European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00186.25S.1119.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.639,40 EUR (darin enthalten 439,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestand von 9. 10. 2000 bis zum 30. 12. 2004 ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 1999 R 907) zugrunde lagen. Sie lauten – soweit im Revisionsverfahren relevant – auszugsweise:
„ Artikel 3
Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung?
(Zeitlicher Geltungsbereich)
3. Wird der Deckungsanspruch vom Versicherungsnehmer später als 2 Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrages für das betreffende Risiko geltend gemacht, besteht, unabhängig davon, wann der Versicherungsnehmer Kenntnis vom Eintritt eines Versicherungsfalles erlangt, kein Versicherungsschutz.
[...]
Artikel 8
Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten?
(Obliegenheiten)
1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,
1.1 den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen.
[...]
2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehend genannten Obliegenheiten, ist der Versicherer gemäß § 6 Versicherungsvertragsgesetz (VersVG) von der Verpflichtung zur Leistung frei.
[…]“
[2] Die Vorinstanzen wiesen die Deckungsklage für die Geltendmachung einer Feststellungsklage gegen die Bank, mit der der Kläger einen Fremdwährungskreditvertrag geschlossen hat, wegen Verletzung der in Art 8.1.1 der ARB 1999 (iVm § 33 VersVG) normierten Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige des Versicherungsfalls ab. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob der Kausalitätsgegenbeweis im Fall einer Negativfeststellung als erbracht anzusehen sei.
Rechtliche Beurteilung
[3] Da der Kläger in seiner Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[4] 1. Die Beurteilung der Vorinstanzen, der Kläger habe durch seine erst am 2. 1. 2023 erfolgte Schadensmeldung die in § 33 Abs 1 VersVG normierte, mit Art 8.1.1 (iVm Art 8.2) der ARB auch vertraglich umgesetzte Obliegenheit verletzt, wird vom Kläger in der Revision nicht angezweifelt.
[5] 2. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RS0116978). Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung. Im Fall eines solchen Nachweises ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RS0081313). Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RS0043728 [insb T4], RS0081313 [T21]). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (vgl RS0116979), was der Versicherungsnehmer zu behaupten und strikt zu beweisen hat (RS0081313, RS0043728, RS0079993).
[6] 3. Die gegenständliche Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige eines Versicherungsfalls gilt für die Rechtsschutzversicherung jedenfalls während aufrechten Versicherungsvertrags nur eingeschränkt, weil der Versicherungsnehmer den Versicherer nicht nach jedem Versicherungsfall, sondern nur dann zu unterrichten hat, wenn er aufgrund eines Versicherungsfalls Versicherungsschutz „begehrt“. Dies beruht auf der Überlegung, dass der Versicherer kein Interesse daran haben kann, von jedem möglichen Schadenereignis oder Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Rechtspflichten zu erfahren, ohne dass feststeht, dass dies zu einer kostenauslösenden Reaktion führen kann. Wenn der Vertrag – wie hier – bereits seit Jahren abgelaufen ist, ist dies aber anders zu beurteilen. Der Versicherer hat den Vertrag dann mit Ablauf der zwar dem Versicherungsnehmer gegenüber nichtigen (hier Art 3.3. der ARB), aber im Vertrag vorgesehenen Ausschlussfrist abgerechnet. Der Anfall weiterer Versicherungsfälle ist die Ausnahme. Auch dem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer ist einsichtig, dass der Versicherer in diesem Fall ein erhöhtes (uneingeschränktes) Interesse an einer iSd § 33 VersVG iVm Art 8.1.1 ARB unverzüglichen Anzeige aller Versicherungsfälle hat, muss der Versicherer doch trotz Beendigung des Vertrags sein zu übernehmendes Risiko umgehend beurteilen und einschätzen können und für die Deckung (gesondert) vorsorgen. Der Versicherungsnehmer ist daher in diesem Fall gehalten, alle Versicherungsfälle dem Versicherer unverzüglich zur Kenntnis zu bringen und nicht mit der Anspruchsverfolgung zu zögern oder zuzuwarten, bis sich je nach seinem Engagement in der Rechtsverfolgung konkret kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen. Es steht nicht im Belieben des Versicherungsnehmers, durch die Inanspruchnahme der Rechtsschutzversicherung die Informationsobliegenheit zeitlich hinauszuschieben und sie dadurch zeitlich außer Kraft zu setzen (7 Ob 206/19y mwN).
[7] 4. Betreffend die Nichterfüllung dieser den Versicherungsnehmer treffenden Obliegenheit ist ihm das Verhalten jener, die er zur Abwicklung des Versicherungsfalls bevollmächtigt hat, also hier des Klagevertreters, zuzurechnen (RS0019473; 7 Ob 59/24p).
