European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00171.24A.0916.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens sind Ansprüche der Klägerin nach § 1168 Abs 1 ABGB gegen die Beklagte (ihre Vertragspartnerin) für den Monat Oktober 2018 infolge von – ohne wichtigen Grund und unter Außerachtlassung der vereinbarten einmonatigen Kündigungsfrist erfolgten – Kündigung der Vertragsbeziehung durch die Beklagte mit sofortiger Wirkung am 1. 10. 2018. Im Verfahren ist strittig, ob die Parteien für die von der Klägerin zu erbringende Leistung „Forderungsmanagement“ für den Zeitraum ab September 2018 ein monatliches Pauschalentgelt vereinbarten oder die bei Vertragsabschluss im Jahr getroffene Regiepreisvereinbarung im Sinn einer monatlichen Abrechnung nach Arbeitsstunden pro Mitarbeiter der Klägerin weiter galt.
[2] Das Erstgericht wies die Klage ab.
[3] Das Berufungsgericht bestätigte die Klageabweisung im Umfang von 139.402,24 EUR samt darauf entfallender Zinsen als Teilurteil und fasste im Umfang des für Oktober 2018 geltend gemachten Anspruchs von 68.390,33 EUR samt Zinsen einen Aufhebungsbeschluss. Es qualifizierte den Vertrag über die Erbringung der Leistung „Forderungsmanagement“ – in Abgrenzung vom Dienstvertrag und vom Auftragsvertrag – als Werkvertrag, sodass § 1168 Abs 1 ABGB zur Anwendung komme. Die Parteien seien nicht von der ursprünglichen Regiepreisvereinbarung abgegangen. Der Klägerin stünden Ansprüche für Oktober 2018 daher nicht auf Grundlage der behaupteten Pauschalentgelte zu, sondern in jenem Betrag, den sie ohne die Vertragsbeendigung in diesem Monat verdient hätte, dies unter Berücksichtigung ihrer Ersparnisse. Dazu fehle Vorbringen der Klägerin, was zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen im dargestellten Umfang erforderlich mache. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es zur Frage der Rechtsnatur des Vertrags über „Forderungsmanagement“ zu.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der Rekurs der Beklagten ist mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.
[5] 1. Die vom Berufungsgericht als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO bezeichnete Rechtsfrage der Qualifikation des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrags über „Forderungsmanagement“ bzw „Regressmanagement“ wird im Rekurs der Beklagten nicht aufgegriffen. Diese zieht vielmehr die Qualifikation als Werkvertrag nicht in Zweifel. Die vom Berufungsgericht aufgezeigte Rechtsfrage vermag daher die Zulässigkeit des Rekurses nicht zu begründen (vgl RS0102059).
[6] 2.1. Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RS0037300). Das ist allerdings nur dann der Fall, wenn die vom Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsauffassung vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz von keiner der beiden Parteien ins Treffen geführt und damit der Gegenseite keine Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wurde (RS0037300 [T16, vgl T46]). Ob eine Verletzung des Überraschungsverbots vorliegt, ist eine nach den Umständen des Einzelfalls zu lösende Frage, die grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 ZPO aufwirft (RS0037300 [T31]).
[7] 2.2. Das Berufungsgericht hat den den Gerichten zweiter Instanz bei der Beurteilung dieser Frage eingeräumten Spielraum im vorliegenden Fall nicht überschritten:
[8] 2.2.1. Der Unternehmer hat keinen Anspruch auf Ausführung oder Vollendung des Werks. Der Abbesteller hat aber die in § 1168 ABGB vorgesehenen Folgen zu tragen (RS0021831 [T8]; RS0025771 [T1]). Der Anspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB ist ein gesetzlich modifizierter (vgl Schopper in Klang³ § 1168 ABGB Rz 83) Entgeltanspruch (RS0021875). Zur Geltendmachung eines Anspruchs nach § 1168 Abs 1 ABGB muss der Unternehmer seine Leistungsbereitschaft, das Unterbleiben infolge von Umständen auf Seiten des Bestellers und die Höhe seines Anspruchs behaupten und beweisen (RS0021841 [T3]; 8 Ob 121/17b [ErwGr 2.]).
