European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:008OBA00015.25A.0623.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung insgesamt wie folgt lautet:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 9.392,95 EUR samt 12,58 % Zinsen seit 23. November 2023 binnen 14 Tagen zu zahlen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 8.326,42 EUR (darin 797,50 EUR USt und 3.541,40 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Entscheidungsgründe:
[1] Der 1959 geborene Beklagte war von 1. 11. 1978 bis zum 30. 9. 2014 bei der Klägerin (bzw deren Rechtsvorgängerin) – der österreichischen Niederlassung eines in Frankreich ansässigen Kreditversicherers – beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für Angestellte des Innendienstes der Versicherungsunternehmen (in der Folge: KVI) anzuwenden.
[2] Nachdem die Klägerin bereits eine erste Kündigung des Beklagten zum 30. 6. 2014 vorgenommen hatte, hinsichtlich welcher in der Folge ausgesprochen wurde, dass das Dienstverhältnis wegen Verstoßes der Kündigung gegen § 45a Abs 5 AMFG über den 30. 6. 2014 hinaus aufrecht war (vgl 9 ObA 119/17s), kündigte die Klägerin dem Beklagten mittels Eventualkündigung vom 25. 3. 2014 zum 30. 9. 2014.
[3] Zu AZ * des Erstgerichts (in der Folge: Vorverfahren) bekämpfte der nunmehrige Beklagte auch letztere Kündigung und beantragte dort primär die Feststellung, dass das Dienstverhältnis über den 30. 9. 2014 hinaus aufrecht sei, hilfsweise die Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären. Er stützte dies darauf, dass sein Dienstverhältnis dem besonderen Kündigungsschutz nach § 29 Abs 2 (insb lit f) KVI unterliege, dessen Voraussetzungen nicht vorlägen, dass auch diese Kündigung gegen § 45a AMFG verstoße, und dass die Kündigung sozialwidrig, motivwidrig sowie altersdiskriminierend sei.
[4] Mit erstinstanzlichem Urteil vom 8. 10. 2021 wurde dem Hauptbegehren des Vorverfahrens stattgegeben, wogegen die nunmehrige Klägerin am 16. 2. 2022 Berufung erhob. Das Erstgericht hatte einen Verstoß gegen § 29 Abs 2 lit f KVI bejaht, weil die hier Klägerin ihrer sozialen Gestaltungspflicht insofern nicht nachgekommen sei, als sie nicht geprüft habe, ob statt des Klägers ein anderer, nicht bestandgeschützter Arbeitnehmer der Schadenabteilung, in der der hier Beklagte tätig gewesen sei, zu kündigen gewesen wäre; bereits vor der ersten Kündigung zum 30. 6. 2014 gemachte Jobangebote seien nicht ausreichend gewesen.
[5] Daraufhin forderte der nunmehrige Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 21. 2. 2022 zur Zahlung sämtlicher aus dem über den 30. 9. 2014 hinaus aufrechten Dienstverhältnis zustehenden Entgeltansprüche auf. Die nunmehrige Klägerin zahlte am 20. 4. 2022 126.534,51 EUR ausdrücklich unter Vorbehalt der Rückforderung für den Fall, dass sie mit ihrem gegen das erstinstanzliche Urteil im Vorverfahren erhobenen Rechtsmittel erfolgreich sein sollte. Mit Schreiben vom 27. 4. 2022 forderte der Beklagte die Klägerin auch noch zur (vorläufigen) Zahlung des auferlegten Kostenersatzes auf und erklärte in diesem Zusammenhang, ihm sei die Rückzahlungsverpflichtung im Falle einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung bekannt. Am 5. 5. 2022 zahlte die Klägerin daraufhin auch den ihr im erstinstanzlichen Urteil im Vorverfahren auferlegten Kostenersatz in Höhe von 37.416,78 EUR.