[8] 5. Ausgehend von der dargestellten Rechtsprechung haben die Vorinstanzen die Vorgangsweise des Klägers – dem sein Rechtsvertreter zuzurechnen ist – nach Aufmerksamwerden auf die Problematik des Fremdwährungskredits im Juli 2022, nachfolgender Recherchen und der Ablehnung seitens des Rechtsvertreters der Bank am 23. 8. 2022, mit der Deckungsanfrage bis zum 2. 1. 2023– also weitere vier Monate – zuzuwarten, ohne Korrekturbedarf als grob fahrlässig beurteilt. Warum es kein schwerer Sorgfaltsverstoß gewesen wäre, nach bereits durchgeführter Recherche vier Monate zu warten, um die hier uneingeschränkt geltende Obliegenheit im Rahmen des zu dem Zeitpunkt bereits 18 Jahre beendeten Versicherungsvertrags dem Versicherer gegenüber zu erfüllen, zeigt der Kläger im Rahmen seiner Revision nicht auf. Das Vorliegen einer „gefährlichen Situation“, auf die Entscheidungen im Rahmen von risikobezogenen Obliegenheiten in der Sachversicherung (vgl RS0030331) abstellen, hat mit der hier zu beurteilenden Konstellation naturgemäß nichts zu tun.
[9] 6.1. Ausgehend jedenfalls von der Feststellung (womit auch kein sekundärer Feststellungsmangel vorliegt, vgl RS0053317 [T3]), wonach „nicht festgestellt werden kann, ob eine frühere Deckungsanfrage bei der Beklagten Einfluss auf ... den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hätte“ und den weiteren – dislozierten – Feststellungen des Erstgerichts, wonach sich sowohl der Streitwert aufgrund der weiter auflaufenden Zinsen als auch die Verfahrenskosten durch Zeitablauf erhöhen, ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelungen ist. Es hat dabei auch die Überlegung angestellt, dass im Zusammenhang mit Fremdwährungskrediten und deren begehrter Rückabwicklung die abgelaufene Zeit des aufrechten Vertrags (im Sinn eines venire contra factum proprium) eine Rolle spielen kann. Diese Beurteilung entspricht der ständigen Rechtsprechung zu Rückforderungsansprüchen beim Fremdwährungskreditvertrag (vgl etwa 4 Ob 208/21y Rz 13 mwN) und ist daher insgesamt nicht korrekturbedürftig.
[10] 6.2. Der Kläger argumentiert in seiner Revision mit Beweiserleichterungen, die die Rechtsprechung im Fall von hypothetischen Kausalverläufen gewährt. Das betrifft – wie die Revision selbst zugesteht – ganz überwiegend Fälle im Schadenersatzrecht (vgl etwa RS0022900). Die Situation eines Geschädigten, der mit dem Beweis der Kausalität des ihn schädigenden Verhaltens belastet ist, ist allerdings nicht vergleichbar mit dem Kausalitätsgegenbeweis. Diesen gewährt das Gesetz in § 6 Abs 3 VersVG einem Versicherungsnehmer, dessen schuldhafte Obliegenheitsverletzung seinem Vertragspartner gegenüber bereits feststeht und daher an sich – bei entsprechender Vereinbarung – bereits die Leistungsfreiheit des Versicherers nach sich zieht. In dieser Situation kann der Versicherungsnehmer diese Folge nur noch durch einen strikten Beweis, dass sein als vertragswidrig feststehendes Verhalten keinen Einfluss auf die Stellung seines Vertragspartners (hier: den Umfang dessen zu erbringender Leistung) gehabt hat, abwenden. Im Fall einer Negativfeststellung ist diese strikte Beweisführung gerade nicht gelungen. Die Entscheidung 10 ObS 157/11b betrifft Meldepflichten im Sozialversicherungsrecht und ist mit der Situation des Kausalitätsgegenbeweises ebenfalls nicht vergleichbar.
[11] 7. Der Kläger zeigt auch keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens auf.
[12] 7.1. Wie er im Rahmen seiner Revision selbst erkennt, hat er – wie auch die Beklagte – Vorbringen zum Kausalitätsgegenbeweis erstattet, weshalb dieser auch Thema des Verfahrens war und deshalb keine Überraschungsentscheidung vorliegt. Dass das Erstgericht mit seiner Negativfeststellung nicht zu dem vom Kläger gewünschten Ergebnis gelangt ist, vermag keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens begründen.
[13] 7.2. Nur wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisrüge überhaupt nicht (RS0043371 [T2]) befasste oder sich mit gewichtigen Argumenten gar nicht auseinandersetzte („floskelhafte Scheinbegründung“; RS0043371 [T32]), ist das Berufungsverfahren mangelhaft. Hat das Berufungsgericht über eine Beweisrüge nachvollziehbare Überlegungen angestellt und im Berufungsurteil festgehalten, ist die Entscheidung mängelfrei (RS0043150). Diesen Anforderungen genügt die Erledigung durch das Berufungsgericht. Betreffend die Feststellung über den Einfluss der Obliegenheitsverletzung auf den Eintritt des Versicherungsfalls führt der Kläger in der Revision selbst aus, dass dieser hier vor der Obliegenheitsverletzung liegt und damit diese Feststellung für die hier in Rede stehende sekundäre Obliegenheit keine Rolle spielt. Eine allenfalls mangelnde Begründung dieser Feststellung kann daher keinen relevanten Verfahrensmangel begründen.
[14] 8. Die Revision desKlägers ist insgesamt mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.
[15] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
