European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0200DS00008.24T.0813.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und * gemäß §§ 38 Abs 1 erster Fall, 54 Abs 3 DSt vom Vorwurf freigesprochen, er habe
I) am 10. Jänner 2022 nach dem Abschluss einer Rechtsvertretung in Verfahrenshilfe zu AZ 3 Hv 95/21d des Landesgerichts für Strafsachen Graz dem Ausschuss der * Rechtsanwaltskammer zu AZ Vs 1048/21 ein nicht ordnungsgemäß abgerechnetes Kostenverzeichnis vorgelegt;
II) ein Schreiben der Präsidentin der * Rechtsanwaltskammer vom 1. Februar 2022 zu AZ Vs 1048/21 nicht beantwortet.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * wegen des nun vom Freispruch umfassten Sachverhalts zweier Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig erkannt und gemäß § 16 Abs 1 Z 1 DSt zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
[2] Gegen das Erkenntnis richtet sich die – auch Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO relevierende (vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung des Beschuldigten.
[3] Nach den Feststellungen des Disziplinarrats wurde der Beschuldigte mit Beschluss des Ausschusses der * Rechtsanwaltskammer vom 14. Oktober 2021, AZ Vs 1048/21, im Verfahren AZ 3 Hv 95/21d des Landesgerichts für Strafsachen Graz zum Verteidiger gemäß § 61 Abs 2 StPO bestellt.
[4] Am 12. Jänner 2022 langte das in dieser Strafsache vom Beschuldigten erstellte Kostenverzeichnis beim Ausschuss der * Rechtsanwaltskammer ein. Dabei wurde als Bemessungsgrundlage gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AHK (idF der Kundmachung vom 30. Juni 2021) der Betrag von 23.000 Euro herangezogen. Im Kostenverzeichnis wurden Einzelleistungen von 15. Oktober 2021 bis 28. Dezember 2021 verzeichnet. Als Summe wurde der Betrag von 15.851,70 Euro ausgewiesen. „Die Zeilen/Spalten Einheitssatz 50 v.H., Erfolgszuschlag und Streitgenossenzuschlag wurden ausgestrichen. Im Kostenverzeichnis wurde die Anmerkung 'Die Sache ist rechtskräftig beendet' markiert. Das Kostenverzeichnis enthält ua den Zusatz 'Einheitssatz entfällt bei Verzeichnung von Einzelleistungen gemäß § 23 RATG'.
Der DB wurde vom Ausschuss der * Rechtsanwaltskammer telefonisch und auch schriftlich mehrmals um Richtigstellung dieses Kostenverzeichnisses dahingehend ersucht, nicht Einzelleistungen und Einheitssatz zu verrechnen sowie […] nach Einheitssatz abzurechnen. Der DB vertritt die Rechtsansicht, dass eine Abrechnung – auch im Sinne der Geschäftsordnung der * Rechtsanwaltskammer – nach Einheitssatz nicht angezeigt ist/war. Mit Schreiben vom 01.02.2022 der Präsidentin des Ausschusses der * Rechtsanwaltskammer wurde der DB ersucht, das Kostenverzeichnis bis 07.02.2022 zu korrigieren. Auf dieses Schreiben hat der DB keine weitere Reaktion gezeigt.
Dem UK gegenüber wiederholte der DB mit Schreiben vom 24.06.2022 seinen Standpunkt und argumentierte, dass § 47 der Geschäftsordnung der * Rechtsanwaltskammer eine Abrechnung nach dem gesetzlichen Tarif fordert, sofern ein solcher zur Anwendung kommt und ansonsten die erbrachten Einzelleistungen abzurechnen sind. Gemäß § 11 AHK können auch die Bestimmungen über den Einheitssatz gemäß § 23 RATG sinngemäß angewendet werden.
Auf das Schreiben der Präsidentin des Ausschusses der * Rechtsanwaltskammer vom 01.02.2022 reagierte der DB nicht mehr, zumal seiner Ansicht nach die wechselseitigen Argumente bereits ausgetauscht waren und er nicht explizit zur 'Beantwortung aufgefordert wurde'“ (ES 5 f).
[5] Zutreffend kritisiert die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die Einordnung der Verrechnung von Einzelleistungen anstelle einer „Abrechnung nach Einheitssatz“ (ES 7) als Verletzung einer Berufspflicht.
[6] Gemäß § 53 RL‑BA 2015 hat ein Rechtsanwalt nach Abschluss einer jeden Rechtsvertretung in Verfahrenshilfe dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer unverzüglich ein Verzeichnis über seine Leistungen und die dafür gebührende Entlohnung vorzulegen.
[7] Die Vorlage der Leistungsverzeichnisse ist geboten, um dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag eine Basis für die Verhandlungen mit dem Bundesministerium für Justiz über eine angemessene Pauschalvergütung für von Rechtsanwälten erbrachte Verfahrenshilfeleistungen zu bieten. Vergütet wird zwar nicht das tarifliche Ausmaß der erbrachten Leistungen, doch dient dieses zur Prüfung der Frage der Anhebung (oder Senkung) der bisher bezahlten Pauschalbeträge (s § 47 RAO; Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 53 RL‑BA 2015 Rz 2 f).
