European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:008OBA00043.25V.1021.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Für „Mobbing“ ist ein systematisches, ausgrenzendes und prozesshaftes Geschehen über einen längeren Zeitraum typisch, etwa durch systematische Verweigerung jeder Anerkennung, Isolation, Zurückhaltung von Informationen oder Rufschädigung (vgl RS0124076 [T2]). Bei „Bossing“ handelt es sich um eine solche konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz, jedoch zwischen Vorgesetztem und Untergebenem, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder mehreren Personen systematisch, oft und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird (vgl RS0124076 [T8]). Sachlich begründete organisatorische Maßnahmen erfüllen diese Definition nicht; es kommt auf die objektive Eignung der „Bossing“‑Handlungen in ihrer Gesamtheit und nicht auf das subjektive Empfinden an (RS0124076 [T9]).
[2] 1.2. Ausgangspunkt und Kernbereich der Fürsorgepflicht ist der Schutz von Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer (RS0021660 [T1]); der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer möglichst geschützt werden (9 ObA 16/13p). Die Pflicht, „Mobbing“ und „Bossing“ zu unterlassen bzw zu unterbinden, ist Ausfluss dieser Fürsorgepflicht des Arbeitgebers; diese umfasst den Schutz der materiellen und immateriellen Interessen des Arbeitnehmers im Rahmen des Dienstverhältnisses (vgl RS0021544; RS0021267). Die Schutzpflicht des Arbeitgebers vor „Mobbing“- oder „Bossing“-Verhalten beinhaltet daher den Schutz des in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliederten Arbeitnehmers (vgl RS0119353).
[3] 1.3. Nach § 9 Abs 1 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten; er ist befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten.
[4] Während herabwürdigende Äußerungen eines Rechtsanwalts etwa im Rahmen einer Pressekonferenz regelmäßig nicht nach § 9 RAO gerechtfertigt sind (RS0114012), ist dies bei Prozessvorbringen in der Regel der Fall; wesentliche Voraussetzung der Rechtfertigung ist allerdings, dass die Ausübung des Rechts im Rahmen der Prozessführung nicht missbräuchlich (6 Ob 196/12k ErwGr 4.1.) oder die Herabsetzung des Gegners nicht wider besseres Wissen erfolgt (RS0114015; vgl RS0022784). Die Erstattung von (nicht wissentlich unrichtigem) Prozessvorbringen ist nur dann nach § 1330 ABGB gerechtfertigt, wenn dieses Vorbringen nicht nur zeitlich aus Anlass bzw im Rahmen eines Verfahrens erstattet wird, sondern auch einen – wenn auch großzügig zu beurteilenden – inhaltlichen Zusammenhang mit dem Verfahrensgegenstand aufweist. Vorbringen, das rechtlich unerheblich ist und auch nicht zur Illustration, Ausfüllung oder Untermauerung des rechtlich relevanten Tatsachenvortrags erstattet wird, sondern lediglich dazu dient, den Prozessgegner anzuschwärzen bzw herabzusetzen, wäre im Sinne der dargestellten Rechtsprechung nicht privilegiert (RS0114015 [T13]).
[5] 1.4. Der Senat hat bereits entschieden, dass Äußerungen eines Parteienvertreters vor Gericht „nicht ohne Weiteres“ der Kommunikation am Arbeitsplatz des Gegners zugeordnet werden können, sodass eine Zurechnung an den Mandanten als „Mobbing“ oder „Bossing“ schon aus diesem Grund ausscheidet (vgl 8 ObA 12/21dRz 13).
