VwGH Ra 2017/10/0071

VwGHRa 2017/10/007127.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der Salzburger Landesregierung in 5010 Salzburg, Mozartplatz 9, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 17. Jänner 2017, Zl. 405-9/109/1/13-2017, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bürgermeister der Landeshauptstadt Salzburg; mitbeteiligte Partei: W W in S), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §13 Abs3;
AVG §13;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
MSG Slbg 2010 §20;
MSG Slbg 2010 §23 Abs2;
MSG Slbg 2010 §23;
MSG Slbg 2010 §5;
SHG Stmk 1998 §31 Abs1;
VwGVG 2014 §17;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Salzburg vom 8. Juni 2016 wurden die Anträge der mitbeteiligten Partei auf Gewährung von Bedarfsorientierter Mindestsicherung für die Monate April und Mai 2016 gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurückgewiesen.

2 Das Landesverwaltungsgericht gab mit dem angefochtenen Erkenntnis der Beschwerde des Mitbeteiligten gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG Folge und behob den Bescheid des Bürgermeisters.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Salzburger Landesregierung.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Zu ihrer Zulässigkeit führt die Revision aus, § 23 Abs. 2 Salzburger Mindestsicherungsgesetz (MSG) ermächtige die Behörde, durch behördliche Aufträge die Voraussetzungen für den Antrag auf Gewährung Bedarfsorientierter Mindestsicherung zu konkretisieren. Dies ergebe sich aus einem in den Gesetzesmaterialien zu § 23 MSG befindlichen Verweis darauf, dass von der Antragsabweisung wegen unterlassener Mitwirkung die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 13 Abs. 3 AVG unberührt bleibe. Somit sei durch § 23 MSG eine Festlegung zu den erforderlichen Unterlagen getroffen worden. Dies sei vom Landesverwaltungsgericht verkannt worden.

8 Darüber hinaus liege keine einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage der Möglichkeit der Zurückweisung gemäß § 13 Abs. 3 AVG infolge des Fehlens von Unterlagen, deren Eingabe das Gesetz nicht ausdrücklich vorschreibt, vor. Von der Lösung dieser Rechtsfrage sei eine große Zahl an Fällen betroffen, bei denen Antragsteller die von der Behörde geforderten Unterlagen nicht einbrächten.

9 Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Salzburger Mindestsicherungsgesetzes (MSG), LGBl. Nr. 63/2010 idF LGBl. Nr. 100/2016, lauten:

"Berücksichtigung von Leistungen Dritter § 5

(1) Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sind nur soweit zu erbringen, als der Bedarf der Hilfe suchenden Personen für den Lebensunterhalt, den Wohnbedarf und den Bedarf bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung nicht durch Geld- oder Sachleistungen Dritter gedeckt ist. Dabei haben freiwillige Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege oder Leistungen, die von Dritten ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden, außer Betracht zu bleiben, es sei denn, sie sind nach Abs 2 anzurechnen oder erreichen ein Ausmaß oder eine Dauer, dass keine Leistungen nach diesem Gesetz mehr erforderlich sind.

(2) ...

(3) Hilfesuchende haben Ansprüche, bei deren Erfüllung Leistungen nach diesem Gesetz nicht oder nicht im erhaltenen Ausmaß erforderlich wären, zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich unmöglich oder unzumutbar ist. Die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sind abzulehnen, zu kürzen oder einzustellen, wenn die Hilfe suchende Person nicht alle gebotenen Handlungen zur Durchsetzung solcher Ansprüche unternimmt.

...

Anträge

§ 20

(1) Antragsberechtigt sind:

1. die Hilfe suchende Person selbst, soweit sie

eigenberechtigt ist;

2. für die Hilfe suchende Person:

a) ihre gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreter;

b) ihre Haushaltsangehörigen, auch ohne Nachweis der

Bevollmächtigung, wenn keine Zweifel über Bestand und Umfang der

Vertretungsbefugnis bestehen;

c) ihr Sachwalter oder ihre Sachwalterin, wenn die

Antragstellung zu dessen bzw deren Aufgabenbereich gehört.

(2) Anträge auf Leistungen nach diesem Gesetz sind bei der Bezirksverwaltungsbehörde einzubringen. Für Bedarfsgemeinschaften genügt die Einbringung eines gemeinsamen Antrags.

