European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00129.24I.1205.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Insolvenzrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Die Revisionsrekursbeantwortung des Antragsgegners wird als verspätet zurückgewiesen.
II. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der erstgerichtliche Beschluss wiederhergestellt.
Begründung:
[1] Die Antragstellerin ist eine Bank mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Antragsgegner hat seinen Wohnsitz in Österreich und ist Unternehmer. Er ist Gesellschafter der M* I* GmbH (FN *), der M* M* GmbH (FN *) und der S* H* GmbH (FN *).
[2] Die A* Bank PLC (damals: Erstklägerin; im Folgenden: A*) und die Antragstellerin (damals: Zweitklägerin) nahmen den Antragsgegner (damals: Beklagter) vor dem High Court of Justice, Business and Property Courts of England and Wales, Commercial Court, Queen‘s Bench Division (im Folgenden: High Court) in Anspruch. Nach dem am 20. 3. 2019 ergangenen (Vollstreckungs-)Beschluss des High Court, dessen Grundlage zwei jordanische Urteile aus dem Jahr 2013 waren, mit denen der Antragsgegner schuldig erkannt worden war, einen Betrag von insgesamt rund 10,3 Mio USD zu zahlen, ist der Antragsgegner schuldig, der Antragstellerin 10.392.463 USD zuzüglich Zinsen und Kosten zu zahlen. Hinsichtlich der Erstklägerin wurde die Klage abgewiesen. Aufgrund des Beschlusses vom 20. 3. 2019 stellte der High Court eine Bescheinigung gemäß Art 53 EuGVVO 2012 aus.
[3] Mit Beschluss vom 12. 4. 2019 bewilligte das Bezirksgericht Freistadt der Antragstellerin gegen den Antragsgegner aufgrund der Entscheidung des High Court die Exekution zur Hereinbringung einer Forderung von (umgerechnet) 9.249.915,62 EUR samt Zinsen und Kosten. Im Folgenden wurden Anträge des Antragsgegners, dem Beschluss des High Court die Anerkennung und Vollstreckung in Österreich gemäß Art 45 und 46 EuGVVO 2012 zu versagen und das Exekutionsverfahren einzustellen, nach Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 23. 9. 2019, 3 Ob 126/20f, auf Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH und deren Vorliegen (C‑568/20 ) letztlich mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 19. 5. 2022, 3 Ob 71/22w, rechtskräftig abgewiesen. Der Oberste Gerichtshof sah es aufgrund der Vorabentscheidung des EuGH für den Anlassfall als geklärt an, dass es sich bei dem Beschluss des High Court um eine vollstreckbare Entscheidung im Sinn des Art 2 lit a EuGVVO 2012 handle, dass im österreichischen Vollstreckungsverfahren nicht geprüft werden dürfe, ob eine anzuerkennende und zu vollstreckende Entscheidung vorliege, und dass eine Versagung der Vollstreckung nur im Rahmen der Versagungsgründe der EuGVVO 2012 (Art 45) in Betracht komme. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners liege keine Verletzung des ordre public nach Art 45 Abs 1 lit a EuGVVO 2012 vor, habe sich doch nach den Feststellungen der High Court mit den vom Antragsgegner im englischen Verfahren gegen die zugrunde liegenden (im jordanischen Verfahren zuerkannten) Ansprüche erhobenen Einwände – darunter die angeblich fehlende Aktivlegitimation der Antragstellerin – inhaltlich befasst.
[4] Die Antragstellerin beantragte nunmehr aufgrund ihrer Forderung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragsgegners. Sie habe seit April 2019 erfolglos Exekution gegen ihn geführt. Er sei zahlungsunfähig, da er die fälligen Schulden mangels bereiter Zahlungsmittel nicht zu zahlen vermöge und sich die erforderlichen Zahlungsmittel auch nicht alsbald beschaffen könne. Seine einzigen Vermögenswerte seien seine Geschäftsanteile an den drei GmbH. Er unternehme seit 2019 alles nur erdenklich Mögliche, um das Exekutionsverfahren zu vereiteln. Die Fahrnisexekutionen seien ergebnislos verlaufen. Dass die Anteile des Schuldners an den drei GmbH einen Wert von rund 10 Mio EUR verkörperten, sei ausgeschlossen.
