OGH 8Ob57/25b

OGH8Ob57/25b23.6.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Mag. Malesich als Vorsitzende und die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * KG, *, vertreten durch Dr. Michael Nocker, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T* GmbH, *, vertreten durch die CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Rechnungslegung und Zahlung (Stufenklage gemäß Art XLII EGZPO), über die außerordentlichen Revisionen beider Parteien gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2025, GZ 1 R 168/24a‑35, berichtigt mit Beschluss vom 6. März 2025, GZ 1 R 168/24a‑37, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0080OB00057.25B.0623.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Beide außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I. Zur Revision der Klägerin:

[1] I.1.1. Eine Aktenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, das heißt wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolgedessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde, nicht aber schon dann, wenn die Feststellungen vom Parteivorbringen abweichen; Erwägungen der Tatsacheninstanzen, weshalb ein Sachverhalt als erwiesen angenommen oder bestimmte Feststellungen nicht getroffen werden können, fallen in das Gebiet der Beweiswürdigung (vgl RS0043347 [insb T10]).

[2] Fragen der Beweiswürdigung sind aber nicht revisibel; der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz (RS0042903 [T1, T2, T4, T5, T7, T8, T10]). Eine mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann daher im Revisionsverfahren nicht angefochten werden; nur wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht befasst, ist sein Verfahren mangelhaft (RS0043371). Diese Rechtsmittelbeschränkung kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass ein unerwünschtes Ergebnis der Behandlung der Beweisrüge etwa als Mangel des Berufungsverfahrens (RS0043371 [T28]) oder als angebliche Aktenwidrigkeit (vgl RS0117019) releviert wird. Vom Revisionsgericht ist daher nicht zu überprüfen, ob eine vom Berufungsgericht (im Rahmen der Beweiswürdigung) gezogene Schlussfolgerung richtig oder fehlerhaft ist (RS0043150 [T7]). Hat das Berufungsgericht aufgrund der vom Erstgericht aufgenommenen Beweise keine Bedenken gegen dessen Beweiswürdigung, so ist es selbst unter Heranziehung neuer Argumente zu einer Beweiswiederholung nicht verpflichtet (vgl RS0043125 [T9]).

[3] I.1.2. Die Revision der Klägerin macht als Mangel des Berufungsverfahrens geltend, dass das Berufungsgericht ihre Mängelrüge mit einer dem Akteninhalt widersprechenden Begründung verworfen und die Aussage einer Zeugin ohne Beweiswiederholung selbst gewürdigt habe. In weiterer Folge stellt die Revision umfangreiche eigene Überlegungen für von ihr in der Beweisrüge ihrer Berufung begehrte Ersatzfeststellungen an.

[4] Dazu genügt der Hinweis, dass die seitenlangen Darlegungen der Revision auf eine unzulässige neuerliche Ausführung einer Beweisrüge hinauslaufen. Der vorliegende Sachverhalt ist mangels Aktenwidrigkeit im oben dargelegten Sinne auch mit dem zu 4 Ob 163/04f beurteilten nicht vergleichbar.

[5] I.2.1. Der sogenannte Anscheinsbeweis beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (vgl RS0040266). Es muss ein objektiv typischer, auf allgemein gültigen Erfahrungssätzen beruhender Geschehensablauf bestehen (vgl RS0040274; RS0039895). Der Anscheinsbeweis darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RS0040287).

[6] Ein nach seinen Behauptungen listig Irregeführter ist für die Voraussetzungen der §§ 870, 872 ABGB behauptungs‑ und beweispflichtig, ihm kommt eine Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis generell nicht zugute (RS0014792 [T1]), allerdings kann im Einzelfall ein erster Anschein für List sprechen (vgl 3 Ob 47/16g).

[7] Die (rechtliche) Beurteilung, ob generell ein derartiger gewöhnlicher, aus einem gleichmäßigen, sich immer wiederholenden Hergang ergebender formelhafter Geschehensablauf vorliege, ist aber – wie die Revision der Klägerin selbst erkennt – notwendigerweise eine solche des Einzelfalls und daher grundsätzlich nicht revisibel (RS0022624 [T4, T5, T8, T11]; vgl 10 ObS 2/25d).

[8] Eine Rechtsrüge ist generell nur dann dem Gesetz gemäß ausgeführt, wenn dargelegt wird, aus welchen Gründen – ausgehend vom von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt – die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht unrichtig erscheint (RS0043603).

