OGH 10Ob28/25b

OGH10Ob28/25b10.7.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofräte Dr. Annerl und Dr. Vollmaier und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*, vertreten durch die Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei Ao. Univ.‑Prof. Dr. B*, Neurochirurg, *, vertreten durch die Prutsch-Lang & Damitner Rechtsanwälte OG in Graz, und dem Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. R*, vertreten durch Dr. Uwe Niernberger, Dr. Angelika Kleewein, Rechtsanwälte in Graz, wegen 234.146,08 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 12. März 2025, GZ 3 R 32/25p‑51, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 18. Dezember 2024, GZ 39 Cg 77/22f‑45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0100OB00028.25B.0710.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Im Herbst 2020 zog sich die Klägerin eine ausgeprägte Berstungsfraktur eines Brustwirbels zu. Am 28. Juni 2021 wurde die Klägerin im Landeskrankenhaus Graz vorstellig und es wurde mit ihr die Möglichkeit einer Operation besprochen, wobei sie im Zuge dieses Termins auch über die allgemeinen Risiken (inklusive Querschnittslähmung) der Operation aufgeklärt wurde. Bereits zu diesem Zeitpunkt bestand bei der Klägerin grundsätzlich der Wunsch der Durchführung der Operation.

[2] In der Folge suchte die Klägerin den Beklagten auf und konsultierte diesen am 7. Juli 2021 und am 11. August 2021 und ließ sich über die Operationsmöglichkeiten von diesem beraten. Eine Dringlichkeit bestand nicht.

[3] Nach dem ersten Gesprächstermin beim Beklagten stand für die Klägerin fest, dass sie die Operation durchführen wolle. Sie hatte starke Schmerzen und ließ sich von ihrem Hausarzt täglich Spritzen verabreichen. Nach Verabreichung der Spritzen konnte sie ohne gröbere Einschränkungen gehen und stehen und musste nicht von ihrem Lebensgefährten gewaschen und betreut werden. Der Leidensdruck der Klägerin war jedoch sehr groß und sie empfand die Operation als Hoffnungsschimmer.

[4] Im Zuge des zweiten Termins wurde der Klägerin mittels einer bildlichen Darstellung auf dem Computer erklärt, wie die Operation mit einer neuartigen Methode durchgeführt werden würde. Es wurde detailliert und explizit über den Operationsvorgang gesprochen. Auch wurden allfällige Komplikationen, wie insbesondere eine Querschnittssymptomatik (also das Risiko des Eintritts einer Querschnittslähmung) und Nachblutungen besprochen. Im Zuge dieses Termins schlossen die Streitteile den (mündlichen) Behandlungsvertrag ab. Der Beklagte organisierte sodann die Aufnahme der Klägerin in einer Privatklinik und er fixierte auch den Termin für die Operation am 2. September 2021, die – wie der Klägerin mitgeteilt worden war – der Nebenintervenient gemeinsam mit dem Beklagten durchführen sollte.

[5] Am Abend vor der Operation sprach der Nebenintervenient mit der Klägerin. Dabei wurde die Klägerin konkret nochmals über die Risiken eines Infekts, Blutungen, Nervenläsionen, einer Querschnittslähmung, einer Schraubenlockerung und eines Implantat‑Versagens aufgeklärt. Die Klägerin war bereit für die Operation und unterzeichnete den Aufklärungsbogen.

[6] Dort ist unter der Frage „Ist mit Komplikationen zu rechnen?“ unter anderem angeführt:

Trotz größter Sorgfalt können bei und nach der Operation Störungen auftreten, die u.U. auch weitere Maßnahmen erforderlich machen und so die gesamte Behandlungszeit wesentlich verlängern können. In seltenen Fällen kann die Situation auch lebensbedrohlich werden. Zu nennen sind:

[…]

Verletzungen der Nerven oder des Rückenmarks können anhaltende Schmerzen, Gefühlsstörungen, Temperaturmissempfindungen, Schwächen oder Lähmung der Beine, Funktionsstörungen von Blase und Afterschließmuskel (Inkontinenz) oder sexuelle Störungen (Impotenz) bis hin zur Querschnittlähmung zur Folge haben; […]

[7] Am 2. September 2021 führten der Beklagte und der Nebenintervenient die Operation gemeinsam durch. Seit der Operation leidet die Klägerin an einer Querschnittslähmung.