[5] Der Antragsgegner trat dem Insolvenzeröffnungsantrag entgegen. Die Antragstellerin sei nicht mehr forderungslegitimiert und damit nicht mehr insolvenzantragsberechtigt. Sie habe nämlich ihren gesamten Geschäftsbetrieb im Jahr 2014 an A* verkauft. Der Verkauf habe auch die der Antragstellerin gegen den Antragsgegner zustehende Forderung betroffen. Die Abtretung sei seit dem Jahr 2022 wirksam. Der jordanische Kassationsgerichtshof habe nämlich in seinem Beschluss vom 27. 3. 2022 in einer nicht den Antragsgegner betreffenden Angelegenheit festgestellt, dass alle Ansprüche der Antragstellerin aus ihrer Geschäftstätigkeit in Jordanien – einschließlich der titulierten Ansprüche – an A* übertragen worden seien und A* zustünden, dies auf Basis des im Jahr 2014 getroffenen Übereinkommens zwischen der Antragstellerin und A*. Die Abtretung der Forderungen an A* sei von der Antragstellerin mehrfach bestätigt worden. Dass die Antragstellerin dennoch gegen den Antragsgegner in Österreich gerichtlich vorgehe, widerspreche dem ordre public. Einer Exekutionsführung der Antragstellerin im Einvernehmen mit A* stehe entgegen, dass nach österreichischem Recht eine bloße Übertragung des Prozessführungsrechts ohne Innehabung der Forderung unzulässig sei. Tatsächlich führe in Jordanien auch A* gegen den Antragsgegner Exekution, wo sich ihm gehörige und jetzt gepfändete Vermögenswerte im Ausmaß von rund 20 Mio EURbefänden. Im Übrigen verfüge der Antragsgegner in Jordanien über ausreichendes Vermögen.
[6] Das Erstgericht eröffnete antragsgemäß das Konkursverfahren als Hauptinsolvenzverfahren und bestellte einen Masseverwalter. Es legte seiner Entscheidung den oben wiedergegebenen Sachverhalt als bescheinigt zugrunde und beurteilte diesen rechtlich zusammengefasst wie folgt: Die Entscheidung des High Court sei bindend und vollstreckbar. Nachträgliche Entscheidungen des Kassationsgerichtshofs in Jordanien oder Vereinbarungen zwischen der Antragstellerin und A* hätten keinen Einfluss auf die hier geltend gemachte Forderung. Dass die in den jordanischen Gerichtsverfahren der Antragstellerin zugesprochenen Forderungen wirtschaftlich tatsächlich A* zustünden, treffe aufgrund der Aktenlage zwar zu, ändere aber nichts daran, dass der High Court den Antragsgegner zur Zahlung an die Antragstellerin verurteilt, das Klagebegehren von A* demgegenüber abgewiesen habe. Nachträgliche Umstände, die das Forderungsrecht der Antragstellerin aufgehoben hätten, seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Behauptung eines erst nach der Urteilsfällung rechtswirksamen Forderungsübergangs von der Antragstellerin auf A*, etwa aufgrund nachträglicher Genehmigung der jordanischen Nationalbank, sei vom Antragsgegner nicht aufrecht erhalten worden; ein rechtswirksamer Forderungsübergang vor der Entscheidung des High Court wäre im Verfahren vor diesem zu thematisieren gewesen. Stehe die Forderung der Antragstellerin aber fest, dann stehe auch die Zahlungsunfähigkeit des Antragsgegners fest. Dass dieser behauptetermaßen in Jordanien Vermögenswerte in einer die Forderung der Antragstellerin übersteigenden Höhe besitze, ändere nichts an seiner aktuellen Unfähigkeit, die Forderung zu begleichen; dies umso mehr, als die Forderungswerte in Jordanien gepfändet worden seien und dem Schuldner nicht mehr zur Belehnung für Kreditgeber zur Verfügung stünden. Kostendeckendes Vermögen sei in Form der Geschäftsanteile des Antragsgegners vorhanden.