[6] Eine jedenfalls und bedingungslos erfolgende Zurechnung von Handlungen und Äußerungen eines Parteienvertreters vor Gericht zu seinem Mandanten wird auch von der Rechtsprechung verneint, nach welcher ein Mandant herabsetzende Äußerungen seines anwaltlichen Prozessvertreters im Sinne von § 1330 ABGB grundsätzlich nur dann gegen sich gelten lassen muss, wenn er diesen konkret dazu angeleitet bzw beauftragt hat; für in seinem Namen getätigte ehrenbeleidigende Äußerungen seines Rechtsanwalts kann der Mandant nicht nach § 1330 ABGB verantwortlich gemacht werden, wenn die Äußerungen vollmachtslos erfolgten oder die erteilte Vollmacht überschritten wurde (vgl 6 Ob 196/12k ErwGr 4.2. mwN).
[7] 1.5. Die Beurteilung, ob Auseinandersetzungen unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen am Arbeitsplatz „Mobbing“ oder „Bossing“ zugrunde liegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RS0124076 [T4–T6]), sodass dabei regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage zu beantworten ist.
[8] 2.1. Der damals 60‑jährige Kläger war vom beklagten Land als dessen Vertragsbediensteter vorerst dienstfrei gestellt und 13 Tage später gekündigt worden, weil er Dienstpflichten gröblich verletzt und ein den Interessen des Dienstes abträgliches Verhalten (Vertrauensunwürdigkeit) dadurch gezeigt habe, dass er gegen Ende 2019 über mehrere Wochen hinweg mit einem damals 15‑jährigen Lehrmädchen über WhatsApp unangemessen, grenzüberschreitend, zu persönlich und das Mädchen unter Druck setzend kommuniziert habe.
[9] Ungeachtet des Umstands, dass der Kläger bereits zuvor mit 58 Jahren eine – zwei Jahre andauernde und in seinem Arbeitsumfeld bekannte – Beziehung mit einem anfangs 17 Jahre alten Lehrmädchen geführt hatte, obsiegte er in einem von ihm angestrengten Vorprozess, in dem festgestellt wurde, dass das Dienstverhältnis ungeachtet der ausgesprochenen Kündigung über den Kündigungstermin hinaus unverändert aufrecht besteht; diese Entscheidung wurde am 3. 6. 2022 rechtskräftig.
[10] Bereits am Tag nach der Dienstfreistellung im Jänner 2020 war beim Kläger eine psychische Erkrankung diagnostiziert worden, aufgrund welcher er seitdem in psychiatrischer Behandlung stand. Zum geplanten Wiederantritt des Dienstes beim Beklagten im Oktober 2022 kam es nicht, weil der Kläger ab dem vorgesehenen Antrittstermin für ein Jahr im Krankenstand war. Die Parteien vereinbarten in der Folge gegen Ende 2023 eine bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres befristete Verlängerung des Dienstverhältnisses um knapp fünf Monate, und der Kläger ging danach in Alterspension.
[11] 2.2. Die Vorinstanzen wiesen übereinstimmend das Klagebegehren auf Zahlung von Schadenersatz für vom Beklagten in Verletzung seiner Fürsorgepflicht als Arbeitgeber schuldhaft und rechtswidrig verursachte krankheitswertige psychische Beeinträchtigungen sowie ein Feststellungsbegehren ab.
[12] 3. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung und des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums. Die Revision des Klägers (die im Übrigen zugesteht, dass sein Verhalten gegenüber dem Lehrmädchen „an sich und einige Nachrichten im Besonderen unstrittig sozial unüblich und jedenfalls den Umständen [Altersunterschied, Kennenlernen am Arbeitsumfeld, unterschiedliche berufliche Stellung] nicht angepasst war“) zeigt dagegen keine erhebliche Rechtsfrage auf:
[13] 3.1. Der Einschätzung des Berufungsgerichts, Dienstfreistellung und Kündigung hätten „Bossing“ nicht verwirklicht, hält die Revision in der Rechtsrüge – mit Blick auf die im Vorverfahren letztlich verneinte Rechtfertigung von Betretungsverbot und Kündigung – bloß ihre gegenläufige Meinung entgegen und verweist auf – allerdings nicht festgestellte – Motive der Beklagten, sich seiner als höhere Entlohnung einfordernder unbequemer Mitarbeiter zu entledigen.