[6] Das (hier wie dort) Berufungsgericht zu * hob in der Folge das erstinstanzliche Urteil im Vorverfahren mit Beschluss vom 27. 7. 2022 auf und verwies die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es begründete dies damit, dass zwar der KVI – anders als die allgemeinen Kündigungsschutzbestimmungen nach § 105 ArbVG – keine Interessensabwägung, eine Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers auch in einem anderen Betrieb des Unternehmens, einen grundsätzlichen Beschäftigungsvorrang kündigungsgeschützter Arbeitnehmer wie des hier Beklagten und damit eine Pflicht des Arbeitgebers, einen geeigneten Arbeitsplatz auch freizumachen, sowie keine Einbindung des Betriebsrats (kein Sperrrecht) vorsehe. Hinsichtlich der kollektivvertraglichen Tatbestandsvoraussetzungen der notwendigen Personalreduktion sowie der betrieblich nicht sinnvollen Weiterbeschäftigung könne aber – unter zusätzlicher Beachtung der erweiterten kollektivvertraglichen Kriterien hinsichtlich einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auch in einem anderen Betrieb des Unternehmens sowie eines Beschäftigungsvorrangs gegenüber nicht kündigungsgeschützten Dienstnehmern – die zur Betriebsbedingtheit einer Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG entwickelte Rechtsprechung herangezogen werden. Hierzu würden jedoch ausreichende Feststellungen fehlen.
[7] Das Erstgericht wies sodann im zweiten Rechtsgang des Vorverfahrens die Klage des nunmehrigen Beklagten am 21. 6. 2023 ab und verpflichtete diesen zum Kostenersatz in Höhe von insgesamt 40.602,66 EUR; diese Entscheidung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Das Erstgericht vertrat rechtlich, dass die Kündigung im Hinblick auf § 29 Abs 2 lit f KVI zulässig gewesen sei, weil die Personalreduktion in der Schadenabteilung betrieblich notwendig gewesen sei, freie Stellen, auf die der hier Beklagte nur hingewiesen worden sei, nicht innerhalb seiner Berufspraxis gelegen und daher nicht auch anzubieten gewesen wären, und andere, nicht bestandgeschützte Arbeitnehmer der Schadenabteilung nach den Feststellungen nicht betrieblich sinnvoll gekündigt werden hätten können. Auch eine Verletzung der Verpflichtungen des Arbeitgebers nach § 45a AMFG habe der hier Beklagte nicht beweisen können. Dem Kläger sei mangels Feststellbarkeit eines Verlangens des Beklagten an den Betriebsrat nach § 105 Abs 4 ArbVG die Anfechtung wegen Sozial- oder Motivwidrigkeit nicht offengestanden. Gründe für eine solche Anfechtung wären aber ohnehin nicht vorgelegen, da die Kündigung zwar wesentliche Interessen des hier Beklagten verletzt habe, aber objektive betriebliche Rechtfertigungsgründe vorgelegen seien und freie (nicht jedoch freizumachende) nach Ansicht des hier Beklagten adäquate Arbeitsplätze in der Schadenabteilung nicht vorhanden gewesen seien; Arbeitsplätze außerhalb der Schadenabteilung habe der Beklagte rundweg abgelehnt. Die Kündigung sei daher ultima ratio für die nunmehrige Klägerin gewesen, die Interessenabwägung gehe zu Lasten des Beklagten. Nach den Feststellungen sei das Alter des Klägers nicht der Grund für die Kündigung gewesen, sodass auch der behauptete Verstoß gegen § 17 GlBG nicht vorliege.
[8] Der nunmehrige Beklagte zahlte daraufhin am 26. 7. 2023 der Klägerin 126.534,51 EUR und 37.416,78 EUR (das aufgrund des erstinstanzlichen ersten Rechtsgangs im Vorverfahren von der nunmehrigen Klägerin gezahlte Entgelt sowie die dem nunmehrigen Beklagten aus demselben Grund ersetzten Kosten) zurück.
