OGH 6Ob99/25i

OGH6Ob99/25i13.8.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Dr. Willfried Seirer und Mag. Herbert Weichselbraun, Rechtsanwälte in Lienz, wider die beklagte Partei Agrargemeinschaft *, vertreten durch Dr. Christopher Kempf, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, wegen Unterlassung, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 7. Mai 2025, GZ 1 R 62/25z‑15, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom 26. Februar 2025, GZ 3 C 1057/23w‑10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00099.25I.0813.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (darin 125,32 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Eigentümerin zweier Grundstücke, über die ein Forstweg führt. Bei diesem Forstweg handelt es sich um eine forstliche Bringungsanlage. Die Errichtung dieser Bringungsanlage war der (körperschaftlich eingerichteten) beklagten Agrargemeinschaft mit im Jahr 1980 erlassenem Bescheid bewilligt worden, und es hatten die Rechtsvorgänger der Klägerin die Nutzung der durch den Bau der beanspruchten Grundflächen zur Benützung eines Forstwegs im Rahmen einer Grundbenützungserklärung unentgeltlich eingeräumt.

[2] Mit dem Eigentum an der Liegenschaft der Klägerin sind Anteilsrechte an der Liegenschaft der Beklagten verbunden. Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten.

[3] Am 6. 1. 2024 wurde in der Vollversammlung der Beklagten dem Antrag eines anderen Mitglieds der Beklagten, der Jagdpächter ist, „zugestimmt“ und beschlossen, ihm ein Fahrtrecht (auch) auf dem Forstweg, der auch über die im Alleineigentum der Klägerin stehende Liegenschaft führt, zu erteilen sowie einen Schlüssel auszuhändigen. Die Klägerin stimmte gegen diesen Antrag und erhob Minderheitsbeschwerde gegen den Mehrheitsbeschluss. Ihre Beschwerde wurde mit (mittlerweile) rechtskräftigem Erkenntnis des zuständigen Landesverwaltungsgerichts als unbegründet abgewiesen.

[4] Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, es zu unterlassen, die Nutzung der Forststraße über die beiden (von ihr näher bezeichneten) in ihrem Alleineigentum stehenden Grundstücke „zu über den forstwirtschaftlichen Zweck hinausgehenden privaten Nutzungen“ zu unterlassen. Der Forstweg sei ausschließlich für Zwecke der Forstwirtschaft genehmigt und freigegeben worden. Fahrten zu Jagdzwecken seien aus der Grundbenützungserklärung nicht abzuleiten. Ein bestimmtes Mitglied der Agrargemeinschaft (der oben erwähnte Jagdpächter) und seine Familienangehörigen würden seit September 2023 den Forstweg zur Erreichung einer privaten Almhütte benutzen, die auch über einen anderen Weg erreichbar sei. Insbesondere das andere Mitglied (der Jagdpächter) fahre „aus Jagdzwecken“. Die Klägerin sei nicht nur einer vermehrten Fahrzeugfrequenz ausgesetzt, sondern es bestehe durch die zusätzlichen Fahrten auch Gefahr für Personen und Vieh.

[5] Die Beklagte wendete Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs ein. Die Streitigkeit sei eine solche „aus dem Mitgliedschaftsverhältnis“ zur Agrargemeinschaft und im Verwaltungsverfahren vor der Agrarbezirksbehörde zu klären.

[6] Das Erstgericht wies (noch vor Fällung des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts) die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück und hob das geführte Verfahren als nichtig auf. Es ordnete die vorliegende Streitigkeit als eine solche nach § 51 Abs 2 Kärntner‑Flurverfassungs‑Landesgesetz – K‑FLG (LGBl 1979/64 zuletzt geändert durch LGBl 2020/106) ein.

[7] Das Rekursgericht verwarf dagegen die von der Beklagten erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nach § 528 Abs 1 ZPO zur Klärung der Frage, ob die Streitigkeit nach § 51 Abs 2 K‑FLG eine der Entscheidung durch die Agrarbehörde zugewiesene sei, zulässig sei.

