European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:009OBA00089.24I.0527.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
1. Die Bezeichnung der Erstnebenintervenientin wird auf Mag. T*, als Masseverwalter in der Insolvenz der F* GmbH, *,berichtigt.
2. Der Rekurs der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.872,50 EUR (darin enthalten 478,75 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin wurde am 5. 7. 2021 von ihrer Arbeitgeberin, der L* Immobilien GmbH, entlassen, worauf sie am 2. 9. 2021 eine Klage auf laufendes Entgelt und Kündigungsentschädigung einbrachte. In diesem Verfahren wurde die Arbeitgeberin zur Zahlung von 59.345 EUR brutto sA verurteilt und weiters festgestellt, dass die Arbeitgeberin der Klägerin sämtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnis bis 15. 6. 2023 zu bezahlen habe. Das erstinstanzliche Urteil wurde am 8. 9. 2022 abgefertigt. Das Berufungsurteil erging am 27. 4. 2023.
[2] Mit Kaufvertrag vom 1. 8./1. 9. 2022 verkaufte die Arbeitgeberin die Liegenschaft, auf der die Klägerin beschäftigt war, an die Beklagte zu einem Kaufpreis von 22,4 Mio EUR netto. Die Einverleibung erfolgte am 10. 11. 2022.
[3] Der dafür zuständige Mitarbeiter der Beklagten wusste Ende Oktober/Anfang November 2022 vom Bestehen einer Forderung der Klägerin. Nach lastenfreier Eigentumseinverleibung wurde der Kaufpreisrest von 4,4 Mio EUR an die Arbeitgeberin ausbezahlt.
[4] Die Klägerin begehrte 122.674,50 EUR (Entgelt und Kündigungsentschädigung sowie Verfahrens- und Exekutionskosten aus dem Verfahren gegen die Arbeitgeberin). Die Beklagte habe nicht nur das einzige Vermögen der Arbeitgeberin übernommen, sondern führe auch deren Unternehmen fort. Die Haftung werde auf § 1409 ABGB, § 38 UGB und § 6 Abs 1 AVRAG gestützt.
[5] Die Beklagte bestreitet, insbesondere die Voraussetzungen für eine Haftung. Im Falle einer Haftung der Beklagten als Solidarschuldnerin könne sie alle Einwendungen aus dem Grundgeschäft erheben, auch wenn sich der Übergebende bisher darauf nicht berufen habe. Es werde daher die Anrechnung anderweitigen Verdienstes der Klägerin im Zeitraum vom 1. 10. 2021 bis 15. 6. 2023 in der Höhe von gesamt 109.716,67 EUR brutto eingewendet.
[6] Die L* Development GmbH und Mag. G* traten dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenienten bei.
[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Voraussetzungen für einen Betriebsübergang lägen nicht vor.
[8] Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Klägerin Folge, hob sie auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück an das Erstgericht. Es bejahte die Haftung nach § 1409 ABGB dem Grunde nach. Es fehlten aber noch Feststellungen zur Beurteilung der Höhe des Anspruchs. Der Übernehmer habe alle Einwendungen aus dem Grundgeschäft, die der Übergeber zu erheben unterlassen habe. Für Verbindlichkeiten des Veräußerers, die nach der Übernahme des Vermögens entstanden seien, hafte der Erwerber grundsätzlich nicht. Die Kündigungsentschädigung sei ein Schadenersatzanspruch, der grundsätzlich mit der unberechtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehe. Ohne nähere Aufschlüsselung könne hinsichtlich der Verfahrens- und Exekutionskosten nicht beurteilt werden, wann sie entstanden seien. Auch seien Feststellungen zu treffen, die eine Beurteilung der Höhe der von der Haftung erfassten Forderungen und des allenfalls berechtigten Anrechnungseinwandes erlaubten.
[9] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erachtet, weil der maßgebliche Zeitpunkt für die eine Übernehmerhaftung nach § 1409 ABGB eröffnende Kenntnis von der Gläubigerforderung seit der Entscheidung 3 Ob 53/09d nicht als in der Rechtsprechung abschließend geklärt betrachtet werden könne. Ebenso sei nicht geklärt, ob der Erwerber den Einwand der Anrechnung anderweitigen Verdienstes auch gegen eine mit Urteil gegenüber dem Veräußerer ohne Anrechnung festgestellte Kündigungsentschädigung erheben könne.
[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag den Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und der Klage stattzugeben. In eventu möge dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen werden.
[11] Die Beklagte beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
[12] Die Nebenintervenienten beteiligten sich nicht am Rekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
[13] Der Rekurs ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig, weil keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird.
