OGH 3Ob149/25w

OGH3Ob149/25w26.11.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* F*, vertreten durch die Aigner Rechtsanwalts-GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei I*gesellschaft m.b.H., *, wegen 37.666,85 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 26. August 2025, GZ 11 R 120/25k‑6, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25. Juni 2025, GZ 3 Cg 54/25w‑2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0030OB00149.25W.1126.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsrekurses selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadenersatz. Er habe einer Emittentin ein Nachrangdarlehen gewährt. Die Beklagte habe für diese mehrere Jahresabschlüsse erstellt. Bei korrekter bilanzieller Darstellung bestimmter Geschäftsfälle hätten die Jahresabschlüsse allerdings keinen Jahresüberschuss, sondern ein negatives Eigenkapital ausweisen müssen, in welchem Fall der Kläger anders disponiert und er daher keinen Verlust erlitten hätte.

Der Kläger stützt seine Ansprüche auf folgende Grundlagen:

[2] Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter: Der Auftragsvertrag zwischen der Emittentin und der Beklagten zur Erstellung der Jahresabschlüsse entfalte Schutzwirkungen zugunsten Dritter, weil sie damit rechnen habe müssen, dass die Bilanz Grundlage für die Vermögensdisposition Dritter sein werde. Die Beklagte habe es für möglich gehalten und sich damit abgefunden, dass sie eine falsche Bilanz erstelle. Dass Vermögensschäden Dritter eintreten könnten, habe der Beklagten bewusst sein müssen.

[3] Allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung: Die von der Beklagten erstellten Jahresabschlüsse seien Teil des Kapitalmarktprospekts gemäß KMG gewesen, worin die wirtschaftliche Situation der Emittentin somit unzutreffend dargestellt worden sei.

[4] Verletzung von Schutzgesetzen: Der Geschäftsführer der Emittentin habe den Straftatbestand des § 122 Abs 1 GmbHG aF bzw § 163a StGB als unmittelbarer Täter verwirklicht. Er habe die Jahresabschlüsse der Emittentin falsch darstellen wollen. Dazu habe der Geschäftsführer der Beklagten als Repräsentant der Beklagten vorsätzlich beigetragen.

[5] List: Die Beklagte habe falsche Jahresabschlüsse für die Emittentin im Wissen erstellt, dass diese Eingang in die Kapitalmarktprospekte der Emittentin finden würden. Dadurch seien Anleger über die tatsächliche wirtschaftliche Lage der Emittentin getäuscht worden.

[6] Sittenwidrige Schädigung: Die Beklagte, die die Bücher der Emittentin geführt und die Jahresabschlüsse erstellt habe, habe sich vorsätzlich an einem sittenwidrigen Geschäftsmodell der Emittentin beteiligt.

[7] Das Erstgericht wies die Klage a limine mangels sachlicher Zuständigkeit zurück.

[8] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Könne ein und derselbe Tatbestand verschiedenen Gesetzesmaterien unterstellt werden, so sei das angerufene Gericht zuständig, wenn es die Zuständigkeit auch nur hinsichtlich einer der anzuwendenden konkurrierenden Normen besitze. Schadenersatzansprüche gegen einen (im Firmenbuch eingetragenen) Unternehmer gehörten nach § 51 Abs 1 Z 1 JN nur dann vor ein Handelsgericht, wenn sie aus der Erfüllung, Schlechterfüllung, Nichterfüllung oder Vereitelung eines unternehmensbezogenen Geschäfts abgeleitet würden. Dies müsse entsprechend einer im Schrifttum vertretenen Ansicht auch für konkurrierende deliktische Schadenersatzansprüche gelten, weil sonst eine gesamtheitliche Beurteilung erschwert würde. Unmittelbare Grundlage für die Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche sei immer das – mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ausgestattete – unternehmensbezogene Geschäft zwischen der Emittentin und der Beklagten. Die Bestimmung des § 51 Abs 1 Z 6 JN müsse im Bereich der strafrechtlichen Schutzgesetzverletzung auch für den Beitragstäter, hier also die Beklagte gelten, weil nur so die vom Gesetz gewünschte Konzentration der aus der Geschäftstätigkeit einer Handelsgesellschaft entstandenen Streitigkeiten vor dem Kausalgericht herbeigeführt werden könne. Damit sei das Erstgericht zur Beurteilung des Begehrens nach keinem der vorgebrachten Rechtsgründe berufen.

