OGH 5Ob61/25v

OGH5Ob61/25v23.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun‑Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin A*, geboren am *, vertreten durch Mag. Nina Ladinigg, diese vertreten durch Mag. Elke Hanel‑Torsch, beide Mietervereinigung Österreichs, Reichsratsstraße 15, 1010 Wien, gegen die Antragsgegner 1. Mag. A*, geboren am *, und 2. E*, geboren am *, beide wohnhaft in *, beide vertreten durch Dr. Renate Weinberger, Rechtsanwältin in Mödling, wegen § 37 Abs 1 Z 1 iVm § 2 Abs 3 MRG über den Revisionsrekurs der Antragsgegner gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 22. Jänner 2025, GZ 39 R 212/24a‑20, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 5. August 2024, GZ 5 MSch 1/24p‑14 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00061.25V.0923.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegner sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Antragstellerin die mit 180 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Antragstellerin ist seit 1. 3. 2021 Untermieterin der Wohnung 14 in einem Haus in W*. Der Erstantragsgegner ist der gemeinsame Sohn der Zweitantragsgegnerin und ihres verstorbenen Ehemanns. Von 1980 bis 2015 war der Ehemann der Zweitantragsgegnerin Eigentümer des Hauses. Dieses schenkte er 2015 gegen Einräumung eines Fruchtgenussrechtes dem Erstantragsgegner. Seit seinem Tod im Jahr 2022 ist der Erstantragsgegner unbelasteter Hauseigentümer. Das Haus ist überschuldet, es gibt keine Mietzinsreserve.

[2] Bei Übernahme des Hauses durch den Ehemann der Zweitantragsgegnerin bestand dieses ausschließlich aus Substandardwohnungen, von denen einige vermietet waren und einige leer standen. Für die freien Wohnungen gab es kaum Interessenten. Das Haus befand sich in einem schlechten Zustand, eine Mietzinsreserve war nicht vorhanden. Die Zweitantragsgegnerin mietete deshalb mehrere Wohnungen von ihrem Ehemann, unter anderem 1988/89 die Wohnungen 15, 16 und 17. Sie schloss mit ihrem Ehemann mündlich unbefristete Hauptmietverträge ab, wertete diese im Standard auf und legte die drei Wohnungen zur Wohnung 14 zusammen.

[3] Die Umbauarbeiten wurden teils von Professionisten, teils vom Ehemann unter Beiziehung eines Arbeiters durchgeführt. Der Ehemann betrieb ein Gewerbe für Handel mit Alt‑ und Abfallstoffen, im Zuge dessen dieser Arbeiter, ein gelernter Maurer und Fliesenleger, tätig war. Der Arbeiter leistete im Rahmen der Umbauarbeiten der Wohnung 14 rund 500 Arbeitsstunden. Der Ehemann legte der Zweitantragsgegnerin über sämtliche Arbeiten, die er oder sein Arbeiter erledigt hatten, Rechnung, die die Zweitantragsgegnerin bezahlte. Er selbst hätte die Investitionen in die Wohnungen aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht tätigen können.

[4] Die Wohnung 14 war die erste sanierte Wohnung in dem Haus. Seit der Renovierung vermietet die Zweitantragsgegnerin die Wohnung durchgehend an Studenten. Für Betriebskosten und den Hauptmietzins der Kategorie D inklusive Umsatzsteuer bezahlte sie 2024 insgesamt 570,22 EUR an den Erstantragsgegner. Von der Antragstellerin erhielt die Zweitantragsgegnerin 2024 einen monatlichen Untermietzins von 1.410,89 EUR.

[5] Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist der Feststellungsantrag der Antragstellerin, sie sei seit 1. 3. 2021 Hauptmieterin der Wohnung 14.

