European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0090OB00102.24A.0213.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom 27. Oktober 2023 des Landgerichts Ravensburg (Deutschland), Rechtssache C‑666/23 , unterbrochen.
Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb am 16. 3. 2016 bei der erstbeklagten Fahrzeughändlerin einen von der Zweitbeklagten hergestellten VW Kombi Entry TDI EU6 um 36.735,29 EUR, in dem ein 2,0 l Dieselmotor des Typs EA288 inklusive SCR Katalysator/AdBlue zur Abgasnachbehandlung verbaut ist. Die Abgasrückführung erfolgt nur innerhalb eines Temperaturbereichs von 12 Grad Celsius und 39 Grad Celsius, wohingegen bei Temperaturen darüber und darunter die AGR‑Rate reduziert wird („Thermofenster“).
[2] Der Kläger begehrte – gestützt auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG – die Aufhebung des mit der Erstbeklagten abgeschlossenen Kaufvertrags sowie von beiden Beklagten die Zahlung von 25.224,90 EUR sA (Kaufpreis abzüglich eines Benützungsentgelts von 11.510,39 EUR) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, hilfsweise die Rückzahlung von 10.000 EUR als Preisminderung von 30 %.
[3] Die Beklagten bestritten das Klagebegehren und beantragten Klagsabweisung. Es liege keine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Jedenfalls habe die Zweitbeklagte dem Kläger nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt, weil sie sich auf die Rechtsauskunft des zuständigen KBA, das in Kenntnis der beanstandeten Abschalteinrichtungen dennoch die EG‑Typengenehmigung erteilt habe, vertrauen habe dürfen. Im Vertrauen auf eine solche Auskunft erfolgte Gesetzesverstöße dürften ihr nicht als Verschulden angerechnet werden.
[4] Das Erstgericht wies das gegen die Erstbeklagte gerichtete Klagebegehren rechtskräftig ab. Gegenüber der Zweitbeklagten erkannte es die Klagsforderung als mit „25.510,39 EUR“ zu Recht, die Gegenforderung der Zweitbeklagten als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die Zweitbeklagte zur Zahlung von 25.224,90 EUR samt Zinsen Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs. Die Verurteilung der Zweitbeklagten gründete es darauf, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestattet sei. Diese hafte infolge einer Schutzgesetzverletzung. Auf einen durch das KBA veranlassten Rechtsirrtum könne sich die Zweitbeklagte nicht berufen, weil Fahrzeughersteller erst seit der Mitte Mai 2016 in Kraft getretenen BestimmungdesArt 5 Abs 11 VO (EG) 692/2008 (iVm Art 2 VO [EU] 2016/646) verpflichtet seien, für neue zu genehmigende Fahrzeugtypen der zuständigen Typgenehmigungsbehörde im Rahmen des Antrags auf Typgenehmigung detailliert offenzulegen, welche Emissionsstrategien in dem zu genehmigenden Fahrzeugmodell zum Einsatz kommen (sog „BES/AES‑Gesetzgebung“).
[5] Mit dem von der Zweitbeklagten angefochtenen Beschluss hob das Berufungsgericht das klagestattgebende Urteil gegen die Zweitbeklagte auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Zur Überprüfung der Behauptung der Zweitbeklagten, dass sie keine subjektive Sorgfaltswidrigkeit treffe, ihre Repräsentanten und Organe das Schutzgesetz also unverschuldet übertreten hätten, sei eine Ergänzung des Beweisverfahrens erforderlich. Weiters sei mit der Zweitbeklagten zu erörtern, welche Offenlegungen zu welchem Zeitpunkt gegenüber der Behörde erfolgt seien und aufgrund welcher konkreten Prüfschritte und/oder Ereignisse welche ihr zurechenbaren Personen legitimerweise darauf hätte vertrauen dürfen und auch konkret darauf vertraut hätten, dass und warum die verbaute(n) Abschalteinrichtung(en) nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig gewesen wäre.
[6] Gegen diese Entscheidung richtete sich der vom Berufungsgericht zugelassene Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den Aufhebungsbeschluss aufzuheben und das Ersturteil in diesem Punkt zu bestätigen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[7] Die Zweitbeklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, der Oberste Gerichtshof möge in der Sache selbst entscheiden und das Klagebegehren abweisen, hilfsweise den Rekurs des Klägers zurück‑, in eventu abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[8] Das Rekursverfahren ist zu unterbrechen.
[9] 1. Im Verfahren 2 O 331/19 ua hat das Landgericht Ravensburg (Deutschland) am 27. 10 2023 dem Gerichtshof der Europäischen Union (C‑666/23 ) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„1. Kann der Schadenersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Fahrzeughersteller wegen fahrlässigen Inverkehrbringens eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 mit der Begründung verneint werden,
a) dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Herstellers vorliege?
wenn ja:
b) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die für die EG‑ Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständige Behörde die eingebaute Abschalteinrichtung tatsächlich genehmigt hat?
wenn ja:
c) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die Rechtsauffassung des Fahrzeugherstellers von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bei entsprechender Nachfrage von der für die EG‑ Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung)?“
[10] 2. Auch im vorliegenden Fall ist die Beantwortung dieser Vorlagefragen von Relevanz.
[11] 3. Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere Fälle als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist das Verfahren daher zu unterbrechen (RS0110583).
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