[9] Mit Schreiben vom 9. 8. 2023 forderte der Klagevertreter den Beklagten zur Zahlung von 17.605,17 EUR an kapitalisierten gesetzlichen Zinsen von jeweils 8,58 % aus 126.534,51 EUR von 21. 4. 2022 bis 25. 7. 2023 und aus 37.416,78 EUR von 5. 5. 2022 bis 25. 7. 2023 auf. Darauf zahlte der Beklagte lediglich 8.212,22 EUR, was rechnerisch einer Verzinsung der genannten Beträge mit 4 % entspricht.
[10] Die Klägerin begehrte 9.392,95 EUR sA an (der Höhe nach unstrittigen) restlichen kapitalisierten gesetzlichen Zinsen. Die ihr zurückgezahlten Beträge seien nach dem auch auf Forderungen des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer anwendbaren § 49a Satz 1 ASGG mit 8,58 % zu verzinsen gewesen, zumal ein Fall des Satz 2 leg cit nicht vorliege. Sie mache nicht einen auf Zahlungsverzug des Beklagten gestützten, sondern einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch geltend. Die Rechtsansicht des Beklagten sei auch nicht vertretbar gewesen.
[11] Der Beklagte wandte ein, § 49a Satz 1 ASGG sei aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes nicht auf Forderungen des Arbeitgebers anzuwenden. Außerdem liege eine vertretbare Rechtsansicht vor, zumal er die Zahlungen der Klägerin auf gesetzlicher Grundlage erhalten, diese nur während des Zeitraums, in dem sie ihm nach § 61 Abs 1 ASGG zugestanden seien, ohne fruchtbringende Veranlagung behalten und dann unverzüglich zurückgezahlt habe. Nach § 49a Satz 2 ASGG seien nur die sonstigen Bestimmungen über die gesetzlichen Zinsen nach § 1000 Abs 1 ABGB anzuwenden.
[12] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. § 49a ASGG sei eine gesetzliche Verzugszinsenregelung im Arbeitsrecht und gelte für Forderungen des Arbeitgebers ebenso wie des Arbeitnehmers. Im vorliegenden Fall werde kein Zahlungsverzug des Beklagten geltend gemacht, sondern es würden – gesetzlich nicht geregelte – Vergütungszinsen gefordert. Dabei handle es sich um bereicherungsrechtlich geschuldete Zinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher zurückzuerstattenden Geldsumme, welche die Nutzung des fremden Geldes abgelten sollten und auf die §§ 1333, 1000 ABGB anzuwenden sei. Auch der redliche Bereicherungsschuldner schulde – außer bei Vorliegen einer Gegenleistung – Vergütungszinsen und habe die mit dem gesetzlichen Zinssatz pauschalierten Nutzungen eines von ihm zu erstattenden Geldbetrags unabhängig vom Eintritt des Verzugs herauszugeben. Wenn im allgemeinen Zivilrecht § 1333 ABGB – als die Verzugszinsen regelnde Norm – auch für Vergütungszinsen gelte, müsse auch für Forderungen im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen des § 49a ASGG auch für Vergütungszinsen gelten. Nach dem Wortlaut von § 49a ASGG würde die Einschränkung seines Satzes 2 aber nie zur Anwendung gelangen, weil es sich bei Vergütungszinsen gerade nicht um Zinsen wegen einer Zahlungsverzögerung handle. Es wäre nicht sachgerecht, dass ein sich im Verzug befindender Schuldner Verzugszinsen von 9,2 % über dem Basiszinssatz erst ab dem Eintritt des Verzugs und auch nur dann schulde, wenn die Zahlungsverzögerung nicht auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruhe, ein Bereicherter aber bereits ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Bereicherung Vergütungszinsen in gleicher Höhe schulden sollte. Der in § 49a Satz 1 ASGG normierte erhöhte Zinssatz solle vielmehr vom Vorliegen eines weiteren Moments abhängig sein, nämlich jenem des Nicht-Vorliegens (bzw Nicht-Beruhens auf) einer vertretbaren Rechtsansicht. Dazu würden die Materialien ausdrücklich ausführen, dass die in § 49a Satz 2 ASGG vorgesehene Einschränkung der Geltung des höheren Zinssatzes dessen Sachgerechtigkeit