OGH 9ObA28/25w

OGH9ObA28/25w23.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Gusenleitner‑Helm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Dr. Gerhard Bremm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch die bfp Brandstetter Feigl Pfleger Rechtsanwälte GmbH in Amstetten, gegen die beklagte Partei Land *, vertreten durch Mag. Thomas Reisch, Rechtsanwalt in Wien, wegen [richtig] 11.824,37 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. März 2025, GZ 7 Ra 85/24g‑65, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 24. Mai 2024, GZ 25 Cga 35/22f‑54, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:009OBA00028.25W.0923.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung unter Einschluss ihrer bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile insgesamt zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 11.824,37 EUR brutto samt 8,58 % Zinsen aus 25.781,66 EUR brutto vom 10. Jänner 2022 bis 6. Juni 2023, aus 26.239,94 EUR brutto vom 7. Juni 2023 bis 30. April 2024 sowie aus 11.824,37 EUR brutto seit 1. Mai 2024 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 16.078,62 EUR (darin 2.547,77 EUR USt und 792 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.652,82 EUR (darin 238,97 EUR USt und 1.219 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit  2.878,75 EUR (darin 166,79 EUR USt und 1.878 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war bei der Beklagten vom 1. 10. 2000 bis 14. 12. 2021 als Reinigungskraft beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis fanden die Bestimmungen des NÖ Landesvertragsbedienstetengesetzes (NÖ LVBG) Anwendung.

[2] Mit Schreiben vom 13. 12. 2021, zugestellt am 14. 12. 2021, wurde die Klägerin entlassen. Im Revisionsverfahren ist unstrittig, dass die Klägerin keinen Entlassungsgrund gesetzt hat.

[3] Die Klägerin begehrt von der Beklagten mit am 15. 6. 2022 eingebrachter Klage – nach einer am 30. 4. 2024 erfolgten Teilzahlung von 14.415,57 EUR brutto an Abfertigung zuzüglich Zinsen – restlich „11.366,09“ EUR brutto samt 8,58 % Zinsen aus 25.781,66 EUR brutto vom 10. 1. 2022 bis 6. 6. 2023, aus 26.239,94 EUR brutto vom 7. 6. 2023 bis 30. 4. 2024 sowie aus „11.366,09“ EUR brutto seit 1. 5. 2024. Da die Entlassung unberechtigt gewesen sei, stünden ihr 458,28 EUR brutto an restlicher Abfertigung, 1.389,16 EUR brutto an Urlaubsersatzleistung und 9.976,93 EUR brutto an Kündigungsentschädigung samt Sonderzahlungen und Urlaubsersatzleistung zu (sodass sich ein Gesamtbetrag von 11.824,37 EUR brutto errechnet). Zum Anspruch auf Kündigungsentschädigung brachte die Klägerin zusammengefasst vor, dass jeder Arbeitnehmer das Wahlrecht habe, entweder auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu bestehen oder die Beendigung des Dienstverhältnisses hinzunehmen und Ersatzansprüche geltend zu machen. § 63 Abs 6 NÖ LVBG, der den Dienstnehmer zur Bekämpfung seiner unberechtigten Entlassung bei sonstigem Verlust einer Entschädigung im Sinne des § 25 Abs 3 NÖ LVBG verpflichte, sei verfassungswidrig.

[4] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte Klagsabweisung und wandte unter anderem ein, dass der Anspruch der Klägerin auf Kündigungsentschädigung verfristet sei, weil sie die Entlassung nicht innerhalb der Monatsfrist des § 63 Abs 6 NÖ LVBG angefochten habe. Jedenfalls habe die Klägerin ihre Aufgriffsobliegenheit verletzt, weil sie ihre bereits am 17. 12. 2021 angemeldeten Ansprüche erst nach weiteren sechs Monaten eingeklagt habe.

[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 458,28 EUR brutto samt 8,58 % Zinsen seit 6. 6. 2023 an restlicher Abfertigung statt. Das Mehrbegehren wies es ab: Da die Klägerin die Entlassung nicht innerhalb der Monatsfrist des § 63 Abs 6 NÖ LVBG angefochten habe, seien die darüber hinausgehenden Ansprüche verfristet.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und dem Klagebegehren mit einem weiteren Betrag von 1.389,16 EUR brutto samt 8,58 % Zinsen seit 6. 6. 2023 an Urlaubsersatzleistung statt, weil diese von § 25 Abs 3 iVm § 63 Abs 6 NÖ LVBG nicht erfasst sei. Dass der Klägerin die Kündigungsentschädigung mangels Entlassungsanfechtung innerhalb der Monatsfrist des § 63 Abs 6 NÖ LVBG nicht gebühre, entspreche dem Gesetz. Diese Bestimmung sei auch nicht verfassungswidrig (VfGH G 126/2024).