[9] Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs mit der Begründung für zulässig, dass keine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob „konkurrierende deliktische Ansprüche“ unter Anwendung von § 51 Abs 1 Z 1 JN in die Zuständigkeit der Kausalgerichte fielen, wenn deckungsgleiche vertragliche Ansprüche aus einem Handelsgeschäft resultierten, oder ob auch solche deliktischen Ansprüche „rein deliktische Ansprüche“ seien, die die Zuständigkeit der allgemeinen Gerichte begründeten.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers, mit dem er die ersatzlose Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

[12] 1. Der Kläger steht im Revisionsrekurs auf dem Standpunkt, dass für die aus einer Haftung wegen Schutzgesetzverletzung (§ 1311 ABGB iVm § 122 Abs 1 GmbHG aF bzw § 163a StGB), wegen List (§ 874 ABGB) und wegen sittenwidriger Schädigung (§ 1295 Abs 2 ABGB) abgeleiteten Ansprüche keine Zuständigkeit nach § 51 Abs 1 JN gegeben sei. Dass für auf einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und auf die allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung gestützte Ansprüche des Klägers keine Zuständigkeit des Erstgerichts besteht, bestreitet der Kläger in seinem Rechtsmittel nicht, sodass jedenfalls in dieser Hinsicht die handelsgerichtliche Zuständigkeit anzunehmen ist.

[13] 2.1. Die sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte ist gemäß § 51 Abs 1 Z 1 JN für Streitigkeiten aus unternehmensbezogenen Geschäften gegeben, wenn die Klage gegen einen im Firmenbuch eingetragenen Unternehmer gerichtet ist und das Geschäft auf Seiten des Beklagten ein unternehmensbezogenes Geschäft ist. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs grundsätzlich gegeben, wenn der Anspruch aus dem unternehmensbezogenen Geschäft abgeleitet wird und somit in einem sachlichen Zusammenhang mit der Unternehmertätigkeit steht und aus dem unternehmensbezogenen Geschäft selbst geltend gemacht wird (RS0046425). Ein Anspruch wird dann aus einem unternehmensbezogenen Geschäft selbst abgeleitet, wenn dieses den rechtserzeugenden Sachverhalt bildet, auf den der Kläger den Anspruch stützt. Es genügt nicht, dass der eingeklagte Anspruch „anlässlich“ der unternehmerischen Tätigkeit des Beklagten entstanden ist, sondern es ist das Hervorgehen des Anspruchs, somit auch der Streitigkeit selbst, aus dem unternehmensbezogenen Geschäft erforderlich (RS0046425 [T1]). Auf Schadenersatzansprüche trifft dies nur dann zu, wenn sie aus der Erfüllung, Schlechterfüllung oder Vereitelung eines unternehmensbezogenen Geschäfts abgeleitet werden (RS0046419). Die handelsgerichtliche Zuständigkeit wird von der Rechtsprechung in diesem Sinn bejaht, wenn zumindest ein enger Zusammenhang des geltend gemachten Anspruchs mit den durch ein unternehmensbezogenes Geschäft selbst begründeten Forderungen und Pflichten bestand (9 Ob 84/18w [Pkt 7.]; 5 Ob 248/11y [Pkt 6.]). Ein direkter Geschäftsabschluss zwischen den Prozessparteien wird grundsätzlich nicht gefordert (RS0046402).

[14] 2.2. Ausgehend davon fallen (auch) die hier noch strittigen Anspruchsgrundlagen unter § 51 Abs 1 Z 1 JN.