sichere. Vergleichbares müsse daher auch für Vergütungszinsen gelten: Auch hier müsse es zur Sicherung der Sachgerechtigkeit des in § 49a Satz 1 ASGG normierten höheren Zinssatzes eine entsprechende Einschränkung geben. Nach § 49a Satz 2 ASGG sei darauf abzustellen, ob in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Leistung eine vertretbare Rechtsansicht des Bereicherungsschuldners vorgelegen sei. Hier sei die – vom Beklagten geforderte – Zahlung des Entgelts für die Vorjahre aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils erfolgt, mit dem der aufrechte Bestand des Dienstverhältnisses festgestellt worden sei. Die Annahme der Rechtmäßigkeit dieser Leistung beruhe daher ebenso auf einer vertretbaren Rechtsansicht wie – bis zu einem gegenteiligen Urteil – die Annahme der Rechtmäßigkeit des Empfangs und des (vorerst vorläufigen) Besitzes der Leistung. Anderes würde nur im Fall des Verbrauchs gelten, schließe doch § 61 Abs 2 Satz 2 ASGG die Gutgläubigkeit des Arbeitnehmers beim Verbrauch des aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Urteils erhaltenen Entgelts aus, sodass diesbezüglich auch keine vertretbare Rechtsansicht vorliegen könnte.
[13] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und teilte insbesondere die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass dann, wenn § 1333 ABGB auch für Vergütungszinsen gelte, ebenso § 49a ASGG für Vergütungszinsen für Forderungen im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen gelten müsse. Ein gemäß § 61 ASGG vorläufig gezahlter Betrag sei daher mit gesetzlichen Zinsen gemäß § 49a ASGG zurückzuerstatten; dies sei eine gesetzliche Verzugszinsenregelung, somit eine materiell‑rechtliche Bestimmung, die unabhängig von der gerichtlichen Geltendmachung gelte. Auch wenn ein gemäß § 61 ASGG vorläufig gezahlter Betrag mit gesetzlichen Zinsen zurückzuzahlen sei, lasse sich daraus nicht ableiten, dass der Zinssatz des § 49a Satz 1 ASGG auch vom redlichen Bereicherungsschuldner unabhängig vom Eintritt des Verzugs zu ersetzen sei; die Bestimmung des § 49a ASGG gehe jener des § 1333 ABGB vor. Daher könne auch § 49a Satz 2 ASGG, der den im Satz 1 leg cit vorgesehenen erhöhten Zinssatz beschränke, nicht außer Betracht bleiben. Ob die „Verzögerung der Zahlung auf einer vertretbaren Rechtsansicht der Schuldners“ beruhe, könne im gegebenen Zusammenhang nur danach beurteilt werden, ob die Bereicherung aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils im Sinne des § 61 ASGG, durch dessen Abänderung letztlich eine Rückzahlungsverpflichtung fällig geworden sei, auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruht habe. Dem Gesetzgeber habe schon im Zeitpunkt der Einführung des § 49a ASGG bewusst gewesen sein müssen, dass es auch Fälle von Vergütungszinsen ohne Zahlungsverzug geben könne. Trotzdem beziehe sich die gesamte Regelung erkennbar auf Verzugszinsen, sodass auch der Begriff „Verzögerung“ im § 49a Satz 2 ASGG nach dem Zweck der Regelung im dargelegten Sinn interpretieren lasse. Ausgehend davon, dass der Beklagte eine Geldsumme zurückzuerstatten gehabt habe, deren Zahlung ein klagsstattgebendes vom Gesetz mit vorläufiger Vollstreckbarkeit gemäß § 61 ASGG ausgestattetes Urteil zugrunde gelegen sei, sei davon auszugehen, dass seine (vorläufige) Bereicherung auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruht habe. Der Klägerin stünden daher nur Vergütungszinsen in Höhe der gesetzlichen Verzugszinsen von 4 % zu.
[14] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage zu, ob ein gemäß § 61 ASGG vorläufig gezahlter Betrag mit Zinsen nach § 49a ASGG zurückzuerstatten und ob in diesem Zusammenhang § 49a Satz 2 ASGG anzuwenden sei.
