European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:008OBS00004.24G.0227.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen. Der Kostenersatzantrag der beklagten Partei wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der 1959 geborene Kläger war bei der A* GmbH (FN *, die im Auftrag von Bundesministerien EU‑Twinning‑Projekte zur Heranführung der Verwaltung möglicher zukünftiger Beitrittskandidaten an EU‑Standards durchführte) ab 2018 als Angestellter und ab 1. 1. 2020 (auf unbestimmte Zeit) als freier Dienstnehmer für Projektakquise, ‑durchführung und ‑controlling beschäftigt. Dem schon in erster Instanz inhaltlich unstrittig gebliebenen freien Dienstvertrag entsprechend war der Kläger nicht in die betriebliche Organisation der Dienstgeberin eingegliedert und in der Gestaltung seiner Arbeit vollkommen frei, war nicht an persönliche Weisungen, einen Arbeitsort oder Arbeitszeiten gebunden, unterlag keinen Beschränkungen für Nebenbeschäftigungen, durfte sich durch fachlich kompetente Dritte vertreten lassen und hatte – abgesehen von einer ihm in den Räumlichkeiten der Dienstgeberin zur Verfügung stehenden Büroinfrastruktur – die zur Erbringung seiner Leistung wesentlichen Betriebsmittel selbst bereitzustellen. Die Tätigkeit für die Dienstgeberin war die Haupttätigkeit des Klägers, er unternahm aber den Versuch, daneben auch eigene Projekte einzureichen; die Corona‑Pandemie verhinderte es, dass seine beantragten Projekte beginnen konnten. In Pkt 8 des Dienstvertrags („Kündigung“) wurde vereinbart, dass dann, wenn das Dienstverhältnis zumindest drei Monate gedauert hat und es die Erwerbstätigkeit des freien Dienstnehmers hauptsächlich in Anspruch nimmt, die Kündigungsfrist vier Wochen (und in allen anderen Fällen 14 Tage) beträgt. Nach Pkt 9 des Dienstvertrags nahm der Kläger zur Kenntnis, dass arbeitsrechtliche Bestimmungen (insbesondere Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub, Pflegefreistellung, Sonderzahlungen, Abfertigung) keine unmittelbare Anwendung finden.
[2] Über das Vermögen der Dienstgeberin (in der Folge: Schuldnerin) wurde mit Beschluss * vom 19. 10. 2022 zu AZ * das Konkursverfahren eröffnet; die Schließung des Unternehmens wurde mit Beschluss vom 7. 11. 2022 angeordnet. Das Dienstverhältnis endete am 29. 11. 2022 durch Austritt des Klägers gemäß § 25 IO; er fand bis 31. 3. 2023 keine neue Beschäftigung.
[3] Der Kläger beantragte Insolvenz‑Entgelt von netto 9.696 EUR (Kündigungsentschädigung von 30. 11. 2022 bis 31. 3. 2023). Die Beklagte erkannte ihm hiervon einen Teil zu, lehnte aber mit Bescheid vom *, GZ *, den Anspruch auf Insolvenz‑Entgelt in Höhe von insgesamt netto 7.351 EUR ab (restliche Kündigungsentschädigung von 7.212 EUR für die Zeit von 1. 1. 2023 bis 31. 3. 2023 sowie 139 EUR restliche Anmeldekosten).Dies begründete sie damit, dass § 1159 ABGB idF Art 6 Z 3 BGBl I 2017/153 [in der Folge: § 1159 ABGB nF] auf freie Dienstverhältnisse nicht anwendbar sei, weil diese Bestimmung ebenso wie § 20 AngG, dessen Anwendung auf freie Dienstnehmer von der Rechtsprechung abgelehnt werde, von persönlicher Abhängigkeit ausgehe und den sozial Schwächeren schützen solle.
[4] DerKläger begehrte Insolvenz‑Entgelt (Kündigungsentschädigung) für den Zeitraum von 1. 1. 2023 bis 31. 3. 2023 in Höhe von unstrittig 7.351 EUR netto. Er brachte zusammengefasst vor, § 1159 ABGB nF bezwecke ebenso wie die Regelungen der davor geltenden §§ 1159 ff ABGB nicht den sozialen Schutz des persönlich abhängigen Dienstnehmers und sei daher weiterhin eine passende Analogiebasis für die Ermittlung der auf eine Kündigung freier Dienstnehmer anzuwendenden Regeln. Selbst wenn man eine uneingeschränkte analoge Anwendung des § 1159 ABGB nF auf sämtliche freie Dienstverhältnisse verneine, seien dessen Kündigungsfristen dennoch (analog) anzuwenden, weil beim Kläger ein arbeitnehmerähnliches freies Dienstverhältnis vorgelegen wäre. Ein solches sei dadurch gekennzeichnet, dass sich der Dienstnehmer aufgrund seiner definitionsgemäßen wirtschaftlichen Abhängigkeit in einer sozial schwächeren Position befinde, welche der von Arbeitnehmern ähnle. Das Dienstverhältnis des Klägers hätte daher unter Wahrung von Frist und Termin nach § 1159 ABGB nF vom Dienstgeber frühestens zum 31. 3. 2023 aufgekündigt werden können.
[5] Die Beklagteerwiderte, § 1159 ABGB nF entspreche § 20 AngG und diene wie dieser dem sozialen Schutz des Dienstnehmers. Daraus folge, dass die Kündigungsbestimmungen des § 1159 ABGB nF ebenso wenig wie jene des § 20 AngG auf freie Dienstverhältnisse anzuwenden seien. Aufgrund des Symmetriegebots könnten aber die Bestimmungen für die Dienstnehmerkündigung nach § 1159 Abs 4 ABGB nF (zum Monatsletzten unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist) per analogiam auf die hier in Frage stehenden Kündigungen von freien Dienstverhältnissen durch den Dienstgeber angewandt werden. Daraus folge aber, dass dem Kläger Kündigungsentschädigung über den 31. 12. 2022 hinaus und demnach weiteres Insolvenz‑Entgelt nicht zustünden.
[6] Das Erstgericht gab der Klage statt. § 1159 ABGB nF sei nicht allein als Ausfluss des sozialen Schutzprinzips zu verstehen und könne auf freie Dienstverhältnisse angewandt werden. Dies ergebe sich auch daraus, dass der Gesetzgeber an anderen Stellen, wie etwa in § 27 HVertrG 1993, asymmetrische Kündigungsfristen für freie Dienstverhältnisse akzeptiere. Da der Dienstgeber das Dienstverhältnis des Klägers erst zum 31. 3. 2023 beenden hätte können, stehe dem Kläger das begehrte Insolvenz‑Entgelt zu.