[15] Der Kläger behauptet, die Beklagte habe ihn durch die Erstellung unrichtiger Jahresabschlüsse vorsätzlich getäuscht (§ 874 ABGB), dadurch zu einem strafbaren Verhalten des Geschäftsführers der Emittentin beigetragen (§ 1311 ABGB iVm § 122 Abs 1 GmbHG aF bzw § 163a StGB) und sich (dadurch) an einem sittenwidrigen Geschäftsmodell beteiligt (§ 1295 Abs 2 ABGB). Er beruft sich damit unmittelbar auf die Verletzung einer Pflicht durch die Beklagte aus dem Vertrag zwischen dieser und der Emittentin, nämlich jener zur ordnungsgemäßen Erstellung der Jahresabschlüsse, wodurch er in seinem Vertrauen erschüttert worden sei. Demgegenüber erfolgte nach dem der Entscheidung zu 9 Ob 84/18w zugrunde liegenden Vorbringen der dortigen Klägerin die inkriminierte Täuschungshandlung durch die beklagte Fahrzeugherstellerin durch ein außerhalb des dortigen Kaufvertrags zwischen der Herstellerin und dem Händler gelegenes arglistiges Verhalten, während der Zusammenhang zum Vertrag nur durch den Hinweis auf die Erstellung von Unterlagen und Informationen zum Kaufgegenstand argumentiert wurde. Die beiden Fälle sind daher nicht unmittelbar vergleichbar. Soweit aus der Entscheidung zu 9 Ob 84/18w Gegenteiliges abgeleitet werden kann, wird diese nicht aufrechterhalten. Nach dem hier gegenständlichen Vorbringen diente die Erstellung der Jahresabschlüsse der Erfüllung eines unternehmensbezogenen Geschäfts zwischen der Emittentin und der Beklagten und ist dieses somit Teil des rechtserzeugenden Sachverhalts der auf diese Anspruchsgrundlagen gestützten Haftung der Beklagten. Diese Ansprüche entstanden nach dem Vorbringen des Klägers nicht bloß anlässlich der unternehmerischen Tätigkeit, sondern in der zur Begründung der Schadenersatzansprüche herangezogenen Erstellung der Jahresabschlüsse liegt selbst eine unternehmensbezogene geschäftliche Betätigung. Die daraus abgeleiteten Ansprüche stehen mit den durch den unternehmensbezogenen (wenn auch nicht mit dem Kläger bestehenden) Vertrag selbst begründeten – auch nach dem Vorbringen des Klägers auf eine korrekte bilanzielle Darstellung gerichteten – Pflichten in einem derart engen Zusammenhang, dass die Zuständigkeit der Handelsgerichte zu bejahen ist. Die vorliegende Klage wird somit gerade nicht auf ein „rein“ deliktisches Verhalten eines Unternehmers gestützt (vgl 3 Ob 40/03h [Gewinnzusage iSd § 5j KSchG]; vgl dazu auch 7 Ob 17/08p, wonach der fiktive Gewinnauszahlungsanspruch ein gesetzlicher Erfüllungsanspruch ist).

[16] 2.3. Da dies auf alle hier gegenständlichen Anspruchsgrundlagen gleichermaßen zutrifft, muss auf die vom Rekursgericht für seine Begründung herangezogene Ansicht von Kerschner (in Artmann, UGBI3 [2019] § 343 Rz 17, 63; vgl referierend Rauter in Straube/Ratka/Rauter, UGBI4 § 344 Rz 38) nicht weiter eingegangen werden, wonach auch deliktische Schadenersatzansprüche, die mit Schadenersatzansprüchen wegen Verletzung eines unternehmensbezogenen Geschäfts konkurrieren, unter das Regime der §§ 343 ff UGB fallen, weil sonst eine gesamtheitliche Beurteilung erschwert werde. Das Gleiche gilt für die vom Rekursgericht ebenfalls thematisierte Frage, ob die handelsgerichtliche Zuständigkeit teilweise auf § 51 Abs 1 Z 6 JN gestützt werden könnte.

[17] 3. Da für jeden einzelnen in der Klage geltend gemachten Anspruch (nur) die handelsgerichtliche Zuständigkeit gegeben ist, kann sich der Kläger auch nicht auf das dem Kläger nach der Rechtsprechung zukommende Wahlrecht stützen, bei welchem der mehreren zuständigen Gerichte ein Anspruch geltend gemacht wird (RS0046229). Auf die Frage, ob hier über einen – für dieses Wahlrecht vorausgesetzten – einheitlichen Sachverhalt zu entscheiden ist (RS0045485 [T14]) oder ob der Kläger hinsichtlich der jeweiligen Anspruchsgrundlagen (teilweise) unterschiedliche rechtserzeugende Tatsachen vorträgt (RS0045485 [T13]; vgl RS0039366), muss deshalb nicht eingegangen werden.

[18] 4. Dem Revisionsrekurs ist daher nicht Folge zu geben.

[19] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40 und 50 Abs 1 ZPO.

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