[6] Das Erstgericht gab dem Antrag auf Anerkennung als Hauptmieterin statt. Konkrete Anhaltspunkte für eine Umgehungshandlung würden darin liegen, dass die Zweitantragsgegnerin mehrere Wohnungen in dem Haus von ihrem Ehemann angemietet und untervermietet habe. Der Ehemann habe mit der Zweitantragsgegnerin unbefristete Mietverträge über mehrere Wohnungen abgeschlossen. Dadurch habe sich der Ehemann auf Jahrzehnte auf den von der Zweitantragsgegnerin ihm als Hauptmiete bezahlten Kategorie D Mietzins beschränkt, während die Zweitantragsgegnerin einen monatlichen Verdienst von ca 850 EUR pro Wohnung lukriert habe. Darüber hinaus habe das Unternehmen des Ehemanns einen signifikanten Teilder Renovierungsarbeiten durchgeführt, wodurch den Antragsgegnern das Investitionskapital zu einem großen Teil erhalten geblieben sei. Die Zweitantragsgegnerin habe die Wohnung wesentlich teurer vermietet als sie ihr Ehemann hätte vermieten können. Dadurch habe sich das eheliche Einkommen erhöht.

[7] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es zu, weil eine höchstgerichtliche Klarstellung zur Sanierungshauptmiete im Familienbereich fehle.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der von den Antragsgegnern wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene, und von der Antragstellerin beantwortete Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

[9] 1. Besteht bei Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln, dass ein Hauptmietvertrag nur zur Untervermietung durch den Hauptmieter und zur Umgehung der einem Hauptmieter nach dem Mietrechtsgesetz zustehenden Rechte geschlossen wurde, so kann der Mieter, mit dem der Untermietvertrag geschlossen wurde, begehren, als Hauptmieter des Mietgegenstands mit den sich aus dem Mietrechtsgesetz ergebenden Rechten und Pflichten anerkannt zu werden. Liegen konkrete Anhaltspunkte für eine solche Umgehungshandlung vor – dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Hauptmieter mehr als eine Wohnung im selben Gebäude zur Gänze untervermietet oder bei Vorliegen eines befristeten Hauptmietvertrags die Wohnung zur Gänze untervermietet –, so obliegt es dem Antragsgegner, das Fehlen der Umgehungsabsicht zu beweisen (§ 2 Abs 3 MRG).

[10] § 2 Abs 3 MRG bietet Abhilfe gegen spezielle Umgehungskonstruktionen durch die Zwischenschaltung einer dem Hauptvermieter nahestehenden Person, wie nahe Angehörige oder sonstige Strohmänner (ErläutRV 425 BlgNR 25. GP  36; 5 Ob 420/97v; vgl auch Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1098 Rz 20 [Stand 1. 10. 2016, rdb.at]).

[11] 1.1. Materiell-rechtliche Voraussetzung für die Anerkennung als Hauptmieter nach § 2 Abs 3 MRG ist das Vorliegen eines Umgehungsgeschäfts (RS0069660; RS0069854). Die Umgehungsabsicht muss bei beiden Parteien des formellen Hauptmietvertrags gegeben sein, wobei es genügt, wenn sie die Umgehung wenigstens in Kauf nahmen (RS0069660 [T3]). Wenn auch § 2 Abs 3 MRG eine besondere Absicht der Parteien des formellen Hauptmietvertrags voraussetzt, ist doch dieses subjektive Tatbestandselement schon dann als erfüllt anzusehen, wenn bei Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund besteht, daran zu zweifeln. Der Umgehungstatbestand des § 2 Abs 3 MRG kann daher auch dann vorliegen, wenn letzte Gewissheit über die vom Gesetzgeber verpönte Absicht der Parteien eines formellen Hauptmietvertrags fehlt. Es reicht aus, wenn genügende Anhaltspunkte für eine derartige Absicht vorhanden sind (RS0069733; 5 Ob 420/97v). Als derartige festgestellte äußere Umstände, die ein Indiz für die Umgehungsabsicht bieten, nennt das Gesetz insbesondere die Vermietung von mehr als einer Wohnung durch denselben Hauptmieter (RS0069733 [T6]; 5 Ob 420/97v).