[7] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagsabweisenden Sinne ab. Es erwog eine Vielzahl von kontroversen Wortmeldungen im Schrifttum zu § 1159 ABGB nF und schloss sich der Ansicht an, wonach diese Bestimmung nicht auf die Beendigung freier Dienstverhältnisse anzuwenden sei. Der freie Dienstvertrag sei gesetzlich weitgehend ungeregelt und unterliege damit grundsätzlich nur den allgemeinen vertragsrechtlichen Bestimmungen des ABGB, wogegen die Anwendung einzelner Bestimmungen des 26. Hauptstücks bloß im Wege der Analogie in Betracht komme. Auf Basis der bisherigen Rechtsprechung sei weiterhin davon auszugehen, dass die Vorschriften des AngG über Kündigungstermine und ‑fristen auch eine soziale Schutzfunktion zugunsten des Angestellten erfüllten und daher nicht analog auf freie Dienstverhältnisse anzuwenden seien. Ziel von BGBl I 2017/153 sei die Vereinheitlichung von Arbeiter‑ und Angestelltenrecht gewesen; durch die inhaltliche Angleichung des § 1159 ABGB (nF) an § 20 AngG sei auch der soziale Schutzcharakter letzterer Bestimmung zugunsten der nicht vom AngG erfassten „echten“ Arbeitnehmer übernommen worden. Gerade diese vollständige Übernahme des Regelungsinhalts aus dem Angestelltenrecht zeige, dass nicht die Schaffung einer neuen allgemeinen Regelung, wie ein Dauerschuldverhältnis beendet werden könne, im Vordergrund gestanden sei; die Beendigung freier Dienstverträge habe der Gesetzgeber weiterhin ungeregelt gelassen. Dass sich auch in anderen Zusammenhängen asymmetrische Kündigungsfristen (§ 1158 Abs 3 ABGB) oder einseitig zwingende Regelungen (§ 27 HVertrG 1993) fänden, biete keinen Anlass, dem § 1159 ABGB nF die soziale Schutzfunktion zugunsten des Arbeitnehmers abzusprechen. Auch hier fänden sich sowohl unterschiedlich lange Kündigungsfristen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Abhängigkeit von der bisherigen Dauer des Dienstverhältnisses als auch eine einseitig zwingende Ausgestaltung. Mit § 1159 ABGB nF habe nicht nur technischen Erfordernissen der zeitgemäßen Abwicklung von Dauerschuldverhältnissen Rechnung getragen werden sollen. Eine Gesamtbeurteilung der Regelung weise deutlich auf die Umsetzung des sozialen Schutzprinzips hin. § 1159 ABGB nF sei eine Norm, die (auch) dem Schutz des sozial schwächeren Arbeitnehmers diene, und könne daher nicht analog auf freie Dienstverhältnisse angewendet werden. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen könne ein auf unbestimmte Zeit geschlossenes Dauerschuldverhältnis mangels Vereinbarung über die Kündigungsmodalitäten, insbesondere über Kündigungsfristen oder ‑termine, unter Setzung einer angemessenen Frist frei und ohne Vorliegen besonderer Kündigungsgründe gekündigt werden. Redliche und vernünftige Parteien hätten sich bei Abschluss des freien Dienstvertrags an der damals noch in Kraft stehenden Rechtslage (§ 1159a Abs 1 ABGB in der vor BGBl I 2017/153 geltenden Fassung) und der dazu geltenden Rechtsprechung orientiert; demnach wäre eine (mindestens) vierwöchige Kündigungsfrist einzuhalten gewesen. Vor diesem Hintergrund erscheine die hier herangezogene Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsletzten angemessen.
[8] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels Rechtsprechung zur Frage der Anwendung von § 1159 ABGB nF auf freie Dienstverhältnisse zu.
[9] Die Revision des Klägers beantragt die Wiederherstellung des klagsstattgebenden Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig (vgl RS0042819; RS0109942), sie ist jedoch nicht berechtigt.
[12] Die Revision führt zusammengefasst ins Treffen, das Berufungsgericht sei von der Rechtsprechung zur Anwendung von § 1159 Abs 1 ABGB in der vor BGBl I 2017/153 geltenden Fassung abgewichen. Schon § 20 AngG sei nicht Ausfluss des sozialen Schutzprinzips, sodass dies auch nicht für § 1159 ABGB nF gelte; „weiterhin“ sei diese Bestimmung (hilfsweise auch § 21 Abs 1 HVertrG 1993) generell auf freie Dienstverhältnisse analog anzuwenden. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre § 1159 ABGB nF deshalb analog auf das Dienstverhältnis des Klägers anzuwenden, weil er faktisch nur für die Schuldnerin tätig und daher arbeitnehmerähnlich gewesen sei.
Der Senat hat erwogen:
[13] 1. Nach § 1 Abs 2 IESG sind aufrechte, nicht verjährte und nicht ausgeschlossene Ansprüche (§ 1 Abs 3 IESG) aus dem Arbeitsverhältnis gesichert, auch wenn sie gepfändet, verpfändet oder übertragen worden sind, und zwar unter anderem Entgeltansprüche, insbesondere auf laufendes Entgelt und aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Z 1 leg cit).
[14] 2.1. Bei Austritt eines Arbeitnehmers nach § 25 IO steht ihm genauso wie bei einem vom Arbeitgeber verschuldeten Austritt nach § 29 Abs 1 AngG bzw § 1162b ABGB ein Schadenersatzanspruch zu (RS0028724; RS0119684). Das zeitliche Maß dieses Anspruchs wird durch die für den konkreten Arbeitnehmer unter Außerachtlassung der Insolvenzeröffnung bestehende Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers bestimmt (RS0120259), wobei sich die Dauer der Kündigungsfrist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Kündigung richtet (RS0028823).
[15] Dem Arbeitnehmer gebührt somit die Kündigungsentschädigung bis zum fiktiven Ende des Arbeitsverhältnisses durch ordnungsgemäße Arbeitgeberkündigung; er ist so zu stellen, als ob das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber ordnungsgemäß beendet worden wäre (RS0120259 [T4]; RS0119684).
[16] 2.2. § 25 IO und die hierzu ergangene Rechtsprechung sind auch auf einen freien Dienstvertrag anzuwenden (RS0021734; vgl auch RS0131271, RS0021530). Dementsprechend steht einem nach § 25 IO ausgetretenen freien Dienstnehmer die Kündigungsentschädigung iSd § 1162b ABGB analog zu (8 ObS 15/16p Pkt 2 mwN).
[17] 3. Nach § 1 Abs 1 IESG (seit BGBl I 2010/29; zuvor schon § 2a IESG idF BGBl I 2007/104) haben freie Dienstnehmer iSd § 4 Abs 4 ASVG in gleicher Weise wie Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenz‑Entgelt. Dabei ist vom arbeitsrechtlichen Begriff des Arbeitnehmers bzw des freien Dienstnehmers auszugehen (vgl 8 ObS 15/16p Pkt 3.2 mwN).