(3) Bei den Gemeinden oder den Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice eingebrachte Anträge sind von diesen unverzüglich an die Bezirksverwaltungsbehörde weiterzuleiten.

...

Informations- und Mitwirkungspflicht, Bedingungen § 23

(1) Die Behörde hat die Hilfe suchende Person sowie die sonstigen zur Antragstellung berechtigten Personen der jeweils festgestellten Sachlage entsprechend zu informieren, zu beraten und anzuleiten, soweit dies zur Erreichung der Ziele und nach den Grundsätzen dieses Gesetzes notwendig ist.

(2) Die Hilfe suchenden Personen sowie deren zur Vertretung berechtigten Personen sind verpflichtet, an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Rahmen der behördlichen Aufträge mitzuwirken. Insbesondere sind die zur Durchführung des Verfahrens unerlässlichen Angaben zu machen sowie die dafür erforderlichen Urkunden und Unterlagen beizubringen. Die Hilfe suchende Person hat sich auch den für die Entscheidungsfindung unerlässlichen Untersuchungen zu unterziehen.

(3) Kommen Personen gemäß Abs. 2 ihrer Mitwirkungspflicht ohne triftigen Grund nicht nach, kann die Behörde der Entscheidung über den Leistungsanspruch jenen Sachverhalt zugrunde legen, der bisher festgestellt worden ist, wenn auf die Folgen einer unterlassenen Mitwirkung hingewiesen worden ist.

(4) Die Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz kann auch von Bedingungen und Befristungen abhängig gemacht werden, die Hilfe suchende Personen sowie deren Vertreter und Sachwalter zu erfüllen haben."

10 Gemäß § 13 Abs. 3 AVG ermächtigen Mängel schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden, angemessenen Frist zurückgewiesen wird.

11 Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs muss der in Betracht kommenden materiellen Verwaltungsvorschrift entnommen werden, was unter einem Mangel schriftlicher Eingaben im Sinn des § 13 AVG zu verstehen ist. Als Mangel ist insbesondere das Fehlen von Belegen anzusehen, wenn die Partei auf Grund des Gesetzes erkennen konnte, welche Unterlagen erforderlich sind (vgl. z.B. VwGH vom 16. September 2009, 2008/05/0206, und vom 31. Jänner 2012, 2009/05/0044). Existiert eine derartige gesetzliche Anordnung nicht, dann kann die unterlassene Beibringung von Unterlagen, deren die Behörde bedarf und die sie sich nicht selbst beschaffen kann, allenfalls im Rahmen der freien Beweiswürdigung bei der Sachentscheidung Berücksichtigung finden. In einem solchen Fall liegt jedoch kein "Mangel" im Sinn des § 13 Abs. 3 AVG vor, weshalb weder die Erteilung eines Verbesserungsauftrages noch nach fruchtlosem Verstreichen der zu Unrecht gesetzten Frist die Zurückweisung des Anbringens in Frage kommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. April 2004, 2003/01/0032, sowie die weitere, in Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 13, Rz 27, zitierte Judikatur).

12 Im Zusammenhang mit der Gewährung von Sozialhilfe hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13. Mai 2011, 2007/10/0201, zum Steiermärkischen Sozialhilfegesetz, nach dessen § 31 Abs. 1 im Antrag die finanzielle Hilfsbedürftigkeit des Antragstellers durch schlüssiges Vorbringen glaubhaft zu machen war, ausgesprochen, dass die nicht ausreichende Glaubhaftmachung der Hilfsbedürftigkeit im Antrag auf Spitalskostenrückersatz keinen Mangel im Sinn des § 13 Abs. 3 AVG darstelle. Vielmehr läge gegebenenfalls eine Unvollständigkeit des Sachvorbringens vor, die die Entscheidung der Behörde in der Sache nicht hinderte.

