European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00183.24A.0626.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei deren mit 3.013,80 EUR (darin 502,30 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin entwickelt und vertreibt Kochfeldabzüge, bei denen der Kochdunst nicht nach oben über eine Haube, sondern mittels eines in das Kochfeld integrierten Systems nach unten abgezogen wird.
[2] Die Beklagte vertreibt in Österreich ebenfalls Kochfelder mit integriertem Dunstabzug, die von einer deutschen Konzerngesellschaft hergestellt werden.
[3] Gestützt auf drei europäische Patente verlangte die Klägerin mit Klage vom 29. 7. 2022 von der Beklagten Unterlassung, Beseitigung, Auskunft, Rechnungslegung, Zahlung und Urteilsveröffentlichung.
[4] Mit (unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem) Beschluss vom 21. 12. 2022 wies das Erstgericht einen Sicherungsantrag der Klägerin ab. Es verneinte eine wortsinngemäße sowie eine äquivalente Verletzung der Klagspatente I und III. Des weiteren habe die Beklagte bescheinigen können, dass das Klagspatent II, das auf der Stammanmeldung aus dem Jahr 2012 beruhe, nach überwiegender Wahrscheinlichkeit in einem Einspruchsverfahren widerrufen oder in einem Nichtigkeitsverfahren für nichtig erklärt werde, sodass die Klägerin daraus keinen einstweiligen Rechtsschutz ableiten könne.
[5] In der vorbereitenden Tagsatzung vom 20. 4. 2023 trug das Erstgericht einen Schriftsatzwechsel auf und verkündete im Übrigen (soweit ersichtlich von Amts wegen) den Beschluss, dass das Verfahren hinsichtlich des Klagspatents II„bis zur rechtskräftigen Beendigung des Einspruchsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt unterbrochen und nur über Parteienantrag fortgesetzt wird“.
[6] In der vom Klagevertreter beantragten und den Parteienvertretern am 17. 5. 2023 zugestellten Beschlussausfertigung wurde dies mit „§ 156 PatG“ und dem Umstand begründet, „dass die Nichtigkeit des Klagspatent II wahrscheinlich ist und das Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des [nicht näher konkretisierten] Einspruchsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt zu unterbrechen war“.
[7] Die Klägerin erhob einerseits einen Rekurs gegen diesen Beschluss, dem vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 26. 1. 2024 (zugestellt am 1. 2. 2024) nicht Folge gegeben wurde. Gegen das Klagspatent II seien zahlreiche Einsprüche – unter anderem einer Konzerngesellschaft der Beklagten, nicht aber der Beklagten selbst – vor dem Europäischen Patentamt erhoben worden, über die bisher noch nicht entschieden worden sei. Die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass der Anspruch wahrscheinlich unzulässig erweitert worden sei und über die Offenbarung der Stammanmeldung hinausgehe, sei ebenso wenig korrekturbedürftig wie der Schluss, dass deswegen die Voraussetzung für eine Unterbrechung nach § 156 Abs 3 PatG vorlägen. Der Revisionsrekurs sei gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig.
[8] Andererseits beantragte die Klägerin am 20. 6. 2023 die Fortsetzung des Verfahrens, weil die Beklagte nicht binnen eines Monats ab Zustellung des Unterbrechungsbeschlusses einen Nachweis iSd § 156 Abs 3 und 4 PatG oder nach § 12 PatV-EG erbracht habe, dass sie entweder beim Patentamt einen Nichtigkeitsantrag eingebracht hat, ein Nichtigerklärungsverfahren zwischen den Streitteilen bereits anhängig ist, oder sie sich einem solchen Verfahren als Nebenintervenientin angeschlossen hat; oder (beim Europäischen Patentamt) Einspruch eingelegt hat oder sonst Partei eines bereits zwischen den Streitteilen anhängigen, gegen das (europäische) Patent gerichteten Einspruchsverfahrens ist.