[7] In ihrer gegen die Abweisung von „9.518,65“ EUR brutto sA (Kündigungsentschädigung) gerichteten außerordentlichen Revision strebt die Klägerin (erkennbar) die gänzliche Klagsstattgabe an; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Beklagte beantragt mit ihrer – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision der Klägerin ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

1. Die für den vorliegenden Fall relevanten Bestimmungen des NÖ LVBG lauten auszugsweise:

[10] 1.1. § 25 Anfall und Einstellung der Geldleistungen

(3)  Der Anspruch auf Geldleistungen endet mit der Beendigung des Dienstverhältnisses. Wenn jedoch den Dienstgeber ein Verschulden an dem vorzeitigen Austritt des Vertragsbediensteten trifft, behält dieser seine vertragsmäßigen Ansprüche auf Geldleistungen für den Zeitraum, der bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch Ablauf der bestimmten Vertragszeit, längstens jedoch bis zum Ablauf der jeweils zutreffenden Kündigungsfrist gemäß § 62 Abs 1 hätte verstreichen müssen, unter Einrechnung dessen, was er infolge Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat. Für die ersten drei Monate dieses Zeitraumes hat die Einrechnung zu unterbleiben.

[11] 1.2. § 60 Enden des Dienstverhältnisses

(4)  Eine entgegen den Vorschriften des § 61 ausgesprochene Kündigung ist rechtsunwirksam. Eine entgegen den Vorschriften des § 63 ausgesprochene Entlassung gilt als Kündigung, wenn der angeführte Entlassungsgrund einen Kündigungsgrund im Sinne des § 61 Abs. 2 darstellt; liegt auch kein Kündigungsgrund vor, so ist die ausgesprochene Entlassung rechtsunwirksam.

(5)  Die Vertragsbediensteten haben das Recht, eine gemäß Abs. 4 rechtsunwirksame Kündigung oder Entlassung gegen Entschädigung im Sinne des § 25 Abs. 3 zweiter und dritter Satz als wirksam anzuerkennen.

[12] 1.3. § 63 Vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses

(6)  Eine Entlassung nach Abs. 2 kann nur binnen eines Monats nach Zugang der Entlassung bei Gericht angefochten werden. Eine innerhalb dieser Frist nicht angefochtene Entlassung ist rechtswirksam und führt zum Ausschluss einer Entschädigung nach § 25 Abs. 3.

[13] 2.1. Die mit LGBl 5/2018 eingeführte einmonatige Frist des § 63 Abs 6 NÖ LVBG zur Anfechtung einer Entlassung war nach den Materialien (Motivenbericht LAD2‑GV-38/165-2017, 23 f) im Sinne der Rechtssicherheit geboten: „Eine Anfechtung soll einerseits zeitnah erfolgen, um möglichst rasch einen Zustand der Rechtssicherheit herstellen zu können und Klarheit über zukünftige Rechtsverhältnisse zu schaffen. Andererseits soll im Sinne einer dienstnehmerfreundlichen Vorgangsweise, den Vertragsbediensteten eine angemessene Zeitspanne zur Verfügung stehen, um gegen eine Kündigung vorgehen zu können.

[14] 2.2. Zeitgleich wurde in § 90 Abs 7 des NÖ Landes‑Bedienstetengesetzes (NÖ LBG) durch LGBl 3/2018 eine wortgleiche Bestimmung mit der selben Begründung (Motivenbericht LAD2-GV-259/95-2017, 27) eingeführt.