[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts. Die Forststraße sei Gemeinschaftsvermögen der Beklagten. Durch die behördliche Genehmigung anlässlich der Bewilligung der Forststraße seien Streitigkeiten „aus dieser Forststraße bzw diese Forststraße betreffend in das öffentliche Recht transformiert“ worden.

[9] Die Revisionsrekursbeantwortung erwidert, es habe die Klägerin eine Eigentumsfreiheitsklage eingebracht und mache damit auch kein Recht aus dem Mitgliedschaftsverhältnis gegenüber der Beklagten geltend. Auch Nichtmitglieder hätten dieselben Ansprüche gegenüber der Beklagten erheben können.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt:

[11] 1. Die Gerichtsbarkeit in privatrechtlichen Angelegenheiten („bürgerlichen Rechtssachen“) wird, soweit sie nicht durch besondere Gesetze an andere Behörden verwiesen sind, nach § 1 JN von den ordentlichen Gerichten ausgeübt. Im Zweifel, also wenn keine anderslautende gesetzliche Regelung besteht, ist daher für privatrechtliche Ansprüche der ordentliche Rechtsweg zulässig.

[12] Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte hängt damit davon ab, ob ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch geltend gemacht wird, der nicht ausdrücklich durch das Gesetz vor eine andere Behörde verwiesen wird (RS0045644 [T12], zuletzt 9 Ob 101/24d). Eine derartige Ausnahme muss nach der Rechtsprechung in dem hiefür erforderlichen „besonderen Gesetz“ klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden. Eine ausdehnende Auslegung von Vorschriften, die eine Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde normieren, wäre unzulässig (RS0045474).

[13] 2. Dabei ist vom Klagsvorbringen auszugehen (vgl RS0005896; RS0045644; zur Unmaßgeblichkeit der Einwendungen des Beklagten siehe RS0045584).

[14] 3.1. Die von der Beklagten – auf Basis des Vorbringens der Klägerin zur (im Bewilligungsbescheid erwähnten) Vereinbarung anlässlich der Errichtung der Forststraße – in Anspruch genommene Rechtsprechung zur „Transformation“ einer privatrechtlichen Vereinbarung ins öffentliche Recht (vgl RS0038233) ist hier nicht einschlägig, erging sie doch zu Bringungsrechten nach dem GSGG und den zugehörigen Ausführungsgesetzen der Länder (den jeweiligen GSLG; siehe etwa RS0115952; RS0045710) bzw Wald‑ und Weidungsnutzungsrechten nach den jeweiligen Landesgesetzen. Diese Gesetze enthalten insoweit (im Sinne der oben dargestellten Grundsätze) „klar und unzweideutig“ einen Ausschluss des streitigen Rechtswegs (vgl dazu § 19 K‑GSLG und § 43 Abs 2 K‑WWLG mit dem Wortlaut „unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs“; vgl auch 7 Ob 147/13p zu einem Weiderecht). Solche Rechte sind hier aber nicht Gegenstand. Es wurden weder Bringungsrechte nach dem Kärntner Güter‑ und Seilwege‑Landesgesetz – K‑GSLG noch Rechte nach dem Kärntner Wald‑ und Weidenutzungsrechte‑Landesgesetz – K‑WWLG behauptet. Die Klägerin beruft sich vielmehr auf die Freiheit ihres (Allein‑)Eigentums in Bezug auf zwei Grundstücke, über die eine in einer Forstangelegenheit gemäß § 62 Abs 1 iVm § 170 Abs 1 Forstgesetz 1975 bewilligte Forststraße (eine Bringungsanlage nach dem Forstgesetz) führt.