[9] Die Beklagte beantragte, den Fortsetzungsantrag abzuweisen, weil die Frist nach § 156 Abs 3 PatG erst mit Rechtskraft des Unterbrechungsbeschlusses zu laufen beginne, und legte am 27. 2. 2024 (und sohin binnen eines Monats nach Zustellung der Rechtsmittelentscheidung) einen gegen den österreichischen Teil des Klagspatents II eingebrachten Nichtigkeitsantrag vor.
[10] Überdies stellte die Beklagte am 26. 6. 2023 den Antrag, einen „abgeänderten Unterbrechungsbeschluss“ dahingehend zu treffen, dass das Verfahren hinsichtlich Klagspatent II in Übereinstimmung mit § 156 Abs 3 PatG bis zur Rechtskraft eines Nichtigkeitsverfahrens unterbrochen werde, das sie eingeleitet oder dem sie sich als Nebenintervenientin angeschlossen habe. Es sei ihr nämlich nicht mehr möglich gewesen, dem von ihrer Konzerngesellschaft angestrengten Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt beizutreten, weil ein solcher Beitritt gemäß Art 105 EPÜ iVm Regel 89 EPÜ nur binnen drei Monaten ab Einbringung der Verletzungsklage zulässig gewesen wäre.
[11] Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 25. 7. 2024 wies das Erstgericht den Fortsetzungsantrag der Klägerin ab (Punkt 2.) und sprach „wegen irrtümlicher Unterlassung gemäß §§ 419, 430 ZPO“ aus (Punkt 1.): „Dem als Berichtigungsantrag zu wertenden Antrag der Beklagten auf Fassung eines neuerlichen Unterbrechungsbeschlusses wird Folge gegeben und der Spruch des Beschlusses vom 15. 5. 2023, ON 31, dahingehend berichtigt, dass das Verfahren wegen wahrscheinlicher Nichtigkeit des Klagspatents II nicht nur im Hinblick auf ein bereits laufendes Einspruchsverfahren samt zeitlicher Eingrenzung, sondern vielmehr grundsätzlich im Hinblick auf alle weiteren der Beklagten diesfalls offen stehenden Handlungsmöglichkeiten (§ 156 Abs 3, 4 PatG, § 12 PatV‑EG) – insofern allerdings ohne zeitliche Eingrenzung – unterbrochen wird.“Da die Beklagte zwischenzeitlich einen entsprechenden Nachweis erbracht habe, habe es bei der Unterbrechung zu bleiben.
[12] In ihrem Rekurs begehrte die Klägerin vorrangig, Spruchpunkt 2. dieses Beschluss dahin abzuändern, dass ihrem Fortsetzungsantrag stattgegeben werde.
[13] Das Rekursgericht gab diesem Hauptantrag Folge und änderte den Beschluss (erkennbar gemeint: in seinem Punkt 2.) dahin ab, dass „das Verfahren hinsichtlich des Klagspatents II ohne Berücksichtigung des von der beklagten Partei erhobenen Nichtigkeitseinwands fortgesetzt wird“.
[14] Durch die Bezugnahme auf § 156 PatG habe das Erstgericht in seinem ursprünglichen Unterbrechungsbeschluss hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, von den dort normierten Voraussetzungen nicht abgehen zu wollen, sodass das ausschließlich von einer Dritten geführte Einspruchsverfahren der Fortsetzung nicht entgegenstehe.
[15] Schon der Wortlaut von § 156 Abs 3 PatG („binnen einem Monat ab Zustellung des Unterbrechungsbeschlusses“) spreche gegen die Annahme, dass erst die Rechtskraft des Unterbrechungsbeschlusses die Frist auslöse. Dieses Verständnis stehe in Einklang mit § 524 Abs 1 ZPO, wonach Rekursen keine aufschiebende Wirkung in Bezug auf die Ausführung des angefochtenen Beschlusses und den Eintritt der Vollstreckbarkeit zukomme. Auch die Gestaltungswirkungen eines (Unterbrechungs-)Beschlusses träten unmittelbar mit dessen Wirksamkeit – meist also durch Zustellung – ein. Der Argumentation der Beklagten, es wäre nicht prozessökonomisch, ein Nichtigkeitsverfahren „auf Verdacht“ einzuleiten, sei entgegenzuhalten, dass die Vorlage des Unterbrechungsbeschlusses gemäß § 157 Abs 1 Z 1, 5 PatG zu einer Beschleunigung des Nichtigkeitsverfahrens und einer Verkürzung der Rechtsmittelfristen führe. Der Gesetzgeber habe also eine rasche Klärung des Bestands des Patents vor Augen gehabt, wenn es im Verletzungsverfahren angezweifelt werde. Dieser Intention würde ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Unterbrechungsbeschlusses zuwiderlaufen.
