European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00163.24T.0923.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Dem Landesgericht Innsbruck wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Kläger begehrten 1. die Aufhebung des Urteils des Bezirksgerichts Innsbruck vom 14. 6. 2021, AZ 20 C 20/21f, und des diesem zugrunde liegenden Verfahrens (in eventu ab der Tagsatzung vom 15. 2. 2021) als nichtig, 2. die Abweisung des in diesem Verfahren erhobenen Klagebegehrens und 3. die Verpflichtung der beklagten Partei zum Ersatz der Kosten dieses Verfahrens.
[2] Der im Verfahren AZ 20 C 20/21f des Bezirksgerichts Innsbruck erkennende Richter sei der Cousin jenes Rechtsanwalts, dem der Vertreter der dort klagenden Partei für das gesamte Verfahren ab der Tagsatzung vom 15. 2. 2021 substituiert habe. Aufgrund dieses Verwandtschaftsverhältnisses des Richters zum Substituten eines Parteienvertreters sei dieser kraft Gesetzes vom Verfahren ausgeschlossen gewesen (§ 20 Abs 1 Z 2 JN). Damit sei der Nichtigkeitsgrund des § 529 Abs 1 Z 1 ZPO erfüllt. Die Nichtigkeitsklage sei fristgerecht, weil die Nichtigkeitskläger erst durch eine Äußerung des Richters gegenüber einem der nunmehrigen Klagevertreter in der Tagsatzung vom 17. 4. 2024 von diesem Verwandtschaftsverhältnis Kenntnis erlangt hätten. Die Beklagte habe die Fortführung des Verfahrens trotz der Ausgeschlossenheit des Richters verschuldet, weil sie in Kenntnis des Ausschließungsgrundes gewesen sei, dies aber nicht offengelegt habe. Das Verfahren zu AZ 20 C 20/21f des Bezirksgerichts Innsbruck sei daher nicht nur ex lege nichtig, die Beklagte sei gemäß § 51 ZPO auch kostenersatzpflichtig.
[3] Das – in dem als nichtig angefochtenen Verfahren als Berufungsgericht tätige und daher zuständige (§ 532 ZPO) – Landesgericht Innsbruck wies die Nichtigkeitsklage bereits im Vorprüfungsverfahren als unschlüssig zurück.
[4] Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund des § 529 Abs 1 Z 1 ZPO iVm § 20 Abs 1 Z 2 JN sei schon ausgehend vom Vorbringen der Nichtigkeitskläger nicht gegeben.
[5] Nach § 20 Abs 1 Z 2 JN seien Richter von der Ausübung des Richteramts in bürgerlichen Rechtssachen in Sachen ihrer Ehegatten, ihrer eingetragenen Partner oder solcher Personen, welche mit ihnen in gerader Linie verwandt oder verschwägert sind, oder mit welchen sie in der Seitenlinie bis zum vierten Grade verwandt oder im zweiten Grade verschwägert sind sowie in Sachen ihrer Lebensgefährten oder solcher Personen, die mit diesen in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum zweiten Grad verwandt sind, ausgeschlossen. Die Verwandtschaft in der Seitenlinie bis zum vierten Grade erfasse auch das – nach den Behauptungen in der Nichtigkeitsklage zum Substituten auf Seiten der Beklagten vorliegende – Verhältnis des Richters zum Cousin.
[6] Nach der Rechtsprechung habe nicht nur ein Verwandtschaftsverhältnis des Richters zu einer Partei, sondern auch ein solches zum Bevollmächtigten einer Partei grundsätzlich die Ausschließung des Richters iSd § 20 Z 2 JN zur Folge. Dies gelte grundsätzlich auch für ein Verwandtschaftsverhältnis des Richters zu einem (bloßen) Substituten des Bevollmächtigten.
[7] In der Literatur verweise Geroldinger jedoch darauf, dass die (analoge) Anwendung der starren Regelung des § 20 Abs 1 Z 2 JN auf Prozessbevollmächtigte jedenfalls teilweise über das Ziel hinausschieße. Bei engen familiären Banden – zB einer (trotz § 22 GOG, § 182 Geo) nicht offengelegten Ehe oder Lebensgemeinschaft zwischen der einschreitenden Anwältin und dem zuständigen Richter – sei die Nichtigkeit des Verfahrens, die über den Eintritt formeller Rechtskraft hinaus geltend gemacht werden könne, zwar eine durchaus angemessene Sanktion. Am äußeren Rand des relevanten Personenkreises führe § 20 Abs 1 Z 2 JN aber zu fragwürdigen Ergebnissen. Die Normen über die Ablehnung von Richtern, insbesondere die Ausschließungstatbestände, seien daher restriktiv auszulegen.