[14] 1. Die Klägerin zeigte im Rekurs an, dass mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 5. 8. 2024 das Konkursverfahren über die Erstnebenintervenientin eröffnet wurde. Die Bezeichnung der Erstnebenintervenientin war daher auf den Masseverwalter zu berichtigen.
[15] 2. Dass die Haftung der Beklagten gemäß § 1409 ABGB dem Grunde nach besteht, wird im Rekursverfahren nicht mehr in Zweifel gezogen. Auf diese Frage ist daher nicht einzugehen. Die Klägerin wendet sich im Rekurs gegen die Rechtsauffassung, dass die Beklagte ihr noch Einwendungen aus dem Grundgeschäft entgegenhalten kann.
[16] 3. Gemäß § 1409 Abs 1 erster Satz ABGB ist der Übernehmer eines Vermögens oder eines Unternehmens unbeschadet der fortdauernden Haftung des Veräußerers den Gläubigern aus den zum Vermögen oder Unternehmen gehörigen Schulden, die er bei der Übergabe kannte oder kennen musste, unmittelbar verpflichtet. Dieser gesetzliche Schuldbeitritt geht auf die Erwägung zurück, dass das Vermögen des Schuldners objektiver Haftungsfonds für die Forderungen von dessen Gläubigern ist, der durch die Übertragung des im Wesentlichen gesamten Vermögens des Schuldners nicht entzogen werden soll (RS0034895).
[17] 4. Der Übernehmer iSd § 1409 ABGB haftet für die Schulden ebenso wie der Überträger im Zeitpunkt der Übernahme. Der bloße Schuldbeitritt ändert dabei nichts an der Rechtsnatur der Forderungen, weshalb der Erwerber jene Rechtshandlungen, die der Übergeber bis zum Zeitpunkt des Übergangs gesetzt hat, wie etwa einen Vergleich oder ein Anerkenntnis, ebenso gegen sich gelten lassen muss, wie eine bereits eingetretene Unterbrechung der Verjährung. Ansonsten kann der Erwerber alle Einwendungen aus dem Grundgeschäft erheben, auch wenn sich der Übergebende bisher nicht auf diese berufen hat (RS0107355 [T1]).
[18] 5. Nach Auffassung der Klägerin sei dies anders zu beurteilen, wenn es sich bei der Verbindlichkeit des Übergebers zum Zeitpunkt des Schuldbeitritts um eine Judikatsschuld handelt.
[19] Die Klägerin übersieht allerdings, dass auch ein rechtskräftiges Urteil die privatrechtliche Rechtslage zwischen den Parteien des Verfahrens nicht neu gestaltet. Die Umwandlung einer Vertragsschuld in eine Judikatsschuld beinhaltet keine Novation (RS0032407). Nach der in Österreich herrschenden prozessualen Rechtskrafttheorie liegt das Wesen der Rechtskraft in der ausschließlichen prozessualen Wirkung, jede neue oder abweichende Entscheidung über den rechtskräftig entschiedenen Anspruch für die von der Rechtskraft erfassten Personen auszuschließen (vgl Klicka in Fasching/Konecny³ III/2 § 411 ZPO Rz 18 ff). Eine Tatbestandswirkung tritt dagegen nur in dem Umfang ein, den das materielle Recht in Ansehung eines Anspruchs festsetzt (vgl RS0041374).
[20] Eine solche Tatbestandswirkung des Urteils gegen den Übergeber auch für den Übernehmer wird im Rekurs nicht aufgezeigt, lässt sich dem materiellen Recht nicht entnehmen und wäre auch mangels rechtlichen Gehörs des Übernehmers mit Art 6 EMRK nicht zu vereinbaren. Vergleichbar stehen auch im Anfechtungsprozess dem Anfechtungsgegner trotz Vorliegens eines rechtskräftigen Titels alle Einwendungen zu, die der Schuldner nicht mehr erheben könnte, so etwa, dass die vollstreckbare Forderung schon im Zeitpunkt der Schaffung des Exekutionstitels nicht zu Recht bestand (vgl RS0050288).
[21] 6. Die auch in der Revision zitierte Rechtsprechung zu Anerkenntnis, Vergleich oder auch Verjährung bezieht sich dagegen jeweils auf Handlungen mit (auch) materiell-rechtlicher Wirkung, die – sofern sie vor der Übergabe erfolgen – Einfluss auf den Anspruch selbst und damit auch auf den Inhalt der Schuld haben, der der Übernehmer beitritt.
[22] 7. Insgesamt gelingt es der Klägerin nicht, das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Der Rekurs der Klägerin ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[23] 8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der vom Berufungsgericht ausgesprochene Kostenvorbehalt steht einer Kostenentscheidung hier nicht entgegen. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfragen verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (3 Ob 25/23g mwH). Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.
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