[15] Mit ihrer Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung begehrt die Klägerin die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinne; hilfsweise wird Aufhebung beantragt.
[16] Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[17] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.
[18] 1.1. Nach § 61 Abs 1 Z 1 ASGG hemmt die rechtzeitige Erhebung einer Berufung gegen ein klagsstattgebendes (vgl RS0085784) erstes Urteil des Gerichts erster Instanz in Rechtsstreitigkeiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und daraus abgeleitete Ansprüche auf das rückständige laufende Arbeitsentgelt nur den Eintritt der Rechtskraft, nicht jedoch den Eintritt der Verbindlichkeit der Feststellung, den der Rechtsgestaltungswirkung oder den der Vollstreckbarkeit. Nach § 61 Abs 2 ASGG wirkt ein solches Urteil, auch wenn es inzwischen aufgehoben oder durch ein anderes Urteil ersetzt worden ist, grundsätzlich bis zur Beendigung des Verfahrens weiter, und zwar unbeschadet eines allfälligen Rückzahlungsanspruchs.
[19] 1.2. Wird somit (wie hier) das erste Urteil des Erstgerichts in der Folge rechtskräftig im klagsabweisenden Sinn abgeändert, hat der Leistungsempfänger – da § 61 Abs 1 ASGG keinen endgültigen Entgeltanspruch schafft – auf der bereicherungsrechtlichen Grundlage des § 1435 ABGB den erhaltenen Geldbetrag wieder zurückzuzahlen (vgl RS0113095 [insb T2]), ohne dass diesem Rückforderungsanspruch der Einwand gutgläubigen Verbrauchs entgegengesetzt werden könnte (RS0085764).
[20] 2.1. Ist eine Geldsumme zurückzuerstatten, so besteht auch ein Anspruch auf sogenannte Vergütungszinsen (RS0031939; RS0032078), wobei es sich ebenfalls um einen bereicherungsrechtlichen Anspruch handelt, der den mit der möglichen Nutzung des Kapitals verbundenen Vorteil ausgleichen soll (vgl 8 Ob 113/24m Rz 9 mwN). Auch bei Redlichkeit des Bereicherten und unabhängig vom Eintritt dessen Verzugs ist nämlich die Nutzungsmöglichkeit des Kapitals inter partes dem Bereicherungsgläubiger zugeordnet. Es wäre daher nicht zu rechtfertigen, wenn der Schuldner den Nutzungsvorteil bis zum Einlangen eines Rückzahlungsbegehrens behalten könnte; eine Regelung wie § 1000 ABGB ist in diesem Zusammenhang als Pauschalierung des gewöhnlichen Nutzungsentgelts für Geld („Zinsen“) zu verstehen (vgl 10 Ob 2/23a Rz 124 mwN).
[21] 2.2. Nach der Rechtsprechung ist daher diese Nutzungsmöglichkeit zumindest mit den gesetzlichen Zinsen abzugelten (RS0032078 [T2]).
[22] 2.3. § 61 ASGG ist nicht nur dahin auszulegen, dass eine Partei nicht unabhängig vom Erfolg ihres Rechtsmittels endgültig die Folgen einer rechtswidrigen Entscheidung zu tragen hat, sondern darüber hinaus auch dahin, dass eine Partei auch nicht einseitig mit allen Folgen einer potenziell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung für den Zeitraum bis zur endgültigen Erledigung des Rechtsmittels belastet wird. Da der Leistungsempfänger dann, wenn er die (üblichen) Nutzungen der ohne Gegenleistung erhaltenen Geldleistung behalten dürfte, zum Schaden des Rückfordernden bereichert wäre, führt auch eine verfassungskonforme Interpretation des § 61 ASGG dazu, dem Rückfordernden die lediglich die Bereicherung des Empfängers einer wegen Wegfalls des Rechtsgrundes (§ 1435 ABGB) zurückzuerstattenden Geldsumme abgeltenden Vergütungszinsen zuzuerkennen. Dementsprechend sind auch nach § 61 ASGG vorläufig gezahlte Beträge mit gesetzlichen Zinsen zurückzuerstatten (vgl schon 9 ObA 42/91 = RS0010229).