[15] 3. Der zweite Satz des § 63 Abs 6 NÖ LVBG („Eine innerhalb dieser Frist nicht angefochtene Entlassung ist rechtswirksam und führt zum Ausschluss einer Entschädigung nach § 25 Abs. 3.“) wurde mit LGBl 52/2021 eingefügt. Diesen begründete der Landesgesetzgeber – ebenso wie die Einführung des gleichlautenden Satzes in § 90 Abs 7 NÖ LBG – damit, dass „ein Gleichklang mit dem privaten Arbeitsrecht (§ 106 Abs 2 ArbVG) hergestellt werden solle“ und „klarstellend“ normiert werde, dass eine nicht fristgerecht angefochtene Entlassung rechtswirksam und daher eine Entschädigung nach § 92 Abs 2 NÖ LBG (§ 25 Abs 3 NÖ LVBG) ausgeschlossen sei (Motivenbericht LAD2‑GVN‑259/007-2021, 20, 36). Der Landesgesetzgeber strebte also eine Angleichung der Rechtslage insbesondere an die Bestimmung des § 106 Abs 2 ArbVG an.

[16] 4. Nach § 106 Abs 2 ArbVG ist § 105 Abs 4 bis 7 ArbVG sinngemäß anzuwenden, sodass die dort genannten Fristen zur Anwendung gelangen (Wolligger in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 106 ArbVG Rz 11; Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht6 § 106 ArbVG Rz 16). Für die Geltendmachung einer Kündigungsentschädigung im Falle einer ungerechtfertigten Entlassung sind die Fristen des § 105 ArbVG demgegenüber nicht heranzuziehen. Hierfür statuieren vielmehr die §§ 34 AngG, 1162d ABGB sechsmonatige Verfallsfristen (vgl 8 Ob 7/17p, Pkt 4.3), die relativ zwingend sind (§ 40 AngG; § 1164 Abs 1 ABGB). Der Verzicht des Arbeitnehmers auf Anfechtung seiner Entlassung sagt daher nichts über sein Recht, Kündigungsentschädigung zu verlangen (vgl Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht6 § 106 ArbVG Rz 17; Wolligger in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 106 ArbVG Rz 15).

[17] 5.1. Daraus ist zu schließen, dass (auch) der Landesgesetzgeber mit der Einführung der einmonatigen Anfechtungsfrist des § 63 Abs 6 Satz 1 NÖ LVBG nicht beabsichtigte, der Bestimmung des § 60 Abs 5 NÖ LVBG ihren Anwendungsbereich (vollständig) zu nehmen, sondern lediglich einen Gleichklang mit den Bestimmungen des ArbVG über die Fristgebundenheit der Anfechtung einer Entlassung herzustellen. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen hat der Vertragsbedienstete nach § 60 Abs 5 NÖ LVBG daher (nach wie vor) das Recht, die Entlassung nicht anzufechten, sondern von dem ihm an sich zugute kommenden Bestandschutz nicht Gebrauch zu machen und stattdessen Entschädigungsansprüche nach § 25 Abs 3 zweiter und dritter Satz NÖ LVBG (Kündigungsentschädigung) zu erheben (vgl RS0028839). Ein Dienstnehmer soll schließlich nicht gezwungen werden, ein durch eine ungerechtfertigte Auflösungserklärung belastetes Dienstverhältnis fortzusetzen (RS0101989 [T5]).

[18] 5.2. Der Unterschied zwischen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen und der Rechtslage nach dem NÖ LVBG besteht daher bloß darin, dass § 60 Abs 5 NÖ LVBG die ausdrückliche Möglichkeit der „Anerkennung“ einer rechtsunwirksamen Entlassung statuiert, während diese Möglichkeit dem Arbeitnehmer nach dem ABGB bzw dem AngG dadurch zukommt, dass er die Beendigung des Dienstverhältnisses nicht (gerichtlich) anficht, sondern stattdessen Kündigungsentschädigung begehrt (vgl 8 ObA 76/19p).

[19] 6.1. Zutreffend vertritt die Klägerin daher den Standpunkt, dass auch ihr ein Wahlrecht zwischen der Anfechtung der Entlassung und der Geltendmachung der Kündigungsentschädigung zukommt. Dieses Wahlrecht hat die Klägerin unmittelbar nach Ausspruch der Entlassung dadurch ausgeübt, dass sie – worauf auch die Beklagte im Berufungsverfahren explizit hingewiesen hat – mit Schreiben vom 17. 12. 2021 unter Hinweis auf die ungerechtfertigte Entlassung ihre Entschädigungsansprüche, ua die Kündigungsentschädigung, dem Grunde nach geltend gemacht hat.

[20] 6.2. Ob die (außergerichtliche) Anerkennung der „Entlassung gegen Entschädigung im Sinne des § 25 Abs 3 zweiter und dritter Satz“ (§ 60 Abs 5 NÖ LVBG) ebenfalls binnen der in § 63 Abs 6 Satz 1 NÖ LVBG normierten Monatsfrist zu erfolgen hat, braucht nicht näher untersucht zu werden, weil die Klägerin diese Frist mit ihrem Aufforderungsschreiben jedenfalls eingehalten hat.