[15] 3.2.1. Die Berufung der Beklagten auf das Vorliegen der Zuständigkeit der Agrarbehörde nach § 51 Abs 2 K‑FLG für „Streitigkeiten, die zwischen den Mitgliedern einer Agrargemeinschaft untereinander oder mit dem gemeinsamen Verwalter oder zwischen einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft und ihren Organen oder Mitgliedern aus dem Gemeinschaftsverhältnis entstehen“ (was auch die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts zeigen soll), verfängt für den von ihr geltend gemachten Anspruch und ihr Begehren nicht:

[16] 3.2.2. Auch wenn der Oberste Gerichtshof zum K‑FLG (und insbesondere zu § 51 Abs 2 K‑FLG) in der Entscheidung 7 Ob 304/00g (vgl auch RS0013174) ausgesprochen hat, es gehe dessen Intention dahin, alle agrargemeinschaftlichen Angelegenheiten weitestgehend aus der gerichtlichen Kompetenz herauszuhalten, es sei der Begriff „Streitigkeiten“ im weitesten Sinn zu verstehen, kann diese Auslegung nicht ohne den Hintergrund der Anforderung einer klaren und unzweideutigen Anordnung im „besonderen Gesetz“ (vgl RS0045474) und schon gar nicht losgelöst von der damals zu beurteilenden Fallkonstellation betrachtet werden. In jenem Fall ging es um ein Begehren, das darauf gerichtet war, in die grundbücherliche Richtigstellung der Anteilsrechte an der agrargemeinschaftlichen Liegenschaft in bestimmter Form (höhere Anteilsrechte) einzuwilligen. Beide Streitteile waren damals Mitglieder der Agrargemeinschaft, und der Streit drehte sich um die Frage des Ausmaßes des ihnen jeweils als Eigentümer bestimmter Grundstücke (Stammsitzliegenschaften) zustehenden Anteilsrechts an der Agrargemeinschaft.

[17] In der Entscheidung 7 Ob 518/84 (die eine dem Vorarlberger Flurverfassungsgesetz [FlVfLG] unterliegende Agrargemeinschaft betraf und auf welche Entscheidung in 7 Ob 204/00g Bezug genommen wurde) war ein Unterlassungsbegehren bezüglich der Errichtung und des Betriebs einer Materialseilbahn auf Grundstücken, die im Eigentum der Agrargemeinschaft standen, zu beurteilen. Der damalige Kläger behauptete, er habe ein Nutzungsrecht an diesen agrargemeinschaftlichen Grundstücken, womit es um die Nutzung des gemeinschaftlichen Guts ging.

[18] Der Beschluss zu 1 Ob 101/15g betraf die nach § 73 lit c und lit d TFLG 1996 der Agrarbehörde zugewiesene Entscheidung über den Streitpunkt, wer Eigentümer der agrargemeinschaftlichen Grundstücke ist.

[19] Der Fall 10 Ob 36/20x war auf die Übertragung von Miteigentumsanteilen an einer agrargemeinschaftlichen Alpe gerichtet, über welches Begehren gemäß § 106 Abs 1 SbgFLG 1973 von der Agrarbehörde zu entscheiden ist.

[20] In all diesen Fällen war entweder das agrargemeinschaftliche Gut selbst oder das Ausmaß der Anteilsrechte an der Gemeinschaft betroffen.

[21] Dagegen geht es im vorliegenden Fall um die Nutzung von Grundstücken, hinsichtlich derer die Klägerin behauptet, sie sei durch eine über die Freigabe für bestimmte Zwecke hinausgehende Nutzung in ihrem Eigentum gestört (zur Verfolgung eines privatrechtlichen Anspruchs mit der Eigentumsfreiheitsklage siehe nur 9 Ob 64/22k; RS0012079 [T7, T9]). Zwar sind mit dem Eigentum an der Liegenschaft der Klägerin (mit einer bestimmten EZ, der die beiden Grundstücke, über die der Forstweg führt, inneliegen) Anteilsrechte an der Agrargemeinschaft verbunden. Die Liegenschaft steht aber allein im Eigentum der Klägerin und ist nicht Gemeinschaftsgut. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beklagte aufgrund der Grundbenützungserklärung der Rechtsvorgänger der Klägerin bestimmte Teile zur Errichtung und Benützung eines Forstwegs nutzen durfte und ihr die Erhaltung des Wegs zukommt.