[9] I.2.2. Welcher – im genannten Sinne formelhaften und allgemein gültigen Erfahrungssätzen entsprechende – Geschehensablauf Grundlage für die Bejahung der Zulässigkeit eines Anscheinsbeweises im konkreten Einzelfall sein sollte, lässt sich weder dem Zulassungsantrag der Klägerin noch ihrer Rechtsrüge selbst entnehmen. Aus dem bloßen Umstand, dass die Änderung der Verrechnungsweise von zwischen Tochter‑ und Muttergesellschaft „vereinbarten“ Zahlungen dem (hier klagenden) Dritten, dem ein bestimmter Teil der zu zahlenden Gebühren vereinbarungsgemäß weiterverrechnet wird, nicht bekanntgegeben wird, ist nicht im dargelegten Sinne eines Erfahrungssatzes darauf zu schließen, dass dies regelmäßig und typischerweise zur arglistigen Verschleierung eines Wegfalls der der Weiterverrechnung an den Dritten zugrunde liegenden Verpflichtung geschähe.

[10] Die Klägerin zeigt daher keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung der Beweislastverteilung durch das Berufungsgericht auf, zumal die Ausführungen der Rechtsrüge feststellungsfremd unterstellen, dass der Beklagten eine arglistige Verschleierung des Wegfalls der den Grund der Weiterverrechnung an den Dritten bildenden Verpflichtung anzulasten sei.

[11] I.2.3. Soweit die Revision rechtliche Feststellungsmängel dahin behauptet, dass es Sache der Beklagten gewesen (es ihr aber nicht gelungen) wäre, einen diesbezüglichen Anschein der vorsätzlichen Irreführung zu entkräften, stehen dem zudem vom Erstgericht getroffene Feststellungen entgegen (vgl RS0043480 [T15, T19]), wonach der Klägerin die nach Änderung der Verrechnungsmethode entstandenen Mehrkosten nicht verrechnet wurden. Die Auslegung dieser Feststellungen durch das Berufungsgericht dahin, dass in den von der Beklagten an ihre Muttergesellschaft geleisteten Lizenzzahlungen weiterhin auch solche für die Kundendienstlizenz enthalten waren und sich aus den Festellungen des Erstgerichts ein Ende der gegenüber ihrer Muttergesellschaft auch im Hinblick auf die Kundendienstlizenz bestehenden Zahlungspflicht der Beklagten nicht ableiten lässt, ist im Einzelfall vertretbar (RS0118891). Der bloße Umstand, dass es sich nach der Umstellung der Verrechnungsmethode bei den Lizenzzahlungen nicht mehr um einen „Durchläufer“ im Sinne einer bloßen unmittelbaren Weiterleitung der Zahlungen der Klägerin an die Muttergesellschaft der Beklagten handelte, steht dem nicht entgegen.

II. Zur Revision der Beklagten:

[12] II.1.1. So wie bei der Auslegung von Urteilsfeststellungen im Einzelfall (RS0118891) stellt sich auch bei einer mit den Grundsätzen von Lehre und Rechtsprechung im Einklang stehenden Auslegung von Verträgen regelmäßig keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO (zB RS0042776; RS0042936; RS0044298; RS0044358; RS0112106 uva).

[13] II.1.2. Bei einer Stufenklage nach Art XLII EGZPO darf das Begehren auf Zahlung mit dem Rechnungslegungsbegehren verbunden werden, obwohl die Höhe des zu zahlenden Betrags erst nach erfolgter Rechnungslegung feststeht. Der Kläger darf hier ausnahmsweise die Bezifferung der Geldsumme vorläufig unterlassen und braucht sie erst nachzuholen, sobald die Rechnungslegung erfolgt bzw das zu fällende Urteil auf Rechnungslegung vollstreckt ist (4 Ob 72/20x mwN). Durch Art XLII EGZPO wird daher der Grundsatz des § 226 Abs 1 ZPO durchbrochen, wonach die Klage ein bestimmtes (und im Falle eines Leistungsbegehrens auch vollstreckbares) Begehren enthalten muss (vgl RS0034987).

[14] Das Gericht hat das Verfahren über den Rechnungslegungsanspruch vom Verfahren über den Leistungsanspruch getrennt zu führen (RS0035069), somit zuerst ausschließlich über die Rechnungslegung zu verhandeln und (stattgebendenfalls) darüber mit Teilurteil zu entscheiden. Erst nach dessen Rechtskraft hat der Kläger aufgrund der Ergebnisse der Rechnungslegung sein Leistungsbegehren durch zahlenmäßige Angabe des Klagsbetrags zu ergänzen. Das Gericht hat sodann das Verfahren über den Leistungsanspruch durchzuführen und mit Endurteil über das Zahlungsbegehren zu entscheiden. Es besteht somit grundsätzlich ein Verbot der gleichzeitigen Entscheidung über Manifestations‑ und Zahlungsbegehren (4 Ob 72/20x mwN). Bei der Erledigung des Rechnungslegungsbegehrens sind die Grundlagen des Zahlungsbegehrens (mit bindender Wirkung für dieses) nur insoweit zu prüfen, als sie sich mit den Grundlagen der Rechnungslegungspflicht decken (vgl RS0034978 [insb T2]); ist schon das Rechnungslegungsbegehren unberechtigt, dann ist gleichzeitig mit diesem auch der für sich allein unzulässige unbestimmte Leistungsanspruch abzuweisen (vgl RS0035113).