[21] 6.3. Die Revisionsbeantwortung meint, die Klägerin hätte ihre Entschädigungsansprüche binnen Monatsfrist nicht bloß außergerichtlich, sondern gerichtlich geltend machen müssen, weil so die Entlassung „als Vorfrage“ angefochten werde. Dass ein Vertragsbediensteter seine Entschädigungsansprüche nach Anerkennung der Entlassung innerhalb eines Monats gerichtlich geltend machen müsste, sieht jedoch der Wortlaut des NÖ LVBG nicht vor (vgl zum NÖ LBG 8 ObA 76/19p).

[22] Mit Geltendmachung und Einklagung des Entschädigungsanspruchs wird außerdem nur die Berechtigung der dann wirksamen Entlassung geklärt, aber gerade keine „Anfechtung“ vorgenommen – auch nicht (wie etwa bei der Kondiktion nach Vertragsauflösung: RS0016253) als „Vorfrage“. Die behauptete Verkürzung der Frist zur (gerichtlichen) Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen auf nur ein Monat findet ferner in den vom historischen Gesetzgeber artikulierten Motiven zur Einführung der Monatsfrist keine Deckung. Sie würde eine gravierende Benachteiligung der Vertragsbediensteten gegenüber jenen Dienstnehmern bedeuten, für die die (hier nicht anwendbaren: siehe unter Pkt 7) §§ 34 AngG, 1162d ABGB gelten; auch für eine derartige Intention gibt es nicht den geringsten Hinweis. Die von der Revisionsbeantwortung ins Treffen geführten Interessen des Arbeitgebers an einer raschen Klärung der Frage der Berechtigung der Entlassung in Hinblick auf die „Sperre“ des Dienstpostens bis zum Abschluss des Entlassungsprozesses sprechen ebenfalls nicht für das Erfordernis der Einleitung eines Gerichtsprozesses über die Entschädigungsansprüche binnen Monatsfrist: Hat nämlich der Arbeitnehmer seine Wahl bereits getroffen und anstatt der auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Anfechtung der Entlassung Ersatzansprüche aus ungerechtfertigter Entlassung geltend gemacht, ist er daran gebunden und kann seine Wahl grundsätzlich ohnehin nicht mehr abändern (vgl RS0028233 [T8]). Eine außergerichtliche Wahl tut dem Klarstellungsinteresse des Arbeitgebers daher Genüge.

[23] 7.1. Die Revisionsbeantwortung hält die Klage auch deshalb für verfristet, weil sie erst am 15. Juni 2022 und damit außerhalb der Sechsmonatsfrist des § 1162d ABGB eingebracht worden sei. Dem ist zu entgegnen:

[24] 7.2. Die Gesetzgebungskompetenz für die Dienstverhältnisse der Landesbediensteten liegt bei den Ländern (Art 21 Abs 1 B‑VG). Das Dienstvertragsrecht des ABGB gilt nur subsidiär, nämlich wenn das Spezialgesetz den in Frage stehenden Anspruch überhaupt nicht regelt (Felten in Rummel 4 § 1151 ABGB Rz 5; 9 ObA 93/93 mwH [zum Kärntner LVBG]). Für den Anspruch auf Kündigungsentschädigung normiert § 42 NÖ LVBG eine – von der Klägerin unstrittig eingehaltene – dreijährige Verjährungsfrist. § 1162d ABGB kommt daher nicht zur Anwendung.

[25] 8.1. Zu prüfen bleibt der Einwand des Arbeitgebers, die Klägerin hätte gegen ihre – im allgemeinen Arbeitsrecht von der Rechtsprechung anerkannte – Aufgriffsobliegenheit verstoßen, weil sie ihre Klage erst mehr als sechs Monate nach Beendigung des Dienstverhältnisses eingebracht habe.