[23] 3.1. Nach § 49a Satz 1 ASGG betragen die – hier interessierenden – gesetzlichen Zinsen für Forderungen im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis (im Sinne des § 50 Abs 1 ASGG) 9,2 % pa über dem am Tag nach dem Eintritt der Fälligkeit geltenden Basiszinssatz. Beruht aber die Verzögerung der Zahlung auf einer vertretbaren Rechtsansicht des Schuldners, so sind nach § 49a Satz 2 ASGG nur „die sonstigen Bestimmungen über die gesetzlichen Zinsen“ anzuwenden (vgl §§ 1333 Abs 1, 1000 ABGB).
[24] 3.2. Diese – dem § 1333 ABGB vorgehende (vgl 9 ObA 4/10v mwN) – Bestimmung wurde durch die ASGG‑Nov 1994, BGBl 1994/624, eingeführt.
[25] In der Regierungsvorlage war (noch als neuer § 1162e ABGB) vorgesehen, dass die gesetzlichen Zinsen für „Forderungen aus Dienstverhältnissen“ 2 % über dem damaligen Diskontsatz betragen sollten. Begründet wurde dies damit, dass mit dieser an die Stelle des gesetzlichen Zinssatzes von 4 % tretenden Bestimmung „durch eine sachgerechte Anhebung des gesetzlichen Jahreszinssatzes ein zusätzlicher Anstoß zur pünktlichen Erfüllung“ solcher Forderungen geschaffen werden solle. Die im zweiten Satz vorgesehene Einschränkung der Geltung des im ersten Satz normierten höheren Zinssatzes sichere dessen „Sachgerechtigkeit“. Aus der Wendung „Beruht aber die Verzögerung der Zahlung auf einer vertretbaren Rechtsansicht …“ folge, dass im Fall eines Rechtsstreits ausschließlich von dem vom Gericht festgestellten Sachverhalt und der sich daraus ableitbaren rechtlichen Beurteilung auszugehen und sohin „nicht der vom Schuldner subjektiv angenommene Sachverhalt maßgebend“ sei; damit sei sichergestellt, dass es im Rahmen eines Gerichtsverfahrens für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des zweiten Halbsatzes keiner besonderen weiteren Sachverhaltserhebungen bedürfe. Bei der Auslegung von „vertretbare Rechtsansicht“ könne die Rechtsprechung zu § 1 AHG nutzbar gemacht werden. Niedrigere Zinsen seien nur dann zu zahlen, wenn bei der rechtlichen Beurteilung des vom Gericht festgestellten (objektivierten) Sachverhalts auch die vom Gericht schließlich nicht geteilte Rechtsansicht des Schuldners, wonach ihn keine Zahlungspflicht träfe, aber doch als „vertretbar“ anzusehen wäre (ErläutRV 1654 BlgNR 18. GP 34 f).
[26] Aufgrund eines Abänderungsantrags wurde im Justizausschuss der Text der – nunmehr als § 49a ASGG vorgesehenen – Bestimmung dahin abgeändert (und letztlich vom Gesetzgeber so beschlossen), dass er die gesetzlichen Zinsen für „Forderungen im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis“ regeln solle. Diese Wendung solle „gegenüber der Regierungsvorlage verdeutlichen, dass die hier vorgesehenen Zinsen nicht nur für Entgeltforderungen, sondern auch etwa für Schadenersatz- oder Kondiktionsforderungen zum Tragen kommen sollen“. Schon aus dem ausschließlich materiell‑rechtlichen Inhalt dieser Bestimmung folge, dass die Verpflichtung zur Zahlung der besagten höheren Zinsen nicht auf gerichtlich geltend gemachte Forderungen beschränkt sein solle und vor allem deshalb vor dem § 50 ASGG eingeordnet werde (JAB 1849 BlgNR 18. GP 3).