[16] Die vom Erstgericht angeordnete Berichtigung habe auch keinen neuen Fristenlauf ausgelöst. Insoweit könne auf die Rechtsprechung zu Rechtsmittelfristen zurückgegriffen werden. Hier sei die Stellung der Beklagten durch die Berichtigung nicht nachteilig verändert worden.
[17] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil es sich bei der Fristenberechnung nach § 156 Abs 3 ZPO um eine über den Einzelfall hinaus bedeutsame Frage handle, die vom Obersten Gerichtshof bislang noch nicht beantwortet worden sei.
Rechtliche Beurteilung
[18] Der Revisionsrekurs der Beklagten, mit dem sie eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses erreichen will, ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.
I. Zur Zulässigkeit
[19] I.1 Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist aufgrund der Reihung der Rekursanträge der Klägerin primär Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Beschlusses, sohin der Fortsetzungsantrag der Klägerin, und nicht die Berichtigung des ursprünglichen Unterbrechungsbeschlusses laut Punkt 1.
[20] II.2 § 192 Abs 2 ZPO sieht einen Rechtsmittelausschluss für Beschlüsse vor, mit denen ua eine Unterbrechung verweigert oder einem Fortsetzungsantrag stattgegeben wird (vgl RS0037071; RS0037003: RS0037074: RS0037067 uvm). Anderes gilt jedoch dann, wenn die Unterbrechung zwingend vorgeschrieben ist (vgl RS0037034, RS0037020, RS0037066).
[21] § 156 Abs 3 PatG hat nach ständiger Rechtsprechung des Fachsenats einen derartigen zwingenden Charakter, weswegen ein Revisionsrekurs gegen einen Beschluss des Rekursgerichts zulässig ist, mit demein die Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 156 Abs 3 PatG anordnender Beschluss des Erstgerichts in eine Antragsabweisung abgeändert wurde (vgl RS0071386; RS0037066; 4 Ob 41/15f).
[22] Nichts anderes kann für die Stattgabe eines auf § 156 Abs 3 4. Satz PatG gestützten Fortsetzungsantrags durch das Rekursgericht gelten. Die Zulässigkeit des Revisionsrekurses richtet sich daher nach § 528 Abs 1 ZPO und ergibt sich hier aus einem Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung.
II. Zur Sache:
[23] 1. § 156 PatG (idF der Patent- und MarkenrechtsNovelle 2014, BGBl I Nr 126/2013) lautet:
§ 156 Vorfragen
(1) Die Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patentes, auf das die Verletzungsklage gestützt wird, kann vorbehaltlich des Abs. 3 vom Gericht als Vorfrage selbständig beurteilt werden.
(2) Das Gericht erster Instanz hat dem Patentamt von jedem Urteil, in dem die Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patentes beurteilt worden ist, eine mit der Bestätigung der Rechtskraft versehene Ausfertigung zum Anschlu ss an die Erteilungsakten zu übermitteln. Auf ein solches Urteil ist im Patentregister hinzuweisen.
