OGH 9ObA20/25v

OGH9ObA20/25v25.6.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Hargassner und Mag. Böhm sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Birgit Riegler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (in eventu Kündigungsanfechtung), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Jänner 2025, GZ 13 Ra 30/24w‑90, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:009OBA00020.25V.0625.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

1. Zur behaupteten Nichtigkeit und zum Verfahrensmangel:

Rechtliche Beurteilung

[1] Nur die Teilnahme eines mit Erfolg abgelehnten Richters an der Entscheidung begründet eine Nichtigkeit (RS0007462). Wurde die Ablehnung – wie hier hinsichtlich eines Mitglieds des Berufungssenats – nicht für gerechtfertigt erkannt, liegt der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 1 ZPO hingegen nicht vor (RS0007462 [T1]).

[2] Aus demselben Grund kann die Mitwirkung des betreffenden Mitglieds des Berufungssenats an der Entscheidungsfindung auch keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 503 Z 2 ZPO verwirklichen, dessen Relevanz die Revision im Übrigen auch gar nicht aufzeigt.

2. Zu § 45a AMFG:

[3] 2.1 Nach § 45a Abs 1 Z 3 AMFG (auf einen anderen Schwellenwert stellt die Revision nicht ab) haben Arbeitgeber die nach dem Standort des Betriebes zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice durch schriftliche Anzeige zu verständigen, wenn sie beabsichtigen, Arbeitsverhältnisse von mindestens 30 Arbeitnehmern in Betrieben mit in der Regel mehr als 600 Beschäftigten innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen aufzulösen. Vorzeitig ausgesprochene Kündigungen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen im Sinne des Abs 1 bezwecken, sind rechtsunwirksam (§ 45a Abs 5 AMFG). Nach ständiger Rechtsprechung ist auch die Zahl der vom Arbeitgeber veranlassten (9 ObA 47/21h Rz 17) einvernehmlichen Auflösungen von Arbeitsverhältnissen auf die zahlenmäßigen Voraussetzungen nach § 45a Abs 1 AMFG anzurechnen (RS0053050).

[4] 2.2 Nach dem klaren Wortlaut des § 45a Abs 1 AMFG wird die Verständigungspflicht schon dann ausgelöst, wenn ein Arbeitgeber beabsichtigt, eine den jeweiligen Schwellenwert überschreitende Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb von 30 Tagen aufzulösen (9 ObA 47/21h Rz 16). Die 30‑tägige Frist des § 45a Abs 1 AMFG wandert kontinuierlich. Der Arbeitgeber kann daher durch die zeitliche Streuung von Kündigungen das Erreichen des Schwellenwerts der genannten Bestimmung verhindern (RS0125464), wenn die Streuung der Kündigungen über einen längeren als 30‑tägigen Zeitraum schon in der ursprünglichen Absicht des Dienstgebers zur Beendigung der Dienstverhältnisse lag, nicht aber, wenn sich die Kündigungserklärungen entgegen seiner ursprünglichen Intention – etwa infolge längerer Bemühungen um den Erhalt der Arbeitsplätze – faktisch über einen längeren Zeitraum erstrecken (9 ObA 119/17s [Pkt 6.]; 9 ObA 33/21z Rz 6).

[5] 2.3 Nach den Feststellungen hatte die Beklagte bereits ursprünglich nicht die Absicht, im Zeitfenster von 30 Tagen vor bis 30 Tagen nach dem Ausspruch der Kündigung des Klägers eine den Schwellenwert nach § 45a Abs 1 Z 3 AMFG erreichende Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb von 30 Tagen aufzulösen. Die vom Berufungsgericht primär herangezogene Begründung, dass schon deshalb eine Verständigungspflicht nach § 45a Abs 1 AMFG und eine Unwirksamkeit der Kündigung des Klägers nach § 45a Abs 5 AMFG ausscheiden, bekämpft der Revisionswerber nicht. Daher kann die Richtigkeit der vom Berufungsgericht nur hilfsweise herangezogenen Begründung, der gesetzliche Schwellenwert des § 45a Abs 3 AMFG sei auch tatsächlich nicht erreicht worden, gleichfalls nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (vgl RS0042736 [T2]). Auf die entsprechenden Ausführungen in der Revision ist somit nicht näher einzugehen.

[6] 2.4 Der Senat sieht sich deshalb auch nicht veranlasst, der Anregung des Klägers auf Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH nachzukommen.

3. Zur Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG):

[7] 3.1 Die Gerichte sind nicht dazu berufen, die Zweckmäßigkeit oder objektive Richtigkeit der vom Betriebsinhaber getroffenen Maßnahmen im Rahmen des Verfahrens über eine Kündigungsanfechtung zu überprüfen, weil es sich bei den festgestellten Rationalisierungsmaßnahmen um Fragen des wirtschaftlichen Ermessens handelt. Der Arbeitgeber muss sich aber im Rahmen der – nach den Umständen des Einzelfalls vorzunehmenden (RS0051818 [T8]; RS0051785 [T9]) – Interessenabwägung die Prüfung gefallen lassen, ob die konkrete Kündigung durch die von ihm getroffenen Maßnahmen gerechtfertigt ist (RS0051649 [T2, T9] ua).

[8] 3.2 Nach den Feststellungen gab es nach der „Ausflottung“ der Flugzeuge des Typs * für den Kläger im Unternehmen der Beklagten keine Verwendung mehr. Die (mit einer Verlegung seines Dienstortes verbundenen) Umschulungsangebote der Beklagten auf einen anderen Flugzeugtyp nahm er nicht an. Das zieht die Revision auch nicht in Zweifel. Eine Verpflichtung, den Kläger unter Beibehaltung seines bisherigen Dienstortes auf einen anderen Flugzeugtyp umzuschulen, hat das Berufungsgericht zu Recht verneint (vgl 8 ObA 92/22w Rz 20). Ausgehend davon erweist sich die zum Nachteil des Klägers ausschlagende Interessenabwägung des Berufungsgerichts im Einzelfall als nicht korrekturbedürftig (vgl 8 ObA 92/22w; 9 ObA 75/23d).

[9] 3.3 Die gerügten Feststellungsmängel liegen nicht vor (RS0053317).

4. Zur Anfechtung wegen Motivkündigung (§ 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG):

[10] Nach den unangefochtenen Feststellungen bestand das Motiv für die Kündigung des Klägers nicht in seinen Klagsführungen gegen die Beklagte oder der eingeforderten Beibehaltung seines vertraglichen Dienstortes, sondern in der Ablehnung sämtlicher Umschulungs- und Bewerbungsangebote zur weiteren Einsatzmöglichkeit nach „Ausflottung“ der *-Flugzeuge.

[11] Ausgehend davon liegen die in der Revision behaupteten Feststellungsmängel zum Motiv der Kündigung nicht vor (vgl RS0053317 [T1]).

[12] 5. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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