[18] 3.1. Der freie Dienstvertrag ist gesetzlich nicht geregelt. Er ist kein Dienstvertrag iSd §§ 1151 ff ABGB, sodass diese Bestimmungen nicht unmittelbar anwendbar sind und grundsätzlich nur die allgemeinen vertragsrechtlichen Bestimmungen des ABGB gelten (vgl Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 [2018] § 1151 ABGB Rz 127 ff [insb 129]; Schrammel in Klang3 [2012] § 1151 ABGB Rz 64). Der freie Dienstvertrag wird nach hA insbesondere charakterisiert durch (RS0021518; RS0021743; vgl auch RS0021332 und RS0021306 zu den Merkmalen eines „echten“ Dienstvertrags iSd § 1151 ABGB): die Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen ohne persönliche Abhängigkeit im Sinn einer Unterworfenheit unter die funktionelle Autorität des Arbeitgebers; die Möglichkeit, den Ablauf der Arbeit selbst zu gestalten und die selbst gewählte Gestaltung auch jederzeit wieder zu ändern; das Fehlen von laufenden Kontrollen und von Bindung an bestimmte Arbeitszeiten oder an jene persönlichen Weisungen, die für den Arbeitsvertrag prägend sind; sowie die Vereinbarung einer generellen Vertretungsbefugnis. Entscheidend ist, ob bei einer Gesamtbetrachtung nach der Methodik des beweglichen Systems die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach überwiegen oder nicht (RS0021284 [T11, T20]; RS0021306 [T10]).
[19] 3.2. Der sozialrechtliche Begriff des freien Dienstnehmers nach § 4 Abs 4 ASVG, an den § 1 Abs 1 IESG anknüpft, unterscheidet sich vom arbeitsrechtlichen: Er nimmt Personen aus, die aufgrund ihrer im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses erbrachten Tätigkeit bereits nach § 2 Abs 1 Z 1 bis 3 GSVG, § 2 Abs 1 BSVG oder nach § 2 Abs 1 und 2 FSVG versichert sind (8 ObS 2/21h mwN), und setzt gerade die persönliche Leistungserbringung durch den Dienstnehmer voraus (vgl Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 [2018] § 1151 ABGB Rz 123). Weitere Voraussetzungen nach § 4 Abs 4 ASVG sind das Vorliegen eines bestimmten Dienstgebertyps, der Bezug von Entgelt sowie das Fehlen wesentlicher eigener Betriebsmittel (vgl Reissner in Reissner, Arbeitsverhältnis und Insolvenz5 [2018] § 1 IESG Rz 84 ff).
[20] 3.3. Nach § 3 Abs 3 IESG sind der Berechnung des Insolvenz‑Entgelts für gesicherte Ansprüche grundsätzlich nur die einschlägigen gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die entsprechenden gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrundezulegen. Für den Arbeitnehmer günstigere (längere) Kündigungsfristen des Arbeitgebers in Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag wären bei der Berechnung des Insolvenz‑Entgelts nicht zu berücksichtigen. Sowohl Kündigungsfristen als auch Kündigungstermine stehen damit unter der Bedingung, dass eine Sicherung nur insoweit besteht, als sie nicht über gesetzliche oder kollektivvertragliche Fristen und Termine hinausgehende Ansprüche betrifft. Soweit für einen freien Dienstnehmer weder ein kollektivvertraglicher noch ein gesetzlicher Kündigungstermin besteht, ist die Kündigungsfrist ab Wirksamkeit der Auflösungserklärung zu berechnen. Daraus folgt auch, dass ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung nach § 25 Abs 1 IO nicht zur Gänze gesichert sein muss (vgl 8 ObS 15/16p = RS0131271).
[21] 4.1. Schon das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass das Vorliegen der vom Kläger vorgebrachten tatsächlichen Voraussetzungen, um sein Dienstverhältnis als freies zu charakterisieren (vgl RS0021518; RS0111914), zwischen den Parteien unstrittig ist. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger, dem die Beklagte auch unstrittig Insolvenz‑Entgelt bezahlt hat, als freier Dienstnehmer auch iSv § 1 Abs 1 IESG und § 4 Abs 4 ASVG anzusehen ist.
[22] Dass der Kläger ungeachtet des zuletzt zwischen ihm und der Schuldnerin vereinbarten freien Dienstverhältnisses als „echter“ Dienstnehmer anzusehen gewesen wäre, wurde nicht behauptet.
[23] 4.2. § 1159 ABGB nF trat nach § 1503 Abs 19 ABGB mit 1. 10. 2021 in Kraft und ist auf Beendigungen anzuwenden, die nach dem 30. 9. 2021 ausgesprochen wurden. Mit diesem Zeitpunkt traten auch § 1158 Abs 4 und § 1159a bis § 1159c ABGB [in der Folge: §§ 1159 ff ABGB aF] sowie § 77 GewO 1859 außer Kraft, welche aber weiterhin auf Beendigungen anzuwenden sind, die vor dem 1. 10. 2021 ausgesprochen wurden.
[24] Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers am 29. 11. 2022 gilt daher hier die durch BGBl I 2017/153 geänderte Rechtslage.
[25] 4.3. Entscheidungsrelevant ist im vorliegenden Fall somit, ob § 1159 ABGB nF auf das freie Dienstverhältnis des Klägers anzuwenden wäre. Der erkennende Senat teilt hierzu die oben zusammengefasst wiedergegebene, dies eingehend begründet verneinende Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, auf die verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Im Einzelnen ist ergänzend auszuführen:
[26] 5.1. Wie oben schon dargelegt (Pkt 3.1.) sind arbeitsrechtliche Bestimmungen auf freie Dienstnehmer grundsätzlich nicht anwendbar; nur jene einzelnen arbeitsrechtlichen Normen, die nicht vom persönlichen Abhängigkeitsverhältnis des Arbeitnehmers ausgehen und den sozial Schwächeren schützen sollen („Nichtschutznormen“), sind auf den freien Dienstvertrag (analog) anzuwenden (RS0021758 [insb T1, T3, T16, T19]; Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 [2018] § 1151 ABGB Rz 129 ff; Schrammel in Klang3 [2012] § 1151 ABGB Rz 64).
[27] 5.2. In diesem Sinne erachtete die ständige Rechtsprechung etwa die Kündigungsmodalitäten der §§ 1159 ff ABGB aF oder die §§ 1162 bis 1162d ABGB sowie die in § 27 AngG demonstrativ angeführten Entlassungstatbestände (zur Konkretisierung der „wichtigen Gründe“ iSd § 1162 ABGB) als auf freie Dienstverhältnisse anwendbar (RS0021758 [T9, T14, T15]). Die §§ 1159 ff ABGB aF dienten vor allem der technischen Abwicklung der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen (vgl Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 [2018] § 1159 ABGB Rz 4) und schützten aufgrund ihrer Kürze in der Regel nur die legitimen Interessen der Vertragspartner vor einer abrupten einseitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses durch einen Kontrahenten (vgl 9 ObA 160/87 unter Hinweis auf Wachter, Der sogenannte freie Dienstvertrag, DRdA 1984, 405 [414, Pkt 3.2.1.]).
[28] 5.3. § 20 AngG über die Kündigungsfristen und ‑termine sieht hingegen für den Angestellten wesentlich geringere Beschränkungen als für den Dienstgeber sowie zugunsten des Angestellten zwingende Bestimmungen vor. Diese sind in der sozialen Schutzfunktion der Kündigungsfrist und des Kündigungstermins als zu betrachtender Einheit begründet, welche den Angestellten vor einer überraschenden Auflösung des Arbeitsverhältnisses bewahren und ihm einen zeitlich begrenzten Schutz gewähren sollen (Karl in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 20 [2017] Rz 89; 9 ObA 229/93; vgl Trost in Löschnigg/Melzer, AngG11 [2021] § 20 Rz 90). In diesem Lichte sind nach ständiger Rechtsprechung die Vorschriften des Angestelltengesetzes über Kündigungstermine und ‑fristen auf freie Dienstverhältnisse nicht anzuwenden (RS0021758 [T4]).