[8] Der Senat teile diese Bedenken hinsichtlich weitschichtiger Verwandter. Die dargestellte Rechtsprechung hätte sich – soweit überblickbar – stets auf nahe Verwandte (Ehegatten; Schwager; Bruder; Vater) bezogen. Zudem seien diese Entscheidungen nicht in Verfahren über Nichtigkeitsklagen ergangen, was insofern von Bedeutung sei, als § 529 Abs 1 Z 1 ZPO (bewusst) enger gefasst sei als § 477 Abs 1 Z 1 ZPO.
[9] Bei einem nur angestellten Rechtsanwalt einer bevollmächtigten Rechtsanwalts-Gesellschaft habe die Rechtsprechung die Ausgeschlossenheit schon mit der Begründung verneint, dass das Angehörigenverhältnis eines Richters zu einem angestellten Rechtsanwalt einer bevollmächtigten Rechtsanwalts-Gesellschaft allein noch keinen für die Ausschließungsgründe charakteristischen und deshalb zu typisierenden Fall einer bereits objektiv evidenten Gefährdung der Objektivität und Unbefangenheit eines Richters begründe und daher ein in analoger Anwendung des § 20 Abs 1 Z 2 JN anzunehmender Ausschließungsgrund nicht vorliege. Auch der vorliegende Fall eines Substituten, der Cousin des erkennenden Erstrichters sei, sei kein für die Ausschließungsgründe charakteristischer und deshalb zu typisierender Fall einer bereits objektiv evidenten Gefährdung der Objektivität und Unbefangenheit eines Richters. Die für einen zulässigen Analogieschluss zu fordernde echte Gesetzeslücke liege nicht vor. Dafür dass die vorliegende Konstellation von § 20 Abs 1 Z 2 JN bewusst nicht erfasst sein sollte, spreche auch der Umstand, dass das Gesetz selbst in § 20 Abs 1 Z 4 JN („in Sachen, in welchen sie als Bevollmächtigte einer der Parteien bestellt waren oder noch bestellt sind“) ausdrücklich die Relevanz der Stellung als Bevollmächtigter einer Partei bedenke. Hinzu komme, dass § 529 Abs 1 Z 1 ZPO ausdrücklich nur auf die Ausschließung eines erkennenden Richters von der Ausübung des Richteramts in dem Rechtsstreite kraft des Gesetzes Bezug nehme und aus den Gesetzesmaterialien zu § 529 ZPO hervorgehe, dass etwa die Mitwirkung eines mit Erfolg abgelehnten Richters dem Mangel der Ausgeschlossenheit eines an der Entscheidung beteiligten Richters nicht gleichwertig sei und „die außerordentliche Abhilfe der Nichtigkeitsklage“ daher nicht als gerechtfertigt erachtet worden sei. Auch die hier vorliegende Konstellation sei der ausdrücklich im Gesetz normierten Konstellation nicht gleichwertig und die außerordentliche Abhilfe der Nichtigkeitsklage sei daher auch hier nicht gerechtfertigt.
Rechtliche Beurteilung
[10] Gegen diese Entscheidung des Landesgerichts Innsbruck (in der Folge Erstgericht) richten sich die Rekurse der Nichtigkeitskläger. Diese sind berechtigt.
[11] 1. Gemäß § 538 Abs 1 ZPO ist die Nichtigkeitsklage ohne Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung bereits im Vorprüfungsverfahren unter anderem dann zurückzuweisen, wenn die Rechtsmittelklage unschlüssig ist.
[12] Es ist daher auf Basis des Vorbringens in der Rechtsmittelklage zu prüfen, ob ein gesetzlicher Anfechtungsgrund vorliegt. Dabei ist die Richtigkeit der Klagebehauptungen zu unterstellen und auf dieser Grundlage eine rechtliche Beurteilung dahin vorzunehmen, ob der Rechtsmittelklage Erfolg beschieden sein würde. Ergibt die Prüfung, dass die Klage schon aufgrund des eigenen Vorbringens des Nichtigkeitsklägers aus rechtlichen Erwägungen erfolglos bleiben müsste, ist sie unschlüssig und daher iSd § 538 ZPO unzulässig (5 Ob 140/23h mwN).
[13] 2. Wenn die Nichtigkeitsklage schon im Vorprüfungsverfahren und damit vor Eintritt der Streitanhängigkeit zurückgewiesen wurde, ist das Rechtsmittelverfahren einseitig (RS0125126 [Wiederaufnahmsklage]).