(3) Hängt ein Urteil davon ab, ob das Patent nichtig (§ 48) ist, so hat das Gericht diese Frage vorerst selbständig zu prüfen. Das Patentamt erstellt auf Ersuchen des Gerichts ein schriftliches Gutachten, ob aufgrund der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Schriftstücke die Nichtigerklärung des Patentes wahrscheinlich ist. Hält das Gericht die Nichtigkeit des Patentes aufgrund des Beweisverfahrens für wahrscheinlich, so hat es das Verfahren zu unterbrechen. Wenn der Beklagte nicht binnen einem Monat ab Zustellung des Unterbrechungsbeschlusses nachweist, dass er beim Patentamt einen Nichtigkeitsantrag eingebracht hat, dass ein Nichtigerklärungsverfahren zwischen den Streitteilen bereits anhängig ist oder dass er sich einem solchen Verfahren als Nebenintervenient angeschlossen hat, hat das Gericht das Verfahren auf Antrag des Klägers fortzusetzen. In diesem Fall hat das Gericht ohne Rücksicht auf den Einwand der Nichtigkeit zu entscheiden. Eine hierüber vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung ergehende Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ist jedoch zu berücksichtigen.
(4) Ist ein Verfahren über eine Verletzungsklage gemäß Abs. 3 unterbrochen worden, kann der Beklagte anstelle des Nachweises, dass er einen Nichtigkeitsantrag eingebracht hat, dass ein Nichtigerklärungsverfahren zwischen den Streitteilen bereits anhängig ist oder dass er sich einem solchen Verfahren als Nebenintervenient angeschlossen hat, den Nachweis erbringen, dass er gegen das Patent einen Einspruch erhoben hat.
(5) Ist das Gerichtsverfahren wegen eines beim Patentamt anhängigen Verfahrens unterbrochen worden, so hat das Gericht nach Rechtskraft der Entscheidung über die Vorfrage das Verfahren auf Antrag einer Partei fortzusetzen und ihm die Vorfragenentscheidung zugrunde zu legen.
(6) Ist die Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patentes vom Patentamt oder den Rechtsmittelinstanzen anders beurteilt worden als vom Gericht im Verletzungsstreit, so kann darauf eine Wiederaufnahmsklage (§ 530 Abs. 1 ZPO) gestützt werden; es sind für die Zuständigkeit der § 532 Abs. 2 ZPO und für die Unterbrechung des Rechtsmittelverfahrens der § 544 Abs. 1 ZPO sinngemäß anzuwenden; die Klagefrist (§ 534 Abs. 1 ZPO) ist von dem Tag an zu berechnen, an dem die Entscheidung über die Gültigkeit oder Wirksamkeit des Patentes in Rechtskraft erwachsen ist.
[24] 2.1 Für die Beurteilung, welcher Umstand die Frist nach § 156 Abs 3 PatG auslöst, ist diese Norm nach den Maßstäben der §§ 6, 7 ABGB und der ständigen Rechtsprechung dazu auszulegen.
[25] Die Auslegung jeder Norm hat mit der Wortinterpretation zu beginnen, somit mit der Erforschung des Wortsinns, der Bedeutung eines Ausdrucks oder eines Gesetzes nach dem Sprachgebrauch (RS0008896). Überdies ist der Zusammenhang der auszulegenden Worte und Sätze mit anderen Worten und Sätzen der betreffenden Gesamtregelung und ihrer systematischen Stellung zu berücksichtigen (logische Auslegung, RS0008787). Bleibt nach Wortinterpretation und logischer Auslegung die Ausdrucksweise des Gesetzes dennoch zweifelhaft, ist die Absicht des Gesetzgebers zu erforschen (RS0008836), wofür auch Gesetzesmaterialien herangezogen werden können (RS0008800, RS0008776). Der Sinn der Bestimmung ist unter Bedachtnahme auf ihren Zweck zu erfassen (objektiv-teleologische Interpretation) und die gesetzgeberische Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe sind selbständig weiter und zu Ende zu denken (RS0008836 [T4]). Aufgabe des Rechtsanwenders ist es, unter gleichzeitiger Heranziehung aller zur Verfügung stehender Kriterien in wertender Entscheidung den Sinn der Regelung klarzustellen (RS0008836 [T3]).