[7] Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluss in eine Abweisung des Insolvenzeröffnungsantrags ab. Es sah ergänzend folgenden Sachverhalt als bescheinigt an:
„Am 20. 1. 2014 hatte die H* [= Antragstellerin, Anm] einen schriftlichen Vertrag mit der A* über den Kauf bzw Verkauf des Bankgeschäfts der H* in Jordanien an die A* geschlossen, der unter anderem die Übertragung der 'Unternehmensforderungen' der H* von der H* auf die A* vorsah, wozu auch die Verbindlichkeiten laut dem Urteil gehören. Hinsichtlich des Verkaufs des Bankgeschäfts der H* an die A* bestätigte die jordanische Zentralbank ('CBJ') mit Schreiben vom 2. 6. 2014, dass die A* eine Vereinbarung über den Kauf der Aktiva und Passiva der H* Jordanien gemäß Artikel 82 des Bankwesengesetzes Nr. 28 für das Jahr 2000 in der geltenden Fassung abgeschlossen hat, und hielt ausdrücklich fest, dass sämtliche vor den Gerichten anhängigen Verfahren der bzw gegen die H* weiterhin im Namen der H* geführt würden. Die A* teilte mit Schreiben vom 10. 7. 2019 der jordanischen Wertpapierkommission mit, dass sie im Jahr 2014 in Übereinstimmung mit Artikel 82 des Bankengesetzes die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten der H* Limited erworben hat. Laut Beurteilung des jordanischen Kassationsgerichts vom 7. 8. 2019 im Fall 2019/3* hat die A* aufgrund einer am 3. 1. 2018 dem erstinstanzlichen Gericht als Tatsachengericht vorgelegten Erklärung der H* Ltd. die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten gemäß dem Kaufvertrag erworben und gilt die A* als spezieller Nachfolger der H* Bank und hat daher das Recht, ihre rechtlichen Rechte an den erworbenen Vermögenswerten der H* Bank auszuüben, einschließlich der Forderungen, Vergleiche, Einziehungen und alle anderen rechtlichen Handlungen als Eigentümer dieser Rechte, die auf sie übergegangen sind.“
[8] Rechtlich führte das Rekursgericht aus, der Sachverhalt lasse sich dahin zusammenfassen, dass die Antragstellerin die aus dem Jahr 2012 von jordanischen Gerichten stammenden, auf sie lautenden titulierten Forderungen seit 2014 zwar im eigenen Namen, aber doch auf Rechnung von A* exekutiv weiter verfolge und betreibe. Diese Sichtweise werde umso mehr durch jene ebenfalls von der Antragstellerin vorgelegten Urkunden bestätigt, wonach ihre Handlungsweise im vollkommenen Einvernehmen mit A* stehe. Würde die gegenständliche Forderung nicht materiell A* betreffen, machte diese Aussage keinen Sinn. Die Antragstellerin verlange dennoch nicht Leistung an A* obwohl A* die Forderung „wirtschaftlich“, also materiell-rechtlich betrachtet, gegen den Antragsgegner zustehe. Damit offenbare sich die Vorgangsweise der Antragstellerin beim Verfahren vor dem High Court als Prozessstandschaft nach österreichischem Prozessrecht, die als nationaler Versagungsgrund wahrgenommen werden könnte. Vor allem aber habe die Antragstellerin trotz der im Konkursverfahren geltenden beschränkten Neuerungserlaubnis eine Bescheinigung, dass sie nicht nur über den vor dem High Court erlangten Titel verfüge, sondern ihr die Forderung gegen den Antragsgegner auch tatsächlich materiell zustehe, nicht vorgelegt. Weil die Antragstellerin eine ihr zustehende Forderung nicht ausreichend bescheinigt habe, fehle es ihr an der für ein Konkursverfahren notwendigen Antragslegitimation; ihr Antrag sei schon deswegen abzuweisen.
[9] Das Rekursgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit über 30.000 EUR. Es ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung zu, es fehle Rechtsprechung zur Frage, inwieweit das Insolvenzgericht bei der Prüfung, ob der antragstellenden Gläubigerin eine materielle Forderung zustehe, an einen in einem summarischen Verfahren ergangenen Titel eines Gerichts eines (damaligen) EU‑Mitgliedstaats sowie an eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im darauf beruhenden Exekutionsverfahren gebunden sei.
[10] Gegen die rekursgerichtliche Entscheidung richtet sich der aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revisionsrekurs der Antragstellerin mit einem auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses gerichteten Abänderungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Antragsgegner beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung die Zurückweisung des Rechtsmittels, hilfsweise diesem den Erfolg zu versagen.
Zu I.:
[12] Im Insolvenzeröffnungsverfahren ist das Rechtsmittelverfahren zweiseitig (RS0116129), somit „mehrseitig“ iSd § 260 Abs 6 IO (idS ErläutRV 612 BlgNR 24. GP 35; Buchegger, Insolvenzrecht3 [2017] 117). Folglich ist eine Rechtsmittelbeantwortung nur binnen 14 Tagen ab der öffentlichen Bekanntmachung des Einlangens des Rechtsmittels zulässig (Satz 3 leg cit). Weil das Einlangen des Revisionsrekurses am 25. 9. 2024 in der Insolvenzdatei bekanntgemacht wurde, ist die am 10. 10. 2024 eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung (um einen Tag) verspätet und damit zurückzuweisen.