[14] 3. Gemäß § 529 Abs 1 Z 1 ZPO kann eine rechtskräftige Entscheidung, durch welche eine Sache erledigt ist, durch die Nichtigkeitsklage angefochten werden, wenn ein erkennender Richter von der Ausübung des Richteramts in dem Rechtsstreit kraft des Gesetzes ausgeschlossen war. Die gesetzlichen Ausschließungsgründe sind in § 20 JN, § 537 ZPO und durch § 34 ASGG umschrieben (Jelinek in Fasching/Konecny³ IV/1 § 529 ZPO Rz 24).
[15] Nur die Ausgeschlossenheit des erkennenden Richters kraft Gesetzes ist in § 529 Abs 1 Z 1 ZPO als Nichtigkeitsklagegrund angeführt; der Ablehnungsgrund des § 19 Z 2 ZPO wegen Befangenheit ist nicht erfasst (vgl RS0044390 [T1]; RS0042070 [T2]; RS0041972 [T2]). Die Teilnahme eines bloß wegen Befangenheit erfolgreich abgelehnten Richters an der Entscheidung bildet zwar den Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 1 ZPO, dieser Mangel heilt aber mit der formellen Rechtskraft der Entscheidung (RS0041974).
[16] 4. Nach § 20 Abs 1 Z 2 JN sind Richter von der Ausübung des Richteramts in bürgerlichen Rechtssachen in Sachen ihrer Ehegatten, ihrer eingetragenen Partner oder solcher Personen, welche mit ihnen in gerader Linie verwandt oder verschwägert sind, oder mit welchen sie in der Seitenlinie bis zum vierten Grade verwandt oder im zweiten Grade verschwägert sind sowie in Sachen ihrer Lebensgefährten oder solcher Personen, die mit diesen in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum zweiten Grad verwandt sind, ausgeschlossen.
[17] In erweiterter Auslegung des § 20 Abs 1 Z 2 JN anerkennt die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs außer dem dort umschriebenen Verwandtschafts‑ und Schwägerschaftsverhältnis zu den Prozessparteien auch ein solches Verhältnis zu den Parteienvertretern als Ausschließungsgrund (RS0046076 [T1]). Nach dieser Rechtsprechung hat also auch ein Verwandtschaftsverhältnis des Richters zum Bevollmächtigten einer Partei die Ausschließung des Richters iSd § 20 Abs 1 Z 2 JN zur Folge (RS0045963; vgl auch RS0045942 [T2]).
[18] Der Richter ist dabei selbst dann ausgeschlossen, wenn sein als Parteienvertreter einschreitender Ehegatte erklärt, nur im Rechtsmittelverfahren (Revisionsverfahren) den Auftrag zum Tätigwerden zu haben und sich daher am vom Richter geleiteten Verfahren nicht aktiv zu beteiligen (RS0045960), oder der Ehegatte Gesellschafter oder Geschäftsführer einer Rechtsanwalts-Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist, der nach § 21e RAO Vollmacht erteilt wurde, und zwar auch dann, wenn der Ehegatte in diesem Verfahren tatsächlich nicht als Vertreter der Rechtsanwalts-Gesellschaft tätig wird (2 Nc 3/22x; RS0045960 [T2]; RS0045963 [T8]; RS0045942 [T3]; RS0129010 [T1]).
[19] Nur für Fälle, in denen der Ehegatte des Richters mit dem Bevollmächtigten einer Partei lediglich in einer Kanzleigemeinschaft steht, sofern die Partei nicht auch ihm selbst Prozessvollmacht erteilt hat, oder bei einem nur angestellten Rechtsanwalt einer bevollmächtigten Rechtsanwalts-Gesellschaft wurde die Ausgeschlossenheit verneint (6 Ob 642/83; 2 Nc 3/22x; RS0045942; RS0129010).
[20] Diese Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs grundsätzlich auch für ein Verwandtschaftsverhältnis des Richters zu einem (bloßen) Substituten des Bevollmächtigten (vgl 6 Ob 176/13w; 5 Ob 93/13g; Geroldinger, Anmerkung zu 6 Ob 176/13w, JBl 2014, 191 [194]).
5. Diese ständige Rechtsprechung wird in der Lehre weitgehend gebilligt (Rassi in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 20 JN Rz 5; Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack, ZPO‑Taschenkommentar² § 20 JN Rz 3; Ballon in Fasching/Konecny 3 § 20 JN Rz 6).