[26] 2.2.1 Dem Rekursgericht ist beizupflichten, dass schon der Wortlaut der Bestimmungfür die von ihm und der Klägerin vertretene Auslegung spricht, stellt § 156 Abs 3 PatG doch nur auf eine „Zustellung des Unterbrechungsbeschlusses“ ab, während etwa Abs 2 ausdrücklich auf eine mit einer „Bestätigung der Rechtskraft versehene Ausfertigung“ Bezug nimmt und Abs 5 auf die „Rechtskraft der Entscheidung über die Vorfrage“. Nach Abs 6 ist die Klagefrist für die Wiederaufnahmsklage „von dem Tag an zu berechnen, an dem die Entscheidung über die Gültigkeit oder Wirksamkeit des Patentes in Rechtskraft erwachsen ist“.Auch § 157 Abs 1 Z 1 PatG spricht bloß davon, dass jemand „den Unterbrechungsbeschluss“ vorlegt, während § 161 PatG bei der Strafverfolgung den Lauf der Monatsfrist des § 156 Abs 3 PatG mit der „Zustellung einer Aufforderung des Strafgerichtes an den Beschuldigten“ beginnen lässt.
[27] Eine Zustellung des rechtskräftigen Beschlusses, wie § 156 Abs 3 PatG nach Ansicht der Beklagten zu lesen sei, ist in den Verfahrensgesetzen hingegen nicht üblich. (Sie findet etwa nach § 426 ZPO dann statt, wenn bei einem mündlich verkündeten Beschluss auf Rechtsmittel, nicht jedoch auf Beschlussausfertigung verzichtet wurde. Ansonsten wird der erstinstanzliche Beschluss zugestellt, und nach ungenütztem Verstreichen der Rechtsmittelfrist oder Ausschöpfung des Instanzenzugs dessen Rechtskraft und Vollstreckbarkeit gemäß § 7 EO, § 150 GeO in einem Aktenvermerk und mittels Stampiglie auf den Ausfertigungen bestätigt; s auch § 156 Abs 2 PatG).
[28] 2.2.2 Was die Systematik und den Zweck betrifft, ist § 156 Abs 3 ZPO insofern eine Besonderheit, als eine Unterbrechung nach der allgemeinen Bestimmung des § 190 ZPO ein bereits anhängiges gerichtliches oder Verwaltungsverfahren voraussetzt. § 191 ZPO, wonach ein Zivilverfahren wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung auch dann unterbrochen werden kann, wenn (noch) kein Strafverfahren anhängig ist, ist einerseits fakultativ und andererseits im Zusammenhang mit der amtswegigen Anzeigepflicht nach § 78 StPO zu sehen (vgl Höllwerth in Fasching/Konecny 3 II/3 § 190 ZPO Rz 74; § 191 ZPO Rz 5 f, 15 ff).
[29] Gemäß § 391 Abs 2 EO ist in einem Beschluss, mit dem eine einstweilige Verfügung vor Einleitung eines Prozesses erlassen wurde, (idR) eine „angemessene Frist“ für die Einbringung der Rechtfertigungsklage zu setzen. Nach der Rechtsprechung verfolgt diese Bestimmung den Zweck, die gefährdete Partei unter Androhung der Aufhebung der einstweiligen Verfügung zu zwingen, die zur Geltendmachung des behaupteten Anspruchs notwendige Klage in möglichst kurzer Zeit anzubringen, damit die durch die einstweilige Verfügung geschaffene Lage unverzüglich einer Klärung zugeführt wird (RS0005632; vgl auch Kodek in Deixler‑Hübner, EO, § 391 Rz 23a).
[30] Das Rekursgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass auch § 157 PatG eine Beschleunigung eines Nichtigkeits- bzw Einspruchsverfahrens für den Fall der Unterbrechung vorsieht (s dazu jüngst 4 Ob 111/24p). Dies kann als gesetzgeberischer Interessenausgleich verstanden werden. Einerseits soll ein doppelter Verfahrensaufwand durch die zwingende Unterbrechung – im Sinne des von der Beklagten ins Treffen geführten Grundsatzes der Prozessökonomie – vermieden werden, andererseits soll aber ein bereits anhängiger Streit über einen konkreten Verletzungsvorwurf zeitnah einer Klärung zugeführt werden.