[29] 6.1. § 1159 ABGB nF („Kündigung“) lautet nunmehr wie folgt:
„(1) Ist das Dienstverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen oder fortgesetzt worden, so kann es durch Kündigung nach folgenden Bestimmungen gelöst werden.
(2) Mangels einer für den Dienstnehmer günstigeren Vereinbarung kann der Dienstgeber das Dienstverhältnis mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres durch vorgängige Kündigung lösen. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen und erhöht sich nach dem vollendeten zweiten Dienstjahr auf zwei Monate, nach dem vollendeten fünften Dienstjahr auf drei, nach dem vollendeten fünfzehnten Dienstjahr auf vier und nach dem vollendeten fünfundzwanzigsten Dienstjahr auf fünf Monate. Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs. 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1974 überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden.
(3) Die Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung nicht unter die im Absatz 2 bestimmte Dauer herabgesetzt werden; jedoch kann vereinbart werden, dass die Kündigungsfrist am Fünfzehnten oder am Letzten des Kalendermonats endigt.
(4) Mangels einer für ihn günstigeren Vereinbarung kann der Dienstnehmer das Dienstverhältnis mit dem letzten Tage eines Kalendermonats unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist lösen. Diese Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung bis zu einem halben Jahr ausgedehnt werden; doch darf die vom Dienstgeber einzuhaltende Frist nicht kürzer sein als die mit dem Dienstnehmer vereinbarte Kündigungsfrist. Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs. 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1974 überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden.
(5) Ist das Dienstverhältnis nur für die Zeit eines vorübergehenden Bedarfes vereinbart, so kann es während des ersten Monats von beiden Teilen jederzeit unter Einhaltung einer einwöchigen Kündigungsfrist gelöst werden.“
[30] 6.2. Diese Bestimmung idF BGBl I 2017/153 geht auf einen parlamentarischen Initiativantrag zurück, der wie folgt begründet wurde (IA 2306/A BlgNR 25. GP Erläut 8):
„Nach derzeitigem Recht regeln die §§ 1159 bis 1159c ABGB die Kündigungsfristen und ‑termine in höchst komplexer Weise in Relation zur Dauer des Dienstverhältnisses, der Art der geschuldeten Dienste und je nach der Bemessung des Entgelts. Diese Bestimmungen sind zugunsten des Arbeitnehmers unabdingbar. Für Arbeiter im Sinne der Gewerbeordnung 1859 gelang[en] die Kündigungsregelungen des § 77 GewO 1859 zur Anwendung; diese Bestimmung ist im Unterschied zu den Kündigungsregeln des ABGB abdingbar, d.h. die 14‑tägige Kündigungsfrist kann auch zuungunsten des Arbeiters geändert werden.
Im Sinne einer Harmonisierung und Anpassung der Rechte der Angestellten und Arbeiter sieht der Initiativantrag vor, dass die bislang für Arbeiter geltenden Kündigungsbestimmungen des ABGB und der GewO 1859 [...] außer Kraft treten und [...] auch für Arbeiter die bislang für Angestellte geltenden Kündigungsbestimmungen des § 20 AngG Anwendung finden sollen mit der zuvor erläuterten Maßgabe (Entfall eines zeitlichen Mindestbeschäftigungsausmaßes). Dem entsprechend werden die bisherigen §§ 1159 bis 1159c ABGB durch den vorgeschlagenen § 1159 ABGB ersetzt, der inhaltlich dem § 20 AngG entspricht. Der vorgeschlagene § 1159 ABGB kann durch Dienstvertrag oder durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung nur zum Vorteil des Arbeiters geändert werden. [...]“
[31] 7. Die Frage, ob § 1159 ABGB nF auch für die Dienstgeberkündigung freier Dienstnehmer gilt, wurde – wie schon das Berufungsgericht eingehend dargelegt hat – im Schrifttum kontrovers beantwortet. Der Meinungsstand lässt sich – soweit überschaubar – wie folgt zusammenfassen (vgl auch den Überblick bei Drs,Unterschiede zwischen Arbeiter*innen und Angestellten im Arbeitsvertragsrecht und die Auswirkungen der neuen Kündigungsfristen auf freie Dienstverträge, in Kietaibl/Resch, Gleiches Recht für alle? [2022] 17 [58 ff]):
[32] 7.1. Für die Anwendung von § 1159 ABGB nF auf freie Dienstnehmer sprachen sich die folgenden Autorinnen und Autoren aus:
[33] 7.1.1. Drs (aaO) zufolge sei der Umstand, dass die Novellierung der Kündigungsfristen im ABGB und nicht in der GewO 1859 erfolgt sei, ein Indiz dafür, dass der Gesetzgeber eine zeitgemäße neue allgemeine Regelung zur Beendigung von Dauerschuldverhältnissen schaffen habe wollen. Die Abkehr vom Fristengleichheitsgebot in § 1159 ABGB nF müsse nicht zwingend mit dem sozialen Schutzprinzip zusammenhängen. Die unterschiedlich langen Kündigungsfristen würden vielmehr den Umstand reflektieren, dass Arbeitskräfte im Regelfall schneller nachbesetzt würden als sie selbst einen neuen Arbeitsplatz finden könnten. Eine Staffelung nach der Dienstzeit sei bereits den alten Kündigungsbestimmungen in §§ 1159 ff ABGB aF inhärent gewesen, die dessen ungeachtet als analog anwendbar erachtet worden seien. Generell sei in der Gesetzgebung eine Tendenz zu beobachten, die Stellung atypisch Beschäftigter zu verbessern. Der soziale Schutzgedanke wohne nicht der konkreten Ausgestaltung der Kündigungsfristen inne, sondern der einseitig zwingenden Wirkung dieser Normen. Gleichwohl sei zu bedenken, dass sich einseitig zwingende Normen in Bezug auf Dauerschuldverhältnisse ebenso an anderer Stelle (etwa § 27 Abs 1 HVertrG 1993) fänden; solche Normen gebe es nicht nur zugunsten der typischerweise sozial schwächeren Arbeitnehmer.
[34] 7.1.2.1. Mathy/Naderhirn hatten bereits zuvor (in Kozak, ABGB und Arbeitsrecht [2019] §§ 1159–1159c ABGB Rz 5) die Anwendung von § 1159 ABGB nF auf freie Dienstverhältnisse befürwortet, weil zwischenzeitig ergangene Änderungen der Rechtslage seit der die Anwendung von § 20 AngG ablehnenden Rechtsprechung zu beachten und die gesetzgeberischen Wertungen insbesondere der Kündigungsbestimmungen in § 21 HVertrG 1993 nachzuvollziehen seien; diese längeren und relativ zwingenden Kündigungsbestimmungen und die nach § 1159 ABGB nF seien durchaus vergleichbar.