[15] II.2.1. Die Beklagte erblickt eine erhebliche Rechtsfrage darin, das Berufungsgericht habe verkannt, dass das Rechnungslegungsbegehren nicht erforderlich sei, um das Leistungsbegehren beziffern zu können, weil nach den Feststellungen die Beklagte der Klägerin weniger an Lizenzgebühren weiterverrechnet habe als jene selbst an ihre Muttergesellschaft zu entrichten gehabt hätte.

[16] II.2.2. Das Berufungsgericht hat jedoch die erstgerichtlichen Feststellungen – zumindest vertretbar – dahin verstanden, dass zwar die Gesamtzahlungen der Beklagten höher als die Gebühren für „Kundendienstlizenzen“ gewesen wären, welche vereinbarungsgemäß der Klägerin weiter zu verrechnen und von ihr zu tragen gewesen seien; jedoch wären in den – nach einer Umstellung der Verrechnungsweise zwischen der Beklagten und ihrer Muttergesellschaft – an diese zu leistenden Zahlungen Gebühren für (nunmehr nicht mehr sogenannte) „Kundendienstlizenzen“ zwar enthalten, stünden aber der Höhe nach nicht konkret fest. Die Revision zeigt in diesem Lichte nicht nachvollziehbar auf, warum das Manifestationsbegehren und damit auch das unbestimmte Leistungsbegehren schon aus dem Grund abweisungsreif sein sollten, dass aus den Feststellungen Letzteres mit keinem Betrag zu Recht bestehen könnte. Vielmehr hat das Berufungsgericht im Einklang mit der dargelegten Rechtsprechung zur Stufenklage darauf verwiesen, dass „Kundendienstlizenzen“ (nur) in dem Umfang von der Klägerin zu Recht bezahlt worden seien, in dem eine deckungsgleiche Verpflichtung der Beklagten gegenüber ihrer Muttergesellschaft bestanden habe. Genau auf die Klärung dieses Umstands und die dadurch ermöglichte konkrete Bezifferung des von der Klägerin behaupteten Rückforderungsanspruchs zielt das Rechnungslegungsbegehren ab.

[17] II.3.1. Soweit die Revision aus der unveränderten Höhe der von der Klägerin an die Beklagte zu entrichtenden Lizenzzahlungen ein konkludentes gänzliches Abgehen von der „Kopplung“ zwischen diesen Zahlungen und den von der Beklagten an ihre Muttergesellschaft zu leistenden Zahlungen erblicken will, zeigt sie ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[18] II.3.2. Mag auch RS0014190 nur einen hier nicht zu beurteilenden Verzicht auf ein Recht im Sinne des § 1444 ABGB betreffen, so ändert dies aber nichts daran, dass auch die Beurteilung der – nach einem strengen Maßstab zu prüfenden (vgl RS0014146) – Konkludenz von Willenserklärungen im Einzelfall grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet (RS0043253 [T1, T14]; RS0081754 [T6]; RS0109021 [T5, T7]).

[19] Wenn das Berufungsgericht aus den vorliegenden Feststellungen und insbesondere dem in der Revision ins Treffen geführten Mail vom 20. 12. 2018 lediglich eine Fortschreibung der Höhe der Lizenzgebühren zwischen den Parteien erblickte, aber keine gänzliche „Entkoppelung“ der Lizenzzahlungspflichten der Klägerin von denen der Beklagten ableiten konnte, so ist dies auch zumindest vertretbar und mangels grober Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts nicht revisibel (vgl RS0043253 [T7]; RS0081754 [T11]; RS0042555 [insb T18]).

[20] II.4. Im Einzelfall ebenfalls nicht zu bestanden ist die Auslegung der vertraglich vereinbarten Verjährungsbestimmungen durch das Berufungsgericht dahin, dass diese nur vertragliche Erfüllungsansprüche, nicht aber Rückforderungsansprüche beträfen, weil sie dazu dienen sollten, die regelmäßige Abrechnung von periodisch fällig werdenden vertraglichen Ansprüchen zu fördern; ob auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, wirft keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf (vgl RS0042776 [T2]).

[21] III. Zusammengefasst zeigt keine der Revisionen eine erhebliche Rechtsfrage auf, sodass sie zurückzuweisen sind, was zufolge § 510 Abs 3 ZPO keiner weiteren Begründung bedarf.

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