[26] 8.2. Die von der Rechtsprechung entwickelte Aufgriffsobliegenheit besagt, dass der die Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers voraussetzende Fortsetzungsanspruch nicht zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden kann (RS0028233); sie besteht auch im Fall der verschlechternden Versetzung (RS0119727). Die Obliegenheit, die Unwirksamkeit der Beendigung zeitgerecht aufzuzeigen, wird mit einem eminenten Klarstellungsinteresse des Arbeitgebers am Bestand oder Nichtbestand des Arbeitsverhältnisses begründet. Es geht letztlich darum, dass der Arbeitnehmer sein Recht, die Beendigungserklärung als unwirksam zu bekämpfen, im Hinblick auf die synallagmatische Arbeitsrechtsbeziehung in angemessener Zeit geltend zu machen hat, können doch sonst dem anderen Vertragspartner, der auf die Wirksamkeit der Beendigung vertraut hat, Nachteile entstehen (8 ObA 48/06a mwN).

[27] 8.3. Die Aufgriffsobliegenheit trifft demnach grundsätzlich den Arbeitnehmer, der den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in seiner bisherigen Form durchsetzen möchte. Hier hingegen will die Klägerin die Beendigung gegen sich gelten lassen und fordert stattdessen Entschädigungsansprüche, sodass kein Grund besteht, sie mit einer Aufgriffsobliegenheit zu belasten.

[28] 9. Zusammengefasst sind die §§ 60 ff NÖ LVBG in Bezug auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung der dargestellten Intention des Landesgesetzgebers wie folgt zu verstehen:

[29] Der Landesvertragsbedienstete kann eine ungerechtfertigte Entlassung gemäß § 60 Abs 5 NÖ LVBG entweder anfechten (§ 63 Abs 6 Satz 1 NÖ LVBG) oder gegen sich gelten lassen („als wirksam anerkennen“); letzterenfalls erhält er eine Entschädigung im Sinne des § 25 Abs 3 zweiter und dritter Satz NÖ LVBG. § 63 Abs 6 Satz 2 zweiter Teil NÖ LVBG ist jedenfalls dann unanwendbar, wenn der Landesvertragsbedienstete – wie hier die Klägerin – bereits vor Ablauf der Frist des § 63 Abs 6 Satz 1 NÖ LVBG die Anerkennung der Beendigung gegen Entschädigung gewählt hat.

[30] 10.1. Der Revision der Klägerin war daher Folge zu geben und dem Klagebegehren insgesamt zur Gänze stattzugeben.

[31] 10.2. Nach Zahlung eines Teilbetrags von 14.415,57 EUR brutto sA an Abfertigung schränkte der Klagevertreter das Begehren auf Zahlung von „11.366,09“ EUR brutto sA ein. Allerdings ist ihm dabei ein offensichtlicher Rechenfehler unterlaufen, wurde doch bei der Ermittlung des „neuen“ Klagebegehrens offensichtlich die (nach vorangehender Ausdehnung) restliche Abfertigung von 458,28 EUR brutto vergessen, die das Erstgericht der Klägerin ja auch – unangefochten – zugesprochen hat. Über den Betrag von 14.415,57 EUR hinaus ist keine Einschränkung des der Höhe nach außer Streit stehenden Klagebegehrens erfolgt. Prozessgegenstand des Ersturteils ist daher nicht bloß ein Betrag von 11.366,09 EUR brutto, sondern ein solcher von 11.824,37 EUR brutto. Dieser Betrag ist somit der Klägerin zuzusprechen und auch der Zinsstaffel zugrunde zu legen.

[32] 11. Die Kostenentscheidungen beruhen auf §§ 41, 50 ZPO.

Für das Verfahren in erster Instanz ist der Kostenentscheidung gemäß § 54 Abs 1a ZPO die unbeanstandete Kostennote des Klagevertreters zugrundezulegen. Die verzeichnete Zeugengebühr gebührt nicht, weil diese laut Protokoll „in Übereinstimmung mit dem KV“ vom Beklagtenvertreter entrichtet wurde. Die Kosten ab der Klagsausdehnung ON 16 bis ON 52 wurden nur auf Basis des Streitwerts laut Klage, jene für die Streitverhandlung ON 53 wurden nur auf Basis eines Streitwerts von 11.366,09 EUR und somit jedenfalls nicht überhöht verzeichnet.

[33] Für das Berufungs‑ und Revisionsverfahren ist der Kostenzuspruch an die Klägerin ebenfalls mit den auf Basis einer niedrigeren Bemessungsgrundlage verzeichneten Kosten begrenzt. Dass die Kosten für den erfolglosen Normprüfungsantrag nicht zu ersetzen sind, wurde bereits vom Berufungsgericht unter Hinweis auf 10 ObS 153/15w, Pkt 9, dargelegt.

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