Zu II.:
[13] Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit nach § 528 Abs 1 ZPO iVm § 252 IO zulässig und auch berechtigt.
[14] 1. Gemäß § 70 Abs 1 IO ist auf Antrag eines Gläubigers das Insolvenzverfahren unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung oder Forderung aus einer Eigenkapital ersetzenden Leistung hat und, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist.
[15] 1.1. Der die Insolvenzeröffnung beantragende Gläubiger hat damit seine Forderung lediglich zu bescheinigen; ein Exekutionstitel für die Forderung oder eine Exekutionsführung ist nicht erforderlich (RS0064986). Die Anforderungen an die Bescheinigung sind gestaffelt:
[16] a) Stützt der Antragsteller seinen Insolvenzeröffnungsantrag auf eine nicht titulierte Forderung, ist an die Behauptung und die Bescheinigung der Forderung ein strenger Maßstab anzulegen. Die mit der Insolvenzeröffnung verbundenen Folgen für den Antragsgegner sind nämlich weitreichend, in der Regel existenzvernichtend und endgültig. Dem Rechtsmittel gegen den Insolvenzeröffnungsbeschluss kommt gemäß § 71c Abs 2 IO keine aufschiebende Wirkung zu, sodass die mit der Insolvenzeröffnung für den Schuldner verbundenen, in der Praxis teils irreversiblen Folgen sofort eintreten und auch im Wege einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung regelmäßig nicht zur Gänze beseitigt werden können. Es muss daher sichergestellt sein, dass der Antragsgegner (Schuldner) nicht nur aufgrund der Behauptungen eines vorgeblichen Gläubigers in den Konkurs getrieben wird (8 Ob 18/12y mwN; RS0064986 [T3]). Eine vom Antragsgegner substantiiert bestrittene, nicht titulierte Forderung kann folglich im Regelfall nicht als bescheinigte Insolvenzforderung nach § 70 Abs 1 IO angesehen werden (RS0064986 [T8]). Ist die Forderung von der Klärung strittiger Beweis- oder Rechtsfragen abhängig, so ist sie zur Antragsbescheinigung nicht geeignet (idS 8 Ob 282/01f).
[17] b) Demgegenüber wird ein wenngleich noch nicht rechtskräftiges Urteil zur Bescheinigung des Bestehens einer Insolvenzforderung als ausreichend angesehen (RS0064986 [T4]).
[18] c) Umso mehr ist das Bestehen einer Forderung des Antragstellers bescheinigt, wenn dieser über einen rechtskräftigen Titel verfügt, und erst recht, wenn er zu dessen Durchsetzung die Exekution bewilligt erhielt (vgl Übertsroider in Konecny, Insolvenzgesetze [2010] § 70 IO Rz 32 und 35).
[19] 1.2. Der Schuldner hat die Möglichkeit, durch geeignete Gegenbescheinigungen, die stichhaltige Zweifel an den Insolvenzvoraussetzungen erwecken, die Insolvenzeröffnung abzuwenden (RS0064986 [T7]). In Hinsicht auf das Bestehen einer Insolvenzforderung des Antragstellers sind an die Gegenbescheinigung umso strengere Anforderungen zu stellen, umso stärker die Forderung des Antragstellers bescheinigt ist. Hat der Gläubiger für seine Forderung bereits einen Exekutionstitel erworben und durch dessen Vorlage die Insolvenzforderung problemlos nachgewiesen, so reicht folglich zB die Einbringung einer Wiederaufnahmeklage oder einer Oppositionsklage nach § 35 EO für sich alleine nicht aus, die Bescheinigung der Insolvenzforderung zu widerlegen (Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 [2004] § 70 Rz 33).