13 Mit Erkenntnis vom 22. Oktober 2013, 2012/10/0213, sprach der Verwaltungsgerichtshof zum Oberösterreichischen Sozialhilfegesetz (Oö. SHG 1998) in der Fassung vor dem 1. Oktober 2011 aus, dass dem Gesetz nicht konkret entnommen werden könne, welche Unterlagen zum Nachweis des in § 7 festgelegten Erfordernisses der "sozialen Notlage", die bei Personen vorliege, die ihren Lebensunterhalt nicht decken könnten, vorzulegen seien. Die hilfesuchende Person sei gemäß § 24 Abs. 2 Oö. SHG 1998 lediglich verpflichtet, an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken und im Rahmen dieser Mitwirkungspflicht die zur Durchführung des Verfahrens unerlässlichen Angaben zu machen und die "dafür erforderlichen Urkunden oder Unterlagen" beizubringen. Aus dem maßgeblichen Materiengesetz ergebe sich somit eindeutig, dass es sich bei der Vorlage eines Einkommensnachweises aus einem bestimmten Beschäftigungsverhältnis nicht um eine einem Mängelbehebungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG zugängliche Voraussetzung für einen vollständigen Sozialhilfeantrag, sondern um eine Erfolgsvoraussetzung handle, bei deren Fehlen der Antrag mangels Nachweises einer sozialen Notlage abzuweisen sei (vgl. zum Salzburger Sozialhilfegesetz jüngst VwGH vom 23. Mai 2017, Ra 2017/10/0043).

14 Vor dem Hintergrund der zitierten Judikatur ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht ausgehend von der Textierung der hier in Blick zu nehmenden Bestimmungen der §§ 5, 20 und § 23 MSG zu dem Ergebnis gelangte, dass das Salzburger Mindestsicherungsgesetz nicht konkret festlegt, welche Unterlagen dem Antrag zum Nachweis, alle gebotenen Handlungen zur Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Dritten unternommen zu haben, beizulegen sind. Das Verwaltungsgericht hat daher zu Recht angenommen, dass die Nichtvorlage der von der Behörde verlangten - rechtens im Rahmen eines behördlichen Auftrages gemäß § 23 Abs. 2 MSG zwecks Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts abzufordernden - Klagskopie samt Nachweis der Klagseinreichung keinen verbesserungsfähigen Mangel darstellt und die Entscheidung in der Sache nicht gehindert hätte.

15 Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, stehen dieser Auffassung auch nicht die Materialien zu § 23 MSG entgegen. Auf Erkenntnisquellen außerhalb des kundgemachten Gesetzes darf nämlich nur gegriffen werden, wenn die Ausdrucksweise des Gesetzgebers Zweifel aufwirft; für sich allein können sie über den normativen Inhalt einer Rechtsvorschrift nichts aussagen (s. Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (102)). § 23 MSG selbst ermächtigt nur zur Antragsabweisung bei mangelnder Mitwirkung - so etwa bei Nichtvorlage der erforderlichen Urkunden und Unterlagen -, enthält jedoch keine Aussage zum Verhältnis dieser Bestimmung zu § 13 Abs. 3 AVG.

16 Auch die von der Revision ins Treffen geführte Judikatur zur Anwendung des § 103 Wasserrechtsgesetz 1959 (WRG 1959) führt zu keiner anderen Beurteilung (z.B. VwGH vom 27. Juni 2002, 98/07/0147; vgl. in diesem Sinn auch VwGH vom 27. März 2008, 2005/07/0070). Nach der genannten Judikatur stellt nicht nur das Fehlen der in § 103 WRG 1959 genannten Unterlagen ein Formgebrechen dar, sondern auch das Fehlen solcher Unterlagen, die zwar in § 103 WRG 1959 nicht ausdrücklich genannt sind, ihrer Natur nach aber in den Rahmen des § 103 fallen und unter dem Aspekt dieser Bestimmung erforderlich sind und die dem Antragsteller von der Behörde bekannt gegeben wurden.

17 Diese Judikatur trägt der spezifischen Regelung des § 103 WRG 1959 über die einem Antrag auf Erteilung einer wasserrechtlichen Bewilligung beizuschließenden Unterlagen Rechnung und ist daher mangels Vergleichbarkeit der gesetzlichen Grundlagen nicht auf die hier zu beurteilende Rechtslage anwendbar.

18 Da zu den Voraussetzungen für die Erteilung eines Mängelbehebungsauftrages und für die für den Fall der Nichtentsprechung vorzunehmende Zurückweisung eines Anbringens nach § 13 Abs. 3 AVG einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs vorliegt und das Verwaltungsgericht davon nicht abgewichen ist, wurden in der Revision sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

19 Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 27. Juni 2017

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