[22] Von den in § 51 Abs 2 K‑FLG aufgezählten und zur Entscheidung der Agrarbehörde zugewiesenen Streitigkeiten (zwischen den Mitgliedern einer Agrargemeinschaft untereinander oder mit dem gemeinsamen Verwalter oder zwischen einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft und ihren Organen oder Mitgliedern) käme in Ansehung der Parteien des Verfahrens nur das Vorliegen einer Streitigkeit „zwischen einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft und ihren Organen oder Mitgliedern“ in Betracht. Allerdings müsste es sich zudem um eine „aus dem Gemeinschaftsverhältnis“ entstandene Streitigkeit handeln, was hier nicht der Fall ist.

[23] Eine solche Streitigkeit liegt nämlich (nur dann) vor, wenn das Mitgliedschaftsverhältnis für die geltend gemachten Ansprüche dem Grunde nach bestimmend ist. Gegenstand einer Streitigkeit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis kann nur sein, was die die Agrargemeinschaften regelnden gesetzlichen Vorschriften und die darauf gegründeten Rechtsakte, insbesondere die Satzungen, über das Mitgliedschaftsverhältnis bestimmen (vgl zu dieser Voraussetzung für die Qualifikation einer Streitigkeit als aus dem Gemeinschaftsverhältnis entstanden VwGH 14. 9. 2021, Ra 2019/07/0046 [Rz 15 f]).

[24] Die Klägerin ist zwar Mitglied der Beklagten, ihr ist aber darin Recht zu geben, dass der vorliegende Streitfall genauso gut zwischen einem Nichtmitglied und der Agrargmeinschaft entstanden hätte sein können. Die Mitgliedschaft bei der Agrargemeinschaft ist weder zwingend noch für das Streitverhältnis (seinen Gegenstand) bezeichnend. Es besteht kein innerer Zusammenhang zwischen der Klägerin als Eigentümerin der Grundstücke und der Beklagten als Errichterin, Nutzungsberechtigte und Wegehalterin des Forstwegs einerseits und einer Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten und dem daraus entspringenden Gemeinschaftsverhältnis andererseits in Bezug auf den verfolgten Anspruch, nämlich für die von der Klägerin eingeforderte Unterlassung einer „über den forstwirtschaftlichen Zweck hinausgehenden privaten Nutzung“. Der Klägerin ist darin Recht zu geben, dass ihr Anspruch und dessen Verfolgung mit Eigentumsfreiheitsklage nicht von einer Mitgliedschaft in der Agrargemeinschaft ab- oder mit ihr zusammenhängt und daher auch von jedem anderen Grundeigentümer, der kein Mitglied ist, aber eine Benützungserklärung abgegeben hatte, auf dem Rechtsweg zu verfolgen wäre.

[25] Wenn nach § 98 Abs 4 lit b K‑FLG „von der Zuständigkeit der Agrarbehörde“ Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an Liegenschaften, mit denen ein Anteil an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken, ein Nutzungs- oder Verwaltungsrecht oder ein Anspruch auf Gegenleistungen bezüglich solcher Grundstücke verbunden ist, „ausgenommen“ sind, besteht auch aus diesem Blickwinkel kein Anlass, beim vorliegenden Rechtsstreit eine Zuständigkeit der Agrarbehörde und damit eine Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs anzunehmen.

[26] 3.3. Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass der Klägerin für den von ihr geltend gemachten Anspruch der ordentliche Rechtsweg grundsätzlich offen steht.

[27] 4.1. Mit dem Hinweis darauf, dass sich das Landesverwaltungsgericht „bzw die Agrarbehörde“ als zuständig „sieht“, scheint der Revisionsrekurs (im Kern) die ohnehin amtswegig zu prüfende Frage des Vorliegens eines positiven Kompetenzkonflikts (und bei dessen Vorliegen die Notwendigkeit der Prüfung von dessen Konsequenzen für das vorliegende Verfahren) anzusprechen.