[35] 7.1.2.2. Mathy/Naderhirn hielten auch in der Folge (Zur analogen Anwendung der Kündigungsbestimmungen des ABGB auf freie Dienstverträge, DRdA 2022, 551) daran fest, dass die analoge Anwendung der ihres Erachtens angemessenen Kündigungsfrist des § 1159 ABGB nF auf freie Dienstverhältnisse geboten sei, weil weiterhin eine Lücke hinsichtlich der anwendbaren Kündigungsregeln bestehe. Sie schlossen sich der Ansicht von Drs (oben Pkt 7.1.1.) an, dass es sich bei § 1159 ABGB nF um eine zeitgemäße allgemeine Regelung handle, wie ein Dauerschuldverhältnis beendet werden könne. Diese Bestimmung füge sich nahtlos in die Entwicklungslinie ein, dass gesetzliche Kündigungsregelungen losgelöst vom Kriterium der persönlichen Abhängigkeit und in Bezug auf Dienstnehmer ebenso wie auf Selbständige eine immer längere Bindungswirkung vorsähen und zunehmend auch mit zwingender Wirkung ausgestattet würden. Kündigungsregelungen seien daher nicht stets Ausdruck des sozialen Schutzprinzips; bereits die Zuordnung von § 20 AngG zu diesem sei nicht mehr aufrecht zu erhalten. Umso weniger vermöge daher zu überzeugen, diese überholte Zuordnung auf § 1159 ABGB nF zu übertragen. Beide Bestimmungen seien vielmehr Ausdruck gewandelter Vorstellungen darüber, was zur technischen Abwicklung eines Dauerschuldverhältnisses erforderlich sei. Auch seien in Bezug auf das freie Dienstverhältnis sowohl asymmetrisch ausgestaltete Kündigungsregeln (§ 1158 Abs 3 ABGB analog, § 21 Abs 3 HVertrG 1993) als auch zwingende Kündigungsregeln (§ 21 Abs 1 iVm § 27 HVertrG 1993) anerkannt. Eine Analogie führe daher nicht zu einem Widerspruch im Wertungssystem, sondern führe dessen Widerspruchsfreiheit vielmehr erst herbei. Mathy/Naderhirn erwogen weiters (unter Hinweis auf Walch, RdW 2021/485, 613 [unten Pkt 7.2.4.], der allerdings primär gegen eine generelle analoge Anwendung des § 1159 ABGB nF eintrat), wenigstens in Bezug auf die relativ zwingende Wirkung des analog anzuwendenden § 1159 ABGB nF zwischen unternehmerischen freien und arbeitnehmerähnlichen freien Dienstnehmern iSd § 4 Abs 4 ASVG zu unterscheiden. Für Letztere sei in zahlreichen Regelungen eine Gleichstellung mit regulären Dienstnehmern vorgesehen (etwa seit 2007 durch Einbeziehung in das IESG), was einer vertraglichen Absenkung des Schutzniveaus vorbeuge. Hinter diesen Regelungen stehe ein Schutzgedanke, der es gebiete, § 1159 ABGB nF jedenfalls in Bezug auf arbeitnehmerähnliche freie Dienstnehmer einseitig zwingende Wirkung beizumessen.
[36] 7.1.3. Felten (in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 [2022] § 1159 Rz 26 und § 1151 Rz 95) stimmte den Positionen von Drs (oben Pkt 7.1.1.) und Mathy/Naderhirn (in Kozak [2019], oben Pkt 7.1.2.1.) zu und ergänzte, Kündigungsfristen seien keine arbeitsrechtliche Besonderheit. Man finde sie auch bei anderen Dauerschuldverhältnissen und sie seien daher auch bei der Auflösung freier Dienstverträge einzuhalten. Das entspreche der Judikatur des Obersten Gerichtshofs, der die vormals in Geltung befindlichen §§ 1159 ff ABGB aF auf die Auflösung freier Dienstverträge analog angewendet habe. Die analoge Anwendung des § 1159 ABGB nF werde man auch nach der erfolgten Rechtsangleichung an § 20 AngG und der damit verbundenen Verlängerung der Kündigungsfristen weiterhin vertreten müssen. Die Schutzfunktion der Kündigungsfristen im Dienstvertragsrecht sei nämlich nicht allein Ausfluss des Arbeitnehmerschutzprinzips.
[37] 7.1.4. Radner (Die Abgrenzung des Arbeitsvertrags zu anderen Vertragstypen, in Mazal/Gruber‑Risak, Das Arbeitsrecht – System‑ und Praxiskommentar [42. Lfg Oktober 2023] I. 2.1.2. Rz 41a) schloss sich ebenfalls den Überlegungen von Drs (oben Pkt 7.1.1.) und Mathy/Naderhirn (in Kozak [2019], oben Pkt 7.1.2.1.)mit der Ergänzung an, dass § 1159 ABGB nF als dispositives Recht auf freie Dienstverträge Anwendung finde, da die relativ zwingende Wirkung des § 1164 Abs 1 ABGB dem Schutz des sozial schwächeren und in persönlicher Abhängigkeit tätigen Arbeitnehmers diene.
[38] 7.1.5. Für eine (analoge) Anwendbarkeit des § 1159 ABGB nF, allerdings jeweils ohne nähere Begründung, sprachen sich auch Lang (Angleichung von Arbeitern und Angestellten, ASoK 2017, 442 [444, Pkt 3.2.]), Rauch (ASoK‑Spezial Arbeitsrecht 2018, 8 [9 f, Pkt 1.1.2.2.]), Vogl (Der Sanierungsbeitrag des AG‑Vorstands in Krisenzeiten, GesRZ 2021, 22 [24]) und Löschnigg (Arbeitsrecht14 [2024] Rz 4/026, unter Hinweis auf Mathy/Naderhirn [DRdA 2022, 551, oben Pkt 7.1.2.2.]) aus.
[39] 7.2. Gegen eine Anwendung von § 1159 ABGB nF auf freie Dienstnehmer erhoben sich folgende Stimmen:
[40] 7.2.1. Nach Gleißner/Köck (Die Neuregelung der Kündigungsfristen und ‑termine, ZAS 2017, 330) entspreche § 1159 ABGB nF dem § 20 AngG und diene dem sozialen Schutz. In Verbindung mit der Judikatur, dass nur jene Normen auf freie Dienstverhältnisse analog anwendbar seien, die nicht vom persönlichen Abhängigkeitsverhältnis des Arbeitnehmers ausgingen und den sozial Schwächeren schützen sollten, folge daraus, dass § 1159 ABGB nF nur auf echte Dienstverhältnisse anzuwenden sei.
[41] 7.2.2. Hitz (Angleichung der Kündigungsbestimmungen, Zusammenspiel mit kollektivvertraglichen und dienstvertraglichen Regelungen, ASoK 2021, 418) vertrat, dass sowohl § 1159 ABGB nF als auch § 20 AngG unstrittig dem sozialen Schutz dienen würden, wodurch – der Judikatur zur Anwendung des AngG auf freie Dienstverträge folgend – keine analoge Anwendung mehr stattfinden könne. Daher sei die vertragliche Gestaltung für die Kündigungsregelungen freier Dienstverhältnisse entscheidend. Für diese sei zu empfehlen, sich an den bisher analog anzuwendenden Fristen (zwei bzw vier Wochen, ohne Kündigungstermin) zu orientieren.