[20] 1.3. Gemäß § 254 Abs 5 IO (vormals § 173 Abs 5 KO) hat das Gericht alle für seine Beurteilung erheblichen Tatsachen von Amts wegen zu erheben und festzustellen und hiezu alle geeigneten Erhebungen, insbesondere durch Vernehmung von Auskunftspersonen, zu pflegen und Beweise aufzunehmen. Der damit für das Insolvenzverfahren statuierte Untersuchungsgrundsatz begründet aber keine uferlose Nachforschungspflicht. Gerade das rasch und zügig zu durchmessende Eröffnungsstadium eignet sich nicht für ein umfangreiches, förmliches Beweisverfahren. Sowohl Antragsteller als auch Schuldner haben ohne zu strenge Erfordernisse an das Beweismaß das (Nicht-)Bestehen einer Forderung und das Vorliegen der Zahlungs-(un-)fähigkeit bloß glaubhaft zu machen (§ 70 IO), also zu bescheinigen (RS0064986 [T5]).
[21] 1.4. Im vorliegenden Fall stellt der Beschluss des High Court den Titel dar, auf den sich die Antragstellerin zur Bescheinigung ihrer Forderung nach § 70 Abs 1 IO stützt.
[22] Zwar ist die EuGVVO 2012 nach ihrem Art 1 Abs 1 lit b auf Konkurse nicht anzuwenden. Art 32 Abs 2 EuInsVO bestimmt aber, dass die Anerkennung und Vollstreckung anderer als der in Art 32 Abs 1 EuInsVO genannten Entscheidungen – und damit auch der Entscheidung des High Court, welche dem Art 32 Abs 1 EuInsVO nicht unterfällt – der EuGVVO 2012 unterliegen, sofern diese anwendbar ist. Damit wird vom Unionsgesetzgeber eine Lücke vermieden (vgl G. Kodek in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 V/1 [2022] Art 1 EuGVVO 2012 Rz 146 und 151). Aus Art 32 Abs 2 EuInsVO geht die Absicht des Unionsgesetzgebers hervor, dass alle Entscheidungen mit einem Insolvenzbezug nach Unionsrecht anerkannt und vollstreckt werden sollen (Scholz-Berger in KLS2 [2023] Art 32 EuInsVO Rz 16). Folglich ist für die Frage, ob die Entscheidung des High Court eine Insolvenzforderung iSd § 70 Abs 1 IO darstellt, zu prüfen, ob sie nach der EuGVVO 2012 in Österreich anzuerkennen ist.
[23] Diese Frage wurde bereits im von der Antragstellerin eingeleiteten Exekutionsverfahren geklärt. Nach der im Exekutionsverfahren eingeholten Vorabentscheidung des EuGH C‑568/20 ist der Beschluss des High Court eine Entscheidung iSd Art 2 lit a EuGVVO 2012 sowie iSd Art 39 EuGVVO 2012und außer im Fall, dass seine Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) in Österreich offensichtlich widersprechen würde (Art 45 Abs 1 lit a EuGVVO 2012), wie ein österreichischer Titel zu behandeln. Hierfür spricht auch die – noch vor Geltung des Gemeinschaftsrechts in Österreich – ergangene Entscheidung 5 Ob 354/87, wonach bei einem ausländischen Exekutionstitel durch die Exekutionsbewilligung bescheinigt ist, dass der Gläubiger über eine (vollstreckbare), im Konkurs des Schuldners als Insolvenzforderung iSd § 70 KO (IO) zu behandelnde Forderung verfügt. Dass der im 8., dem internationalen Insolvenzrecht gewidmeten Teil der IO enthaltene § 236 IO nur unter Hinweis auf „§ 102 IO“, somit auf das Verfahren über die Feststellung der Ansprüche, vorsieht, dass jeder Gläubiger das Recht hat, seine Forderungen im Insolvenzverfahren geltend zu machen, erlaubt nicht den Umkehrschluss, dass ausländische Gläubiger nicht berechtigt wären, nach § 70 IO die Insolvenzeröffnung zu beantragen. Zum einen hat nämlich § 236 IO – in Bezug auf § 102 IO, der ohnedies keine Diskriminierung ausländischer Gläubiger vorsieht – nur klarstellende Bedeutung; zum anderen lässt sich aus § 236 IO generell die Intention des Gesetzgebers ableiten, ausländische Gläubiger nicht zu diskriminieren (vgl Slonina in KLS2 [2023] § 236 Rz 1).
[24] Damit hat die Antragstellerin bestmöglich – nämlich durch Vorlage eines Titels sowie einer Exekutionsbewilligung – ihre Insolvenzforderung iSd § 70 Abs 1 IO bescheinigt. An die Gegenbescheinigung durch den Schuldner sind daher strengste Anforderungen zu stellen. Der Antragsgegner hat in diesem Sinne weder bescheinigt, dass die Forderung der Antragstellerin durch Erfüllung erloschen ist (§ 1412 ABGB), noch dass sich die Antragstellerin der Forderung durch Zession seit Erwirkung des Titels (Beschluss des High Court) begeben hat.