[28] 4.2. Ein positiver Kompetenzkonflikt zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde (oder Verwaltungsgericht) liegt vor, wenn beide Behörden die Entscheidung derselben Sache für sich in Anspruch nehmen (vgl RS0053672). Eine Befassung des Verfassungsgerichtshofs mit einem solchen Konflikt käme aber ohnehin nur bis zu dem Zeitpunkt in Betracht, in dem noch keine in Rechtskraft erwachsene Entscheidung eines Gerichts „in der Hauptsache“ nach § 43 Abs 2 VfGG vorläge (vgl § 42 Abs 1 VfGG). Hat entweder ein (ordentliches) Gericht oder ein Verwaltungsgericht die Entscheidung „derselben Sache“ in Anspruch genommen und bereits einen rechtskräftigen Spruch „in der Hauptsache“ gefällt, so bleibt die alleinige Zuständigkeit dieses Gerichts aufrecht (§ 43 Abs 2 VfGG). Dieses im Gesetz angeordnete „Aufrechtbleiben“ der Zuständigkeit jenes Gerichts zieht es– selbst dann, wenn die Entscheidung in jener Sache zu Unrecht in Anspruch genommen worden sein sollte – nach sich, dass für eine Entscheidung durch jenes Gericht, vor dem die Sache zwar rite zu entscheiden wäre, das aber über die Sache noch nicht entschieden hat, das Hindernis der entschiedenen Rechtssache besteht, weil die erste getroffene rechtskräftige Sachentscheidung endgültig Bestand haben soll (VfGH 27. 9. 2002, G 330/01, VfSlg 16.631/2002; 10 ObS 90/03p; Germann/Nesensohn in Eberhard/Fuchs/Kneihs/Vašek, Kommentierung zum Verfassungsgerichtshofsgesetz 1953, § 43 VfGG Rz 44 [Stand 1. 10. 2019, rbd.at]; vgl allgemein RS0041115).

[29] 4.3.1. Läge ein solches Hindernis vor, wäre die Entscheidung des Erstgerichts – wie von der Beklagten mit ihrem Rechtsmittel angestrebt – wiederherzustellen, wenn auch aus einem anderen Grund.

[30] 4.3.2. Zur Frage, ob dieselbe Sache im Sinn der §§ 42 f VfGG vorliegt, wird judiziert, dass „dieselbe Sache“ dann vorliegt, wenn dieselbe Rechtsvorschrift auf denselben Sachverhalt als Hauptfrage angewendet wird, sofern grundsätzlich dieselben Personen verfahrensbeteiligt sind (Pürgy in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B‑VG und Grundrechte, Art 138 B‑VG Rz 7 [Stand 1. 1. 2021, rdb.at]; Muzak B‑VG6 § 42 VfGG Rz 1 und Art 138 B‑VG Rz 3 [jeweils Stand 1. 10. 2020, rdb.at]; Germann/Nesensohn in Eberhard/Fuchs/Kneihs/Vašek, Kommentierung zum Verfassungsgerichtshofsgesetz 1953, § 43 VfGG Rz 27 [Stand 1. 10. 2019, rbd.at]; Hiesel in Kneihs/Lienbacher,Rill‑Schäffer‑Kommentar Bundesverfassungsrecht 11. Lieferung [2013] B‑VG Art 138 Rz 26; vgl zur Verneinung des Vorliegens einer Entscheidung in derselben Hauptsache VfGH 14. 3. 1989, KI‑4/88, VfSlg 12.018 [Klage auf Unterlassung des Gehens und Fahrens – Begehren auf zwangsweise Einräumung eines land‑ und forstwirtschaftlichen Bringungsrechts auf dem selben Grundstück beim Landesagrarsenat]; VfGH 14. 6. 1982, KI‑2/81, VfSlg 9.415 [Klage auf Unterlassung der Benützung des Luftraums aufgrund einer privatrechtlichen Vereinbarung im Verhältnis zu einem Bescheid über die vorübergehende Benützung des Luftraums nach Bestimmungen einer Bauordnung]; VfGH 12. 12. 2012, KI‑4/12 [Klage auf Unterlassung der Wegnahme des Schildes „ausgenommen Anrainer und Zubringer“ unter einer Fahrverbotstafel gestützt auf Ersitzung eines Geh‑ und Fahrtrechts und eine privatrechtliche Vereinbarung im Verhältnis zum Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof über den Anspruch aus dem Genossenschaftsverhältnis auf Benützung eines Güterwegs aufgrund eines landwirtschaftlichen Bringungsrechts]).