[31] Die Regierungsvorlage zur Patentrechts- und Gebührennovelle 2004, BGBl I Nr 149/2004 (621 dB XXII. GP S 22), nimmt zwar nicht explizit zur Fristberechnung Stellung, verweist zu § 156 und § 157 PatG aber ebenfalls auf die „Vermeidung von Verfahrensverzögerungen“ und den Beschleunigungsgrundsatz.
[32] Systematik und Zweck sprechen somit ebenfalls dafür, die Frist des § 156 Abs 3 PatG bereits mit der Zustellung des Unterbrechungsbeschlusses beginnen zu lassen; dies steht zudem in Einklang mit der Wirksamkeit von Beschlüssen gemäß § 426 Abs 1 ZPO. (Ob diese Auslegung auch für den Fall einer mündlichen Verkündung bei gleichzeitigem Rechtsmittelverzicht gilt, muss hier nicht geklärt werden.)
[33] Soweit die Beklagte beispielhaft auf § 117 Abs 4 WRG und die Entscheidung 1 Ob 31/19v sowie auf § 20 lit c StarkstromwegeG und 1 Ob 62/21f verweist, ist ihr entgegenzuhalten, dass es dort jeweils um die Frage ging, ob eine Partei, gegen die ein Bescheid erlassen worden war, das Gericht anrufen muss, solange dessen Bestand noch ungewiss ist. Hier ist die Parteien- und Interessenlage wie aufgezeigt jedoch eine andere. Während die Klägerin den Verletzungsstreit eingeleitet hat und auch führen will, ist es Sache der Beklagten, ob sie zur Abwehr der gegen sie erhobenen Ansprüche den Einwand der Nichtigkeit des Patentes erheben will oder nicht (vgl 4 Ob 368/86).
[34] 2.3 Die Monatsfrist des § 156 Abs 3 PatG begann hier somit mit der Zustellung der Beschlussausfertigung am am 17. 5. 2023 und war sohin im Zeitpunkt der Einbringung des Nichtigkeitsantrags durch die Beklagte am 27. 2. 2024 längst abgelaufen.
[35] 3.1 Die Beklagte stützt ihren Revisionsrekurs weiters darauf, dass der Berichtigungsbeschluss vom 25. 7. 2024 eine neue Frist nach § 156 Abs 3 PatG ausgelöst habe.
[36] Da im Revisionsrekursverfahren vorrangig über den Fortsetzungsantrag zu entscheiden ist, ist weder auf die Voraussetzungen der §§ 419, 430 ZPO einzugehen, noch der ursprüngliche Beschluss auszulegen. Soweit die Beklagte in ihrem Revisionsrekurs (vermeintliche) Unterschiede herausarbeitet, ist ihr daher nur kurz entgegenzuhalten, dass eine Berichtigung nach § 419 ZPO gemäß ständiger Rechtsprechung nur dann zulässig ist, wenn das, was ausgesprochen wurde, offensichtlich nicht dem Willen des Gerichtes zur Zeit der Fällung der Entscheidung entsprochen hat und sich dies aus dem ganzen Zusammenhang und insbesondere aus den Entscheidungsgründen ergibt (vgl RS0041418 uvm).
[37] 3.2 Dem Rekursgericht kann ebenfalls darin beigepflichtet werden, dass für die Lösung dieser Frage die Rechtsprechung zum Lauf der Rechtsmittelfrist bei der Berichtigung einer Entscheidung – zumindest wertungsmäßig – herangezogen werden kann. In beiden Fällen muss eine Partei aktiv tätig werden, um einen Rechtsnachteil von sich abzuwenden, nämlich zum einen die Wirkungen einer Entscheidung, und zum anderen die Verfahrensfortsetzung.