[21] Auf Kritik stieß diese Rechtsprechung bei Geroldinger (Familiäres Naheverhältnis des Richters zum Prozessbevollmächtigten als Ausschließungsgrund? JBl 2014, 620; vgl auch die Entscheidungsbesprechung zu 6 Ob 176/13w, JBl 2014, 191). Der Autor wendet sich generell dagegen, die Verwandt- oder Schwägerschaft zwischen Richter und Prozessbevollmächtigten als Ausschließungsgrund zu werten. Seiner Ansicht nach kann es sich lediglich um einen Befangenheitsgrund iSd § 19 Z 2 JN handeln. Zusammengefasst argumentiert er, dass die Trennung des Ablehnungsrechts in Ausschließungs‑ und Befangenheitsgründe primär historisch erklärbar sei. Es handle sich dabei nicht um ein gestuftes System von leichten und schweren Verstößen gegen das Gebot richterlicher Unparteilichkeit. Daher sei das Argument, ein gewisser Umstand sei von den zu erwartenden psychologischen Auswirkungen auf den Richter so gravierend, dass hier nur Ausgeschlossenheit in Betracht komme, grundsätzlich unzulässig. Wenngleich sich das Ablehnungsrecht auch als Teil des Rechts auf den gesetzlichen Richter begreifen lasse, stehe es doch in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Recht auf einen geschäftsordnungsmäßig zugewiesenen Richter. Die Normen über die Ablehnung von Richtern, insbesondere die Ausschließungstatbestände, seien daher restriktiv auszulegen. Die taxative Aufzählung der Ausschließungsgründe stehe zwar einer Analogie nicht grundsätzlich entgegen, die Verwandtschaft oder Schwägerschaft zwischen Richter und Prozessbevollmächtigtem sei aber kein Ausschließungsgrund, sondern könne bloß zur Befangenheit führen. Allerdings seien gerade für viele dieser Konstellationen „standardisierte Fälle der Befangenheit“ anzuerkennen. Schon ein Naheverhältnis iSd § 20 Abs 1 Z 2 oder 3 JN zwischen dem Richter und dem Prozessbevollmächtigen begründe für sich genommen den Anschein der Befangenheit, ohne dass es auf weitere Umstände oder die subjektive Befangenheit des Richters ankäme (Geroldinger, JBl 2014, 620 [638]). Geroldinger verweist auch darauf, dass die (analoge) Anwendung der starren Regelung des § 20 Abs 1 Z 2 JN auf Prozessbevollmächtigte jedenfalls teilweise über das Ziel hinausschieße. Bei engen familiären Banden – zB einer (trotz § 22 GOG, § 182 Geo) nicht offengelegten Ehe oder Lebensgemeinschaft zwischen der einschreitenden Anwältin und dem zuständigen Richter – sei die Nichtigkeit des Verfahrens, die über den Eintritt formeller Rechtskraft hinaus geltend gemacht werden könne, eine durchaus angemessene Sanktion. Am äußeren Rand des relevanten Personenkreises führe § 20 Abs 1 Z 2 JN hingegen zu fragwürdigen Ergebnissen (Geroldinger, JBl 2014, 620 [638]).
[22] Mayr (in Rechberger/Klicka ZPO5 § 20 JN Rz 3), bezeichnet diese Ausführungen als überzeugend und fordert, in den Fällen eines Verwandtschafts‑ oder Schwägerschaftsverhältnisses zum Bevollmächtigten besser eine Befangenheit anzunehmen.
[23] 6. Der Oberste Gerichtshof hat trotz dieser Kritik an seiner Rechtsprechung zur erweiterten Auslegung des § 20 Abs 1 Z 2 JN auf Prozessbevollmächtigte festgehalten (2 Nc 26/25h; 2 Nc 60/24g; 2 Nc 31/24t [Nebenintervenientenvertreter] uva). Auch Geroldinger gesteht zu, dass bei „engen familiären Banden“ zwischen dem einschreitenden Rechtsanwalt und dem zuständigen Richter die Nichtigkeit des Verfahrens, die über den Eintritt formeller Rechtskraft hinaus geltend gemacht werden kann, eine angemessene Sanktion ist.
[24] Von dieser gefestigten Rechtsprechung (nur) in Bezug auf „weitschichtige Verwandte“ abzugehen, bietet auch der vorliegende Fall keine Veranlassung.
[25] Das Erstgericht begründet seine gegenteilige Ansicht abgesehen von der Berufung auf die Argumente Geroldingers zusätzlich damit, dass die dargestellte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für die hier zu beurteilende Konstellation nicht einschlägig sei, zum einen weil sich diese Entscheidungen stets auf nahe Verwandte bezogen hätten, zum anderen weil sie nicht in Verfahren über Nichtigkeitsklagen nach § 529 Abs 1 Z 1 ZPO ergangen seien.