[27] 3.3. Dass § 49a ASGG seinem klaren Wortlaut nach nicht zwischen Forderungen des Arbeitnehmers und solchen des Arbeitgebers unterscheidet, entspricht der herrschenden Auffassung im Schrifttum ebenso wie der ständigen Rechtsprechung (vgl unlängst 9 ObA 50/23b Rz 75 mwN). Für eine von einzelnen Stimmen erwogene (vgl Köck in Köck/Sonntag, ASGG [2020] § 49a Rz 3) bzw befürwortete (Reischauer, Gedanken zu den Verzugszinsen. Eine Gesamtschau unter besonderer Berücksichtigung des Arbeitsrechts [§ 49a ASGG], ÖJZ 2024/111, 656 [661]) teleologische Reduktion auf Arbeitnehmerforderungen sieht der Senat angesichts der Gesetzesmaterialien keinen hinreichenden Grund.
[28] 3.4. Nach der Rechtsprechung gelten alle Arten von Zinsen aus einer fälligen, zu erstattenden Geldsumme ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der Zahlungspflicht als „Verzögerungszinsen“ im Sinne des § 1333 Abs 1 ABGB; darunter fallen auch Zinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher zurückzuerstattenden Geldsumme („Vergütungszinsen“; vgl RS0031939; 1 Ob 315/97y = RS0032078 [T1]; ebenso auch die Materialien zur ASGG‑Nov 1994: JAB 1849 BlgNR 18. GP 3 – siehe oben Pkt 3.2.).
[29] 3.5. Auch § 49a Satz 1 ASGG ist demnach auf Vergütungszinsen anwendbar, ist doch die Wortfolge „Verzögerung der Zahlung“ (vgl § 1333 ABGB) – im Einklang mit der dargelegten Rechtsprechung zu „Verzögerungszinsen“ – dahin zu verstehen, dass damit alle Arten von Zinsen gemeint sind, welche aus einer einem Anderen zustehenden, diesem zu erstattenden Geldsumme ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der Zahlungspflicht zustehen. Eine Einschränkung dahin, dass § 49a Satz 2 ASGG nur auf Fälle des Zahlungsverzugs im engeren Sinn anwendbar sein soll, lässt sich dem Gesetzestext nicht entnehmen.
[30] 3.6.1. Ist aber nun § 49a ASGG auf bereicherungsrechtliche Vergütungszinsen im dargelegten Sinne generell anwendbar, so stehen in einem Fall wie dem hier vorliegenden Zinsen nach Satz 1 leg cit nur unter der Bedingung von Satz 2 leg cit nicht zu, dass der Schuldner – hier der Beklagte – eine vertretbare Rechtsansicht ins Treffen führen kann, warum er den (letztlich zurückzuzahlenden) Geldbetrag erhalten hat und (vorerst) behalten durfte.
[31] 3.6.2. Nach der Rechtsprechung ist esSache des Schuldners, Behauptungen darüber aufzustellen, warum nicht der in § 49a Satz 1 ASGG festgelegte Zinssatz, sondern der nach Satz 2 leg cit zustehe (RS0125438 [T2]; RS0116030 [T3, T5]).
[32] Allein der Umstand, dass sich der Schuldner auf unzutreffende Tatsachenbehauptungen stützt, kann jedoch am Anspruch auf Zinsen nach § 49a Satz 1 ASGG nichts ändern (RS0116030), zumal kein Verfahren zur Frage der Gründe für diese falschen Tatsachenbehauptungen zu führen (vgl 8 ObA 306/01k) und eine strittige Beweislage kein Anlass für eine analoge Anwendung des § 49a Satz 2 ASGG ist (vgl Neumayr in ZellKomm3 [2018] § 49a ASGG Rz 6 mwH; Reischauer, ÖJZ 2024/111, 660; aM Zankel, Die Anwendbarkeit der Zinsregelung des § 49a ASGG im arbeitsgerichtlichen Prozess, DRdA 2008, 20, Pkt 6).
