European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00064.25T.0604.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erwachsenenschutzrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
[1] Das Erstgericht genehmigte die Versagung der bisherigen Prozessführung durch den –für den Wirkungsbereich Vertretung in gerichtlichen und behördlichen Verfahren bestellten – gerichtlichen Erwachsenenvertreter in einem bestimmten Verfahren des Betroffenen (Widerklage mit einem Streitwert von 228.480,68 EUR).
[2] Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[3] Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 71 Abs 3 AußStrG):
[4] 1. Die Einschränkung der Prozessfähigkeit einer Person durch die Bestellung eines Erwachsenenvertreters wirkt rechtsgestaltend nur für die Zukunft. Die Prüfung, ob die betroffene Partei für davor liegende Zeitpunkte die Tragweite des konkreten Rechtsstreits erkennen konnte, obliegt dagegen dem Prozessgericht (vgl RS0110082; RS0035228 [T2]; 2 Ob 132/17a).
[5] War die Partei im Verfahren anwaltlich vertreten, muss ihre Prozessfähigkeit nur im Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht an den Rechtsanwalt gegeben gewesen sein. Ihr späterer Verlust während des Rechtsstreits wäre ohne Belang (RS0035154; 6 Ob 126/20b).
[6] 2. Geht das Prozessgericht davon aus, dass die Prozessfähigkeit für die Verfahrensführung bereits vor der Bestellung des Erwachsenenvertreters (hier: aufgrund der Vertretung durch einen Anwalt schon im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung) nicht gegeben war, ist es gehalten, einen Sanierungsversuch nach § 6 ZPO vorzunehmen (RS0065355; RS0118612). Es hat den Erwachsenenvertreter aufzufordern sich zu äußern, ob er das bisherige Verfahren (soweit es von Nichtigkeit betroffen ist) genehmigt oder nicht genehmigt (vgl 9 Ob 24/15t; 8 ObA 18/21m). Soweit sich der Erwachsenenvertreter für den vor seiner Bestellung liegenden Zeitraum bzw Zeitpunkt zur Genehmigung oder Nichtgenehmigung der bisherigen Prozessführung äußert, bedarf seine Erklärung (jedenfalls beim Aktivprozess) der Genehmigung durch das Pflegschaftsgericht (6 Ob 708/89; 8 ObA 53/21h; 8 ObA 18/21m).
[7] 3. Anders als der Rechtsmittelwerber es darstellt, hat das Pflegschaftsgericht das vor Bestellung des Erwachsenenvertreters geführte gerichtliche (streitige) Verfahren nicht rückwirkend für unzulässig erklärt. Es hat vielmehr – nach Darlegung des Erwachsenenvertreters zu seiner vom Prozessgericht abgeforderten Erklärung über die Genehmigung der bisherigen Prozessführung und der Weiterführung des Prozesses – einen Beschluss (bloß) über die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des Prozesshandelns des Erwachsenenvertreters gefasst. Ob und inwieweit diese Erklärung dann im Prozess vor dem Prozessgericht dazu führen wird, dass das dortige Verfahren für nichtig erklärt wird, fällt in die Entscheidungskompetenz des Prozessgerichts. Die vom Revisionsrekurs als erheblich iSd § 62 Abs 1 AußStrG angesprochene Rechtsfrage, ob das Pflegschaftsgericht rückwirkend die bisherige Prozessführung für unzulässig erklären könne, stellt sich damit nicht.
[8] 4. Maßgebend für die Ermessensentscheidung (RS0048207) des Pflegschaftsgerichts, ob eine Prozessführung im Interesse der betroffenen Person liegt, ist, ob in vergleichbaren Fällen ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter den Klageweg (weiter) beschreiten würde (vgl RS0108029). Dabei ist nicht (unter Vorwegnahme des Zivilprozesses) zu prüfen, ob der Anspruch besteht, sondern vielmehr unter Einbeziehung aller Eventualitäten (lediglich) das Prozessrisiko abzuwägen (RS0108029). Im Vordergrund steht die Feststellung der Erfolgsaussichten, also des Risikos des angestrebten Prozesses und vor allem die Wahrscheinlichkeit eines drohenden Vermögensnachteils (RS0048156, RS0108029 [T3, T9]; 6 Ob 197/19t).
[9] Diese Ermessensentscheidung ist von den spezifischen Umständen des Einzelfalls abhängig und daher grundsätzlich nicht revisibel (6 Ob 83/15x; RS0048142 [T2, T4]; RS0048207 [T1]). Eine erhebliche Rechtsfrage läge nur dann vor, wenn dem Rekursgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die aus Gründen der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (vgl RS0044088 [T41]), was hier angesichts der fehlenden Rechtsschutzdeckung und der damit einhergehenden beträchtlichen Kostenersatzpflicht sowie der ausführlichen Begründung zum Risiko des Prozessverlustes nicht der Fall ist. Welcher Schaden in welcher Höhe dem Betroffenen durch die „Nichtweiterführung“ entstehen könnte und warum der Eintritt eines daraus resultierenden „viel größere[n] Vermögensverlust[s]“ auch nur annähernd wahrscheinlich wäre, stellt der Revisionsrekurs nicht dar.
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