[38] Nach jüngerer ständiger Rechtsprechung beginnt die Rechtsmittelfrist erst mit Zustellung der berichtigten Entscheidung (neu) zu laufen (vgl RS0041797). Zur Vermeidung eines Missbrauchs gilt dies jedoch nicht, wenn Rechtsmittelwerber über den wirklichen Inhalt der Entscheidung nicht im Zweifel sein konnte (RS0041797 [T1]; RS0041760) sowie dann, wenn die Berichtigung die Stellung des Rechtsmittelwerbers nicht zu seinem Nachteil veränderte (RS0041797 [T4]).
[39] Geht man im Sinne des Erstgerichts und des Revisionsrekurses von einem berichtigungsfähigen Fehler aus, konnte die Beklagte hier aus dem Gesamtzusammenhang aber keinen Zweifel haben, dass das Erstgericht einen Beschluss iSd § 156 Abs 3 PatG fassen wollte, und sie daher binnen eines Monats einen Nachweis vorzulegen hat, dass sie ein entsprechendes Verfahren iSd § 156 Abs 3 oder Abs 4 PatG bzw § 12 PatV‑EG eingeleitet oder sich an einem solchen beteiligt hat. Die spätere angeordnete Berichtigung hätte dies daher nur klargestellt. (Wäre die Beklagte hingegen der Meinung gewesen, dass der Spruch des Unterbrechungsbeschlusses zu eng gefasst und sie dadurch beschwert ist, insbesondere weil Rechtsunsicherheit darüber besteht, welche Anträge von ihr eingebracht werden können bzw müssen, oder das Erstgericht zu Unrecht einen Beschluss nach § 190 ZPO gefasst hat, wäre es an ihr gelegen, selbst einen Rekurs zu erheben.)
[40] Bei der Übertragung dieser Grundsätze ist zudem die unterschiedliche Ausgangslage zu berücksichtigen: Bei der Berichtigung von Entscheidungen nach § 419 ZPO steht die Rechtskraftwirkung und der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels im Vordergrund. § 156 Abs 3 PatG hat jedoch – wie eingangs bereits dargelegt – die Verfahrensbeschleunigung vor Augen, wobei die Fortsetzung die Einbringung eines Nichtigkeitsantrags und dessen Berücksichtigung im Verletzungsverfahren nicht generell abschneidet, sondern eine vor Schluss der mündlichen Verhandlung ergehende Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung zu berücksichtigen ist (zur Wiederaufnahmsklage s § 156 Abs 6 PatG). Es spricht also auch aus diesem Gesichtspunkt nichts dagegen, die Frist bereits mit Zustellung des ursprünglichen Beschlusses beginnen zu lassen, wenn sich daraus (aus objektiver Sicht) hinreichend klar ergibt, dass es sich um einen Beschluss nach § 156 Abs 3 PatG handeln soll.
[41] 3.3 Selbst wenn man auf die Wertungen des § 146 ZPO abstellen würde, wäre es Sache der Beklagten gewesen, binnen 14 Tagen ab Wegfall des Hindernisses – hier ab Kenntnis, dass ein Beitritt zum bereits anhängigen Nichtigkeitsverfahren vor dem Europäischen Patentamts nicht mehr möglich war – die versäumte Prozesshandlung nachzuholen. Sie beantragte jedoch am 26. 6. 2023 nur, einen „abgeänderten Unterbrechungsbeschluss“ zu fassen, ohne einen entsprechenden Nichtigkeitsantrag einzubringen.
[42] 3.4 Dem Rekursgericht ist somit beizupflichten, dass der von der Beklagten erst am 27. 2. 2024 eingebrachte Nichtigkeitsantrag – ungeachtet des erstinstanzlichen Berichtigungsbeschlusses – der von der Klägerin beantragten Verfahrensfortsetzung gemäß § 156 Abs 3 PatG nicht entgegensteht.
[43] III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Ein Streit über eine Verfahrensunterbrechung ist aus kostenrechtlicher Sicht ein selbständiger Zwischenstreit, über dessen Kosten unabhängig vom Verfahrensausgang in der Hauptsache zu entscheiden ist (vgl RS0035908, RS0035955 [T1]).
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