[42] 7.2.3. AuchL. Mayer (Aktuelle Neuerungen bei den Kündigungsfristen und im BAG, in Kietaibl/Resch, Aktuelle Änderungen im Arbeitsrecht – Gleichstellung Arbeiter und Angestellte und Datenschutz NEU [2019] 43 [51 ff]) lehnte eine analoge Anwendung des § 1159 ABGB nF ab und meinte, bei der Kündigung freier Dienstverhältnisse müsse nach den allgemeinen Grundsätzen der Kündigung unbefristeter Dauerschuldverhältnisse eine angemessene Frist eingehalten werden.
[43] 7.2.4. Walch (Kündigung des freien Dienstvertrags nach neuem Recht, RdW 2021/485, 613) bejahte eine planwidrige Gesetzeslücke, verneinte aber die erforderliche Rechtsähnlichkeit des § 1159 ABGB nF. Diese Bestimmung diene – wie auch § 20 AngG – zumindest zum Teil dem sozialen Schutzprinzip. Er trat daher für eine nur partielle, „auf den zivilrechtlichen Kern beschränkte“ Analogie zur Arbeitnehmerkündigung nach § 1159 Abs 4 Satz 1 ABGB nF ein: Bei Kündigung des freien Dienstverhältnisses – egal von welcher Seite – gelte unter Achtung des Symmetriegebots eine einmonatige Kündigungsfrist zum Monatsletzten. Diese Einführung eines Kündigungstermins sei ein Novum beim freien Dienstvertrag und sei künftig bei der Insolvenzentgeltfortzahlung zu berücksichtigen. Walch schlug weiters einerseits vor, diese analoge Teilanwendung des § 1159 ABGB nF grundsätzlich dispositiv und nur für „arbeitnehmerähnliche“ freie Dienstnehmer einseitig zwingend zu verstehen. Andererseits erwog er, § 1159 ABGB nF generell auf arbeitnehmerähnliche freie Dienstnehmer anzuwenden, wobei er aber zu bedenken gab, dass ein „Abstandsgebot“ einzuhalten wäre, um die Grenzen zum gewöhnlichen Dienstvertrag und dessen Kriterium der persönlichen Abhängigkeit nicht zu verwischen.
[44] 7.2.5. Hainz (in Kuras, Handbuch Arbeitsrecht [2024] 2.1.5) meinte, dass für freie Dienstverhältnisse keine arbeitsrechtlichen Regelungen gälten, die auf die persönliche Abhängigkeit der Arbeitnehmer abstellen würden (etwa Abfertigung, Kollektivverträge, Kündigungsschutz etc). Dies gelte auch für die neu gefassten Kündigungsfristen und ‑termine nach § 1159 ABGB nF, welche dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer dienen würden und daher nur auf echte Arbeitsverhältnisse, jedoch nicht (analog) auf freie Arbeitsverhältnisse anzuwenden seien.
[45] 8. Der erkennende Fachsenat erachtet ebenso wie das Berufungsgericht die zuletzt (Pkt 7.2.) dargelegten Stimmen, die sich gegen eine Anwendung von § 1159 ABGB nF auf freie Dienstnehmer aussprechen, im Ergebnis für überzeugender und schließt sich dieser Auffassung aus folgenden Gründen an:
[46] 8.1. Auszugehen ist von der in den Materialien knapp, aber klar zum Ausdruck gebrachten Zielsetzung des Gesetzgebers, mit § 1159 ABGB nF die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten im Hinblick auf die für sie geltenden gesetzlichen Kündigungsbestimmungen zu beseitigen und diese zu harmonisieren (IA 2306/A BlgNR 25. GP Erläut 8; vgl oben Pkt 6.2.).
[47] Den Materialien ist hingegen nicht zu entnehmen, dass damit ein einheitliches Kündigungsrecht geschaffen werden sollte, das auf alle Dienstnehmer anzuwenden wäre. Die Novelle hat auch grundsätzlich die Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten aufrecht erhalten und an der – wenn auch inhaltlich angeglichenen – getrennten Regelung von Kündigungsbestimmungen für Arbeiter und Angestellte festgehalten. Gerade aus der Übernahme des Regelungsinhalts des Angestelltenrechts erhellt, dass nicht auf die Schaffung einer neuen allgemeinen Regelung abgezielt wurde, nach welchen Modalitäten jedwedes arbeitsrechtliche Dauerschuldverhältnis zu beenden wäre. Dementsprechend ist auch nicht einmal ansatzweise ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung von § 1159 ABGB nF auch eine Neuregelung der Beendigung freier Dienstverträge treffen und dem seit Jahrzehnten bestehenden und bekannten Umstand ein Ende setzen hätte wollen, dass hierfür keine ausdrücklichen gesetzlichen Regeln bestehen und die arbeitsrechtlichen Regelungen hierfür grundsätzlich gerade nicht anwendbar sind (vgl oben Pkt 5.).
[48] 8.2. Gleichen nun aber die zufolge § 1159 ABGB nF für Dienstnehmer geltenden Kündigungsbestimmungen den bisherigen nach § 20 AngG für Angestellte, so sind beide Regelungskomplexe in Ansehung der Frage gleich zu beurteilen, ob sie als Analogiebasis für die Frage tauglich und heranzuziehen sind, wie freie Dienstverhältnisse zu beenden wären.
[49] 8.3.1. Es ist schon nicht erkennbar, dass § 20 AngG seine Stellung als arbeitsrechtliche Schutznorm (vgl oben Pkt 5.3.) im Hinblick auf Entwicklungen der sonstigen Rechtslage substanziell verändert hätte (wie Mathy/Naderhirn, DRdA 2022, 551, oben Pkt 7.1.2.2., meinen), zumal sich eine Besserstellung freier Dienstnehmer überwiegend auf deren weitgehende Einbeziehung in die Sozialversicherung erstreckte, ohne dass jedoch typisch arbeitsrechtliche Schutznormen in größerem Umfang für sie Geltung erlangten (vgl Spenling/Kietaibl in KBB7 [2023] § 1151 ABGB Rz 11 mwH).
[50] 8.3.2. Der von der Revision und einzelnen die Analogiefähigkeit bejahenden Äußerungen im Schrifttum angezogene Verweis auf Regelungen anderer Gesetze überzeugt nicht: Die analoge Anwendung dieser Normen auf andere vertragliche Schuldverhältnisse setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus (RS0098756; RS0008845). Eine solche liegt nur vor, wenn die aus der konkreten gesetzlichen Regelung hervorleuchtenden Zwecke und Werte die Annahme nahelegen, das Gesetz sei gemessen an seiner eigenen Ansicht und immanenten Teleologie unvollständig und ergänzungsbedürftig, weil der Gesetzgeber einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen habe (vgl RS0008866 [insb T10, T13, T27]). Eine planwidrige Lücke wäre durch Gesetzesanalogie zu schließen, bei welcher die für einen bestimmten Einzeltatbestand angeordnete Rechtsfolge auf einen dem Wortlaut nach nicht geregelten Sachverhalt erstreckt wird, weil nach der im Gesetz zum Ausdruck kommenden Wertung anzunehmen ist, dass der geregelte und der ungeregelte Fall in den maßgeblichen Voraussetzungen übereinstimmen (RS0008845 [T6]).