[14] 3.2. Die Revision vertritt unter ausgiebiger Zitierung von schriftlichen Äußerungen des Beklagtenvertreters im Verfahren zur Feststellung des aufrechten Bestehens des Dienstverhältnisses weiterhin die Meinung, das beklagte Land habe es zugelassen, dass sein eigener Vertreter den Kläger der Verspottung und Geringschätzung ausgesetzt und ihn in seiner Ehre verletzt habe.
[15] Auszugehen ist hier jedoch von den Feststellungen, dass die Schriftsätze und die Wortwahl ausschließlich vom Beklagtenvertreter stammten, das Land darauf keinen Einfluss genommen und die Schriftsätze nicht vorab approbiert hat, sondern sie erst nach Einbringung übermittelt erhielt.
[16] Jeder Rechtsanwalt – und daher auch der Beklagtenvertreter – muss sich in eigener Person für seine Äußerungen der disziplinarrechtlichen Beurteilung (vgl § 17 RL‑BA 2015) und gegebenenfalls der zivilrechtlichen Inanspruchnahme nach § 1330 ABGB durch den Prozessgegner stellen. Die Zurechnung solcher Äußerungen zum Mandanten ist nach der eingangs dargelegten Rechtsprechung einerseits dadurch begrenzt, dass sie eine konkrete Anleitung oder Beauftragung hierzu voraussetzen würde. Andererseits besteht durch die konkrete Prozesssituation eine weitgehende und eher großzügig zu beurteilende Rechtfertigung von anwaltlichem Vorbringen, welche schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht dadurch in ihrer Wirksamkeit behindert werden darf, dass bestimmte Maßstäbe der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers uneingeschränkt an sie anzulegen wären. Ungeachtet des fortbestehenden Dienstverhältnisses lag im hier zu beurteilenden Einzelfall kein hinreichend konkreter Zusammenhang mit einer der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers unterliegenden Kommunikation im betrieblichen Umfeld vor, zumal das anwaltliche Prozessvorbringen auch nicht aus der Behauptung unrichtiger Tatsachen bestand, sondern (vom Berufungsgericht zumindest vertretbar als unsachlich polemisch angesehenen) Deutungen des (von den Vorinstanzen ebenso vertretbar als unangemessen qualifizierten) Benehmens des Klägers einem 15‑jährigen Lehrmädchen gegenüber.
[17] 3.3. Die Revision sieht im Verhalten des Landes nach Beendigung des Verfahrens zur Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses „Bossing“, ohne stichhältige Gründe aufzuzeigen, warum die dies verneinende Rechtsansicht des Berufungsgerichts unzutreffend sein sollte.
[18] Die Beurteilung des Berufungsvorbringens des Klägers zu seiner „Degradierung“ als unzulässige Neuerung, ist nicht zu beanstanden, zumal dieser Begriff schon seinem klaren Bedeutungsinhalt eine formelle Herunter- bzw Herabstufung in Bezug auf den Rang bezeichnet, wovon in den erstinstanzlichen Tatsachenbehauptungen des Klägers nicht einmal andeutungsweise die Rede war.
[19] 4. Die Revision vertritt weiterhin die Auffassung, die Rechtsansicht des Beklagten sei unvertretbar gewesen, weshalb ihm die bereits mit der Klage geltend gemachten kapitalisierten Zinsen zufolge verspäteter Gehaltszahlung nach dem Kündigungstermin in Höhe der gesetzlichen Zinsen nach § 49a ASGG zustünden.
[20] Bereits das Berufungsgericht hat hierzu aber darauf hingewiesen, dass der an sich unstrittige Tatsachenverlauf von den im Vorprozess urteilenden Gerichten rechtlich anders gewertet wurde als vom Beklagten. Warum diese Rechtsansicht unvertretbar sein soll (vgl unlängst dazu 8 ObA 15/25a Rz 36), führt die Revision nicht aus.
[511] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht(§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
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