[8] DieKlägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung von 234.146,08 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche zukünftige Schäden ausder Durchführung des operativen Eingriffs vom 2. September 2021. Sie stützt sich – soweit für das Revisionsverfahren relevant – auf eine mangelhafte Aufklärung durch den Beklagten, weil sie unzureichend über das Risiko einer durch die Operation verursachten Querschnittslähmung aufgeklärt worden sei. Weder der Beklagte noch der Nebenintervenient hätten die Klägerin darüber aufgeklärt, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Operation zu einer Querschnittslähmung führen könne, bis zu 17 % betrage. Berücksichtige man weiters den Umstand, dass konservative Behandlungsmöglichkeiten zumindest noch zur Verfügung gestanden wären, so sei es naheliegend, dass die Kenntnis eines derart hohen Risikos für den Eintritt einer massiven und lebenslang verbleibenden Gesundheitsstörung, deren Auswirkung zu einer gravierenden Einschränkung (Querschnittslähmung) führe, jedenfalls notwendig sei, um der Patientin eine Abwägung zu ermöglichen, ob sie sich einem derart hohen Risiko überhaupt aussetzen wolle.

[9] DerBeklagte und der Nebenintervenient beantragten die Abweisung der Klagebegehren. Eine Querschnittslähmung könne bei der vorliegenden instabilen Berstungsfraktur sowohl im Zuge einer konservativen als auch nach einer operativen Behandlung auftreten, dessen Ursache im Trauma gelegen sei, weil das Trauma selbst zu einer Rückenmarksverletzung bzw zu einer Verletzung der Nervenwurzeln führen könne. Des Weiteren könnten bei operativen Eingriffen an der Wirbelsäule zugangsbedingte Komplikationen, Komplikationen bei der Instrumentierung bzw Stabilisierung und Komplikationen bei der operativen Fusion entstehen. Komplette Querschnittslähmungen könnten als eingriffsimmanente Komplikationen mit einer Häufigkeit von 1 % bis 17 % auftreten und selbst vom gewissenhaftesten und sorgfältigsten Operateur nicht verhindert werden. Der Beklagte und der Nebenintervenient hätten die Klägerin über das Risiko einer Querschnittslähmung bei operativer Sanierung der Berstungsfraktur aufgeklärt. Selbst unter der Annahme, der Beklagte hätte die Klägerin nicht ordnungsgemäß aufgeklärt, hätte sich die Klägerin aufgrund ihres massiven Leidensdrucks für diese Operation entschieden.

[10] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Da die Klägerin mehrfach und über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder auf das Risiko einer möglichen Querschnittslähmung hingewiesen worden sei und sich immer wieder dafür entschieden habe, dieses Risiko einzugehen und die Operation durchführen zu lassen, liege kein Aufklärungsfehler des Beklagten vor.

[11] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Es behandelte die Mängelrüge (zur Frage, ob aufgrund der Vorschäden der Klägerin das Riskiko einer intraoperativen Querschnittslähmung höher als „bis zu“ 17 % gewesen sei) nicht, weil es auf die Bekanntgabe statistischer Komplikationswahrscheinlichkeiten nicht ankomme. Im Übrigen übernahm es die erstgerichtlichen Feststellungen und legte sie seiner Entscheidung gemäß § 498 ZPO zugrunde. In rechtlicher Hinsicht ging es von einer ausreichenden Aufklärung aus. Die Aufklärungen hätten die Klägerin in die Lage versetzt, die Tragweite ihrer Einwilligung in die Operation zu erkennen. Da die einzige Alternative für die Klägerin darin bestanden habe, mit der Berstungsfraktur (samt allen damit verbundenen Risiken) weiter zu leben und sich auf eine Schmerzbehandlung zu beschränken, die keine echte therapeutische Alternative gewesen sei, hätte eine – ungefragt erteilte – zusätzliche Aufklärung der Klägerin über prozentuelle Komplikationswahrscheinlichkeiten auf Basis evidenzbasierter Statistiken der Klägerin die Einschätzung ihrer Lage und ihrer Entscheidungsfindung nicht erleichtert, sondern erschwert. Die in der Rechtsrüge geforderte Aufklärung der Klägerin, dass bei ihr das Operationsrisiko einer Querschnittslähmung „bis zu“ 17 % betragen habe, oder dass dieses Lähmungsrisiko „noch höher“ gewesen sei, wäre eine die Entscheidungsfindung erschwerende Information gewesen, die der Beklagte der Klägerin nicht ungefragt aufdrängen habe müssen.