[33] Eine objektiv vertretbare Rechtsansicht im Sinne des § 49a Satz 2 ASGG liegt nach der Rechtsprechung etwa dann vor, wenn Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen fehlt, die Vorinstanzen eine komplexe Materie zu beurteilen hatten und einen anderen Rechtsstandpunkt als der Oberste Gerichtshof vertraten, oder eine komplexe Materie zu beurteilen war, zu der Rechtsprechung fehlt (RS0125438; RS0116030 [T4]).
[34] 4.1. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen ist der vom Beklagten in erster Instanz ebenso wie im Rechtsmittelverfahren hierfür ins Treffen geführte Umstand, die Zahlung an ihn beruhe auf einem gesetzlichen Grund (§ 61 ASGG) und sei daher zumindest vertretbar, nicht hinreichend. Dasselbe gilt für die Auffassung des Beklagten in seiner Revisionsbeantwortung, es sei nicht auf die Vertretbarkeit einer gegenteiligen Rechtsansicht zum klagsabweisenden Urteil des Erstgerichts im zweiten Rechtsgang des Vorverfahrens abzustellen, sondern nur darauf, ob die gesetzlich festgelegte Leistungsverpflichtung einer vertretbaren Rechtsansicht gleichzuhalten sei.
[35] Dieser Sichtweise steht schon – wie bereits dargelegt – entgegen, dass der Leistungsempfänger dann, wenn er die (üblichen) Nutzungen der ohne Gegenleistung erhaltenen Geldleistung behalten dürfte, zum Schaden des Rückfordernden bereichert wäre (vgl 9 ObA 42/91). Abgestellt werden muss daher allein auf die Vertretbarkeit der Rechtsansicht im entsprechenden Verfahren.
[36] 4.2. Darüber hinaus kommt es für die Frage der Vertretbarkeit auch allein darauf an, ob die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts durch den Schuldner vertretbar war; kein Gegenstand der Vertretbarkeitsprüfung ist hingegen, ob es vertretbar war, einen letztlich feststellungsfremden Sachverhalt zu behaupten. Hier hat der nunmehrige Beklagte im Vorverfahren das Vorliegen von Tatsachen behauptet, aus denen rechtlich die Berechtigung seiner Kündigungsanfechtung ableitbar sein sollte (und auch gewesen wäre, wären seine Tatsachenbehauptungen erweislich gewesen). Im Vorverfahren wurde aber die Richtigkeit seiner Tatsachenbehauptungen verneint, es wurden zu seinen Behauptungen konträre Feststellungen getroffen und aus diesem Grund wurde eine von seinen Rechtsfolgenbehauptungen abweichende rechtliche Beurteilung seines Begehrens vorgenommen. Es wurde somit nicht die Richtigkeit seiner Rechtsansicht verneint, was erst die Frage der Vertretbarkeit einer solchen abweichenden Ansicht aufwerfen hätte können.
[37] 4.3. Daraus folgt, dass die hier zu beurteilende Sachverhaltskonstellation keine Anwendung des § 49a Satz 2 ASGG erlaubt. Es hat bei der Anwendung der Grundregel des § 49a Satz 1 ASGG zu bleiben, wonach der Schuldner für Forderungen im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis Zinsen von 9,2 % pa über dem am Tag nach dem Eintritt der Fälligkeit geltenden Basiszinssatz zu zahlen hat. Eine Änderung oder Einschränkung solcher (wie oben zu Pkt 3.3. bereits erläutert wurde) klaren Regelungen ist dem Gesetzgeber vorbehalten und nicht Aufgabe der ordentlichen Gerichtsbarkeit (vgl RS0008880 [insb T22, T23]).
[38] Das – der Höhe nach unstrittige – Klagebegehren der Arbeitgeberin erweist sich damit als berechtigt, was die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen erfordert.
[39] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 41 ZPO und § 54 Abs 1a ZPO sowie – für das Rechtsmittelverfahren – § 50 ZPO. Kosten für die Tagsatzung am 6. 3. 2024 wurden nicht verzeichnet; die Verdienstsumme für das erstinstanzliche Verfahren beträgt daher netto 1.879,24 EUR.
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