[8] Gemäß § 47 Abs 1 der Geschäftsordnung für die * Rechtsanwaltskammer und deren Ausschuss (idF vom 23. November 2020) ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Kostenverzeichnisse für die von ihm im vorangegangenen Kalenderjahr erbrachten Leistungen in Verfahrenshilfesachen bis zum 15. Jänner des Folgejahres der Kammerkanzlei zu übermitteln. Dabei ist vorrangig der Tarif nach dem RATG anzuwenden. Soweit im jeweiligen Verfahren kein gesetzlicher Tarif zur Anwendung kommt, sind dagegen die erbrachten Einzelleistungen abzurechnen.
[9] Da das RATG keine Bestimmungen über die Honorierung anwaltlicher Leistungen in offiziösen Strafverfahren enthält, sind bei der – wie hier – gebotenen Erstellung der Verzeichnisse für die in Verfahrenshilfesachen erbrachten Leistungen die Allgemeinen Honorar-Kriterien (AHK) anzuwenden (§ 1 Abs 1 RATG; RIS‑Justiz RS0038369).
[10] Die AHK (in der hier maßgeblichen Fassung der Kundmachung vom 30. Juni 2021) sehen für bestimmte Einzelleistungen eigene Honoraransätze vor (§ 9 AHK) und verweisen im Übrigen auf einzeln angeführte Honoraransätze des RATG (§ 10 AHK). § 11 AHK sieht außerdem vor, dass die Bestimmungen über den Einheitssatz gemäß § 23 RATG sinngemäß angewendet werden können.
[11] Nach § 23 Abs 1 RATG gebührt bei Entlohnung von Leistungen, die unter die TP 1, 2, 3, 4 oder 7 fallen, anstelle aller unter die TP 5, 6 und 8 fallenden Nebenleistungen und anstelle des Ersatzes für die Postgebühren im Inland ein Einheitssatz; nach § 23 Abs 2 RATG kann der Rechtsanwalt jedoch gegenüber der von ihm vertretenen Partei statt des Einheitssatzes die einzelnen in Abs 1 angeführten Nebenleistungen verrechnen. Bereits diese Bestimmung, die nach § 11 AHK angewendet werden kann, räumt dem Rechtsanwalt ein Wahlrecht ein (vgl 7 Ob 250/05y). Aus § 47 Abs 1 der Geschäftsordnung für die * Rechtsanwaltskammer und deren Ausschuss im Zusammenhalt mit § 11 AHK iVm § 23 Abs 1 und 2 RATG folgt daher, dass auch in Verfahrenshilfesachen eine Abrechnung nach Einheitssatz zulässig, jedoch nicht zwingend ist. Dem Rechtsanwalt kommt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 11 AHK insoweit vielmehr ein Wahlrecht zu (vgl Ziehensack, Praxiskommentar Kostenrecht Rz 1510; Thiele, Anwaltskosten4 § 11 AHK Rz 2 f).
[12] Die vom Beschuldigten vorgenommene Verrechnung von Einzelleistungen verstößt daher nicht gegen eine ihn treffende Berufspflicht (§ 1 Abs 1 erster Fall DSt).
[13] Gleiches gilt nach Lage des Falles für die Nichtbeantwortung des Schreibens der Präsidentin des Ausschusses der * Rechtsanwaltskammer vom 1. Februar 2022, das – wie die Berufung erneut zutreffend einwendet – nicht auf Beantwortung sondern Vorlage eines korrigierten (der – eingehend dargelegten [vgl Blg ./6 in AZ KA 46/2022 – Schreiben des Beschuldigten an den Ausschuss der * Rechtsanwaltskammer vom 25. Jänner 2022] Rechtsansicht des Beschuldigten widersprechenden) Kostenverzeichnisses und für die im Erkenntnis ergänzend relevierte Nichterfüllung eines – auf die Abrechnung nach Einheitssatz gerichteten – Auftrags des Kammerausschusses gerichtet war (ES 7 f; vgl § 23 Abs 2 RAO, § 26 RL‑BA 2015; RIS‑Justiz RS0054970, RS0055017; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 73; Engelhart aaO § 26 RL‑BA 2015 Rz 5; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 23 RAO, 260 f; Breinbauer in Murko/Nunner-Krautgasser, Anwaltliches und notarielles Berufsrecht § 26 RL‑BA 2015 Rz 2 und 4 – RIS-Justiz RS0119368 bezieht sich im Übrigen auf ein hier nicht in Rede stehendes Kostenprüfungsverfahren nach § 19 RAO, ebenso Vitek in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 19 RAO Rz 25).
[14] Bleibt im Übrigen anzumerken, dass dem Erkenntnis Feststellungen zu einer zumindest fahrlässig (dazu eingehend Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 6 Rz 81 ff) begangenen Verletzung von Berufspflichten (vgl RIS‑Justiz RS0096651, RS0055534; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 7/1 und 7/3 jeweils mwN) nicht zu entnehmen sind.
[15] Feststellungen, die einen Schuldspruch wegen Vergehen der Verletzung von Berufspflichten tragen würden, sind nach der Aktenlage in einem weiteren Rechtsgang nicht zu erwarten, aus welchem Grund sogleich ein Freispruch erfolgte (RIS‑Justiz RS0100239).
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