[31] 4.3.3. Im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht wurde – ausgehend von den vorstehenden Grundsätzen – nicht in „derselben Sache“ im Vergleich zu der hier zu prüfenden Eigentumsfreiheitsklage im Sinn des § 43 VfGG entschieden. Es ging vor der Agrarbehörde und dem Landesverwaltungsgericht um die Bekämpfung eines in der Vollversammlung von den Mitgliedern gefassten Beschlusses mit Minderheitenbeschwerde, während hier der Beklagten durch das Gericht mit Urteil eine bestimmte Unterlassung aufgetragen werden soll. Das Verwaltungsgericht bezog sich auf die satzungsmäßigen Zwecke der Agrargemeinschaft sowie das ForstG 1975. Die vom VwGH verlangte „Grobprüfung“ lasse erkennen, dass der Beschluss den Zwecken der Agrargemeinschaft nicht widerspreche. Es hob zudem hervor, dass sich der mit Minderheitenbeschwerde bekämpfte Beschluss nicht bloß auf Teile der Forststraße bezieht, sondern auf diese als Ganzes (und noch weitere Forststraßen). Ein Eingriff in die bürgerlichen Rechte der Klägerin wurde dagegen nicht geprüft.

[32] Abgesehen davon ist nicht ersichtlich, dass abseits des Jagdpächters in jenem Verfahren auch Nutzungen durch Familienangehörige zur Erreichung einer „privaten Almhütte“ zu Freizeitzwecken verbunden mit „Gefahr für Personen und Vieh“ releviert worden wären.

[33] Es mag zwar sein, dass die Frage, ob in der Nutzung des Wegs zur Jagd eine (unstrittig freigegebene) Nutzung zu forstwirtschaftlichen Zwecken liegt (was das Landesverwaltungsgericht schon mit der Begründung der Erforderlichkeit der Bejagung auf Wiederbewaldungsflächen zum Schutz gegen Wildverbiss bejahte), in beiden Verfahren als Vorfrage zu klären ist. Die selbständige Beurteilung einer Vorfrage hat aber bloß prozessualen Charakter; hinsichtlich der Vorfrage liegt daher keine Entscheidung vor, die zu einem Kompetenzkonflikt führen könnte (Grabenwarter/Frank, B‑VG2 Art 138 Rz 4 [Stand 1. 1. 2025, rdb.at]; Germann/Nesensohn in Eberhard/Fuchs/Kneihs/Vašek, Kommentierung zum Verfassungsgerichtshofsgesetz 1953, § 43 VfGG Rz 26 [Stand 1. 10. 2019, rbd.at]; Hiesel in Kneihs/Lienbacher Rill‑Schäffer‑Kommentar Bundesverfassungsrecht 11. Lieferung [2013] B‑VG Art 138 Rz 24).

[34] 4.4. Eine Inanspruchnahme der Zuständigkeit und eine Entscheidung durch die ordentlichen Gerichte hindernde rechtskräftige Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts „in derselben (Haupt‑)Sache“ liegt nicht vor.

[35] 5. Das Rekursgericht hat die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs für den vorliegenden Rechtsstreit daher zu Recht verworfen.

[36] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1 iVm 50 ZPO.

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