[12] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Stattgabe der Klagebegehren, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[13] Der Beklagte und der Nebenintervenient beantragen in den – ihnen vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortungen die Zurückweisung des Rechtsmittels, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[15] 1. Hat eine ohne Einwilligung oder ohne ausreichende Aufklärung des Patienten vorgenommene eigenmächtige Behandlung des Patienten nachteilige Folgen, haftet der Arzt, wenn der Patient sonst in die Behandlung nicht eingewilligt hätte, für diese Folgen selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist (RS0026783). Eine Einwilligung kann vom Patienten nur dann wirksam abgegeben werden, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen ärztlichen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RS0026499).

[16] 2. Die Aufklärungspflicht gilt vor allem bei Vorliegen einer typischen Gefahr. Diese Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher vermeidbar ist (RS0026340). Auf typische Risiken einer Operation ist daher unabhängig von prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeiten, also auch bei einer allfälligen Seltenheit ihres Eintritts, hinzuweisen (RS0026581).

[17] 3. Dass der Beklagte verpflichtet war, über die mit dem Eingriff verbundene (typische) Gefahr einer Querschnittslähmung aufzuklären, ist im Revisionsverfahren genauso wenig strittig wie der Umstand, dass der Beklagte (und der Nebenintervenient) auf die Möglichkeit einer Querschnittslähmung hinwies(en). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob diese Aufklärung ausreichend war, insbesondere ob auch über die – behauptetermaßen hohe – Wahrscheinlichkeit des Auftretens dieser Komplikation aufzuklären gewesen wäre.

[18] 4.1. Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten instand setzen, die Tragweite seiner Erklärung, in die Behandlung einzuwilligen, zu überschauen (RS0026413). Aufgabe der ärztlichen Aufklärung ist es, dem Patienten die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien zu liefern (RS0026413 [T3]). Damit die ärztliche Aufklärung ihren Zweck erreichen kann, muss sich deren Umfang nach den persönlichen Verhältnissen des jeweiligen Aufklärungsadressaten richten (RS0026413 [T11]). Die ärztliche Aufklärungspflicht reicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus Sicht des vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist bzw je höher die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter Komplikationen ist (RS0026772 [insb T24]). Ist der Eingriff medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, ist eine umfassende Aufklärung notwendig (RS0026772).

[19] 4.2. In welchem Umfang der Arzt den Patienten im Einzelfall aufklären muss, damit dieser die Tragweite seiner Erklärung, in die Operation einzuwilligen, überschauen kann, also weiß, worin er einwilligt, ist eine stets anhand der zu den konkreten Umständen des Einzelfalls getroffenen Feststellungen zu beurteilende Rechtsfrage (RS0026763 [T2]), die nur dann erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage beruht (RS0042769).

[20] 4.3. Eine solche korrekturbedürftige Fehlbeurteilung liegt hier vor:

[21] 4.3.1. Ein Arzt muss nach der Rechtsprechung zwar nicht auf alle nur denkbaren Folgen einer Behandlung hinweisen (RS0026529; RS0026426 [T3]). Insbesondere fordert die Rechtsprechung keinen Hinweis auf typische (weitere) Folgen bei Verwirklichung behandlungstypischer Risiken, weil den Patienten ansonsten oftmals eine derartige Fülle von Informationen gegeben werden müsste, dass ihnen die Einschätzung der Lage nicht ermöglicht, sondern erschwert würde (5 Ob 28/21k Rz 22; 6 Ob 144/19y; 7 Ob 228/11x).

