3.3.2023, Ra 2022/10/0094; 28.10.2022, Ra 2022/10/0135).

15 Das Oö. Chancengleichheitsgesetz, LGBl. Nr. 41/2008 in der Fassung LGBl. Nr. 82/2020 (Oö. ChG), lautet auszugsweise:

„§ 4

Persönliche Voraussetzungen

(1) Leistungen nach diesem Landesgesetz können nur an Menschen mit Beeinträchtigungen erbracht werden, die

1a. Unionsbürgerinnen oder Unionsbürger sind sowie an deren Familienangehörige, oder

...

2. vorbehaltlich des Abs. 5 ihren Hauptwohnsitz in Oberösterreich haben oder sich dauernd in Oberösterreich aufhalten und

3. nicht auf Grund anderer Rechtsvorschriften ‑ ausgenommen nach dem Oö. Sozialhilfegesetz 1998 und dem Oö. Sozialhilfe‑Ausführungsgesetz ‑ Leistungen erhalten oder einen Anspruch auf Leistungen geltend machen können, die mit den im § 3 Abs. 1 genannten Leistungen vergleichbar sind, wobei es unerheblich ist, ob auf diese Leistungen ein Rechtsanspruch besteht oder ob deren Gewährung im Ermessen der für die Vollziehung der genannten Rechtsvorschriften zuständigen Behörden liegt.

(2) Eine vorübergehende Abwesenheit bis zu insgesamt zwei Monaten während eines Kalenderjahrs gilt nicht als Unterbrechung des dauernden Aufenthalts nach Abs. 1 Z 2.

...

(6) Die Voraussetzungen nach Abs. 1 können nachgesehen werden, wenn die Gewährung einer Leistung nach diesem Landesgesetz im Interesse des Menschen mit Beeinträchtigungen und zur Vermeidung sozialer Härten erforderlich ist. Eine soziale Härte liegt insbesondere vor, wenn ohne Gewährung einer Leistung nach diesem Landesgesetz die wirtschaftliche Existenz des Menschen mit Beeinträchtigungen oder der ihm gegenüber Unterhaltspflichtigen gefährdet wäre.

...

§ 49

Zuständigkeit

(1) Behörde im Sinn dieses Landesgesetzes ist die Bezirksverwaltungsbehörde.

(2) Die örtliche Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde richtet sich bei Verfahren betreffend die Gewährung von Leistungen nach diesem Landesgesetz nach dem Hauptwohnsitz, in Ermangelung eines solchen nach dem Aufenthalt des Menschen mit Beeinträchtigungen. Ändert sich der Hauptwohnsitz auf Grund einer Maßnahme des Wohnens nach § 12 auf die Anschrift der Wohneinrichtung, bleibt jene Bezirksverwaltungsbehörde örtlich zuständig, in deren Zuständigkeitsbereich sich der Hauptwohnsitz vor der erstmaligen Aufnahme in eine Wohneinrichtung befunden hat.

(2a) Abweichend vom Abs. 2 richtet sich die örtliche Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde hinsichtlich Menschen mit Beeinträchtigungen ohne Hauptwohnsitz bei Verfahren betreffend die Gewährung von ärztlicher Hilfe, der damit in Zusammenhang stehenden Versorgung mit Heilmitteln sowie ambulanter oder stationärer Betreuung gemäß § 9 Abs. 2 in einer Krankenanstalt sowie die Erstattung der Kosten für geleistete Maßnahmen gemäß § 9 Abs. 3 in einer Krankenanstalt nach dem Zuständigkeitsbereich, aus dem die Einlieferung in die Krankenanstalt erfolgte. Kann danach keine Zuständigkeit bestimmt werden, ist jene Bezirksverwaltungsbehörde zuständig, in deren Bereich die Krankenanstalt liegt.“

16 Nach der oben wiedergegebenen Begründung des Verwaltungsgerichtes stützt dieses seine Entscheidung ‑ wie bereits die belangte Behörde ‑ primär darauf, dass nach § 49 Oö. ChG „keine Zuständigkeit“ der belangten Behörde zur Entscheidung über den Antrag bestehe. Lediglich hilfsweise wird begründet, warum ‑ wenn man von einer Zuständigkeit der belangten Behörde ausginge ‑ nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes die Voraussetzungen des § 4 Oö. ChG nicht erfüllt seien.