[51] Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber Sonderregeln für eine bestimmte Branche bzw ein bestimmtes Berufsfeld traf, folgt grundsätzlich, dass er gerade dieses Regelungsfeld erfassen wollte. Ohne hinzutretende konkrete Umstände kann hingegen nicht davon ausgegangen werden, dass dem Gesetzgeber ein – zumal weites, seit Jahrzehnten literarisch vielerörtertes und von der Rechtsprechung vielbehandeltes – Rechtsgebiet wie der „freie Dienstvertrag“ im Allgemeinen und in seiner praktischen Vielgestaltigkeit gänzlich entgangen wäre und er aus diesem Grund die Erlassung von Bestimmungen zur näheren Regelung solcher Vertragstypen unbeabsichtigt versäumt hätte. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber für von ihm vorgefundene besondere Verhältnisse in einzelnen Branchen und bei bestimmten Arten freier Dienstverhältnisse konkrete Regelungen etwa für deren Kündigung getroffen hat, lassen sich daher nicht ohne weiteres induktiv allgemeine Regeln für alle Arten von freien Dienstverhältnissen ableiten. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber Gelegenheiten, solche zu etablieren (wie auch etwa hier mit BGBl I 2017/153), gerade nicht wahrgenommen hat.
[52] Dass ein allgemeines Regime für freie Dienstverträge bloß rechtspolitisch oder aus akademischer Sicht als erwünscht angesehen werden könnte, bildet aber keine ausreichende Grundlage für eine ergänzende Rechtsfindung durch Analogiebildung (vgl RS0103694). Den Gerichten steht es nämlich nicht zu, ohne Vorliegen einer Lücke gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und einen Regelungsinhalt rechtsfortbildend zu schaffen, dessen Herbeiführung ausschließlich diesem obläge (vgl RS0098756 [T3, T10, T14]; RS0008870 [T2]; RS0008757; 9 ObA 27/23w).
[53] 8.3.3. Das soeben Gesagte gilt gerade für das im Schrifttum und auch von der Revision als Beleg herangezogene HVertrG 1993 in besonderem Maße:
[54] Einerseits finden dessen Bestimmungen ihre Grundlage in der Umsetzung von unionsrechtlichen Vorgaben für Handelsvertreter (Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. 12. 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter; vgl ErläutRV 578 BlgNR 18. GP 8 f und 14). Auch wenn der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie einen von dieser eingeräumten Gestaltungsspielraum zugunsten des Handelsvertreters ausgenutzt haben mag, lassen sich aus dieser Sondergesetzgebung noch keine allgemeinen Aussagen betreffend andere oder gar alle Arten freier Dienstverhältnisse entnehmen. Dies erhellt schon daraus, dass das HVertrG 1993 selbst für die Einordnung als Handelsvertreter das kumulative Vorliegen weiterer Merkmale verlangt (vgl die Legaldefinitionen des Handelsvertreters in § 1 Abs 1 HVertrG 1993 und Art 2 Abs 1 RL 86/653/EWG ), welche bei anderen freien Dienstnehmern nicht gegeben sein müssen.
[55] Andererseits hatte der Gesetzgeber bereits seit der ersten Republik gerade das Regelungsfeld der Handelsagenten bzw Handelsvertreter als so bedeutsam erachtet, dass er es (nur) in Bezug auf diese Personengruppe für notwendig erachtete, ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen vorzusehen (vgl dazu auch ErläutRV 578 BlgNR 18. GP 8). Anderen Regelungsfeldern hingegen ist eine solche Behandlung seit Jahrzehnten nicht zuteil geworden.
[56] Dem Senat erschließt sich in diesem Lichte nicht, woraus abgeleitet werden könnte, dass die Kündigungsbestimmungen des HVertrG 1993 generell auf freie Dienstnehmer anzuwenden oder gerade jetzt (und nicht bereits unter Geltung der §§ 1159 ff ABGB aF) als Grundlage für eine Gesetzesanalogie herangezogen werden könnten.
[57] 9.1. Nichts anderes gilt im Lichte des Umstands, dass der Kläger – insofern unstrittig – als iSv § 1 Abs 1 IESG nach § 4 Abs 4 ASVG pflichtversicherter „dienstnehmerähnlicher“ freier Dienstnehmer anzusehen ist, dem grundsätzlich Insolvenz‑Entgelt zusteht (vgl oben Pkt 3.; Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 [2018] § 1151 ABGB Rz 133 mwN). Wie oben bereits ausgeführt geht dabei das IESG zwar vom arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff aus, ist mit diesem jedoch nicht deckungsgleich.
[58] Dass die sozialversicherungsrechtliche Einordnung nun jedoch die arbeitsrechtliche bestimmen sowie die Anwendung arbeitsrechtlicher Normen und den Umfang arbeitsrechtlicher Ansprüche (die ja grundsätzlich notwendige Voraussetzung und nicht Folge der sozialrechtlichen Ansprüche nach dem IESG sind) gleichsam in Gegenrichtung erweitern sollte, ist – zumal mit Analogie – nicht mehr begründbar.
[59] 9.2. „Arbeitnehmerähnlichkeit“ in arbeitsrechtlicher Hinsicht führt primär – prozessual – zur Zuständigkeit des Arbeits‑ und Sozialgerichts (§ 51 Abs 3 Z 2 ASGG). Weiters kommt es zur Anwendung einiger weniger materieller arbeitsrechtlicher Normen, die dies ausdrücklich vorsehen, wie etwa in DHG, AÜG, GlBG oder AuslBG. Regelmäßig werden in solchen Sondergesetzen Personen als dienst‑ bzw arbeitnehmerähnlich definiert, die, ohne in einem Dienst‑ oder Arbeitsverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter Personen Arbeit leisten und wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit als dienst‑ bzw arbeitnehmerähnlich anzusehen sind (vgl § 1 Abs 1 DHG, § 3 Abs 4 AÜG, § 1 Abs 3 Z 2 GlBG; keine Definition jedoch in § 2 Abs 2 lit b AuslBG). Andere arbeitsrechtliche Normen werden dagegen nicht als (allein) aufgrund von Arbeitnehmerähnlichkeit analog anwendbar angesehen: Über die Normen hinaus, die auf jeden freien Dienstvertrag mit persönlicher Leistung zur Anwendung kommen, weil sie gerade nicht dem Schutz des sozial Schwächeren dienen (vgl oben Pkt 5.1.), sind bloß jene soeben genannten sondergesetzlichen Normen anzuwenden, die dies ausdrücklich anordnen (Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 [2018] § 1151 ABGB Rz 124 und 132 mwH).