2. Es verbleibt auf die restlichen Einwände einzugehen:
[25] 2.1. Das Rekursgericht nimmt aufgrund des von ihm ergänzend als bescheinigt angenommenen Sachverhalts, wonach die Forderung wirtschaftlich A* zustehe und von der Antragstellerin nur auf Rechnung von A* verfolgt wird, die Ansicht ein, die Vorgangsweise der Antragstellerin beim Verfahren vor dem High Court könnte als Prozessstandschaft nach österreichischem Prozessrecht gewertet und dies als nationaler Versagungsgrund wahrgenommen werden.
[26] Nach der damit angesprochenen Bestimmung des Art 45 Abs 1 lit a EuGVVO 2012 ist einer Entscheidung die Anerkennung zu versagen, „wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde“. Die Anwendung der ordre-public-Klausel nach Art 45 Abs 1 lit a EuGVVO 2012 kommt nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann in Betracht, wenn die Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des ersuchten Staates als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts bewirken würde (EuGH C‑568/20 Rz 44). Worin genau die öffentliche Ordnung besteht, richtet sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Mitgliedstaates (Rassi in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 V/2 [2020] Art 45 EuGVVO 2012 Rz 15; Scholz-Berger, Anerkennung und Vollstreckung drittstaatlicher Entscheidungen im System der Europäischen Urteilsfreizügigkeit – Bemerkungen aus Anlass von OGH 3 Ob 71/22w, JBl 2023, 7 [12 in FN 55]).
[27] Weil die ordre-public-Klausel eine systemwidrige Ausnahme darstellt, wird allgemein sparsamster Gebrauch gefordert, eine schlichte Unbilligkeit des Ergebnisses genügt ebenso wenig wie der bloße Widerspruch zu zwingenden österreichischen Vorschriften. Gegenstand der Verletzung müssen vielmehr Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung sein (RS0110743 [T5]). Die „Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung“ sind dabei äußerst sparsam anzunehmen (idS RS0110743 [T11]).
[28] Richtig ist, dass die gewillkürte Prozessstandschaft nach der aktuellen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs grundsätzlich unzulässig ist (RS0053157; RS0032788; RS0032658). Davor war demgegenüber die Möglichkeit einer isolierten Übertragung der Prozessführungsbefugnis in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ausdrücklich anerkannt (RS0013118; weitere Rsp-Nachweise bei Iro, Abschied von der stillen Zession, RdW 1995, 375, und Kunz, Die Prozessstandschaft [2019] 158). Schon deshalb kann eine allfällig hier vorliegende Prozessstandschaft entgegen der Ansicht des Rekursgerichts nicht als schwerwiegender Verstoß gegen die Rechtsordnung im Sinne der ordre-public-Bestimmung des Art 45 Abs 1 lit a EuGVVO 2012 angesehen werden.
[29] 2.2. Sollte bereits bei Entscheidung des High Court die Forderung der Antragstellerin wirksam auf A* übergegangen gewesen sein, wäre die Verurteilung des Antragsgegners zur Zahlung der Forderung an die Antragstellerin und die Abweisung des inhaltsgleichen Klagebegehrens durch den High Court unrichtig; dessen Entscheidung erwuchs aber in Rechtskraft. Es ist nicht Aufgabe des Insolvenzgerichts, im Insolvenzeröffnungsverfahren rechtskräftige Titel auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (Übertsroider in Konecny, Insolvenzgesetze [2010] § 70 IO Rz 32).
[30] 3. Damit ist entgegen der Ansicht des Rekursgerichts die Antragstellerin bescheinigtermaßen Inhaberin einer offenen Insolvenzforderung und damit iSd § 70 Abs 1 IO antragslegitimiert. Dass der Antragsgegner bloß zahlungsunwillig ist oder bei ihm eine bloße Zahlungsstockung vorliegt, ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen, vielmehr leuchtet aus diesem seine Zahlungsunfähigkeit hervor. Weil auch kostendeckendes Vermögen vorliegt, hat das Erstgericht zutreffend das Insolvenzverfahren eröffnet; sein Beschluss war daher in Stattgebung des Revisionsrekurses wiederherzustellen.
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