OGH 1Ob128/24s

OGH1Ob128/24s25.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und die Hofräte Dr. Steger, Mag. Wessely‑Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei M* AG, *, Deutschland, vertreten durch die CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 8.100 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 22. Februar 2024, GZ 5 R 251/23g‑33, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 6. September 2023, GZ 4 C 790/22f‑27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0010OB00128.24S.0325.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Unionsrecht, Zivilverfahrensrecht

 

Spruch:

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom 27. Oktober 2023 des Landgerichts Ravensburg (Deutschland), Rechtssache C‑666/23 , unterbrochen.

Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 11. 3. 2021 von einem Dritten um 27.000 EUR einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten PKW Mercedes V250CDI mit einem Dieselmotor vom Typ OM 651 der Abgasklasse Euro 6b. Dieser Motor verfügt – nach Aufspielen eines Software‑Updates – über ein sogenanntes „Thermofenster“, bei dem eine vollständige Abgasrückführung innerhalb eines Temperaturbereichs von minus 10 Grad Celsius bis plus 40 Grad Celsius erfolgt. Bei Temperaturen darüber und darunter wird die Abgasrückführungsrate reduziert.

[2] Der Kläger wirft der Beklagten vor, dass es sich bei diesem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der VO 715/2007/EG handle. Er begehrt Zahlung von 8.100 EUR als Ausgleich für den durch die verbotene Abschalteinrichtung verursachten (30%igen) Minderwert des Fahrzeugs und erhob ein Feststellungsbegehren. Der Kläger stützt seine Ansprüche insbesondere auf einen Verstoß der Beklagten gegen Art 5 der VO 715/2007/EG sowie gegen die §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB.

[3] Die Beklagte wandte unter anderem ein, sie habe weder Manipulationen am Motor vorgenommen noch den Kläger getäuscht oder sittenwidrig geschädigt. Der vorliegende Motorentyp sei vom deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt (KBA) genehmigt worden. Diese Behörde habe jahrelang die Rechtsansicht vertreten, dass eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführungsrate zulässig sei. Sollte dies nach nunmehr vertretener Rechtsansicht unzulässig sein, träfe sie daher jedenfalls kein Verschulden an der Implementierung eines solchen Thermofensters, weil sie nach der vom KBA vertretenen Rechtsansicht von dessen Zulässigkeit ausgehen habe dürfen. Sie habe die Temperaturabhängigkeit der Steuerung der Abgasrückführung auch gegenüber dieser Behörde offengelegt, das KBA habe dies aber nicht zum Anlass genommen, nähere Einzelheiten zu erfragen. Auch bei Offenlegung sämtlicher Details zur temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung hätte das KBA dessen Zulässigkeit (hypothetisch) bestätigt. Sie sei daher jedenfalls einem entschuldbaren Verbotsirrtum unterlegen.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab, weil die Abgasrückführung nach dem hier zu beurteilenden Thermofenster im weit überwiegenden Zeitraum eines Jahres uneingeschränkt wirksam sei. Es liege daher keine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG vor. Außerdem habe das Software-Update keinen „merkantilen“ Minderwert des Fahrzeugs bewirkt.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und ließ die ordentliche Revision nachträglich zu.

Rechtliche Beurteilung

[6] Das Verfahren über die Revision des Klägers, die sich nur gegen die Abweisung des Zahlungsbegehrens richtet, ist zu unterbrechen:

[7] 1. Im Verfahren 2 O 331/19 ua hat das Landgericht Ravensburg (Deutschland) am 27. 10. 2023 dem Gerichtshof der Europäischen Union (C‑666/23 ) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Kann der Schadenersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Fahrzeughersteller wegen fahrlässigen Inverkehrbringens eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 mit der Begründung verneint werden,

a) dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Herstellers vorliege?

wenn ja:

b) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die für die EG‑Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständige Behörde die eingebaute Abschalteinrichtung tatsächlich genehmigt hat?

wenn ja:

c) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die Rechtsauffassung des Fahrzeugherstellers von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bei entsprechender Nachfrage von der für die EG‑Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung)?

[8] 2. Auch im vorliegenden Fall ist die Beantwortung dieser Vorlagefragen von Relevanz für die Entscheidung über die Revision des Klägers.

[9] 3. Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere Fälle als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist das Verfahren daher zu unterbrechen (vgl bereits 1 Ob 136/24t; 9 Ob 102/24a).

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