[60] Darüber hinaus wurde in vereinzelten älteren Entscheidungen die analoge Anwendung von arbeitsrechtlichen Vorschriften, welche die spezifische Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers zum Anlass haben, für den Fall erwogen, dass ein freier Dienstnehmer ebenso schutzbedürftig erscheine wie typischerweise abhängig beschäftigte Arbeitnehmer. Dies sei der Fall, wenn unter Bedachtnahme auf die organisatorischen Umstände, unter denen dem Vertragspartner die Arbeitsleistung erbracht werde, im Einzelfall die Arbeitnehmerähnlichkeit „besonders stark ausgeprägt“ und der Beschäftigte in Bezug auf seine Tätigkeit in seiner „Entschlussfähigkeit“ auf ein Mindestmaß eingeschränkt sei (vgl 8 ObA 240/95 = RS0065185 [arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz], unter Hinweis auf Grillberger, Glosse zu 4 Ob 45/81, DRdA 1984/5, 134 [138]; weitere Beispiele bei Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 [2018] § 1151 ABGB Rz 124/1 mwH: Kautionsschutzgesetz [14 ObA 10/87; vgl jedoch 8 ObA 57/06z = RS0063467 {T1, T2}]; Rückforderungsausschluss bei gutgläubigem Verbrauch des irrtümlich Geleisteten [4 Ob 36/78, DRdA 1979/11, 197 {krit Mayer‑Maly}]; weitere Analogien ablehnend Gruber‑Risak/Pfeil in Schwimann/Kodek ABGB5 [2021] § 1151 Rz 49; vgl auch Gruber‑Risak in Schwimann/Kodek, ABGB‑TaKomm6 [2023] § 1151 Rz 32).
[61] 9.3.1. Grundsätzlich gilt auch hier das oben in Pkt 8.3.1. Gesagte, wonach aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Anwendung einzelner Normen(‑bereiche) auf konkret definierte „arbeitnehmerähnliche“ Personen ausdrücklich angeordnet hat, sich nicht ohne weiteres allgemeine Regeln für alle freien Dienstverhältnisse von „arbeitnehmerähnlichen“ Personen generell ableiten lassen. Auch hier liegt es nahe, dass der Gesetzgeber die Gelegenheit, aus Anlass der Änderung des ABGB mit BGBl I 2017/153 die Anwendung der arbeitsrechtlichen Kündigungsbestimmungen auf freie Dienstnehmer oder allenfalls solche zu normieren, welche als „arbeitnehmerähnlich“ zu gelten hätten, bewusst nicht wahr-genommen hat; dass ihm der „freie Dienstvertrag“ oder „Arbeitnehmerähnlichkeit“ gänzlich entgangen wären, kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden.
[62] 9.3.2. Hier kann aber letztlich dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die zu Pkt 9.2. angesprochene ältere Rechtsprechung aufrecht erhalten und für die Beantwortung der Frage nutzbar gemacht werden kann, ob § 1159 ABGB nF auf im arbeitsrechtlichen Sinne „arbeitnehmerähnliche“ freie Dienstverhältnisse anzuwenden wäre:
[63] Die (unbestrittenen) Darlegungen des Klägers in erster Instanz haben sich nämlich auf eine allgemeine Beschreibung seiner Tätigkeit beschränkt, wonach er auch eigene Projekte einreichte bzw beantragte, keinen Beschränkungen für Nebenbeschäftigungen unterlag und nicht an Arbeitsort oder Arbeitszeiten gebunden war. Konkrete Umstände, aus denen bei ihm ungeachtet dessen eine (zudem besonders stark ausgeprägte) „Arbeitnehmerähnlichkeit“ ableitbar wäre, wurden dagegen – über die Merkmale nach § 1 Abs 1 IESG iVm § 4 Abs 4 ASVG sowie über die Behauptung hinaus, dass die Tätigkeit des Klägers für die Schuldnerin überwogen habe – nicht vorgebracht. In diesem Lichte ist aus den Darlegungen der Revision nicht ableitbar, warum Arbeitnehmerähnlichkeit des Klägers in oben in Pkt 9.2. dargelegter arbeitsrechtlicher Hinsicht vorliegen und solches zur Anwendung des dem § 20 AngG entsprechenden § 1159 ABGB nF führen könnte.
[64] 10.1. Zusammengefasst sind die Kündigungsbestimmungen nach § 1159 ABGB nF auf das vorliegende freie Dienstverhältnis nicht anzuwenden.
[65] 10.2. Wurde ein Dauerschuldverhältnis auf unbestimmte Zeit geschlossen, so kann es mangels gegenteiliger Vereinbarung unter Setzung einer angemessenen Frist frei, also ohne Vorliegen besonderer Kündigungsgründe gekündigt werden (RS0018924; vgl RS0111691). Wie lange Vertragsparteien an ihre Verpflichtungen gebunden bleiben, hängt nach der Rechtsprechung generell von der Art des Geschäfts und von den Fristen ab, die von redlichen Vertragsparteien üblicherweise vereinbart werden; dabei liefern die sachlich nächstliegenden Vorschriften und die Interessen der konkreten Vertragsparteien wesentliche Anhaltspunkte (vgl 4 Ob 4/22z).
[66] 10.3. Der Kläger und die Schuldnerin haben im unstrittigen Dienstvertrag eine beiderseitige Kündigungsfrist von vier Wochen für das mehr als drei Monate dauernde Dienstverhältnis vereinbart. Sie haben damit offenkundig die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltende Rechtslage nach §§ 1159 ff ABGB aF nachvollzogen. Schon in arbeitsrechtlicher Hinsicht wäre eine solche Frist keinesfalls als unangemessen kurz anzusehen. Welche andere gesetzliche Kündigungsfrist zur Anwendung kommen könnte, ist zudem nach Aufhebung der §§ 1159 ff ABGB aF ebenso wenig erkennbar wie eine Grundlage für die Anwendung einer längeren, über den 31. 12. 2022 hinausreichenden Kündigungsfrist.
[67] Bei Anwendung der vierwöchigen Frist wäre diese auch mangels kollektivvertraglichen oder gesetzlichen Kündigungstermins ab Wirksamkeit der Auflösungserklärung zu berechnen (vgl oben Pkt 3.2. und 8 ObS 15/16p = RS0131271). Ein Kündigungstermin ist dem Vertrag ohnehin nicht zu entnehmen.
[68] 10.4. Im Lichte dessen erschließt sich nicht, auf welcher Grundlage dem Kläger bei Dienstgeberkündigung am 29. 11. 2022 ein Anspruch nach § 25 IO auf Kündigungsentschädigung über den 31. 12. 2022 hinaus zustehen sollte. Daraus folgt, dass auch die Beklagte nicht verpflichtet ist, dem Kläger dementsprechendes Insolvenz‑Entgelt zu zahlen.
[69] 11.1. Als Ergebnis steht dem Kläger das von ihm begehrte restliche Insolvenz‑Entgelt nicht zu. Seiner unberechtigten Revision war daher nicht Folge zu geben.
[70] 11.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 ASGG.
[71] Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger nach Billigkeit iSd § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage (RS0085829 [insb T1]).
[72] Dass die Beklagte ihre Kosten des Verfahrens ungeachtet seines Ausgangs selbst zu tragen hat, folgt schon aus § 77 Abs 1 Z 1 iVm § 66 Abs 1 ASGG: Dass der Kläger der Beklagten durch Mutwillen, Verschleppung oder Irreführung Verfahrenskosten verursacht hätte (§ 77 Abs 3 ASGG), ist vor allem im Hinblick auf die vom Obersten Gerichtshof bislang nicht geklärten Rechtsfragen nicht erkennbar und wurde auch nicht dargelegt (vgl RS0117656).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)