[22] 4.3.2. Der Arzt muss den Patienten aber, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, über mehrere zur Wahl stehende diagnostische oder therapeutische adäquate Verfahren informieren und das Für und Wider mit ihm abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risken entstehen können und der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat (RS0026426 [T1]). Nach dem Zweck der Aufklärungspflicht versteht sich von selbst, dass sie auch die Darstellung der Schwere des Risikos umfasst, was gleichbedeutend ist mit einer Darstellung der Art der Gesundheitsbeeinträchtigung, die aus dem verwirklichten Risiko resultieren kann (RS0026426 [T8]).

[23] 4.3.3. Da die Abwägung des Für und Wider nicht nur von der Bedeutung des möglichen Nachteils (also der Art und Schwere einer möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung), sondern im Allgemeinen auch von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des betreffenden Nachteils (auch im Vergleich zu den Behandlungsalternativen) beeinflusst zu werden pflegt, muss der Patient – jedenfalls bei Behandlungen, die nicht eilig sind – auch über die (nach medizinischen Standards bekannte) Wahrscheinlichkeit des Auftretens der Komplikation aufgeklärt werden (in diesem Sinn bereits 8 Ob 646/92; vgl auch RS0026572), wenn und weil ein verständiger Patient sie bei objektiver Betrachtung seiner Abwägungsentscheidung zugrunde legen würde (vgl 4 Ob 1/15y [Aufklärung über das durch Diabetes erhöhte Infektionsrisiko]; 8 Ob 646/92 [Aufklärungspflicht über Wahrscheinlichkeit eines Infektionsrisikos von immerhin 3,5 % bis 5 %]; 6 Ob 683/84 [wonach es nicht allein auf die erfahrungsgemäß häufiger zu befürchtenden Komplikationen ankommt]). Die Angabe der statistischen Wahrscheinlichkeit muss dabei nicht zwingend in Prozent (oder Promille) ausgedrückt werden, sondern kann auch durch andere Hinweise erfolgen, die dem Patienten eine ausreichende Abschätzung der Wahrscheinlichkeit ermöglichen. Kann eine solche Wahrscheinlichkeit mangels Vorliegens statistischer Daten und entsprechend den medizinischen Standards nicht angegeben werden, ist auf diesen Umstand hinzuweisen.

[24] 4.3.4. Wie die Klägerin in der Revision zutreffend geltend macht, wird die Beurteilung des Berufungsgerichts diesen Vorgaben nicht gerecht.

[25] Die Aufklärung über die bloße Möglichkeit einer Querschnittslähmung lässt nicht erkennen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine solche Komplikation auftreten könnte. Auch dem schriftlichen Aufklärungsbogen sind solche Hinweise (anders als bei anderen angeführten Komplikationen oder nachteiligen Folgen) nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, sodass ein verständiger Patient nicht von einer (nicht nur selten, sondern) häufig auftretenden Komplikation ausgehen muss. Dem Vorbringen der Klägerin, dass ein (ihr nicht mitgeteiltes, aber) derart hohes Risiko (im Sinn einer hohen Wahrscheinlichkeit) für den Eintritt einer Querschnittslähmung (von behauptetermaßen mehr als 17 %) bestanden habe, kommt daher Relevanz für die Frage zu, ob dem Beklagten eine Verletzung der Aufklärungspflicht anzulasten ist, weil die Information, dass eine derart gravierende Beeinträchtigung (Querschnittslähmung) in mehr als einem von sechs Fällen auftritt, für die Entscheidungsfindung eines Patienten (und auch der Klägerin) durchaus von Relevanz sein kann. Dabei geht es auch um die zu erwartende Komplikation selbst (Querschnittslähmung), über die die Klägerin grundsätzlich bereits aufgeklärt wurde, und nicht um (weitere) Folgen bei Verwirklichung dieser Komplikation, sodass eine Erschwerung der Abwägung aufgrund einer besonderen Fülle von Informationen nicht zu befürchten wäre.