[9] Zur Höhe des Anspruchs nach § 1168 Abs 1 ABGB ist zunächst zu errechnen, welche Vergütung dem Unternehmer zustünde, wenn das Vertragsverhältnis nicht durch Stornierung des Auftrags seitens des Bestellers beendet worden wäre. Dieser Entgeltanspruch ist auf Antrag des Bestellers um das zu mindern, was sich der Unternehmer infolge Unterbleibens erspart hat, wie insbesondere nicht verbrauchtes Material und Entgelt für nicht in Anspruch genommene Fremdleistungen, und damit um variable Kosten. Aufwendungen für Produktionsfaktoren, die zwar nicht eingesetzt wurden, aber trotzdem bereitgehalten und bezahlt wurden (Fixkosten), sind nicht als Erspartes anzurechnen (8 Ob 121/17b [ErwGr 1.]).
[10] Liegt eine Pauschalpreisvereinbarung vor, ist von dieser auszugehen (1 Ob 642/90).
[11] Bei Einheits‑ und Regiepreisen ist maßgebend, wie hoch das Entgelt bei Ausführung voraussichtlich gewesen wäre (Schopper in Klang³ § 1168 Rz 83; Kodek in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar5 § 1168 Rz 102). Der Werkunternehmer hat die Vergütungshöhe aufgrund des Vertrags detailliert zu berechnen und zu beweisen (Schopper in Klang³ § 1168 Rz 83). In einem zweiten Schritt ist es Sache des Bestellers, konkrete Behauptungen darüber aufzustellen und zu beweisen, was sich der Unternehmer durch das Unterbleiben der Arbeit erspart hat (RS0021768; RS0112187; RS0021841; 8 Ob 121/17b [ErwGr 2.]).
[12] 2.2.2. Es trifft zu – was die Beklagte in ihrem Rekurs geltend macht –, dass in der Beurteilung der Kommunikation zwischen den Parteien dahin, dass von der Regiepreisvereinbarung nicht abgegangen wurde, aufgrund der Erörterungen des Sach‑ und Rechtsvorbringens im vorliegenden Fall keine Überraschungsentscheidung lag.
[13] Das Berufungsgericht ist nach dem Akteninhalt allerdings vertretbar davon ausgegangen, dass der Klägerin nicht bewusst war und vom Erstgericht auch nicht vor Augen geführt wurde, dass das von ihr erstattete Vorbringen zur Höhe ihres auf § 1168 Abs 1 ABGB gegründeten Anspruchs für Oktober 2018 unter Zugrundelegung einer Regiepreisvereinbarung unschlüssig geblieben ist:
[14] Die Klägerin hat dazu im Verfahren erster Instanz vorgebracht, sie sei auch nach der Regiepreisvereinbarung berechtigt gewesen, das Entgelt für den Einsatz eines Senior- und eines Junior‑Consultants sowie einer Assistenz im Umfang je einer „vollen Arbeitskraft“ zu verrechnen, weil sie verpflichtet gewesen sei, ein solches Team zum jederzeitigen Abruf bereitzuhalten. Zudem wären Tätigkeiten in diesem Umfang ohne Abbestellung ihrer Leistung jedenfalls angefallen (Schriftsatz vom 6. 7. 2020 Punkt II.B). Mit der Klägerin wurde allerdings nicht erörtert, dass eine Aufschlüsselung dahin fehlte, dass sich aus der Zugrundelegung eines bestimmten Zeiteinsatzes einer bestimmten Zahl von Mitarbeitern der für den Monat Oktober 2018 begehrte Betrag überhaupt ergibt. In diesem Zusammenhang ist die Klägerin darauf hinzuweisen, dass der Verweis auf angeschlossene urkundliche Belege Vorbringen nicht zu ersetzen vermag (vgl RS0001252). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass im vorliegenden Fall zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung die Erörterung des Klagevorbringens erforderlich ist, ist daher vertretbar.
[15] Die Beklagte zeigt in diesem Zusammenhang in ihrem Rekurs keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.
[16] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Die Klägerin hat zwar die Zurückweisung des Rekurses mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung behauptet. Sie hat jedoch die Gründe dafür verkannt, sodass ihre Rekursbeantwortung nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war (vgl RS0035962 [T6]; RS0035979 [T23]).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