[12] 1.2. Die Anwendung des § 2 Abs 3 MRG ist ausgeschlossen, wenn der Hauptmietvertrag nicht nur (ausschließlich) zu dem verpönten Umgehungsziel des § 2 Abs 3 MRG geschlossen wurde, sondern einen anderen Vertragszweck hatte (vgl RS0069820 [T4]).

[13] Ein solcher Sonderfall ist etwa die von der Rechtsprechung als zulässig angesehene „echte Sanierungshauptmiete“, bei der der Hauptmieter eine Wohnung im Standard anzuheben hat, dafür aber seine Investitionen durch die gestattete Untervermietung amortisieren darf. Für die Beurteilung einer dabei vorliegenden (oder fehlenden) Umgehungsabsicht sind vor allem wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend. Indizien für ein Umgehungsgeschäft auch bei Vorliegen einer Sanierungshauptmiete wären etwa der Rückfluss des vom Hauptmieter eingehobenen Untermietzinses an den Hauseigentümer derart, dass dieser im Ergebnis mehr als den Kategoriemietzins erhält, das Fehlen von Investitionen des Hauptmieters, die Speisung solcher Investitionen aus dem Vermögen des Hauseigentümers, der das erforderliche Kapital – wenn auch über Umwege – dem Hauptmieter zur Verfügung stellt, die Beherrschung des Hauptmieters durch den Eigentümer oder das Erreichen desselben Zwecks durch Einschaltung von Familienmitgliedern oder sonstigen Strohmännern (vgl RS0069851; 5 Ob 214/04p; 5 Ob 231/22i). Allerdings müssen – um die Umgehungsabsicht iSd § 2 Abs 3 MRG zu bejahen – nicht alle in dieser Judikatur zu findenden Indikatoren vorliegen (RS0069851 [T10]).

[14] 1.3. Nach ständiger Rechtsprechung hat grundsätzlich der Antragsteller das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anerkennung als Hauptmieter zu beweisen, die Gegner müssen – wenn er dieser Beweispflicht im zumutbaren Ausmaß nachgekommen ist – die allein in ihrer Sphäre liegenden Umstände dartun und offenlegen, die den erbrachten Nachweis entkräften (RS0069728). Auch Indizien für eine Umgehungsabsicht können entkräftet werden. Ob dieser Beweis dem Eigentümer oder Hauptmieter gelungen ist, ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und wirft daher im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0069728 [T2]; 5 Ob 15/22z). Dies gilt gleichermaßen für die ebenso von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängige Beurteilung des Vorliegens einer „Sanierungshauptmiete“ und einer in diesem Fall gegebenen oder fehlenden Umgehungsabsicht (5 Ob 231/22i).

[15] 2. Der bloße Umstand, dass ein gleichartiger Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde, bedeutet noch nicht, dass die Entscheidung von der Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt (RS0107773; RS0110702; RS0102181). Das gilt insbesondere, wenn das Rekursgericht die für vergleichbare Sachverhalte entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung in nicht korrekturbedürftiger Weise angewendet hat. Das ist hier der Fall:

[16] 2.1. Die Antragsgegner berufen sich auf den Sonderfall der „Sanierungshauptmiete“. In ihrem Revisionsrekurs vertreten sie den Standpunkt, es würden keine Indizien für ein Umgehungsgeschäft vorliegen. Damit übergehen sie die Feststellungen des Erstgerichts, die keine Zweifel an der nach § 2 Abs 3 MRG verpönten Absicht der Antragsgegner lassen und damit für ein Umgehungsgeschäft im Sinn dieser Gesetzesstelle sprechen.