17 Die Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden außerordentlichen Revision behaupten nun allerdings nur in Ansehung der Hilfsbegründung des Verwaltungsgerichtes Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG. Auf die Primärbegründung des Verwaltungsgerichtes wird in den Zulässigkeitsausführungen nicht konkret eingegangen.

18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Revision unzulässig, wenn das angefochtene Erkenntnis ‑ wie hier ‑ auf einer tragfähigen Begründung beruht und dieser Begründung keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zugrunde liegt. Wenn einer tragfähigen Begründung keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zugrunde liegt, kann die Revision zurückgewiesen werden, selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die anderen Begründungsalternativen unzutreffend waren (vgl. VwGH 4.10.2023, Ra 2022/10/0072; 3.3.2023, Ra 2021/10/0178; 28.10.2022, Ra 2022/10/0135).

19 Soweit in der Zulässigkeitsbegründung ‑ ohne konkrete Bezugnahme auf die Primärbegründung des Verwaltungsgerichtes ‑ der Standpunkt eingenommen wird, allein der Umstand, dass die Revisionswerberin infolge des Unfalls in (drei) Kliniken in Niederösterreich verbracht worden sei, ändere am „Hauptwohnsitz der Revisionswerberin nichts, zumal diese Ortsveränderungen aufgrund ihres komatösen Zustands nicht von einem entsprechenden Willen der Revisionswerberin getragen“ gewesen seien, wird auch damit eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG in Ansehung der Primärbegründung nicht aufgezeigt. Soweit diesem Vorbringen ‑ das entgegen der Beurteilung durch das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Revisionswerberin vor dem 17. Juni 2020 ihren Hauptwohnsitz in H. gehabt habe ‑ die Ansicht zugrunde liegt, dass ungeachtet des (unstrittigen) Umstandes, dass die Revisionswerberin (im Entscheidungszeitpunkt der belangten Behörde) mehr als zwei Jahre nicht mehr in H. aufhältig war, dennoch ‑ da die Ortsveränderung nicht „von einem entsprechenden Willen der Revisionswerberin“ getragen gewesen sei ‑ dieser (behauptete) Hauptwohnsitz aufrechterhalten worden sei, so steht eine derartige Sichtweise mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht im Einklang. Die Aufrechterhaltung eines Hauptwohnsitzes bei (vorübergehender) Ortsabwesenheit hängt davon ab, ob der Lebensmittelpunkt am (behaupteten) Hauptwohnsitz auch während dieser Zeit erhalten bleibt. Ob Letzteres der Fall ist, lässt sich nur aus einer kombinierten Betrachtung von objektiven und subjektiven Kriterien beurteilen. In subjektiver Hinsicht erfordert die Aufrechterhaltung des Lebensmittelpunktes am bisherigen Hauptwohnsitz die Beibehaltung des „animus domiciliandi“, also der Absicht, den Lebensmittelpunkt weiterhin an diesem Ort zu haben. Wird ein solcher Wille aufgegeben, vermag auch das Fortbestehen von Lebensbeziehungen zum bisherigen Wohnort einen dortigen Hauptwohnsitz nicht aufrecht zu erhalten. Umgekehrt reicht der bloße Wille, seinen Lebensmittelpunkt an einem Ort zu erhalten, oder die Absicht, (irgendwann) dorthin zurückzukehren, zur Beibehaltung eines Hauptwohnsitzes nicht aus, wenn objektive Anknüpfungspunkte für einen solchen nicht (mehr) gegeben sind. In objektiver Hinsicht setzt das Fortbestehen eines Hauptwohnsitzes nämlich voraus, dass zu diesem Ort Beziehungen aufrechterhalten werden, die bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensumstände den Schluss rechtfertigen, eine Person habe an diesem Ort weiterhin ihren Lebensmittelpunkt (vgl. VwGH 23.6.2010, 2009/03/0039, mwN). Dass Letzteres bei der Revisionswerberin (im Entscheidungszeitpunkt der belangten Behörde) der Fall gewesen wäre, wird in der Revision nicht behauptet.

20 Im Revisionsfall werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

21 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

22 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Juni 2024

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