[26] Dem vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang betonten Umstand, dass der Aufklärungsadressat die Behandlung als „Hoffnungsschimmer“ betrachtet, bedeutet nicht, dass die Aufklärung zu reduzieren wäre. Der Patient muss vielmehr frei entscheiden können, ob er lieber mit seinen Beschwerden weiterlebt oder in der Hoffnung auf künftige Beschwerdefreiheit oder -erleichterung gewisse Operationsrisken eingeht (8 Ob 646/92). Davon zu trennen ist die Frage, ob die Klägerin in die (als „Hoffnungsschimmer“ betrachtete) Operation bei entsprechender Aufklärung eingewilligt hätte. Dies wäre im Rahmen des – vom Beklagten erhobenen – Einwands des rechtmäßigen Alternativverhaltens zu prüfen (RS0108185 [T7]; RS0038485 [T11]; RS0111528 [T5]), wozu aber keine Feststellungen vorliegen.

[27] 5.1. Da Feststellungen zur von der Klägerin behaupteten (hohen) Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Querschnittslähmung nicht getroffen wurden, kann nicht beurteilt werden, ob die von der Klägerin geltend gemachte Aufklärungspflichtverletzung vorliegt. Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin ist das Vorliegen einer derart hohen Wahrscheinlichkeit auch nicht unstrittig. Der Beklagte und der Nebenintervenient stellten lediglich außer Streit, dass „bei operativen Eingriffen an der Wirbelsäule“ bestimmte Komplikationen entstehen und komplette Querschnittslähmungen als eingriffsimmanente Komplikationen mit einer Häufigkeit von „1 % bis 17 %“ auftreten könnten. Wie die Beklagte in der Revisionsbeantwortung zutreffend aufzeigt, gibt diese (weite) Spanne eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Querschnittslähmung beim konkret durchgeführten Eingriff, auf die sich die Klägerin beruft und worüber bei Zutreffen dieses Vorbringens aufzuklären gewesen wäre, nicht hinreichend deutlich wieder. Auch zum Vorbringen der Klägerin, dass das operationstypische Risiko (also die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Querschnittslähmung) bei ihr aufgrund vorhandener Vorschädigungen (noch weiter) erhöht gewesen sei, wurden keine Feststellungen getroffen.

[28] 5.2. Aufgrund der in der Revision aufgezeigten sekundären Feststellungsmängel sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung und Erweiterung der Tatsachengrundlage aufzutragen. Neben der Wahrscheinlichkeit für den Eintritt einer Querschnittslähmung bei Durchführung des operativen Eingriffs (ErwGr 5.1.) ist überdies – wie vom Beklagten und Nebenintervenienten vorgebracht – auch zu prüfen, ob und bejahendenfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit der Eintritt einer Querschnittslähmung auch ohne Durchführung dieses Eingriffs (infolge der bestehenden Berstungsfraktur bzw bei konservativer Behandlung) drohte, weil auch dieses Risiko bei der Abwägung der Behandlungsmöglichkeiten miteinzubeziehen ist.

[29] 5.3. Sollte sich dabei ergeben, dass die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Querschnittslähmung derart hoch war, dass die Klägerin auch darüber aufzuklären gewesen wäre, wäre eine Aufklärungspflichtverletzung des Beklagten zu bejahen. In diesem Fall würde der Frage Bedeutung zukommen, ob die Klägerin – wie vom Beklagten und dem Nebenintervenienten eingewendet (vgl RS0038485; RS0111528 [T1 und T8]; RS0108185) – auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur ärztlichen Maßnahme erteilt hätte, sodass diesfalls auch dazu Feststellungen zu treffen wären. Die Reihenfolge der Prüfung (zuerst Aufklärungspflichtverletzung, dann Verhalten der Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung oder umgekehrt) steht freilich im Ermessen des Erstgerichts.

[30] 5.4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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