[17] 2.2. Die Zweitantragsgegnerin hat mehrere Wohnungen im gleichen Haus gemietet und ihrerseits untervermietet. Diesen Fall sieht bereits das Gesetz demonstrativ als einen konkreten Anhaltspunkt für eine Umgehungsabsicht vor, der von den Antragsgegnern zu entkräften ist. Dazu kommt im vorliegenden Fall, dass der zwischen der Zweitantragsgegnerin und deren Ehemann abgeschlossene Hauptmietvertrag unbefristet zumindest seit 1989 besteht, obwohl die Baumaßnahmen hinsichtlich der Wohnung 14 – nach dem eigenen Vorbringen der Antragsgegner – bereits 1993 abgeschlossen waren. Daraus ergibt sich als weiteres Indiz, dass die Zweitantragsgegnerin für das für die Standardanhebung der Wohnung 14 aufgewendete Kapital, das sich – ausgehend vom Vorbringen der Antragsgegner – auf maximal 107.443,74 EUR belief, samt angemessener Verzinsung und angemessenem Gewinn (vgl dazu RS0018108; 5 Ob 159/86) bei weitem bereits hereingebracht hat. Hinzu kommt das enge familiäre Verhältnis zwischen der Zweitantragsgegnerin als Hauptmieterin und ihrem Ehemann als ursprünglichen Eigentümer und Vermieter sowie ihrem Sohn als nunmehrigem Eigentümer und Vermieter. Nur vor dem Hintergrund dieser engen persönlichen Verbindung lässt sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise erklären, dass sich der Hauseigentümer durch die unbefristete Vermietung mehrerer Wohnungen an die Zweitantragsgegnerin zum Mietzins der Kategorie „D“ auf unbestimmte Zeit der Möglichkeit begeben hat, selbst einen Nutzen aus den aufgewerteten Wohnungen zu ziehen. Mietzinse in dieser Höhe hätte er aber jederzeit auch ohne Zwischenschaltung der Zweitantragsgegnerin erzielen können. Dass dieses enge familiäre Naheverhältnis letztlich auch in einer wirtschaftlichen Verflechtung mündete, zeigt nicht zuletzt die Beauftragung des Ehemanns mit einem Teil der Sanierungsarbeiten, woraus sich ein Rückfluss der von der Zweitantragsgegnerin getätigten Investitionen an den Ehemann als Hauseigentümer ableitet.

[18] 2.3. Den Antragsgegnern gelingt es auch in ihrem Revisionsrekurs nicht, die hier konkret vorliegenden Indizien für eine Umgehungsabsicht (mehrere Untermietverträge im selben Haus, im Verhältnis zur Höhe der erfolgten Investitionen überdurchschnittlich lange Amortisation der Investitionen, enges familiäres Verhältnis zwischen Vermieter und Hauptmieterin, erfolgter Rückfluss der Investitionen der Hauptmieterin durch die Beauftragung des Vermieters und Hauseigentümers mit Sanierungsarbeiten) zu entkräften. Damit können sie mit ihren Argumenten auch keine erhebliche Rechtsfrage gemäß § 62 Abs 3 AußStrG aufzeigen. Ihr Einwand, die Zweitantragsgegnerin habe es – anstatt ihre finanziellen Mittel auf dem Finanzmarkt zu veranlagen oder in fremde Objekte zu investieren – vorgezogen, diese Mittel durch Investitionen in die Liegenschaft ihres Ehemanns zu veranlagen und durch die ihr zufließenden Untermietentgelte samt Gewinn zu amortisieren, ist nicht geeignet, Bedenken gegen die durch die Feststellungen belegte Umgehungsabsicht zu erwecken.

[19] 2.4. Im Hinblick auf die in der zitierten Rechtsprechung bereits gelösten Rechtsfragen ist der Revisionsrekurs daher zurückzuweisen.

[20] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Die Antragstellerin hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen, sodass es der Billigkeit entspricht, ihr die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung zuzusprechen.

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