[26] Es trifft zwar zu, dass die Entscheidungen, die die für die Rechtsprechung zur erweiterten Auslegung des § 20 Abs 1 Z 2 JN auf Prozessbevollmächtigte einschlägigen Rechtssätze RS0045960 und RS0045963 begründeten und jene die diesen dort gleichgestellt sind, stets nahe Verwandte betrafen (Ehepartner; Lebensgefährte; Vater; Schwager; Bruder). Die Wurzel dieser Rechtsprechung bildet allerdings die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 20. 6. 1900, 8.693 (GlUNF 1.062 = Spruchrepertorium 171), in der die Nichtigkeit des Urteils nach § 477 Abs 1 ZPO wegen der Verwandtschaft eines Richters des Berufungssenats zum Klagevertreter in der Seitenlinie im vierten Grad bejaht wurde, also wegen eben der hier zu beurteilenden Konstellation.
[27] In dieser Leitentscheidung begründete der Oberste Gerichtshof die Anwendung des § 20 Abs 1 Z 2 JN im Verhältnis zum einschreitenden Rechtsanwalt damit, dass die Verwandtschaft des Richters mit einem Prozessbevollmächtigten das Vertrauen in die Unparteilichkeit nicht minder zu schwächen geeignet sei, als die Verwandtschaft des Richters mit der Partei selbst. Das Gesetz spreche auch von der „Person“ und sei somit offen formuliert, also nicht auf die Partei beschränkt. Zudem habe der Gesetzgeber den Materialien zufolge die schon vor Inkrafttreten der JN geltende Rechtslage unberührt lassen wollen und nach der Gerichtsinstruction 1853 sei Inhabilität auch bei Nahebeziehungen zum Prozessbevollmächtigten gegeben gewesen (vgl Geroldinger, JBl 2014, 620 [630 f]). Keines dieser Argumente für die erweiterte Auslegung des § 20 Abs 1 Z 2 JN und dessen Anwendung auf Prozessbevollmächtigte bietet einen Ansatzpunkt für eine Differenzierung nach dem Verwandtschaftsgrad und erlaubt die Einschränkung der Analogie auf einen bestimmten Teil des von § 20 Abs 1 Z 2 JN erfassten Personenkreises.
[28] Der Oberste Gerichtshof hat der (analogen) Anwendung des § 20 Abs 1 Z 2 JN im Zusammenhang mit einem Naheverhältnis zu einem Prozessbevollmächtigten zwar bereits Grenzen gesetzt. In den Fällen, in denen der Ehegatte mit dem Bevollmächtigten einer Partei lediglich in einer Kanzleigemeinschaft steht, oder bei einem nur angestellten Rechtsanwalt einer bevollmächtigten Rechtsanwalts-Gesellschaft wird – wie schon ausgeführt – die Ausgeschlossenheit verneint, weil das Angehörigenverhältnis (iSd § 20 Abs 1 Z 2 JN) eines Richters zu einem bloßen Kanzleipartner oder zu einem angestellten Rechtsanwalt einer bevollmächtigten Rechtsanwalts-Gesellschaft allein noch keinen für die Ausschließungsgründe charakteristischen und deshalb zu typisierenden Fall einer bereits objektiv evidenten Gefährdung der Objektivität und Unbefangenheit eines Richters begründet (5 Ob 93/13g [angestellter Rechtsanwalt]; vgl auch 5 Ob 29/14x). Das Fehlen der für die Ausschließungsgründe – aus teleologischer Sicht –charakteristischen objektiv evidenten Gefährdung der Unbefangenheit eines Richters ergibt sich in diesen Fällen allerdings aus der abstrakten Beurteilung des (mangelnden) Interesses der verwandten Person an der Sache, nicht aus dem im Tatbestand des § 20 Abs 1 Z 2 JN typisierten Grad der Verwandtschaft.
[29] Im Fall der Ausgeschlossenheit des erkennenden Richters kraft § 20 Abs 1 Z 2 JN kann gemäß § 529 Abs 1 Z 1 ZPO selbst eine rechtskräftige Entscheidung angefochten werden. Weder Wortlaut noch Systematik dieser Bestimmung erlauben es, diese „außerordentliche Abhilfe der Nichtigkeitsklage“ (vgl 3 Ob 145/23d unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien) auf bestimmte Konstellationen der Ausgeschlossenheit zu beschränken und andere der bloßen Befangenheit iSd § 19 Z 2 ZPO gleichzustellen.
[30] 7. Die Begründung des Erstgerichts trägt daher die Zurückweisung der Nichtigkeitsklage nicht. Dessen Beschluss ist aufzuheben und diesem ist die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Nichtigkeitsklage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
[31] Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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